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Ambraser Heldenbuch: Allographische Transkription und wissenschaftliches Datenset

  • Mario Klarer EMAIL logo , Aaron Tratter und Hubert Alisade
Veröffentlicht/Copyright: 9. August 2019
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Seit Januar 2017 arbeitet eine Forschungsgruppe an der Universität Innsbruck unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Mario Klarer an dem ÖAW-go!digital-Projekt ‚Ambraser Heldenbuch: Transkription und wissenschaftliches Datenset‘ sowie an dem Projekt ‚Kaiser Maximilian goes digital: Vom ‚Gedächtnis‘ zum Datenspeicher‘, das von Stadt Innsbruck und Land Tirol gefördert wird. Die Forschungsprojekte setzen sich zum Ziel, anlässlich des 500. Todestages Kaiser Maximilians I. das ‚Ambraser Heldenbuch‘ (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. nova 2663) zur Gänze zu transkribieren.

Forschungsgegenstand

Das ‚Ambraser Heldenbuch‘ wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts von Maximilian I. als Prunkhandschrift in Auftrag gegeben und vom Bozner Zöllner Hans Ried auf ca. 250 großformatigen Pergamentblättern ausgefertigt. Mit 25 wichtigen Texten der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters ist das ‚Ambraser Heldenbuch‘ der umfangreichste Kodex (ca. 500.000 Wörter) seiner Art. 15 dieser Texte sind als Unikate ausschließlich im ‚Ambraser Heldenbuch‘ und damit in frühneuhochdeutscher Sprache überliefert (wie etwa Hartmanns von Aue ‚Erec‘, ‚Kudrun‘, ‚Moriz von Craûn‘ etc.). Die meisten Editionen dieser unikal überlieferten Texte sind jedoch Rückübersetzungen in ein standardisiertes Mittelhochdeutsch, wodurch die sprachliche Form des einzigen Textzeugen nicht gewahrt wird. Seit vielen Jahren mehren sich Stimmen, die einer quellentreuen digital verfügbaren Gesamttranskription des ‚Ambraser Heldenbuchs‘ aus verschiedenen Gründen höchste Priorität zusprechen.[1] Aufgrund des einzigartigen Überlieferungszusammenhanges und der Tatsache, dass es von nur einer Person niedergeschrieben wurde, stellt dieses Textkorpus eine exzellente Materialbasis für weitere literaturhistorische und sprachwissenschaftliche Untersuchungen dar.

Methoden

Die Transkription des ‚Ambraser Heldenbuchs‘ wird mit der Transkriptionsplattform ‚Transkribus‘ durchgeführt, die im Rahmen des Horizon-2020-Projektes READ seit 2014 an der Universität Innsbruck entwickelt wird. Die generierten Daten werden in XML-Dokumenten abgespeichert, in denen neben dem transkribierten Text auch die Koordinaten der entsprechenden Zeilen in der Handschrift ausgewiesen werden, wodurch größtmögliche editorische Transparenz gegeben ist. Die drei Textspalten einer Seite aus dem ‚Ambraser Heldenbuch‘ werden jeweils in text regions segmentiert, die wiederum in lines unterteilt werden. Texte außerhalb dieser Bereiche und Illuminationen (wie etwa die Foliierung oder der Buchschmuck) werden durch separate Regionen markiert.

Aufgrund der Einzigartigkeit und der daraus resultierenden Relevanz des Kodex werden die Texte allographisch transkribiert. Bei einer allographischen Transkription werden sowohl kontextsensitive Varianten, die nach bestimmten Regeln oder Mustern auftreten (wie das lange <s> oder das runde <r>), als auch rein graphische Varianten unterschieden. Um eine derartige Transkription zu bewerkstelligen, wurden im Rahmen des Projektes eigens Richtlinien erarbeitet, welche die von Hans Ried verwendeten Zeichen kategorisieren.[1] Der Vorteil bei der Erstellung der Richtlinien war, dass das ‚Ambraser Heldenbuch‘ ausschließlich von einer Person geschrieben wurde sowie das Schriftbild innerhalb der zwölf Jahre der Niederschrift gleich geblieben ist. Wegen der zumeist klaren und sauberen Federführung Hans Rieds gelang die Identifizierung von vielen Buchstabenvarianten, sodass der Zeichenbestand sehr genau und mit relativ geringem Interpretationsspielraum wiedergegeben werden kann.

Einen weiteren wichtigen Aspekt des Projektes stellt die Aufbereitung des Datenmaterials dar. Mittels Annotation erfolgt die Auszeichnung übergeordneter Strukturen wie Verse und Strophen. Es werden aber auch Initialen, Lombarden und Rubrizierungen ausgewiesen, da diese über die Transkription nicht dargestellt werden können. Durch diese akribische Aufbereitung des ‚Ambraser Heldenbuchs‘ soll ein möglichst breit nutzbares Korpus für laufende und zukünftige Forschungsvorhaben geschaffen werden.

Forschungsperspektiven

Besonders die allographische Transkription ermöglicht es, die transkribierten Texte in vielfältiger Weise für weitere Vorhaben zu verwenden. So kann das generierte Datenmaterial für (computer-)linguistische Untersuchungen genutzt werden, da damit ein Referenzkorpus des Frühneuhochdeutschen, das mittelhochdeutsche Texte zur Grundlage hat, geschaffen wird. Des Weiteren unterstützt die Transkription Editionsbemühungen von Einzeltexten des ‚Ambraser Heldenbuchs‘, da erstmals eine einheitliche Transkription aller Texte vorliegt, in der bereits Verse und Strophen getaggt sind, die vor allem für frühneuhochdeutsche Editionen die Ausgangslage bilden kann. Gärtner betont im Vorwort seiner 7. Auflage des ‚Erec‘ mit Verweis auf Leitzmann die Notwendigkeit, Einzeltexteditionen vor dem Hintergrund „der gesamten Überlieferung der Ambraser Handschrift“[2] zu erarbeiten. Außerdem könnten möglicherweise Schreibvorlagen und Texteingriffe Hans Rieds identifiziert werden, indem Texte des ‚Ambraser Heldenbuchs‘ mit Transkriptionen von Texten, die auch in anderen Handschriften überliefert sind, verglichen werden.

Nach Abschluss des Projektes werden alle generierten Daten sowie die Transkriptionsprinzipien über öffentlich zugängliche Repositorien zur Verfügung gestellt werden, sodass die Weiterverwendung und Bearbeitung der Daten gesichert wird und zukünftige Forschungsvorhaben daran ansetzen können.

Online erschienen: 2019-08-09
Erschienen im Druck: 2019-07-11

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Frontmatter
  3. Digitale Mediävistik und der deutschsprachige Raum
  4. Auswahlbibliographie
  5. Überlegungen zur digitalen Edition mystischer Mosaiktraktate des Spätmittelalters
  6. Ikonographie und Interaktion. Computergestützte Analyse von Posen in Bildern der Heilsgeschichte
  7. Soziale Netzwerkanalysen zum mittelhochdeutschen Artusroman oder: Vorgreiflicher Versuch, Märchenhaftigkeit des Erzählens zu messen
  8. Der Streit um die Birne. Autorschafts-Attributionstest mit Burrows’ Delta und dessen Optimierung für Kurztexte am Beispiel der ‚Halben Birne‘ des Konrad von Würzburg
  9. GIS als Hilfsmittel zur Analyse räumlicher Strukturen im östlichen Sachsen und Thüringen des 10. und frühen 11. Jahrhunderts: Eine Königslandschaft neu betrachtet
  10. Sprachwissenschaftliche Erschließungsmethoden für digitale Editionen mittelhochdeutscher Texte
  11. Mittelhochdeutsche Lexikographie und Semantic Web. Die Anbindung der ‚Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank‘ an Linked Open Data
  12. Grundlagen der Mediävistik digital vermitteln: ‚Ad fontes‘, aber wie?
  13. Die ‚Regesta Imperii‘ im digitalen Zeitalter. Das Regest als Netzwerk von Entitäten
  14. Das ‚Referenzkorpus Altdeutsch‘ als Lesekorpus. Grammatisch annotierte und mit Wörterbüchern verknüpfte Texte für Lehre und Selbststudium
  15. Vom lokalen Bestand zur weltweiten Vernetzung. Mittelalterliche Handschriften im Netz
  16. Textmodellierung und Analyse von quasi-hierarchischen und varianten Liturgika des Mittelalters
  17. ‚Fragmentarium‘
  18. Lesende Algorithmen: Projekt READ
  19. Das Forschungsportal ‚Germania Sacra Online‘
  20. Digitale Quellensammlungen an der Akademie der Wissenschaften und Literatur | Mainz am Beispiel mediävistischer Grundlagenforschung: Die ‚Deutschen Inschriften Online‘ und das ‚Corpus Vitrearum Medii Aevi‘
  21. Die MGH im dritten Jahrhundert: Digitale Editionen und Forschungsdaten
  22. Digitale Erschließung von Stadtbüchern – Der ‚Index Librorum Civitatum‘
  23. Ambraser Heldenbuch: Allographische Transkription und wissenschaftliches Datenset
  24. ‚Monasterium.net‘ – eine Infrastruktur für diplomatische Forschung
  25. ‚e-codices‘
  26. Nachruf
  27. Prof. Dr. Gerhard Krieger (1951–2018)
  28. Forum Mittelalter
  29. „Schaffen und Nachahmen. Kreative Prozesse im Mittelalter“. 18. Symposium des Mediävistenverbandes, Tübingen, 17.–20. März 2019
  30. Rezensionen
  31. Rezensionen
Heruntergeladen am 28.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/mial-2019-0021/html
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