Kompakt, aber mit einer Vielfältigkeit an Stimmen, Themen und Formaten – so könnte man die Veranstaltung „Informationswissenschaft im Wandel. Wissenschaftliche Tagung 2022“, kurz IWWT22, zusammenfassen, zu der die Düsseldorfer Informationswissenschaft am 6. und 7. Oktober 2022 eingeladen hatte. Dabei bot das abwechslungsreiche 1½-tägige Programm im Haus der Universität mitten in der Düsseldorfer Innenstadt drei fachliche Sessions mit neun Vorträgen, eine Paneldiskussion und acht Posterbeiträgen.
Aylin Imeri eröffnete die Veranstaltung mit einem Blick auf das Fach, insbesondere auf die Informationswissenschaft in Düsseldorf und den dort bald endenden Studiengängen. Dieser traurige Anlass beeinträchtigte jedoch weder die Stimmung noch die Diskussionen auf der Veranstaltung.
Die IWWT startete mit sehr unterschiedlichen Beiträgen zum Thema „Information Retrieval und Wissensrepräsentation“. Axel Ermert begann mit einem klassischen Thema zur Terminologie und Dokumentation und verwies dabei auf die „Terminologie der Information und Dokumentation“ in ihrer nunmehr dritten Ausgabe, die in einer Kurzfassung demnächst erscheinen wird.
Dass die Wissensrepräsentation auch in Virtual-Reality-Projekten eine Rolle spielt, zeigte Agnes Mainka, die mit ihrem Team untersuchte, wie virtuelle Räume genutzt werden, um Informationen mit Hilfe von Raumobjekten zu verknüpfen, abzurufen und dadurch das Lernen zu erleichtern. Daniel Richter und Daniel Knapp diskutierten die Ergebnisse ihrer Masterarbeit, in der sie eine Klassifikation zur Entscheidungsunterstützung analysierten. Die Klassifikation basierend auf dem Modell des „Cynefin Framework“ evaluierten sie an konkreten Projektbeispielen an einem Fraunhofer-Institut. In ihrem Vortrag gingen sie dabei auch auf die Operationalisierung und die Nützlichkeit der Klassifikation in der Praxis ein.
Dirk Lewandowski stellte die umfassenden Arbeiten seines Hamburger Forschungsteams „Search Studies“ zu Web-Suchmaschinen vor. Um den Einfluss von Web-Suchmaschinen zu beurteilen, sollten verschiedene Akteursverbünde und ihre Einflüsse betrachtet werden. Neben den Suchmaschinenbetreibern sind es die Akteure der Suchmaschinenwerbung und -optimierung sowie die Inhalteanbieter, die auf Nutzende und die Gesellschaft wirken. Zur Untersuchung der Verflechtungen und gegenseitigen Wirkung der Akteure stellt das Team Datensätze und Software als Open Source zur Verfügung, die von anderen nachgenutzt oder bei Bedarf mit Unterstützung des Hamburger Forschungsteams angewendet werden können.
Auch die Session zu „Informationsverhalten“ umfasste drei Beiträge zu verschiedenen Themen des Forschungsfeldes. Franziska Zimmer und Katrin Scheibe begannen mit der Diskussion ihrer Studien zu cybersozialen Interaktionen im Web, Tamara Heck diskutierte die Herausforderung der Informationssuche bei Prozessen Systematischer Literatur Reviews.
Hervorzuheben ist die Studie von Johanna M. Askeridis, die in ihrer Masterarbeit einen Fragebogen zur kontextunabhängigen Messung von „Information Anxiety“ entwickelte und ihn mit Hilfe von Expertenbewertungen und Pretests evaluierte. Die methodische Strukturiertheit und Transparenz bei der Dokumentation der Arbeit war nicht nur im Vortrag zu erkennen. Askeridis überzeugte damit auch die Jury der IWWT, die unter fünf nominierten Beiträgen den besten auswählte: Askeridis, die nun ihr Promotionsstudium in der Informationswissenschaft in Düsseldorf aufgenommen hat, erhielt den Best Paper Award.
Den Abschluss der Fachthemen machte am zweiten Tag die Szientometrie. Katrin Scheibe stellte hier eine Analyse der Veröffentlichungen und Zitierungen der Informationswissenschaft im deutschsprachigen Raum vor. Mohamed Abdillah berichtete von aktuellen Ergebnissen aus seinem Promotionsvorhaben, bei der er die Entwicklung und den Stand der Jemen-Forschung anhand szientometrischer Analysen untersucht. Die Posterbeiträge reichten von Themen wie Data Literacy, über eine Fallstudie zu Smart Cities, Erfolgsfaktoren bei Open Educational Resources bis hin zur Konzeption einer Bücher-App. In Bezug auf Apps blieb es nicht nur bei der Konzeption. Erfreulich ist, dass immer mehr informationswissenschaftliche Projekte eigene Software entwickeln, die zu Untersuchungen fachrelevanter Fragen genutzt wird und die auch nachgenutzt werden kann. So gewannen gleich zwei Projekte, die Software entwickeln, den Student Best Poster Award. Zum einen die Studierenden des Hamburger Team der Search Studies in Vertretung von Sebastian Sünkler und Daniela Sygulla. Sie stellten das Result Assessment Tool (RAT) vor, das Studien auf Basis von Suchergebnissen aus unterschiedlichen Suchsystemen erlaubt. Zum anderen das Projekt DESIVE2, dass von Lennart Perrey auf einem Poster präsentiert wurde. Im Projekt, eine Kooperation der Kollegen und Kolleginnen der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, des Instituts für Bibliotheks- und Informationswissenschaft (IBI) der Humboldt-Universität zu Berlin, sowie dem Verein Grenzenlos Digital, wird das Desinformationsverhalten mit Fokus auf das Thema Gesundheit untersucht. Dafür soll unter anderem eine mobile Anwendung entwickelt werden, die es erlaubt, Längsschnitts-Befragungen durchzuführen sowie die Erfahrungen von Probanden zu sammeln. Die Student Best Poster Awards wurden übrigens nicht von einer Jury vergeben, sondern von allen Teilnehmenden der IWWT22, mit Hilfe eines auf Handzetteln vorgegebenen Bewertungsbogens, der am Ende des ersten Tages eingesammelt und ausgewertet wurde.
Nicht nur die Vielfältigkeit der Themen trug zu einer spannenden Veranstaltung bei, sondern auch die gute Mischung der Beitragenden und Zuhörenden, unter denen sich sowohl Professoren und Professorinnen als auch Vertreter und Vertreterinnen aus der Fachpraxis befanden, aber auch zahlreiche Studierende, Promovierende und Nachwuchsforschende. Somit blieben die Diskussionen durch die zahlreichen Perspektiven und Erfahrungen lebhaft und interaktiv.
Positiv hervorgehoben wurden von vielen Teilnehmenden auch die interaktiven Formate zum Erfahrungsaustausch. Am zweiten Tag moderierten Isabelle Dorsch, Christoph Herrmann und Sebastian Rhein ein Panel zur Analyse von sozialen Bewegungen im Web am Fallbeispiel „Fridays for Future“ auf Instagram und bezogen das Publikum aktiv in die Diskussion mit ein, indem sie über ein Onlineumfrage-Tool beispielsweise die Erfahrungen zu Erhebungen von Social-Media-Daten abfragten. Am frühen Nachmittag blieb dann in geleiteten Diskussionsrunden Zeit, sich über Erfahrungen zu Forschung und Lehre im Fach auszutauschen.
So lässt sich sagen, wie es Aylin Imeri formulierte, dass die Veranstaltung „mit einem lachenden und einem weinenden Auge“ zu Ende ging. In Düsseldorf wird es keine zweite IWWT geben, aber die Diskussionen und Themen aus der Fachgemeinschaft werden in anderen Kontexten ihren berechtigten Platz einnehmen – und tun es jetzt schon. Der große Zuspruch am Tagungsformat ist der Konferenzleitung um Aylin Imeri, Katrin Scheibe und Franziska Zimmer zu verdanken – die Teilnehmenden lobten die Gelegenheit zum interaktiven Austausch sowie die Möglichkeit von Beiträgen über relevante informationswissenschaftlichen Themen, die nicht nur die Ergebnisse einzelner Studien fokussierten, sondern darüber hinaus einen Einblick in die aktuelle deutschsprachige Forschung der Informationswissenschaft und ihren Optionen zur Kooperation und Weiterentwicklung gaben. Das Format der IWWT hat durchaus Potential, um über eine Fortführung nachzudenken.
Die Beiträge der Tagung werden im gedruckten Sammelband und auch online Open Access erscheinen. Professor Wolfgang G. Stock, der bis 2019 den Lehrstuhl der Informationswissenschaft Düsseldorf innehatte, musste die Teilnahme an der Veranstaltung und seine Keynote leider kurzfristig absagen. Sein geplanter Vortrag soll aber ebenfalls als Beitrag im Sammelband der IWWT erscheinen.

In der Postersession fand ein reger fachlicher Austausch statt. (Foto: Karin Scheibe)
© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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