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„Mind the Gap“ – die ganzheitliche Sicht auf die Lernwelt Hochschule

Lernraumforschung am Department Information im Rahmen des kooperativen Projekts Lernwelt Hochschule (LeHo)
  • Christine Gläser

    Christine Gläser ist seit 2008 Professorin für Informationsdienstleistungen, elektronisches Publizieren, Metadaten und Datenstrukturierung an der HAW Hamburg. Aktuelle Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind: Lernraum Hochschule, Teaching/Learning Library, Bibliotheksethnografie, Forschungsdatenmanagement.

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    und Nicole Gageur

    Nicole Gageur hat einen Master in Germanistik und Philosophie sowie einen Bachelor-Abschluss in Bibliotheks- und Informationsmanagement. Bis Februar 2019 war sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Lernwelt Hochschule“ am Department Information der HAW tätig.

Veröffentlicht/Copyright: 15. August 2019
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Zusammenfassung

Im Artikel werden laufende Arbeiten und Ergebnisse des kooperativen Forschungsprojekts Lernwelt Hochschule (LeHo), an dem das Department Information der HAW mitarbeitet, dargestellt. Es wird deutlich, was die Lernwelt Hochschule heute ausmacht und welche Entwicklungen ihr zugrunde liegen. Nach einem kurzen Abriss zur Lernraumentwicklung wird das Projekt LeHo mit dem Forschungsdesign, den Projektphasen und den geplanten Ergebnissen vorgestellt. Die ethnografischen Fallstudien werden als Forschungsschwerpunkt der LeHo-Aktivitäten am Department Information eingeführt.

Abstract

This contribution reports on the work of the cooperative research project Lernwelt Hochschule (LeHo), which the HAW Department Information is part of. Recent developments and the state of the art of learning spaces in Higher Education are described. Based on this outline the project is introduced, mainly the research design, project planning and project goals. The ethnographic case study is described as the focus of the HAW research activities in LeHo.

Résumé

Cet article présente des travaux en cours et des résultats du projet de recherche coopératif „Lernwelt Hochschule“ (LeHo), auquel participe le Département „Information“ de la Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (Université des sciences appliquées, HAW). Il apparaît clairement ce qui constitue aujourd’hui le monde de l’apprentissage à l’Université et quels développements l’ont marqué. Après un bref aperçu du développement de l’espace d’apprentissage, le projet LeHo est présenté avec le plan de recherche, les phases du projet et les résultats prévus. Les études de cas ethnographiques sont introduites en tant que sujet de recherche principale du LeHo au Département de l’information.

Entwicklung Lernwelt Hochschule

Die Entwicklungen zu Lernräumen im Hochschulbereich sind seit Mitte der 90er Jahre international[1] sichtbar. Als Lernräume werden im Kontext dieser Publikation sowohl formale Lernräume, also Veranstaltungsorte für Seminare und Vorlesungen, wie auch informelle Lernräume, die für selbstgesteuertes Lernen genutzt werden, beispielsweise Bibliotheken, angesehen. Dieses Verständnis ist von der ganzheitlichen Perspektive geprägt, die Hochschule in ihrer Gesamtheit zu einer lernfreundlichen Umgebung zu gestalten. Die Entwicklungen erfahren zunehmend mehr Beachtung und tauchen verlässlich seit einigen Jahren in internationalen Trendstudien aus dem Hochschulbereich auf. In dem jährlich vom New Media Consortium (NMC) herausgegebenem „Horizon Report“ werden neue Lehr- und Lehrtechnologien ausgewertet. Das Thema Learning Spaces ist auch im aktuellen Report 2018 unter dem Thema „Redesigning Learning Spaces” vertreten. Der Horizon-Report betont den engen Zusammenhang von digitalen Entwicklungen und didaktischen Elementen, die in neu gestalteten Lehr-/Lernumgebungen umgesetzt werden (New Media Consortium 2018, S. 4).

Der oft zitierte „Shift from Teaching to Learning“ (Barr / Tagg 1995, S. 13) hat den Lehr- und Lernalltag durch aktivierende Lehrmethoden und Projektarbeit bereichert. Lehrende fungieren dabei als Berater und Coaches. Sie begleiten nicht mehr jeden Lernschritt, vielmehr lernen Studierende zunehmend selbständig und selbstbestimmt, sei es in Projektteams oder bei der Vor- und Nachbereitung von digital angebotenen Lerninhalten. Dieser „Shift“ legt den Fokus auf die Lernenden, deren Lernaktivitäten und Lernbedürfnisse sowie auf die Lernumgebung.

Die Digitalisierung ist ein starker Treiber der Veränderungen in den Hochschulen, mit dem Ergebnis, dass Lernen im 21. Jahrhundert vermehrt digital, mobil und im informellen Rahmen stattfindet. Auch die dazu gehörenden virtuellen Lernräume haben mittlerweile viele Ausprägungen und Standardanwendungen, dazu gehören digitale Infrastrukturen wie Lernmanagementsysteme (LMS) und E-Learning-Plattformen, aber auch neue Lehr-/Lernformen wie z. B. Blogs, Wikis, Collaborative Tools, E-Portfolios (Hochschulforum Digitalisierung 2016).

„21st Century Learning“ (P 21, 2018) ist komplex und anspruchsvoll für Lehrende wie auch für Lernende. Alte Lehrformate und -inhalte, die bisher sehr lehrendenzentriert vermittelt wurden, müssen von den Lehrenden überarbeitet, verändert oder auch komplett neu entwickelt werden. Studierende erfahren hohe Anforderungen an ihre Selbständigkeit, was die Erarbeitung von Inhalten, aber auch die Selbst- und Sozialkompetenzen betrifft, wenn sie beispielsweise als Teil eines Projektteams verantwortlich Aufgaben übernehmen müssen. Kompetenzorientierung in den Lehr- und Lernangeboten schafft die notwendige Flexibilität und Anpassbarkeit an die neuen Anforderungen und ist zugleich eine Antwort auf den Bedarf des Arbeitsmarkts in der sich ständig verändernden Gesellschaft in der digitalen Transformation.

Bei aller Virtualität bleiben physische Orte jedoch weiterhin wichtig für Lernende und Lehrende; sie erleben geradezu eine Renaissance und setzen neue Qualitätsstandards in Gestaltung und Ausstattung als Lernzentren[2]. Ein wichtiger Erfolgsfaktor[3] hierbei ist der ganzheitliche Ansatz der Lernräume, bei denen nicht nur die Parameter Raum und Technologie eine wichtige Rolle spielen, sondern auch die hochschulpädagogischen Bezüge (s. Abb. 1). In diesem Zusammenhang werden die relevanten didaktischen Fragen diskutiert, nämlich welche (Lern-) Prozesse in den Lernräumen konkret umgesetzt werden sollen. Der ganzheitliche Ansatz wird sowohl für Selbstlernareale als auch für die formalen Lehr-/Lernräume (Seminarräume, Hörsäle) verfolgt.

Abbildung 1 Lernraumparameter. Eigene Darstellung in Anlehnung an „Pedagogy-Space-Technology (PST). (Radcliffe, 2009, S. 11)
Abbildung 1

Lernraumparameter. Eigene Darstellung in Anlehnung an „Pedagogy-Space-Technology (PST). (Radcliffe, 2009, S. 11)

Lernraum Hochschulbibliothek

Die Hochschulbibliotheken entwickeln international seit mehr als 20 Jahren wichtige Konzepte für Lernorte. Ausgangspunkte waren die traditionellen Nutzungsplätze im bestandsorientierten Bibliothekssystem, die sog. Leseplätze, die von der passiven Nutzung von Ressourcen geprägt waren. Die Zugänge zu Information wurden zunehmend elektronisch und die Medienformen entwickelten eine digitale Vielfalt. Diese verstärkte Konvergenz von Information und Informationstechnologie stand im Mittelpunkt der internationalen Entwicklungen zu Learning Resource Centres (LRC)[4] und Information Commons[5] in den 1990er Jahren im angloamerikanischen Sprachraum. Die mediengestützte Verarbeitung von Informationen und deren Produktion hielt systematisch Einzug in die Hochschulbibliotheken. Je größer und wichtiger die elektronischen Bestände in Bibliotheken wurden, desto mehr Platz für neue innovative Nutzungskonzepte konnten die Bibliotheken durch Reduzierung der Print-Bestände schaffen. Erst später, Anfang der 2000er Jahre, erweiterte sich der Fokus auf das Lernen und die Lernunterstützung. Daraus entstanden Learning Centres wie das Saltire Centre der Glasgow Caledonian University[6]. In den USA und Canada etablierten sich die Learning Commons[7]. Schließlich bauten die Hochschulen ihr Serviceangebot in Kooperation mit weiteren Partnern (über IT- und Mediensupport hinaus zu Studierendenservices, Studienberatung, Schreibcentern) aus, um den Studierenden alle lernrelevanten Dienste unter einem Dach anbieten zu können. Hier finden Lernende Auskunft und Beratung, IT-Helpdesk, Ausleihe von technischen Geräten, Informationskompetenz-Schulungen, Datenbank-Tutorials und Schreibworkshops komfortabel unter einem Dach. In Deutschland firmieren Ansätze dieser Art vielfach unter dem Begriff „Lernraum“ oder auch „Lernort“.

Ausgangssituation des Projekts „Lernwelt Hochschule“

Die in den vorangestellten Ausführungen dargestellte Vervielfältigung der „lernrelevanten Orte“ (Seitter 2001, S. 225) und die Differenzierung und Virtualisierung der Lernräume kennzeichnen die Ausgangssituation der Lernwelt Hochschule.

Für die Hochschulen ist es eine wichtige Aufgabe, die Lernraumentwicklungen strategisch und im Zusammenhang voranzutreiben; so können Lücken in den Infrastrukturen, Services und Prozessen, die mit den Lernräumen verbunden sind, identifiziert und geschlossen werden. Ziel ist es, die Studierenden optimal bei der Bewältigung ihrer Aufgaben und Lernprozesse zu unterstützen.

Die Situation in Deutschland bei den Lernraumentwicklungen in Hochschulen ist fragmentiert und weit entfernt von einer erkennbaren systematischen Lernraumstrategie. Eine ganze Reihe von Hochschulen hat bereits internationale Impulse zur Lernraumgestaltung aufgenommen und diese durch bauliche und infrastrukturelle oder organisatorische Maßnahmen umgesetzt. Oft sind die Lernraumakteure in den Hochschulbibliotheken[8] oder in anderen Serviceeinrichtungen zu finden. So bietet das „Learning Center“ der Universitätsbibliothek Mannheim eine Vielfalt an Gruppenarbeitsplätzen für selbstbestimmtes Arbeiten an, die durch Beratungs- und Schulungsservices ergänzt werden. Es gibt aber auch Initiativen und Projekte, die bewusst nicht nur einen ausgewählten Bereich, sondern die gesamte Hochschule adressieren. Als Beispiel sei auf die Lernraumentwicklung am Karlsruhe Institute of Technology (KIT Karlsruhe) hingewiesen. Hier wurde im Rahmen eines übergeordneten Projekts eine Bündelung von zentralen und dezentralen Lernraum-Initiativen am KIT erreicht.[9] Im nationalen Rahmen fehlt bisher ein umfassender Überblick über den aktuellen Entwicklungsstand im Bereich der Lernräume. Die AG Lernräume der Deutschen Initiative für Netzwerkinformationen e. V. (DINI) hat 2010 eine Umfrage zur Neugestaltung von Lernräumen an Hochschulen durchgeführt.[10] In den 2013 veröffentlichten Empfehlungen wird auf den Mangel an zentralen Impulsen und den Bedarf zu strategischen Unterstützung der Lernraumthematik hingewiesen: „Während BMBF und Landesministerien verschiedene Programme zur Qualität der Lehre auflegten, war die „Qualität des Lernens“ nie Thema der Drittmittelgeber und Hochschulentwickler“ (DINI 2013, S. 10-11).

Studien der HIS (Hochschul-Informations-System)[11] oder des Studentenwerks[12]untersuchen regelmäßig die Bedingungen des Studierenden in Deutschland, sie behandeln die Lernraumthematik nur am Rande oder gehen von einem weitgehend quantitativen Forschungsansatz aus.

Um das Thema Lernraumentwicklung an Hochschulen strategisch weiter zu entwickeln und konzeptionell zu unterstützen, bedarf es einer umfassenden und systematischen Analyse der Ist-Situation der Lernwelt Hochschule. Dabei müssen die verschiedenen Perspektiven der Hochschulleitung, der zentralen Serviceeinrichtungen und vor allem die Perspektive der Lernenden berücksichtigt werden. Diese Untersuchung wird als Impulsgeber auf nationaler Ebene fungieren, damit dieses strategische Thema in den Hochschulen die notwendige Beachtung erfährt.

Projekt LeHo

An die in den vorangegangenen Abschnitten skizzierten Entwicklungen und die dargestellte Forschungslücke schließt das Forschungsprojekt „Lernwelt Hochschule (LeHo)“ an. Die seit Anfang 2017 laufende dreijährige Projektstudie Lernwelt Hochschule erfasst den State-of-the-Art der Lernraumentwicklungen an deutschen Hochschulen und wird basierend auf den Forschungsergebnissen ein integratives Konzept zur Gestaltung und strategischen Planung der Lernwelten an Hochschulen erarbeiten. Die Ergebnisse werden in einem thematischen Internetportal und einer Handreichung zur Verfügung gestellt.

Die Zusammensetzung der Kooperationspartner im Projekt[13] macht die ganzheitliche Perspektive auch in der Projektstruktur deutlich, da diese sowohl aus dem universitären wie aus dem fachhochschulischen Kontext stammen und auch Serviceeinrichtungen (Universitätsbibliothek und Rechenzentrum) beteiligt sind. Mit DINI (Deutsche Initiative für Netzwerkinformation e.V.)[14] ist ebenfalls ein übergeordneter Partner integriert, der Hochschulen und Serviceeinrichtungen an Hochschulen vertritt. In dem Projekt kooperieren die Hochschule der Medien Stuttgart als verantwortliche Projektleitung, die Universitätsbibliothek der Universität Bamberg, das Department Information an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft Hamburg, das Zentrum für Informations- und Medientechnologie der Universität Düsseldorf sowie die Arbeitsgruppe „Lernräume“ der DINI.

LeHo-Forschungsdesign

Die Lernwelt Hochschule ist komplex; die bereits eingangs beschriebenen Lernraumparameter wie physische Lernräume, digitale Strukturen und Anwendungen sowie Didaktik stellen dabei wichtige Ansätze für die Erforschung der Entwicklungen dar. Aber auch die organisatorischen Rahmenbedingungen und Serviceangebote der Hochschulen für Studierende im Kontext der Lernräume sollen ermittelt werden.

Die Untersuchung bleibt nicht auf die Umsetzungsebene beschränkt, sondern bezieht bewusst die strategische Ebene mit ein. Dazu werden die Perspektiven der verschiedenen Stakeholder wie Hochschulleitung, Gebäudemanagement, Bibliotheks- und Rechenzentrumsleitung integriert. Eine besondere Berücksichtigung erfährt die Perspektive der Studierenden.

Die gewählten Untersuchungsdimensionen (s. Abb. 2) für die Projektstudie beinhalten folgende Aspekte:

Physische Lernräume: Ziel ist es, einen Überblick der Standorte und Räume in den Hochschulen zu erhalten. Informationen zum Raummanagement und den Verantwortlichkeiten sind relevant ebenso wie die Nutzungsstruktur der Räumlichkeiten. Es wird nach konkreten Ausstattungen und Öffnungszeiten gefragt, dabei spielen Selbstlernareale eine besondere Rolle.

Digitalisierung: Zur Klärung des Ausbaustandes der digitalen Infrastrukturen und Prozesse werden Basisdienste wie Internetanbindung und Systeme wie Verwaltungssoftware oder Lernplattformen abgefragt. Ein besonderes Interesse gilt den Social Media Anwendungen der Studierenden und der Frage, wie diese in die digitale Hochschule eingebunden werden können.

Lehre und Lernen: Hier soll geklärt werden, wie weit der „Shift from Teaching to Learning“ in den Hochschulen bereits thematisiert und umgesetzt wird. Im Bereich der Hochschuldidaktik wird nach konkreten Angeboten für Lehrende gefragt. Es wird untersucht, inwieweit die Ausrichtung der Lehre auf Kompetenzorientierung erfolgt.

Organisation und Service: Hierzu gehören die Strategie der Hochschule aber auch die Organisationsstruktur. Die Angebote und Services für Studierende werden untersucht, interessant sind dabei Aspekte der Koordination und Zusammenarbeit unterschiedlicher Abteilungen und Einrichtungen der Hochschule.

Die LeHo-Forschungsfragen nehmen die aktuelle Ausgangssituation in den Hochschulen auf, beziehen aber auch deutlich die Entwicklungsdimension der Thematik mit ein:

Welchen Arten von Lernumgebungen sind in deutschen Hochschulen bisher umgesetzt? Welchen Strategien

Abbildung 2 LeHo-Forschungsdimensionen.
Abbildung 2

LeHo-Forschungsdimensionen.

gibt es dazu an den Hochschulen? Wie sind die Rahmenbedingungen und Verantwortungen für Lernrauminfrastrukturen an den Hochschulen organisiert, und welche Hochschulakteure sind an deren Umsetzung beteiligt?

Wie nehmen die Studierenden die Lernräume an, welche Erfahrungen machen Sie mit ihnen? Wie können die Nutzerinnen und Nutzer in die Gestaltung von Lernräumen einbezogen werden?

Wie können die Hochschulen in Deutschland die Lernraumentwicklung strategisch und in der konkreten Umsetzung vorantreiben?

Angesichts der komplexen und vielfältigen Ausgangssituation in den Hochschulen fällt das Forschungsdesign für das LeHo-Projekt entsprechend differenziert aus. Ein Methodenmix aus quantitativen und qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung wurde ausgewählt und wird in abgestuften Projektphasen und unter Einbeziehung der vielfältigen Beteiligten umgesetzt.

Die Online-Befragung schafft die quantitativen Bezugsgrößen und damit die Grundlage zur Bestandsaufnahme der Angebotsseite in den Hochschulen. Die Fragebögen wurden dabei auf die unterschiedlichen Stakeholder, wie Hochschulleitung, Gebäudemanagement, Leitung Bibliothek bzw. Rechenzentrum zugeschnitten. Die Umfrageergebnisse liefern die Basis, um im nächsten Schritt mit den leitfadengestützten Interviews die Einrichtungen intensiver qualitativ zu untersuchen. Auch hierbei werden wieder alle Stakeholder-Gruppen einbezogen, Informationen vertieft nachgefragt und die bisherigen Erfahrungen und Bewertungen der Stakeholder einbezogen. Dies gewährleistet einen umfassenden Einblick in die Perspektive der Akteure an den Hochschulen. Mit den ethnographi­schen Fallstudien wird explizit die Studierendenperspektive erforscht. Hierbei wird an ausgewählten Hochschulen ein qualitativer Methodenmix zur Anwendung kommen, der sich aus Einzelinterviews, Gruppeninterviews und Beobachtungen zusammensetzt. Das Ziel ist dabei nicht eine repräsentative Übersicht, sondern die exemplarische Veranschaulichung der studentischen Erfahrungen in der Lernwelt Hochschule.

LeHo-Projektaktivitäten

In der ersten Projektphase wurde eine intensive Recherchephase durchgeführt, die eine umfassende internationale Literaturrecherche und -auswertung beinhaltete. Als Ergebnis liegt eine Sammlung von Best-Practice-Kriterien für die Lernraumentwicklung an Hochschulen vor. Darüber hinaus wurden öffentliche Dokumente und Publikationen der Hochschulen gesammelt, wie Hochschulgesetze, Hochschuljahresberichte, veröffentlichte Leitbilder/Visionen, Entwicklungs- und Strukturpläne und Organigramme. Als Ergebnis der Dokumentenanalyse entstand ein Überblick über die formalen Rahmenbedingungen an den Hochschulen. In die Recherche wurden auch Daten von Hochschulbauämtern integriert, um Angaben zur Gesamtfläche und der Anzahl und Fläche der unterschiedlichen Hochschulbereiche (Fakultäten, Seminarräume, Hörsäle, Bibliotheken, Selbstlernareale) zu erhalten. Ein weiterer wichtiger Teil der Recherche betraf den Adressatenkreis aller staatlich anerkannten deutschen Hochschulen für die bundesweite Online-Umfrage. Als Ergebnis liegt ein Datenpool der ca. 450 Hochschulen unterschiedlicher Hochschultypen (Universitäten, Fachhochschulen, Private Hochschulen, kirchliche Hochschulen und Duale Hochschulen) vor. Als Adressaten wurden nicht nur die Leitungen der Hochschule aufgenommen, sondern auch die IT- und Bibliotheksleitungen sowie die Infrastrukturabteilungen. Zur Online-Umfrage wurden insgesamt über 2100 Personen eingeladen.

Der Gesamtfragebogen mit insgesamt 85 Fragen aus den unterschiedlichen Forschungsdimensionen wurde in vier Einzelfragebögen aufgeteilt. An die Hochschulleitung gingen die Fragen zur Organisation und Hochschuldidaktik, die Fragen zu den digitalen Strukturen wurde an die Leitungen der IT-Abteilungen gesandt, Fragen zur Thematik physischer Lehr- und Lernräume wurden an die Leiter der Infrastrukturabteilung und an die Bibliotheksleitungen versandt.

Der Rücklauf der Umfrage umfasst insgesamt ca. 961 Fragebögen, davon konnten 562 als gültige Fälle im Rahmen der Studie ausgewertet werden.

Die Daten der Online-Umfrage wurden im Hinblick auf die Lernraum-Best-Practice-Kriterien analysiert und gerankt[15]. Dieses Ranking bietet die Basis für die Anfang 2018 begonnenen zweite Phase des Projekts, in der der Schwerpunkt auf qualitativer Forschung liegt. Hierzu werden besonders interessante Hochschulen ausgewählt, die laut Ergebnis der Online-Umfrage bereits deutlich erkennbare Lernraumentwicklungen vollzogen haben. In diesen ausgewählten Hochschulen wurden Leitfadeninterviews mit Hochschulakteuren aus den Bereichen Hochschulleitung, Hochschulverwaltung, IT-Service und Bibliothek geführt (40 Interviews an 35 Hochschulen). Zur Gestaltung der Stichprobe wurde das Rankingergebnis aus der Online-Umfrage ergänzt durch Merkmale wie Hochschulart, Trägerschaft und Hochschulgröße.

Die Zielgruppen der Umfrage und der Leitfadeninterviews sind im Wesentlichen identisch. Hier geht es um eine Bewertung, Vertiefung und Konkretisierung der quantitativen Ergebnisse aus Anbietersicht der Hochschulen. Die Erfahrungen der Beteiligten sollen Erfolgsfaktoren und Herausforderungen bei der Entwicklung der Lernwelt Hochschule illustrieren. Welche Strategien und Angebote befördern die Lernraumentwicklungen ganz konkret in den Hochschulen, was ist das Besondere der jeweiligen Hochschulen und an welchen Stellen sind die Erfahrungen übertragbar auf andere Einrichtungen?

Die ersten Ergebnisse der Studie bestätigen, dass die Rahmenbedingungen der Hochschulen, unterstützt durch die föderale Struktur, sehr individuell zu betrachten sind (Stang / Becker 2018). In den Hochschulstrategien ist ein Fokus auf die Qualität der Lehre und die Themen der Digitalisierung deutlich sichtbar.

Die Ergebnisse der Online-Umfrage zeigen, dass die Hochschulen in den untersuchten Dimensionen (Organisation, Hochschuldidaktik, physische Lehr- und Lernräume sowie digitale Strukturen) die Veränderungsbedarfe erkannt haben, diese als strategische Themen aufgenommen und entsprechende Maßnahmen umgesetzt haben. Gesamtstrategien und ein koordiniertes Handeln, um die Entwicklungen hochschulumfassend zu bündeln, sind nur in geringem Maße sichtbar. Die Einbindung von Studierenen in diese Lernraum-relevanten Themen erfolgt nur in geringem Maße[16].

Wie wichtig die kooperative Gestaltung der Lernwelt Hochschule ist, machen die ersten Ergebnisse der qualitativen Leitfadeninterviews deutlich[17]. So kann der große Raumbedarf in den Hochschulen – in Anzahl wie in Ausstattungsqualitäten – nur durch flexible und kooperative Lösungen befriedigt werden.

Bis Anfang 2019 kommen ethnografische Fallstudien als qualitative Methoden zum Einsatz, um die Nutzungsperspektive der Lernenden mit einzubeziehen. Besonders interessiert hierbei, welche Lernraumqualitäten den Studierenden wichtig sind, und welche Erfahrungen sie mit der Lernwelt Hochschule bisher gemacht haben. Mit der begrenzten Anzahl von fünf Fallstudien werden die Ergebnisse einen eher exemplarischen Charakter haben, aber sicher interessante Impulse geben können. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass die Studierenden sehr klare Erwartungen an ihre Lernwelt Hochschule haben und ein großes Interesse daran, gehört und mit eingebunden zu werden.

Nach der Umfrage, den Leitfadeninterviews und den Fallstudien werden leitfadengestützte Interviews mit wissen­schaftlichen Expertinnen und Experten für einzelne Lernzentren an Hochschulen außerhalb Deutschlands geführt (s. Abb. 3). Diese Experteninterviews dienen der Einord­nung der bisherigen Ergebnisse der Datenerhebung. Gerade im Hinblick darauf, dass derzeit viele innovative Entwicklungen auf dem Gebiet der Lernräume in anderen Ländern zu beobachten sind, ist die Einbeziehung der internationalen Perspektive in die Studie relevant für die Bewertung der Ergebnisse.

Abbildung 3 LeHo-Forschungsdesign und – Phasen. (LeHo, 2018)
Abbildung 3

LeHo-Forschungsdesign und – Phasen. (LeHo, 2018)

Ethnographische Fallstudien − Schwerpunkt der LeHo-Forschungsaktivitäten des Departments Information an der HAW Hamburg

Ethnografische Methoden werden im Kontext bibliotheks- und informationswissenschaftlicher Forschung (Haas, 2015) immer dann eingesetzt, wenn es darum geht, mehr über Erfahrungen, Haltungen und Bewertungen der beforschten Zielgruppe zu erfahren. Dafür ist ein Perspektivwechsel notwendig und ethnografische Methoden ermöglichen und erleichtern dieses Verstehen und Eintauchen in die Sicht der Beforschten. Das aktive Einbeziehen und die Teilhabe von Nutzergruppen in den Gestaltungs- und Entwicklungsprozess für Angebote und Services werden auch in Bibliotheken durch das sog. „Participatory Design“ etabliert. Im Bereich der ethnographischen Nutzerforschung zur Entwicklung von Lernraumkonzepten wurden am Department Information der HAW Hamburg bereits Studien durchgeführt (Gläser / Schulz, 2014).

Die Lernsituation und -bedarfe der Studierenden stehen im Zentrum der Lernraumentwicklungen. Bei aller Vielfalt der Stakeholder[18], die an den Entwicklungen beteiligt sind, spielen die Lernenden eine besondere Rolle. Sie sollen mit den ethnographischen Fallstu­dien aktiv einbezogen werden. Der Fokus der Forschung liegt dabei auf den Lehr- und Lernprozessen und den Erfahrungen aus studentischer Sicht, der sog. „Student Experience“[19].

Den ethnographischen Fallstudien kommen im Rahmen des Projekts zwei wesentliche Aufgaben zu: Illustration und Erfassung der studentischen Perspektive. Mit Hilfe der Fallstudien soll gezeigt werden, welche typischen Abläufe aus Studierendensicht gut funktionieren und in welchen Bereichen, z. B. aufgrund der Verwaltungsprozesse, Probleme für die Studierenden entstehen. Es geht darum, eine deutliche Vorstellung davon zu bekommen, wie Studierende ihre Aufgaben bewältigen und wie sie die Lernwelt Hochschule erleben. Die Forschung soll sich nicht auf die Lernprozesse beschränken, sondern auch Einsichten in den Kontext der Lernaktivitäten von Studierenden ermöglichen.

Die LeHo-Forschungsdimensionen Organisation und Service, Digitalisierung, Lehre und physische Lernräume bieten auch für die Fallstudien das Grundgerüst. Die Forschungsfrage lautet: Welches Selbstverständnis hat die Hochschule hinsichtlich strategischer Planung und Umsetzung für die eigene Lernwelt entwickelt und welche tatsächlichen Erfahrungen haben die Studierenden mit diesen Angeboten gemacht? Wie werden diese Angebote genutzt?

Zur ganzheitlichen Perspektive des Projekts gehört, dass nicht nur die Studierenden zu Wort kommen, sondern auch die Hochschulleitungen befragt werden. Im Mittelpunkt steht hierbei die Strategie der Hochschule und wie aus Sicht der Hochschulleitung für die Studierenden konkret eine effektive und angenehme Lernwelt gestaltet wird. Wie diese Strategie dann tatsächlich von den Studierenden wahr- und angenommen wird, sollen die Fokusgruppendiskussionen mit den Studierenden zeigen.

Die Fallstudien nutzen die Methoden des Leitfadeninterviews, der Gruppendiskussion und der Beobachtung. Konkret wurden dazu an fünf Hochschulen Interviews mit der Hochschulleitung geführt, jeweils fünf bis zehn Studierende in einer Gruppendiskussion (Focus Groups) zu ihrem Studienalltag befragt und der Campus mit Hilfe der (teilnehmenden) Beobachtung erkundet. Diese Beobachtung wurde anhand von Fotos und Notizen dokumentiert.

Die drei gewählten Methoden der Fallstudie ermöglichen drei unterschiedliche Zugänge zum studentischen Erleben der Lernwelt Hochschule. Geprüft wird dabei auch, inwiefern diese drei Zugänge übereinstimmende Ergebnisse liefern und worin sie sich unterscheiden. Die Ergebnisse der Fallstudien sollen so Hinweise auf Wechselwirkungen zwischen der Strategie und dem tatsächlichen studentischen Erleben der Lernwelt Hochschule geben.

LeHo-Ergebnisse

Die Studie des Forschungsprojekts LeHo schließt die zuvor skizzierte Forschungslücke durch eine umfassende Bestandsaufnahme. Darüber hinaus werden die Ergebnisse aufbereitet und verarbeitet, um die weitere strategische Entwicklung der Thematik und die operative Umsetzung in den Hochschulen zu unterstützen. Die geplante Web-Plattform bietet ein Toolkit für die Konzeption und Gestaltung der Lernwelt Hochschule an. Darüber hinaus ist die Veröffentlichung einer Projektdokumentation und einer Handreichung zur Planung von Lern­umgebungen in Hochschulen vorgesehen. Anfang 2019 wurden die ersten Ergebnisse des Forschungsprojekts zudem auf einer Konferenz vorgestellt.[20]

Fazit

Das Forschungsprojekt LeHo leistet einen wichtigen Beitrag, die Lernraumentwicklungen in Deutschland inhaltlich weiter voranzutreiben. Der methodische Ansatz der umfassenden Studie hat den Anspruch, sowohl in die Breite (quantitativer Ansatz der Umfrage) wie auch in die Tiefe (qualitativer Ansatz der Interviews und Fallstudien) zu gehen. Nach Abschluss des Projekts wird zu bewerten sein, inwieweit die gewählten Forschungsmethoden und das Forschungsdesign den komplexen Herausforderungen der Thematik gerecht werden und als Standard dienen können. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts LeHo werden die Hochschulen auf der strategischen wie operativen Ebene unterstützen, einen wirklich ganzheitlichen und institutionsübergreifenden Ansatz zur Entwicklung von Lernräumen entwickeln zu können, um so die Lernwelt Hochschule zu gestalten.

About the authors

Prof. Christine Gläser

Christine Gläser ist seit 2008 Professorin für Informationsdienstleistungen, elektronisches Publizieren, Metadaten und Datenstrukturierung an der HAW Hamburg. Aktuelle Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind: Lernraum Hochschule, Teaching/Learning Library, Bibliotheksethnografie, Forschungsdatenmanagement.

Nicole Gageur

Nicole Gageur hat einen Master in Germanistik und Philosophie sowie einen Bachelor-Abschluss in Bibliotheks- und Informationsmanagement. Bis Februar 2019 war sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Lernwelt Hochschule“ am Department Information der HAW tätig.

Literatur

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Published Online: 2019-08-15
Published in Print: 2019-08-06

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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