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Mehr Informationskompetenz durch autonomes Lernen

Die Konferenz LILG in Frankfurt am Main
  • Alexander Botte EMAIL logo
Published/Copyright: August 15, 2019
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Am 10. Mai 2019 fand im DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Frankfurt am Main in Frankfurt Main die Conference on Learning Information Literacy across the Globe statt. Die in Hashtags etc. mit dem Kürzel LILG 2019 versehene internationale Tagung war Teil bzw. Meilenstein eines Europäischen Erasmus+ Projekts, das unter dem Titel Information Literacy Online (ILO) noch bis Ende Oktober 2019 läuft. Ziel des Projekts ist die Entwicklung, Evaluierung und Verbreitung eines multilingualen Onlinekurses (MOOC), der unter Einsatz von adaptiven Kontrollmechanismen einen selbstgesteuerten Erwerb von Informationskompetenz ermöglichen soll.

Das englischsprachige Konferenzprogramm mit acht langen und vier kurzen Vorträgen wurde auf Basis eines Call for Papers zusammengestellt. Darüber hinaus luden die Organisatoren drei Keynotes ein. Den Abschluss bildete ein Panel, das das gemeinsame Verständnis von Information Literacy übergreifend zur Diskussion stellte. Nach dem formalen Kernprogramm der Konferenz fanden parallel noch zwei Workshops statt, die sich mit kommerziellen Tools zur wissenschaftlichen Informationsbeschaffung einerseits und mit den linguistischen und kulturellen Herausforderungen von E-Learning Inhalten andererseits befassten.

Dieses umfangreiche Programm ergab für eine eintägige Konferenz eine sehr enge Aufeinanderfolge von Veranstaltungen mit relativ wenig Pausen. Dafür waren die Zeiträume innerhalb der Sessions eher großzügig dimensioniert, was hinreichend Diskussionszeit nach den Vorträgen beließ. In der Regel wurde von dieser Möglichkeit auch stark Gebrauch gemacht. Überhaupt war das Format mit einer Anzahl von ca. 70 Teilnehmenden, einem klar definierten thematischen Spektrum und unmittelbar benachbarten Tagungsräumen erfahrbar kommunikationsfördernd.

Die Vorträge der Tagung und die Präsentationen der Keynotes werden online und open access im Repositorium PeDOCS[1] als Proceedings herausgegeben, sind aber bereits jetzt über die Konferenz-Website frei zugänglich: https://informationliteracy.eu/conference/. Darüber hinaus ist geplant, ausgewählte Beiträge in deutscher Sprache und aktualisierter Überarbeitung in dieser Zeitschrift zu publizieren.

Abbildung 1 Live Sketching by ThinkPenhttps://www.thinkpen.de/[5.6.2019]..
Abbildung 1

Live Sketching by ThinkPen[2].

Daher soll den Leserinnen und Lesern hier nur ein tieferer Einblick in die Keynotes und das Abschlusspanel sowie die Schwerpunkte der diskursiven Auseinandersetzung gegeben werden, die zukünftig vermutlich auch in den Proceedings nicht im Volltext verfügbar sein werden, auch wenn hierzu Dokumentationen als Film und sogar als Live Sketching (s. Fotobeispiel) vorliegen.

Keynotes

Die drei Keynotes waren von sehr unterschiedlichem Zuschnitt, sowohl was die Inhalte als auch die zugrundeliegenden Ausgangspunkte der Vortragenden angeht.

Jannica Heinströms (Åbo Akademi University, Turku, Finnland) befasste sich unter dem Titel In a world of stigma and flow – how youth master information in their daily lives mit der Bedeutung psychologischer Aspekte bei der Suche nach Informationen und konzentrierte sich dabei auf junge Menschen. Heinström definierte zwei gegensätzliche Persönlichkeitstypen (Personas), die mit ängstlicher Hemmung bzw. optimistischer Unbekümmertheit und Kreativität an die Informationssuche herangehen. Im Hintergrund dieser beiden Typen machte sie die gesellschaftlich bedeutsamen Grundhaltungen Stigma (Scham) auf der einen Seite und Flow (Schaffensrausch, entlehnt bei Wikipedia) auf der anderen Seite aus. Beide grenzwertigen Verhaltenstypen erzielen keine optimalen Ergebnisse, erstere weil sie aus Unsicherheit und Überforderung nur sehr gehemmt recherchieren, letztere weil sie eher zufällig mit Mitteln der Serendipity verwertbare Informationen finden. Gleichzeitig haben diese Begrenzungen unter Umständen auch positive Effekte, indem sie vor Überflutung schützen bzw. Kreativität freisetzen. Eigene Forschung der Autorin bei 15- bis 17-Jährigen hat gezeigt, dass die Zufallssuche durch Weiterhangeln im Netz (serendipity) eine große Rolle spielt, aber den Jugendlichen in ihrer Begrenzung häufig auch bewusst ist. Mit 25 Prozent recht groß ist aber auch der Anteil, der aus Furcht vor dem Auslassen wichtiger Informationen von vorneherein gehemmt ist. Ihre Folgerung ist, dass junge Menschen mehr über die Produktion und die Wertschätzung von Informationen lernen müssten, insbesondere über die Spannungsfelder, in denen sich die Informationssuche und -produktion bewegen (z. B. „Offenheit“ und „Konservatisvismus“). Dazu hat sie ein Model „Everyday Life Information Mastering“ entwickelt, das auf unterschiedliche Persönlichkeitstypen eingeht.[2]

Die zweite Keynote von Stefan Dreisiebner (Karl-Franzens-Universität Graz, Österreich) widmete sich dem Projekt ILO, dessen Teil die Konferenz selbst war: Information Literacy Online. An Erasmus+ Project to improve students‘ competencies. Dabei ging er kurz auf die konzeptionellen Weichenstellungen ein, die die sieben europäischen Partnerinstitutionen vorgenommen haben. Die an einem modernen erweiterten Begriff von Information Literacy orientierten Inhalte wurden zunächst in englischer Sprache entwickelt und dann in fünf weitere europäische Sprachen übersetzt, wobei kulturelle Spezifika mit zu transformieren waren: Deutsch, Spanisch, Katalanisch, Slowenisch, Kroatisch. Neben allgemeinen Grundlagen von Information Literacy vor allem für den Hochschulbereich deckt der MOOC auch zwei disziplinarische Felder detaillierter ab: die Psychologie und die Betriebswirtschaft. Technologisch basiert der MOOC auf der international sehr verbreiteten Plattform Open EdX, die auch weiteren auf der Konferenz präsentierten Anwendungen zugrunde liegt. Tieferen Einblick in den Workflow und die integrierte Assessment-Komponente des MOOC verschaffte ein Longpaper von Paul Libbrecht u. a., das in Session 2.2 vorgetragen wurde. Obwohl der MOOC erst Ende September online gehen soll, konnte Dreisiebner dem Publikum exemplarische Einblicke in das bereits im Web befindliche eLearning Programm verschaffen und dabei insbesondere auch darauf eingehen, wie diese Open Access Anwendung auch von anderen Einrichtungen nachgenutzt werden kann.

Abbildung 2 Jannica Hellström. (Foto: A. Botte)
Abbildung 2

Jannica Hellström. (Foto: A. Botte)

Jan Schneider (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Frankfurt am Main) betitelte seine Keynote schlicht mit Interactive Learning Technologies. Ausgangspunkt seines weit in die Menschheitsgeschichte zurückgreifenden Vortrages war das Statement, dass die Lernfähigkeit des Menschen unbegrenzt groß ist und die Basis dafür das kollektiv und historisch weitergetragene Erfahrungswissen ist. Die Rolle heutiger digitaler Medien und Tools in diesem langen menschheitlichen Lernprozess ist sein Forschungsthema. Seine These ist, dass Lernen vor allem durch Feedback auf praktisches Handeln zustande kommt. Begleitet von nicht unerheblichen eigenen theatralischen Fähigkeiten zielte sein Vortrag darauf ab, durch eine Vielzahl medialer Beispiele die Möglichkeiten digitaler Interventionssysteme zu demonstrieren, die durch Aha-Effekte Lernprozesse und Verhaltensänderungen in Gang setzen. Als Beispiel für seine eigene Forschung verwies Schneider auf ein digitales Tool, das in Präsentationssoftware integriert werden und den Präsentierenden durch unmittelbares (on the fly) Feedback eine Verhaltensänderung nahelegen kann. Ähnliche situative Interventionen können Technologien, die auf Sensoren beruhen, die das aktuelle Verhalten und die Umgebung des Nutzers abtasten, natürlich auch im Kontext von Suchmaschinen oder Datenbanken offerieren.

Panel: What do we mean when we talk about IL? And why is it important?

Der offizielle Konferenzteil wurde mit einem Panel abgeschlossen, das mit sechs Experten darunter alle Keynote Speaker sowie Shirley Chiu-Wing Wong (Pao Yue-kong Library, The Hong Kong Polytechnic University, Hong Kong), Trudi Jacobson (University at Albany, Albany NY, Vereinigte Staaten) und Andrew Whitworth, Manchester Institute of Education, University of Manchester, Oxford, Großbritannien) sowie zwei Moderatoren besetzt war. Angesichts der Vielfalt an Konzepten und Praxisevaluationen, die bislang präsentiert worden waren, war es das Ziel des Panels, unterschiedliche Ansätze und Schwerpunkte von Information Literacy in einem Disput zu klären, ggf. zusammenzuführen und Transparenz über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Förderung von IL herzustellen. Nach den Statements der Experten wurde eine weitgehende Einigkeit über ein stark erweitertes Konzept von IL sichtbar, das die auf die Sozialen Medien bezogenen Dimensionen von Metaliteracy einschließt und methodisch stark kontext- und disziplinorientiert sowie erfahrungsbezogen gelehrt werden müsse. Die Notwendigkeit intensiverer Schulung wurde angesichts aktueller politischer Tendenzen weltweit als offensichtlich angesehen, wobei sowohl der Ansatz am Individuum und der Überwindung seiner verhaltensbedingten Beschränkungen, unterschiedliche Aspekte der Realität wahrzunehmen, notwendig sei als auch der gesellschaftliche Auftrag bestehe, gegen Konstruktionen von fake-news und post-truth Realitäten anzugehen.

Das Panel, wie die Konferenz insgesamt, reflektierte die wachsende Sensibilität der Öffentlichkeit für die gesellschaftliche Bedeutsamkeit von IL, respektive Informationskompetenz. Das selbstgesteuerte Lernen mit Hilfe von E-Learning-Angeboten wird zukünftig sicher nicht nur im Hochschulbereich, sondern besonders auch im Weiterbildungsbereich eine zentrale Rolle spielen.

Deskriptoren

Tagung, Wissenschaft, Informationskompetenz, Hochschule, Lehre, Lernen

Published Online: 2019-08-15
Published in Print: 2019-08-06

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 24.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/iwp-2019-2023/html
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