Startseite Wolfgang Schmitz: Grundriß der Inkunabelkunde. Das gedruckte Buch im Zeitalter des Medienwechsels. Stuttgart: Hiersemann 2018. X, 420 Seiten. Mit 58 einfarbigen und 16 farbigen Abbildungen. (Bibliothek des Buchwesens, Band 27) € 169,- ISBN 978-3-7772-1800-7
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Wolfgang Schmitz: Grundriß der Inkunabelkunde. Das gedruckte Buch im Zeitalter des Medienwechsels. Stuttgart: Hiersemann 2018. X, 420 Seiten. Mit 58 einfarbigen und 16 farbigen Abbildungen. (Bibliothek des Buchwesens, Band 27) € 169,- ISBN 978-3-7772-1800-7

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Veröffentlicht/Copyright: 5. April 2019

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Wolfgang Schmitz: Grundriß der Inkunabelkunde. Das gedruckte Buch im Zeitalter des Medienwechsels. Stuttgart: Hiersemann 2018. X, 420 Seiten. Mit 58 einfarbigen und 16 farbigen Abbildungen. (Bibliothek des Buchwesens, Band 27) € 169,- ISBN 978-3-7772-1800-7


Der Autor ist seit vielen Jahren ein geschätzter und international anerkannter Historiker des Buches in dessen im Lauf der Geschichte gewandelten Formen, mit einer beeindruckenden Liste an Veröffentlichungen, die seine umfassenden Kenntnisse belegen. Der Verlag hatte ihn ursprünglich gebeten, Konrad Haebler‘s Handbuch der Inkunabelkunde (Leipzig 1925) nach neuem Wissensstand zu bearbeiten. Eine bloße Überarbeitung, dies zeigte sich, konnte aber den neuen Arbeitsgebieten, Methoden und Erkenntnissen in der Inkunabelforschung der letzten 90 Jahre nicht gerecht werden. Der „Grundriss der Inkunabelkunde“ als „Lehre von den ältesten Erzeugnissen des Buchdrucks“ (Haebler), er sollte nicht „Handbuch“ heißen, stellt das Spektrum der materiellen Objekte des frühen Buchdrucks in den Mittelpunkt: die Schriftträger Papier und Pergament, Ordnungssysteme, Typen, Satz und Druck, die Ausbreitung der Technik, Buchhandel, Schriften und Illustration. Leitgedanke des Buches ist, in allen Kapiteln den Prozess zu beschreiben, wie sich das gedruckte Buch von seinen handschriftlichen Grundlagen losgelöst hat, wie dies nach der Erfindung im fünfzehnten Jahrhundert beginnt und bis weit ins sechzehnte Jahrhundert erkennbar bleibt. Das Schwergewicht im „Grundriss“ liegt daher auf der Materialität. Themenbereiche wie die Literatur- und Wissenschaftsgeschichte der Inkunabelzeit werden nur gestreift. Dies gilt auch für den Einband, da dessen Technik und Erscheinungsbild noch dem gesamten Buchwesen der Zeit, also der Handschriften-Ära, verhaftet bleibt. Auch die konservierenden und restaurierenden Maßnahmen am Buch werden daher nicht im Detail behandelt. Auf weiterführende Literatur und die aktuellen elektronischen Auskunftsmittel wird jedoch stets verwiesen. Das Buch soll „Studenten, Bibliothekaren, Antiquaren und Bücherfreunden dienlich sein [...] nicht zuletzt aber auch Wissenschaftlern verschiedener Fächer“ (S. IX). Die Fußnoten, auf die Haebler (1925) noch verzichtet hat, sind reichlich und gut ausgebaut. Knappe Angaben zu Autor, Jahr und Seitenzahl lassen sich, dank der wohlüberlegten Anlage, im reichhaltigen Literaturverzeichnis (S. 363–404, es zählt 42 Seiten mit 761 Einträgen) leicht auffinden. Angenehm ist darin die Zitierweise nach Jahren für die Schriften eines Autors. Lobenswert ausführlich das Register, das zuverlässig zu Orts- und Personennamen sowie Begriffen leitet und das Buch als Nachschlagewerk zu nutzen erlaubt. Es reicht von „Abbreviaturen“ über „Druckfarbe“, „Farbendruck“, „Gut-Registerhalten“, „Kursive“, „Rotunda“, „Textura“ bis zu Spezialbegriffen wie „Zweiphasenpresse“. Die im Buch enthaltenen Informationen etwa zur B42 oder zum „Catholicon“ lassen sich damit zuverlässig finden.

Nun hat schon der damalige Nestor der neueren deutschen Frühdruckforschung, Ferdinand Geldner, in seiner 1978 erschienenen Inkunabelkunde (sie wird noch vom Dr. Ludwig Reichert Verlag in Wiesbaden angeboten) nicht mehr auf Fußnoten und auf ein Register verzichten wollen. Ein Vergleich der Register bei Geldner und Schmitz lässt Schlüsse auf die Gewichtung zu, welche beide Autoren den Begriffen der Inkunabelkunde zuordnen. Er zeigt die Veränderungen, welche in dieser Disziplin seither stattgefunden haben. Suchen wir im „Grundriss“ nach Begriffen, die es bei Geldner nicht gibt, so stoßen wir auf neue Schwerpunkte: Casting off, Digitalisate, Setzen/Drucken in Formen, Druckdauer, Druckleistung, Druckfarbe (mit zehn Einträgen), Druckfehlerverzeichnis, Druckvarianten, e-Codicology (Projekt), Einphasenpresse, Ergänzungsdrucke, Federzeichnungen, gekuppelte Typen, Glagolitisch, Gut-Registerhalten, Hellinga, Lotte, HPT (Hellinga Printing Types), Heritage in the Printed Book in Europe Database (HPB), Impositionsfehler, Index Possessorum Incunabulorum (IPI), INKA-Inkunabeldatenbank, Inkunabelzensus Österreich, Interlinearausgaben, Interlinearglossen, Kalender, Karton (Korrekturtext), Kustoden, Kyrillisch, Layout, Lesehilfen, Lohndrucker, Makulatur, Manuscripta medievalia, Marginalie, Messen (Büchermessen). Nachdruck (technisch), Naturwissenschaftliche Verfahren der Buchforschung, Needham, Paul, Negativdruck, Palimpsest, Papier, Paragraphenzeichen, Paratexte, Pergament, Pergamentdrucke, Probedrucke, Provenienzen, Randleisten (Bordüren), Repräsentanten, Sammelbände, Sandgussverfahren, Schablonen, Schulbücher, Slug-Theorie (Needham), Stützsatz, Subskription, Teigdruck, Thermographie, Universal Short Title Catalogue (USTC), Verlagsverträge, Vertriebswege, Vorlagen, Vorlesung, Vorlesungsankündigung, Widmungsvorrede, Zensur, Zweiphasenpresse.

Blicken wir in den Inhalt: Die Einleitung (S. 1–70) beschreibt „Inkunabeln und Blockbücher“, „Das Miteinander von Handschriften und Druck im 15. Jahrhundert“ und die „Geschichte der Inkunabelkunde“. Der Epochenbruch vom geschriebenen zum vervielfältigten Buch wird eingehend dargestellt, als eine Zäsur wie die, als sich in der Spätantike die Form des Buches von der Rolle allmählich zum Codex, dem uns heute geläufigen Buch, gewandelt hatte. In den Universitäten des Hochmittelalters war der Bedarf nach Texten gewachsen und so wurde früh deren Produktion und Verteilung organisiert. Es lag nahe, dass nach der Erfindung des Buchdrucks an dieses System angeknüpft und eigene Universitätsdruckereien errichtet wurden. Das Abschreiben eines Textes war aber lange Zeit billiger als der Druck. So blieb das handgeschriebene Buch vor allem außerhalb der gelehrten Welt über die Zeit des ersten Buchdrucks bis weit ins 16. Jahrhundert in Gebrauch, gerade für Leser aus dem Bürgertum und dem Adel, für Gebetbücher und Prachthandschriften. Hierfür arbeiteten klösterliche Werkstätten und die Schreibmeister in den Städten. Dass die beiden Medien, Handschrift und Druck, nicht als Gegensätze gesehen wurden, zeigen die zahlreichen Sammel-Einbände des 15. und 16. Jahrhunderts, in die beides zusammengebunden wurde. Auch konnten Drucke handschriftlich fortgeführt werden, wie etwa bei der Schedel‘schen Weltchronik, in deren letzten Lage mehrere leere Blätter dazu einluden. Umgekehrt konnten Handschriften mit eingeklebter Druckgrafik illustriert werden, wie wir dies ebenfalls von Hartmann Schedel kennen. Die Tendenz, beide Medien als etwas grundsätzlich Verschiedenes zu sehen, findet sich zuerst bei den Humanisten. Für sie waren die Handschriften Vorstufen, die mit der gedruckten Edition überflüssig wurden. Die zahlreichen Handschriftenfragmente, die uns als Buchbinder-Makulatur überliefert sind, beweisen dies. Etwa ab 1480 beginnt das gedruckte Buch zum preiswerten Gebrauchsartikel zu werden. Es bleiben jedoch die Ergänzungen, die das Erscheinungsbild der Drucke verändern und das gedruckte Buch, wie die Handschrift, zu einem Individuum machen: Rubrizierung und Korrekturen, eingefügte Buchmalerei, handschriftliche Glossen und Marginalien, Kauf- und Besitzeinträge, Signaturen der Besitzer und andere Benutzungsspuren. Hierauf beruht der von Paul Needham begründete, über das Internet zugängliche Index Possessorum Incunabulorum (OP) mit etwa 32 000 Eintragungen. Der Anhang unterrichtet über die Ausbreitung des Buchdrucks und über die Produktionszahlen. Insgesamt sind etwa 28 000 Inkunabelausgaben heute noch vorhanden, die meisten aus der Zeit um 1480 und danach. Ungefähr 7 900 davon sind nach dem Gesamtkatalog der Wiegendrucke (GW) nur in einem Exemplar verzeichnet, über 7 500 nach der Zählung des International Short Title Catalogue (ISTC). Über die Verzeichnung der Inkunabeln unterrichtet das Kapitel „Geschichte der Inkunabelkunde“. Ein erster Inkunabelkatalog verzeichnet 1643 im Appendix der Historia bibliothecae rei publicae Noribergensis von Johann Saubert die ca. 825 Inkunabeln der Stadtbibliothek Nürnberg. Es folgen französische Kataloge des 18. und 19. Jahrhunderts, wie etwa der Index librorum ab inventa typographia ad anno 1500 chronologice dispositus (Sens 1791–1797) von François Xavier Laire, der die Sammlung des Kardinals Etienne Charles Loménie de Brienne katalogisierte und damit „schon eine Art Handbuch der Inkunabelkunde geschaffen“ hat (S. 43). In Deutschland verzeichnete Georg Wolfgang Panzer die lateinischen Inkunabeln – ebenfalls der Stadtbibliothek Nürnberg – in seinen Annales typographici (Nürnberg 1793–1808), und die Inkunabeln in deutscher Sprache in den Annalen der älteren deutschen Literatur. Panzer gliederte sie bereits nach Ländern und Druckorten und danach chronologisch. Er erweiterte damit die Kenntnis von den Inkunabeln auf mehr als 16 000 Titel. Für England wird Thomas Frognall Dibdin’s Bibliotheca Spenceriana genannt. – „Universal angelegt, grundlegend und bahnbrechend“ (S. 44) ist das bis heute unentbehrliche Verzeichnis Repertorium Bibliographicum von Ludwig Hain (Stuttgart und Paris 1826–1838). Mit Hain beginnt eine neue Periode in der Inkunabelkatalogisierung und nach den Nummern seines Repertoriums werden noch heute die Inkunabeln bezeichnet. Die Hain‘sche Methode der Titelbeschreibung wurde vor 1900 noch ergänzt durch die Bestimmung der Drucktypen durch die englischen Bibliothekare Henry Bradshaw und Robert Proctor. Konrad Haebler verfeinerte sie in seinem Typenrepertorium der Wiegendrucke (1904–1924). Kurz gestreift wird die im 20. Jahrhundert von englischen Bibliografen entwickelte Analytische Druckforschung. Den Abschluss dieses einleitenden Kapitels bildet eine ausführliche Vorstellung des 1904–1905 in Berlin begonnenen Gesamtkatalog der Wiegendrucke (GW) mit seinem inzwischen möglichen Netzzugang für die bereits gedruckten und die provisorischen Titelaufnahmen. Ziel ist die Vernetzung mit weiteren Suchinstrumenten, etwa dem Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften Manuscripta medievalia.

Teil II handelt über „Die Schriftträger“: Papier, Wasserzeichenforschung, Pergament. Hier wird die Papierherstellung besonders des 15. Jahrhunderts erläutert, aber auch mit ihren Wurzeln in China und mit den technischen Verbesserungen durch die Araber und die Europäer (Italien und Spanien), bis zur ersten deutschen Papiermühle in Nürnberg 1390 durch Ulman Stromer. Die Geschichte und Bedeutung der Wasserzeichenforschung als eigenständigem Wissenschaftszweig und Hilfsmittel für die Datierung der Papiere wird bis zu der wachsenden Zahl von Bild-Datenbanken und elektronischen Verfahren verfolgt. Der Abschnitt „Pergament“ (inzwischen auch ein eigener Wissenschaftszweig) erläutert zusammenfassend die Verwendung dieses Materials in der Inkunabelzeit. Für die etwa 30 Pergamentexemplare der 42-zeiligen Bibel Gutenbergs mit je 300 Bögen pro Exemplar brauchte man die Häute von 3 000 Schafen.

Teil III heißt „Vom Blatt zum Buch“ und beschreibt in eigenen Abschnitten Format, Lagen, Verlagseinband, Schutzumschlag und Fragmente. Betont wird die Unterscheidung in „natürliches“ Format, das von der Faltung des geschöpften Papierbogens abhängt, und dem „gemessenen“ Format, zuerst genannt in den Preußischen Instruktionen von 1908 (PI), den einst verbreiteten Regeln für die Formalkatalogisierung (Groß-Folio über 45 cm, Folio 35-45 cm. Quarto 25-35 cm, Oktavo bis 25 cm.) Für Drucke der Handpressenzeit sollten immer die „natürlichen“ Formate genannt werden. Die Spannbreite der Formate wird in einer Reihe von Beispielen geschildert. Es folgt, mit einem kurzen Rückblick auf die Usancen der Handschriftenära (Reklamanten), die Beschreibung der üblichen Lagenstärken, der Lagenordnung, des Systems der Lagenkennzeichnung (Kustoden) für das Zusammenlegen der Bogen, das zuletzt als eigenes gedrucktes Blatt dem Buchblock beigegeben werden kann (registrum chartarum oder foliorum), als Hilfe für den Buchbinder. Auch die Blattzählung und die seltenere Seitenzählung werden gestreift, wie auch die Verwendung der römischen Zahlzeichen und der arabischen Ziffern. Der Verlagseinband ist eine der Neuerungen des Buchdrucks, wie auch der Schutzumschlag, der sich in einigen Beispielen für broschierte oder kartonierte Drucke erhalten hat. Zwischen 7 500 und 7 900 Inkunabeln sind nur in einem Exemplar überliefert, wie oben schon bemerkt, 10–15 % davon nur als Fragmente. Aus den nicht mehr als nützlich empfundenen Drucken zerschnitten, wurden sie als Makulatur im Spiegel, als Deckelbezug, als Falzverstärkung oder – zusammengeklebt – als Deckelpappen für die Einbände verwendet. Dies geschah ebenso mit den durch Drucke obsolet gewordenen Handschriften. Die Fragmentforschung ist daher sehr eng mit der Einbandforschung verbunden. Inkunabelfragmente lassen sich durch die Drucktypen meist auf einen Drucker oder eine Ausgabe beziehen, sie können Textvarianten enthalten, die Aufschlüsse über den Produktionsprozess ermöglichen. Vereinzelt sind Drucke nur als solche Fragmente überliefert. Der Autor nennt hierzu Beispiele aus dem GW für eine Edition des Doctrinale von Alexander de Villa Dei (Basel um 1475), von der bisher noch kein vollständiges Exemplar nachgewiesen ist.

Teil IV „Setzen und Drucken“, mit knapp 80 Seiten der umfangreichste Abschnitt des Buches, beschreibt die Technik der Typenherstellung und des Druckes. Hier erkennen wir den deutlichen Schwerpunkt des „Grundrisses“: Typenguss, Setzen, Layout, Vorlage und Druck, Drucken, Farbendruck, Druckvarianten, Satzfehler und Korrekturen, Drucker und Verleger, Auflagenhöhe, Nachdruck und Privilegien, Zensur, sowie Vertriebswege und Bücherpreise. Hier finden wir auch die meisten Hinweise auf die Herstellung der 42-zeiligen Gutenbergbibel, etwa den parallelen Druck von sechs Setzern (S. 125, nach Schwenke 1923, Corsten 1979) und die Feststellung der Setzerabschnitte (S. 127 f. nach Masson 1954 und Corsten 1957). Die Druckpraxis der frühen Inkunabelzeit wird ferner am Beispiel des Catholicon (S. 127–129) erklärt und mit Paul Needhams Arbeiten wird auch neueste Literatur zitiert. Dieser Teil wird von einem reichen Fußnotenapparat begleitet.

„Paratexte“ ist Abschnitt V überschrieben: Hiermit sind Titelblatt, Kolophon, Signet, Widmungsvorrede, Register und Inhaltsverzeichnis gemeint. Kolophone und Vorreden finden sich schon in Handschriften, ihr Übergang mit der Verwendung zum Druck ist noch wenig erforscht. Zu Beginn der Wiegendruck-Zeit werden Titelblätter oder Titel-Vermerke handschriftlich eingefügt. Auch dies ist erst einmal eine Fortführung des Incipit, eines kurzen Vermerks des Textbeginns der Handschrift. Es folgen Kopftitel, wie im Türkenkalender von 1454 (GW M 19909) „Eyn manung der cristenheit“. Auch ein Holzschnitt-Titel ist möglich (wie bei der Schedel‘schen Weltchronik). Ebenso kann ein frühes „Impressum“ als Titel dienen, wie der „Herbarius. Ma/guntie impressus. / Anno etc. . lxxxiiij.“ von Peter Schöffer 1484 (GW 12268). Der Kolophon (griech. Gipfel, Abschluss) steht ebenfalls in der Handschriftentradition und kann Träger weitergehender Informationen sein: Titel, Verfasser, Ort und Datum der Drucklegung, Name des Druckers etc., gelegentlich mit Angabe der Vorlage, auch mit übernommenen Formeln wie explicit, finis, completus oder telos vor den Bezeichnungen „impressum, excusum, stampato, gedruckt und vollendet“, auch dies in der Tradition der Handschrift. Der Abschnitt schließt mit Hinweisen aus der Praxis zur Datierung von Inkunabeln, erklärt und bildet Signete, Drucker- und Verlegermarken ab, streift die schon in der Antike übliche Widmungsvorreden (die ältesten gedruckten finden sich bei Konrad Sweynheim und Arnold Pannartz in Subiaco und Rom 1467). Registrum oder tabula bezeichnet das Inhaltsverzeichnis oder Sachregister. Auch solche Listen sind eine Übernahme aus der Antike, der alphabetische Buchindex ist eine Erfindung der Scholastik und macht das Buch zum Werkzeug des Gelehrten. Voraussetzung war die Blatt oder Seitenzählung, im Mittelalter waren es auch Hinweise auf Buchteile oder Kapitel. Der Holzschnitt-Titel des Registers der Schedel‘schen Weltchronik wird als Beispiel abgebildet und erläutert. Inhaltsverzeichnisse gab es in Mischformen, oft auch handschriftlich.

„Schrift und Type“ heißt Teil VI, handelt über die Sprachen im Buchdruck; Lateinische Schriften, griechische Type, kyrillisch und glagolitisch, hebräisch, orientalische und afrikanische Schriften und den Musiknotendruck. Die Schriftarten werden vorgestellt, ihre Gestaltung setzt die handschriftliche Tradition fort, sie sind nach dem Vorbild der Handschriften geformt. Heute kennt man ca. 6 000 Schriften bis ins 16. Jahrhundert. Vorgestellt werden Textura, Rotunda, Bastarda, Gotico-Antiqua und die Antiqua mit ihrer Kursive. Das System der Abbreviaturen (auch das eine Übernahme aus der Antike und der Handschriftenära) wird erklärt, wie die Verwendung der griechischen Typen im Humanismus, auch hier zuerst in Zitaten bei Sweynheim & Pannartz in ihrer Laktanz-Ausgabe (1465). Eine neue griechische Typografie beginnt 1475 (GW 12900), vollendet wird sie von Aldus Manutius ab 1494/95 in Venedig (GW M17107). Von den 43 Zeichen der kyrillischen Schrift entstammen 24 der griechischen Unziale des 9. und 10. Jahrhunderts (S. 286), ergänzt durch weitere Buchstaben, Ligaturen und Zeichen. Die ersten kyrillischen Drucke erschienen in Krakau, wo zwischen 1483 und 1489 der aus Neustadt a. d. Aisch stammende Bergingenieur Sweipold Fiol (Sebald Feiel) eine Offizin für die orthodoxe Kirche errichtet hatte, gefördert vom Minenunternehmer Jan Thurzo. Beim ersten Druck in glagolitischer Schrift, einem Missale von 1483 mit handschriftlich eingefügten Initialen (GW M2410810) kennt man weder Drucker noch Druckort. Die Zahl der hebräischen Inkunabeln schwankt zwischen 125 und möglichen 175 (S. 289). Gedruckt wurden sie nach einem inzwischen erstellten Census in Italien, Spanien, Portugal und (nur in einem Fall) in der Türkei. Etwa 70 unterschiedliche hebräische Texte werden gezählt. Zwischen 1469 bis 1472 kamen davon in Rom etwa acht undatierte Werke in Quadratschrift in den Handel, im Anschluss an die lateinischen Drucke von Sweynheim & Pannartz. Ein kurzer Blick auf orientalische Schriften und ein längerer auf den Musiknotendruck schließt diesen Abschnitt.

„Das Bild im Buch“ erläutert in Teil VII Buchmalerei, Mechanischen Buchschmuck, Metallschnitt, Kupferstich, Kartendruck und Illustrationskünstler. Die Tradition der Handschriftenzeit, Texte mit Bildern zu begleiten, wurde vom Inkunabeldruck allmählich übernommen. Die frühen Drucke von 1472 bis 1478 ließen Platz für die vom Buchmaler zu ergänzenden Illuminationen. Dann folgten mechanische Verfahren, führend dabei der Holzschnitt. Schablonen (schon früher für den Zeugdruck üblich) fanden Verwendung für Andachtsblätter, Bilderbogen und Spielkarten. Vorlagen und Musterbücher wurden schon in klösterlichen Skriptorien verwendet. Rubrikatoren und Buchmaler waren für die individuelle Fertigstellung der Bücher zuständig, ebenso wie die Buchbinder für deren äußere Gestalt. Der Mechanische Buchschmuck steht damit auch in der Tradition der Buchmalerei, hat sich aber rasch davon gelöst. Die technischen Prozesse verursachten Probleme, wie man im Nebeneinander von Holzschnitt-Initialen, Holzschnitten und handschriftlichen Ergänzungen sehen kann. Albrecht Pfister in Bamberg gelang als erstem die Synthese von Text und Holzschnitt (Edelstein, Ackermann von Böhmen, Biblia pauperum). Danach waren Augsburg (mit Günther Zainer), Straßburg, Basel, Ulm und besonders Nürnberg die Hauptorte. Mit einem längeren Abschnitt über die Techniken der Holzschnittillustration endet dieses Kapitel. Es folgen drei kürzere über den Metallschnitt, mit dem schönen Beispiel der Meditationes des Johannes de Turrecremata (1479) von Johann Numeister (GW M48245), über den Kupferstich, mit Dantes Divina Comedia, Florenz 1481 (GW 7966), den Kartendruck. Die erste Weltkarte, eine T-O-Radkarte, findet sich in den Etymologiae von Isidorus Hispalensis, gedruckt in Augsburg von Günther Zainer 1472 (GW M15250). Die Schedel‘sche Weltchronik von 1493 enthält die erste Holzschnittkarte Mitteleuropas (fol. CCXCIXv). Ein letzter Abschnitt handelt kurz über die Illustrationskünstler, d. h. Briefmaler und Briefdrucker, Reißer oder Formschneider, bevor namhafte Künstler wie Michael Wolgemut und Wilhelm Pleydenwurff die Schedel‘schen Weltchronik mit den Vorzeichnungen zu mehr als 1 200 Holzschnitten gestalten.

Es folgen 16 Farbabbildungen und ein Anhang mit nützlichen Hinweisen zur aktuellen Literatursuche im Internet, zur Zahl der erschienenen Inkunabeln, der geografischen und der zeitlichen Ausbreitung des Buchdrucks in der Inkunabelzeit, ihrer Verteilung nach Sprachen, sowie Informationen zu den größten Beständen in den Bibliotheken. Eine Abkürzungsliste, das Literaturverzeichnis, der Nachweis der Abbildungen und das bereits in Beispielen angesprochene Register bilden den Schluss des Buches.

Im Kapitel „Naturwissenschaftliche Verfahren der Buchforschung“ (S. 68–69), wäre ein Einblick in die spezielle naturwissenschaftliche Inkunabelforschung der letzten Jahrzehnte willkommen gewesen. Gemeint sind die Verfahren Particle Induced X-Ray EmissionPIXE (Teilcheninduzierte Röntgenspektroskopie) und Synchrotron X-Ray Fluorescence AnalysisSYXFA/SYRFA (Synchrotron-Röntgenfluoreszenz-Analyse). Solche Untersuchungen haben am Crocker Nuclear Laboratory in Davis/Kalifornien mit PIXE zwischen 1980 und 1987 ihren Anfang genommen und wurden in Deutschland mit SYRFA fortgesetzt. Der Autor des „Grundrisses“ hat aus Platzgründen einen ganzen Abschnitt zu diesem Thema aus dem Manuskript herausnehmen müssen[1] und verweist für dieses komplexe Gebiet auf ein im Erscheinen befindliches Werk von Christoph Reske.[2] Dennoch ist es Schmitz gelungen, aus der Unmenge der neuen Erkenntnisse und neuen Publikationen der vergangenen 90 Jahre, seit dem Erscheinen von Konrad Haeblers „Inkunabelkunde“, und der vergangenen 40 Jahre seit dem Druck der „Inkunabelkunde“ von Ferdinand Geldner, eine aktuelle Übersicht zu den wichtigsten seither diskutierten Themen zu erstellen. Sein Buch ist, mit den vom Autor gewollten thematischen Einschränkungen, auf dem aktuellen Wissenstand und hat den Charakter eines ausführlichen Leitfadens mit den Hinweisen auf spezielle und weiterführende gedruckte und digital zugängliche Literatur.

Published Online: 2019-04-05
Published in Print: 2019-04-03

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Inhaltsfahne
  3. Forschungsdaten
  4. PARTHENOS – Eine digitale Forschungsinfrastruktur für die Geistes- und Kulturwissenschaften
  5. Bedeutung und Potenzial von Geoinformationen und deren Anwendungen im Kontext von Bibliotheken und digitalen Sammlungen
  6. Forschungsdaten und Fachinformationsdienste – eine Bestandsaufnahme
  7. Das Management von Forschungsdaten als Handlungsfeld wissenschaftlicher Bibliotheken: Forschungsunterstützung am Beispiel ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften
  8. Forschungsdatenmanagement an der ETH Zürich: Ansätze und Wirkung
  9. Wege zur Optimierung des Forschungsdatenmanagements – Die Forschungsperspektive des PODMAN-Projekts
  10. Metadata Challenges for Long Tail Research Data Infrastructures
  11. Methods to Evaluate Lifecycle Models for Research Data Management
  12. MyCoRe macht Forschungsdaten FAIR
  13. Zwei Ansätze zur Lösung der Replikationskrise in den Wirtschaftswissenschaften
  14. Synergieeffekte durch Kooperation: Hintergründe, Aufgaben und Potentiale des Projekts FoDaKo
  15. Von der Produktion bis zur Langzeitarchivierung qualitativer Forschungsdaten im SFB 1187
  16. Archivierungsstrategien anpassen – Herausforderungen und Lösungen für die Archivierung und Sekundärnutzung von ethnologischen Forschungsdaten
  17. Redaktionssache Forschungsdaten
  18. Wettbewerb Zukunftsgestalter in Bibliotheken 2018 / Preisträger
  19. Framework Information Literacy – Aspekte aus Theorie, Forschung und Praxis
  20. Lernwelten für Bibliotheken – Dimensionen der Zukunftsgestaltung
  21. Zukunftsgestalter in Bibliotheken 2018 / Weitere herausragende Projekte
  22. abiLehre.com: Wissensvermittlung mit Nachhaltigkeit
  23. MusicSpace – Ein neues Konzept für Nutzungsbereiche wissenschaftlicher Musikbibliotheken
  24. Die Bibliographische Datenbank zur Geschichtsschreibung im Osmanischen Europa (15. bis 18. Jh.)
  25. Schwerpunkt: Perspektiven und Erfahrungen – Voraus- und Rückblicke führender Bibliothekare
  26. Bibliotheken weiter denken und besser positionieren – Rückblicke und Ausblicke
  27. Ein offener Wissensmarktplatz mit gesellschaftlicher Relevanz
  28. Ein Jahr an der Universitätsbibliothek Kiel: Alles klar zur Wende! Status quo, Maßnahmen, Perspektiven
  29. Weiterer Beitrag
  30. Open Access aus der Sicht von Verlagen
  31. Neue Entwicklungen
  32. Library life in Australia: It Has Been a Busy Year!
  33. Zur Diskussion
  34. Detecting and Facing Information Demand for New Target Groups such as Start-up Founders – A Case Study at the WHU Library
  35. Bibliographische Übersichten
  36. Zeitungen in Bibliotheken
  37. Rezensionen
  38. Biographien des Buches
  39. Richard David Lankes: Erwarten Sie mehr! Verlangen Sie bessere Bibliotheken für eine komplexer gewordene Welt. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Hans-Christoph Hobohm. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Erdmute Lapp und Willi Bredemeier. Berlin: Simon Verlag für Bibliothekswesen, 2017. 175 Seiten, 19,50 €, ISBN 978-3-9456-10-32-9
  40. Wolfgang Schmitz: Grundriß der Inkunabelkunde. Das gedruckte Buch im Zeitalter des Medienwechsels. Stuttgart: Hiersemann 2018. X, 420 Seiten. Mit 58 einfarbigen und 16 farbigen Abbildungen. (Bibliothek des Buchwesens, Band 27) € 169,- ISBN 978-3-7772-1800-7
  41. Falk Eisermann, Jürgen Geiß-Wunderlich, Burkhard Kunkel, Christoph Mackert, Hartmut Möller (Texte), Volkmar Herre (Fotos): Stralsunder Bücherschätze. Hrsg. von der Hansestadt Stralsund. Wiesbaden: Harrassowitz, 2017. 144 S., 122 farbige Abb. ISBN 978-3-447-10834-8. € 39,80
Heruntergeladen am 23.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bfp-2019-2025/html
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