Startseite Der „Dialog Lizenzierungsplattform“ des BMJV
Artikel Öffentlich zugänglich

Der „Dialog Lizenzierungsplattform“ des BMJV

Die nächste Runde im Wissenschaftsurheberrecht beginnt
  • Eric W. Steinhauer EMAIL logo
Veröffentlicht/Copyright: 29. November 2018
Veröffentlichen auch Sie bei De Gruyter Brill

Abstract

Im Zuge der Verabschiedung des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG) wurde vom Deutschen Bundestag auch die Durchführung eines Stakeholderdialoges zur Etablierung einer Lizenzierungsplattform für die digitale Nutzung von Verlagsinhalten in den nächsten fünf Jahren beschlossen. Nachdem diese Forderung auch in den Koalitionsvertrag Eingang gefunden hat, wurde dieser Dialog nun vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Rahmen einer Auftaktveranstaltung in Bielefeld begonnen, auf der einzelne Stakeholder ihre Sicht und ihre Erwartungen zu diesem Thema vorgetragen haben. Der nachfolgende Beitrag dokumentiert diese Veranstaltung.

Abstract

Passing a new copyright law for a knowledge-based society (UrhWissG), the German Bundestag parliament has resolved to initiate a dialogue between stakeholders with the aim to establish a licensing platform regulating the digital use of publisher content over a period of five years. As the dialogue forms part of the government’s coalition agreement, the Federal Ministry of Justice and Consumer Protection recently held an inaugural event in Bielefeld, where numerous stakeholders presented their views and expectations on the subject. The following article documents the event.

1 Vorgeschichte

Seit über zehn Jahren wird zwischen Wissenschaft, Verlagen und Bibliotheken um ein angemessenes Urheberrecht gerungen. In dieser Zeit wurden zwei große Gesetzgebungsvorhaben umgesetzt, nämlich der sog. „Zweite Korb“ und das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG),[1] mehrere Musterprozesse zu nahezu allen wissenschaftsrelevanten Schrankenbestimmungen geführt,[2] unzählige Tagungen und Workshops organisiert sowie zahlreiche Aufsätze und mehrere Dissertationen zu diesem Thema publiziert.[3] Im Kern ging es bei allen Diskussionen und Kontroversen um eine angemessene Reaktion auf den sich in Forschung und Lehre ereignenden digitalen Wandel, der die traditionellen Rollen und auch Geschäftsbeziehungen von Bibliotheken und Verlagen massiv herausfordert. Einer der Hauptstreitpunkte bei der Ausgestaltung von urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen ist ihr Verhältnis zu kommerziellen digitalen Angeboten der Verlage. Mit Blick auf den Drei-Stufen-Test in Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-Richtlinie, der Rechteinhabern auch bei Einführung von Schrankenbestimmungen die normale Auswertung ihrer Rechte zusagt und ihnen damit einen angemessenen Absatzmarkt sichern will, fordern Verlage, dass ihre digitalen Angebote einer erlaubnisfreien Schrankennutzung stets vorgehen sollen. Zudem sollen in den Fällen, in denen Verlage keine digitalen Inhalte zur Verfügung stellen, Schrankennutzungen einzelfallbezogen und titelscharf vergütet werden.

Diese Forderungen sind in der Praxis der Hochschulen stets ablehnend aufgenommen worden, da sie einen erheblichen Verwaltungsaufwand verursachen und den Sinn gerade neuer, auf digitale Nutzungen zielender Schrankenbestimmungen, die digitale Hochschullehre zu fördern, durch bürokratische Hürden infrage stellen. Tatsächlich konnte sich eine einzelfallbezogene Abrechnung etwa bei den elektronischen Semesterapparaten nicht durchsetzen. Ein Vorrang von Lizenzangeboten der Verlage jedoch war beim elektronischen Kopienversand in § 53a UrhG (a.F.) geltendes Recht und wurde durch den Bundesgerichtshof beim elektronischen Semesterapparat nach § 52a UrhG gefordert.[4] Einen Lizenzvorrang beim elektronischen Leseplatz hingegen hat der Europäische Gerichtshof mit der Erwägung abgelehnt, dass Rechteinhaber die Frage, ob eine dem Gemeinwohl dienenden Schranke zur Anwendung kommt, nicht einseitig entscheiden dürften.[5]

2 Der Dialogprozess

Durch das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz wurden die für Bildung und Wissenschaft geltenden Schrankenbestimmungen neu geordnet. Der Gesetzgeber hat sich dabei grundsätzlich gegen einen Verlagsvorrang bei der Anwendung der Schrankenbestimmungen und auch gegen eine einzelfallbezogene Abrechnung der Schrankennutzung ausgesprochen,[6] auch wenn die Verlegerseite genau diese Punkte im Gesetzgebungsverfahren vehement gefordert hat.[7]

Doch dieses Ergebnis ist nur die halbe Wahrheit. Parallel zur Verabschiedung des UrhWissG hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, in einem strukturierten Dialog zwischen allen Beteiligten zu erkunden, wie Verlagsinhalte über eine Lizenzierungsplattform für Bildung und Wissenschaft bereit gestellt werden können.[8] Diese Forderung hat Eingang in den aktuellen Koalitionsvertrag gefunden.[9]

Es gehört wenig Phantasie dazu, dass die Etablierung einer solchen Plattform die Frage nach dem Vorrang von Verlagsangeboten bei der Schrankennutzung und die möglichst einzelfallbezogene Vergütung von Verlagsinhalten wieder befeuern wird, zumal die jetzt neu eingeführten Schrankenbestimmungen nach § 142 Abs. 2 UrhG auf fünf Jahre befristet sind und die rechtspolitische Debatte allerspätestens nach der nächsten Bundestagswahl wieder neu aufflammen wird.

In der Zwischenzeit soll nach dem Willen des Bundestages und jetzt auch der Bundesregierung ein Dialog über eine Lizenzierungsplattform zwischen den einzelnen Stakeholdern Wissenschaft, Bibliotheken und Verlagen geführt werden. Koordiniert wird dieser Dialog vom Urheberechtsreferat des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV).

3 Die Auftaktveranstaltung

Bei einer Auftaktveranstaltung am 13. und 14. September 2018 am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZIF) der Universität Bielefeld hat das BMJV Vertreterinnen und Vertreter der interessierten Kreise eingeladen, ihre Ansichten zum Thema „Lizenzierungsplattform“ vorzustellen. Anschließend skizzierte das BMJV seinen Fahrplan für den weiteren Vorgang des Dialogprozesses.

Nach einer kurzen Einleitung durch Matthias Schmid und Philip Pfeiffer vom BMJV wurde der Kreis der Beiträge durch ein grundsätzliches Referat des Kölner Urheberrechtlers Karl-Nikolaus Peifer, der auch für die Vereinigung Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) gesprochen hat, zum Thema „Lizenzierungsplattformen aus urheberwissenschaftlicher Sicht - Anforderungen und Problembereiche“ eröffnet. Nach Peifer besteht eine wesentliche Anforderung darin, Lizenzierungen in der Praxis einfacher zu gestalten und Verträge verständlicher zu machen. Visualisierungen von Vertragsbestandteilen könnten dabei eine Hilfe sein. Das gemeinsame Interesse aller Beteiligten sollte es sein, den Zugang zu Inhalten insgesamt zu verbessern. Mit einem leichteren und besseren Zugang verlören zudem illegale Angebote an Attraktivität. Die Lizenzierungsplattform sollte man nicht auf kommerzielle Inhalte beschränken. Auch Open Access-Inhalte, ja sogar Schrankennutzungen könnten über eine solche Plattform rechtssicher abgewickelt werden. Soll die Plattform wirklich attraktiv sein, sind aber Absprachen zwischen den Verlagen erforderlich. Hier kann es zu kartellrechtlichen Problemen kommen, die nach Aussage von Peifer aber lösbar sind. Schließlich stellen auch der Suchalgorithmus und die Finanzierung Herausforderungen dar. Auch sollte geklärt werden, ob die Lizenzierungsplattform sich an Endnutzer oder nur an Institutionen wie beispielsweise Hochschulen richten soll.

Mögliche Modelle für die technische Architektur einer Lizenzierungsplattform stellte Andreas Sorge vom Hochschulforum Digitalisierung beim Stifterverband vor. Konkret ging es um die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie für den Aufbau und den Betrieb einer Plattform für die Hochschullehre. Dabei wurden Portallösungen, die einzelne Angebote zusammenführen ebenso betrachtet wie vollständig integrierte Plattformen, die Inhalte unterschiedlicher Anbieter in einer Struktur bündeln. Sorge plädierte dafür, beim Aufbau einer Plattform ein agiles Vorgehen zu wählen, das nicht eine von vornherein festgelegte Struktur ausrollt, sondern diese erst im Laufe des Aufbauprozesses organisch entwickelt.

Einen ökonomisch bislang gescheiterten Versuch, eine Lizenzierungsplattform für Inhalte für die Hochschullehre anzubieten, stellte Bertram Salzmann von der Firma Booktex GmbH vor (http://www.digitaler-semesterapparat.de). Neben den Funktionalitäten der Plattform Booktex, die Zugang zu ca. 55.000 Titeln vermittelte, stand vor allem das Geschäftsmodell im Vordergrund, das im Wesentlichen auf einer nutzungsbezogenen Abrechnung basierte, in dieser Form aber vom Markt trotz einer recht benutzerfreundlichen Oberfläche und Bereitstellungsform nicht angenommen wurde. Neben der Rechtssicherheit bei der Nutzung hob Salzmann als besonderen Vorteil von Booktex hervor, dass nutzende Einrichtungen sich das Einscannen sowie die Lizenzverhandlungen sparen können. Als Reaktion auf das UrhWissG und dem damit verbundenen Entfallen des Lizenzvorrangs beim Semesterapparat wurde das Angebot von Booktex jedoch als wirtschaftlich sinnlos eingestellt. Hier ist bemerkenswert, dass offenbar der nicht unerhebliche Serviceaspekt der Plattform als nicht ausreichend erachtet wurde, um am Markt zu bestehen.

Dirk Pieper von der Universitätsbibliothek Bielefeld, der dort die Projektgruppe „Nationaler Open-Access-Kontaktpunkt“ leitet, stellte das Thema der Lizenzierungsplattform in den größeren Kontext der aktuellen Entwicklungen in der Wissenschaft hin zu einem auf dem Grundsatz von Open Access aufbauenden Ansatz. Für ihn liegt hier die Lösung der Zugangsprobleme zu wissenschaftlichen Inhalten und nicht in der Etablierung von Lizenzierungsplattformen. Als besondere Herausforderung beim Umstieg auf Open Access wurden die Finanzierung und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zusammen mit den Verlagen genannt.

Der Marburger Medienwissenschaftler Malte Hagener erläuterte die Bedürfnisse der Filmwissenschaft. Für die dort wissenschaftlich notwendigen Nutzungen gebe es bislang keine ausreichenden Plattformen. Kommerzielle Streamingdienste etwa gingen auf die Bedürfnisse der Wissenschaft vor allem im Hinblick auf die Langzeitverfügbarkeit nicht ein. Derzeit würden Filmwissenschaftler meist in urheberrechtlichen Grauzonen operieren. Ob hier eine Lizenzierungsplattform überhaupt Abhilfe wird schaffen können, wurde wegen der komplizierten Rechtssituation im Filmbereich eher skeptisch bewertet. Daneben hat sich Hagener noch für die geisteswissenschaftliche Monographie stark gemacht und kritisiert, dass die Open Access-Debatte zu sehr an Publikationsformaten der Naturwissenschaft orientiert und daher für die Geistes- und Kulturwissenschaft auch nur mäßig interessant sei. Zudem würden in den Humanities alte Forschungsergebnisse nicht wie in den Naturwissenschaften einfach obsolet, sondern stünden in einem dialektischen Verhältnis zu aktuellen Wissensbeständen. Dadurch ergebe sich auch eine andere Geschwindigkeit des Publizierens.

Für den Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat Christian Sprang seine Vorüberlegungen und Ideen für den geplanten Stakeholder-Dialog vorgestellt. Erfreulich war hier die Feststellung, dass man an einer Neuauflage der alten rechtspolitischen Streitigkeiten nicht interessiert sei. Man brauche eine wirkliche Akzeptanz auf der Hochschulseite, die durch gesetzlichen Zwang (allein) letztlich nicht erreicht werden könne. Sprang nannte einige Merkmale, die eine aus seiner Sicht erfolgreiche Lizenzierungsplattform aufweisen müsse, nämlich einen hohen Datenschutzstandard, kalkulierbare Kosten, die Vermeidung von Doppellizenzierungen von Werken, die bereits über Hochschulbibliotheken für die Lehre erworben worden sind, sowie eine Integration in vorhandene Lernmanagement-Systeme. Nach der Vorstellung von Sprang sollte die Lizenzierungsplattform eine titelgenaue Abrechnung und eine nutzungsbezogene Vergütung ermöglichen. Wie sich dieses Ziel zur Kalkulierbarkeit der Kosten verhalten soll, blieb freilich offen. Auch wurde am Ende doch wieder ein Lizenzvorrang ins Gespräch gebracht. Zudem sollte die Plattform auch Schrankennutzungen verwalten können, offenbar auch dies unter Einzelabrechnungsgesichtspunkten.

Der Verfasser hat zu der Frage vorgetragen, wie eine Lizenzierungsplattform erfolgreich scheitert. Ausgangspunkt der Überlegungen war der Umstand, dass ein Großteil der Lehre an deutschen Hochschulen durch institutionell nicht oder nur schwach eingebundene Lehrbeauftragte geleistet werde. Diese Personen hätten meist kein eigenes Budget und würden, wenn es um kostenpflichtige Lizenzierungen geht, einer hohen bürokratischen Herausforderung gegenüberstehen. Da Lehraufträge ohnehin nur karg vergütet würden, stellt sich die Frage, warum überhaupt Fremdinhalte mundgerecht vom Lehrenden digital zu Verfügung gestellt werden sollen. Ein Literaturhinweis reiche auch und trainiere überdies die Informationskompetenz der Studierenden. Zudem dürfe nicht der Fehler gemacht werden, den für die Lehre relevanten Content allein als Verlagscontent zu denken, der entweder lizenziert oder über eine Schranke digital genutzt wird. Daneben gebe es noch sehr relevante und auch qualitativ hochwertige freie Inhalte im Netz. Wenn Studierende einfachen und unmittelbaren Zugang zu Lehrinhalten haben wollen, dann könne man einfach auf diese Ressourcen verweisen. Komplizierte Regelungen bei den Schranken oder bürokratische Plattformkonstrukte führten am Ende des Tages nur dazu, dass Verlagsinhalte kaum noch eine Rolle spielen und die freien Webressourcen die Lehre dominieren.

Die Sicht einer außeruniversitären Forschungseinrichtung stellte Henriette Senst vom Robert-Koch-Institut vor. Sie wies insbesondere darauf hin, dass Forschungsergebnisse oft nur unzureichend mit Lizenzen ausgezeichnet sind, so dass ihre Nachnutzbarkeit schwierig sei. Dieser Beitrag machte deutlich, dass die verschiedentlich geforderte Integration von Open Access-Inhalten in die Lizenzierungsplattform einen gewissen Standard in der lizenzmäßigen Auszeichnung dieser Inhalte in der Wissenschaft voraussetzt, der bei weitem noch nicht erreicht ist.

Die Arbeit der sozial- und geisteswissenschaftlichen und der Lehrbuchverlage wurde von Barbara Budrich sehr informativ vorgestellt. Besonders aufschlussreich waren Aussagen zur Kalkulation von Buchprojekten. So könnten etwa Dissertationen ohne einen Druckkostenzuschuss überhaupt nicht kostendeckend produziert werden. Zudem würden Buchprojekte nur rund 5 % Gewinn abwerfen. Budrich berichtete, dass der Lehrbuchumsatz im Print-Bereich um ca. 41 % eingebrochen sei. Eine spannende Frage ist natürlich, ob hier das Urheberrecht oder nicht generell der Medienwandel und das veränderte Studierverhalten die Ursache für den enormen Einbruch im Lehrbuchgeschäft sind.

Aus Sicht eines Geisteswissenschaftlers hat Eberhard Ortland die Zugangsprobleme zu der eigenen publizierten Forschung angesichts von Bezahlschranken sehr plastisch beschrieben. Er stelle dabei auch Werkzeuge wie Unpaywall vor, die mittlerweile eine eigene Zugangsinfrastruktur jenseits von Verlagsangeboten zu etablieren beginnen. Ein Problem von Lizenzierungsplattformen und vergleichbaren Initiativen sei, dass gerade kleinere Verlage dort oft nicht angemessen sichtbar und zugänglich seien.

Als Vertreterin der RELX-Gruppe stellte Karina Lott digitale Plattformen in Großbritannien, Norwegen und Australien kurz vor. Diese Plattformen dienten vor allem dem Copyright-Compliance-Management. Weitere Leistungen könnten aber integriert werden.

Für die Hochschulbibliotheken hat Frank Scholze, Leiter der Bibliothek des KIT in Karlsruhe und Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv) einige wichtige Aspekte von Lizenzierungsplattformen hervorgehoben. So erforderten mehr digitale Angebote auf Seiten der Lehrenden und Studierenden auch mehr digitale Kompetenzen. Für Bibliotheken seien Lizenzierungsplattformen nur sinnvoll, wenn der Prüfaufwand, ob bereits lokale Lizenzen und Zugänge vorhanden sind, dadurch vermieden werde. Wichtig für die Akzeptanz von Lizenzierungsplattformen sei auch, dass die Forschenden nicht nur als Nutzer, sondern auch als Autoren diese Plattformen als einen Mehrwert für sich wahrnehmen können. Das könne sich auch in der Vergütung niederschlagen, die bislang vor allem (pauschal) über die VG Wort erfolgt.

Aus informationsethischer Sicht näherte sicher der Münsteraner Philosoph Reinold Schmücker dem Thema. Schmücker stellt zunächst fest, dass die Förderung von Wissenschaft und Bildung die Voraussetzung für die Schaffung urheberrechtlicher Werke und deren Absatz sei. Daraus folge die Unangemessenheit von Monopolen und Zugangshindernissen. Eine Aushebelung von Schranken durch eine Lizenzierungsplattform sei daher abzulehnen. Die Höhe der dort zu leistenden Vergütungen müsse fair sein und berücksichtigen, dass die Werke durch eine in der Regel unentgeltliche Nutzung öffentlicher Einrichtungen entstanden seien. Veredelungsleistungen der Verlage sollten jedoch angemessen und verhältnismäßig vergütet werden. Eine angemessene Vergütung dürfe aber nicht nur die Vergütung der Verwerter meinen, sondern auch der Autoren. Daneben sei auch ein vergütungsfreier Zugang zur Überprüfung von Zitaten oder Plagiaten notwendig. Hier werde von der Wissenschaft ein Dienst der Qualitätssicherung unentgeltlich geleistet. Nach diesem Ansatz können Lizenzierungsplattformen eine Basis für Zugang und faire Vergütung leisten. Besser sei jedoch ein Ansatz, der Werke frei zugänglich zur Verfügung stellt. Schmücker stellte überdies noch Vorschläge für eine Reform bei der Publikation von Dissertationen zur Diskussion; diese sollten vor der Begutachtung für die öffentliche Kritik frei zugänglich sein. Schmücker schlägt auch vor, dass Verlage die Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen für das Peer-Review durch deren Beschäftige künftig bezahlen sollen. Insgesamt waren seine Überlegungen sehr anregend, weil sie über eingefahrene Denkmuster hinausführten.

Für die VG Wort sah Robert Staats besonders bei der Frage der Vergütung ein großes Potenzial bei den Lizenzierungsplattformen. Wie einige Vorredner, so sah auch er die Möglichkeit, über diese Plattformen gesetzliche Vergütungsansprüche und vertragliche Nutzungsentgelte gleichermaßen abzurechnen. Staats blieb bei der seit Jahren von der VG Wort verfolgten, im UrhWissG aber abgelehnten Linie, dass auch Schrankennutzungen einzelfallbezogen vergütet werden sollten.

Als Sprecher des Aktionsbündnisses Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft betonte Rainer Kuhlen, emeritierter Informationswissenschaftler der Universität Konstanz, dass eine Lizenzierungsplattform der Verbesserung der Nutzungsbedingungen in Bildung und Wissenschaft dienen müsse. Keinesfalls dürfe eine solche Plattform dazu führen, die durch gesetzliche Schrankenbestimmungen bereits gegebene Situation zu verschlechtern. Zudem müsse die Lizenzierungsplattform zu Symmetrien im Verhältnis von Autoren, Verlagen und nutzenden Institutionen führen. So sollten nicht nur Endnutzer, sondern auch Verlage ihre Nutzungsrechte von Autoren zu wissenschaftskonformen Konditionen über eine solche Plattform als in der Regel einfache Nutzungsrechte erwerben.

Aus Sicht der Naturwissenschaft sprach sich der Regensburger Neurogenetiker Björn Brembs gegen Lizenzierungsplattformen aus. Faktisch sei der Zugang zu Informationen bereits jetzt einfach gegeben und sei es bloß über (illegale) Schattenbibliotheken wie Sci-Hub. In einer gut nachvollziehbaren Fundamentalkritik bezeichnete er das aktuelle Publikationssystem als veraltet. Es sei im Wesentlichen eine Prestige-Ökonomie, bei der das Ansehen eines Journals mittlerweile mit Unverlässlichkeit korreliere. Überhaupt seien nicht die Publikationen, sondern die Sicherheit und Verfügbarkeit von Forschungsdaten in der Praxis das eigentliche Problem. So würden immer noch rund 75 % der Daten nur auf irgendwelchen Festplatten existieren. Noch problematischer sei das Teilen und Sichern von Quellcode bzw. Software. Aus alledem ergebe sich ein hoher Modernisierungsbedarf für die wissenschaftliche Informationsinfrastruktur. Eine Lizenzierungsplattform leiste dazu jedoch gar keinen Beitrag. Überhaupt seien die aktuellen Kosten des Publizierens unverhältnismäßig hoch. Verlage veranschlagten 5.000 $ Produktionskosten je Artikel, die tatsächliche Dienstleistung koste aber nur 216,35 $. Mit einer Umstellung auf Gold OA werde dieses Problem nicht gelöst, sondern eher verstärkt. Letztlich würden nicht Services bezahlt, sondern Prestige verkauft. Und dafür könne man bekanntlich verlangen, was man wolle. Brembs plädierte für ein System, in dem nicht Content, sondern nur Service bezahlt werde und bei dem der Dienstleister austauschbar sei. Insgesamt stehe für einen Umbau des Publikationssystems die enorme Summe von 9 Mrd. $ im Jahr, die derzeit für wissenschaftliche Publikationen verausgabt werden, zur Verfügung.

Auf die Probleme der Archive wies Andreas Weber vom Landesarchiv Baden-Württemberg hin. In Akten fänden sich oft geschützte Werke fremder Herkunft. Hier sei vielfach keine vernünftige Digitalisierung möglich. Die im Gesetz in § 60e Abs. 4 UrhG bzw. § 52b UrhG (a.F.) vorgesehene Terminalnutzung wurde als veraltet kritisiert. Lizenzmodelle unter Beteiligung von Verwertungsgesellschaften passten zudem nicht auf graue Literatur oder Fotos. Man könnte derzeit nur das Mittelalter online stellen, die letzten 70 bis 100 Jahre jedoch nicht. Damit lösche man unter Berufung auf das Urheberrecht die Urheber aus der kollektiven Erinnerung. Weber machte deutlich, dass gerade Archive mit einer Vielzahl von Materialien zu tun hätten, die über eine Lizenzierungsplattform schlechterdings nicht verwaltet werden könnten, weil es keine ansprechbaren Rechtsinhaber gebe.

Daniel Rupp vom Hochschulbibliothekszentrum NRW und Gerald Steilen von der Verbundzentrale des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes stellten mit LAS:eR und GOKb zwei Plattformen zum Nachweis und zur Lizenzierung von e-Ressourcen vor. Das Hauptproblem aller Plattformlösungen, vor allem solcher, die automatisiert einen einfachen Service bieten wollen, sei am Ende die Datenqualität auf der Anbieterseite. Mit diesem Problem werde auch die vom BMJV angestrebte Lizenzierungsplattform konfrontiert sein.

Abschließend ging die Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle, Anke Berghaus-Sprengel, die für den VDB gesprochen hat, noch einmal auf den hohen Dokumentations- und Abrechnungsaufwand ein, der bei Lizenzierungsplattformen droht. Vorzugswürdig seien daher Schrankenlösungen oder gleich Open Access.

4 Das weitere Vorgehen

Nach den Statements skizzierte Matthias Schmid vom BMJV das weitere Vorgehen. Die Auftaktveranstaltung in Bielefeld diene dazu, ein erstes Meinungsbild zu erhalten. Um aber einen wirklichen Dialog zwischen den einzelnen Interessengruppen zu ermöglichen, sollten nun die einzelnen Stakeholder zu sich einladen und ihre Sicht der Dinge, vor allem aber ihren konkreten Arbeitsalltag vorstellen, damit das gegenseitige Verständnis für die Standpunkte, Interessen und Probleme der jeweils anderen Seite gefördert werde und eine Diskussion über Lösungen, die möglichst vielen Bedürfnissen gerecht werden, in Gang komme. Zusammen mit der Auftaktveranstaltung solle dies die erste Phase des Dialogprozesses sein. In der anschließenden zweiten Phase werde ein Zielszenario modelliert werden, damit deutlich wird, auf welche konkreten Probleme in der Praxis die Lizenzierungsplattform eine Antwort sein soll. In einer dritten Phase würden dann Lösungsoptionen entwickelt, die in einer abschließenden vierten Phase bewertet, entschieden und umgesetzt werden sollen. Über den Stand des Dialogprozesses informiert das BMJV auf einer eigenen Webseite, auf der auch die Präsentationen der Auftaktveranstaltung zu finden sind.[10]

5 Fazit

Wie zu erwarten, wurden zu Beginn des Dialogprozesses mehr oder weniger nur die schon bekannten Standpunkte vorgetragen. Damit ist zunächst ein Ausgangspunkt gegeben, der im weiteren Verlauf des Dialoges hoffentlich produktiv in Bewegung gerät. Es scheint so, als ob alle Beteiligten sich langsam bewusst werden, dass die Herausforderungen des digitalen Wandels nur in einer gemeinsamen Anstrengung sinnvoll gestaltet werden können. Es muss sich zeigen, ob dieser Prozess am Ende auch dazu führt, dass die Debatte um eine Entfristung der neuen Bestimmungen des UrhWissG sachlicher und unaufgeregter verläuft als dies bei der Erarbeitung und Verabschiedung des Gesetzes der Fall war. Am Ende freilich könnte bei allen Beteiligten auch die Erkenntnis stehen, dass der Wandel in den Studier- und Publikationsgewohnheiten mittlerweile so tiefgreifend ist, dass Lizenzierungen digitaler Fassungen klassischer Verlagsprodukte über eine Lernplattform die tatsächlichen Bedürfnisse der Praxis verfehlen und damit sinnlos sind.

Published Online: 2018-11-29
Published in Print: 2018-12-01

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Heruntergeladen am 25.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bd-2019-0008/html
Button zum nach oben scrollen