Zusammenfassung:
Ob Führungskräfte ihre Mitarbeiter[1] coachen können oder sollten, wird kontrovers diskutiert. Viele sprechen sich dagegen aus. Zu groß sei der Rollenkonflikt der Führungskraft. Definiert man jedoch die in der Regel leistungsfördernde Mitarbeiterzufriedenheit als Führungsaufgabe, liegt der Coachinggedanke nicht mehr fern. Denn systemisches Coaching ist ein Ansatz zur Arbeit an und in Beziehungen. Und stimmt die Beziehungsebene in der Organisation, stellt sich zumeist auch Zufriedenheit ein.
Abstract:
In the discussion about whether or not managers could or should coach their employees, conflicting opinions are given and many speak out against it because they anticipate a manager’s conflict of interest. If, however, the definition of leadership includes the contentment of the employees which as a rule improves their efficiency, thinking of coaching comes naturally. Systemic coaching is an approach to working on and in relationships. When the relationship levels in an organisation are well balanced, contentment is not far away.
1 Coaching als Führungsinstrument
In der Literatur sowie in der Beratercommunity wird häufig die Auffassung vertreten, dass Führungskräfte nicht zugleich die Coachs ihrer Mitarbeiter sein können – zu sehr inhaltlich beteiligt, zu wenig objektiv, zu sehr interessiert an bestimmten Arbeitsergebnissen.[2] Zu deutlich sei das Machtgefälle und zu stark der Rollenkonflikt und die Abhängigkeit des Mitarbeiters.
Natürlich kann sich Führung, vor allen Dingen, wenn sie linear verstanden wird, auf professionelle Beziehungen zurückziehen, die durch emotionale Distanziertheit, Macht und Hierarchie gekennzeichnet sind. Aufmerksamkeit, Hinwendung sowie ein echtes Interesse am Mitarbeiter sind dann schwach ausgeprägt. In einem solchen Umfeld macht ein Coachingansatz in der Führung sicherlich keinen Sinn.
Geht man jedoch von einer anderen Prämisse aus, nämlich, dass Führung auch etwas mit Beziehungsgestaltung zu tun hat, in der es darum geht, andere Menschen in ihren beruflichen Begegnungen zu unterstützen und die Beziehung zu sich selbst sowie die Beziehungen im Team zu stärken, ist Coaching als Führungsaufgabe keineswegs abwegig. Coaching ist Arbeit an und in Beziehungen. Und Beziehungsarbeit ist bedeutender denn je.[3]
Etwa 80 % der verbalen und nonverbalen Interaktionen zwischen Menschen spielen sich auf der Beziehungsebene ab, während nur etwa 20 % auf der Sachebene angesiedelt sind. Die Unterscheidung von Sach- und Beziehungsebene geht auf den Kommunikationsforscher Paul Watzlawick zurück und wird häufig durch das so genannte Eisberg-Modell visualisiert, wobei 80 % des Eisbergs, nämlich die Anteile der Beziehungsebene, unter der Wasserlinie liegen und nicht sichtbar sind.[4] Das meiste, was wir kommunizieren, geschieht also auf der Beziehungsebene. Diese dominiert die Sachebene, nicht umgekehrt.[5]
Auf der Sachebene einer jeden Kommunikation ist ihr Inhalt verortet; es geht um Zahlen, Daten, Fakten. Der Beziehungsebene hingegen sind Botschaften zugeordnet, die Gefühle, Erwartungen, Ängste, Wertevorstellungen, Sympathien und Antipathien transportieren. Wird der Beziehungsebene keine hinreichende Beachtung geschenkt, kann es – so Watzlawick – zu Störungen in der Kommunikation kommen, die die Sachebene beeinträchtigen und sich erheblich auf die inhaltliche Arbeit auswirken können.[6]
Oder anders formuliert: Sind die Mitarbeiter unzufrieden, sinkt die Qualität ihrer Arbeitsergebnisse. Für die Mitarbeiterzufriedenheit jedoch ist die Erfüllung bestimmter, sozialer Grundbedürfnisse von zentraler Bedeutung. Insbesondere aktuellere neurowissenschaftliche Erkenntnisse[7] ermöglichen in diesem Zusammenhang einen Blick unter die Wasseroberfläche und beleuchten einige wesentliche Aspekte der Beziehungsebene. Neben dem Sicherheits- und dem Zugehörigkeitsgefühl innerhalb einer Gruppe gehören vor allen Dingen Autonomie sowie ein fairer Umgang miteinander zu den Kernbedürfnissen auf zwischenmenschlicher Ebene. Werden diese Grundbedürfnisse befriedigt, erleben Menschen ihr soziales Umfeld als bereichernd. Die Arbeitsatmosphäre wird als positiv wahrgenommen. Zufriedenheit stellt sich ein. Und mit der Zufriedenheit zumeist auch der Arbeitserfolg. Deshalb ist es für Führungskräfte so wichtig, intensiv an und in Beziehungen zu arbeiten. Coaching bietet hier vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten bei der Beziehungsgestaltung und Potentialentfaltung.
2 Coaching vs. Mitarbeiterbegleitung
Systemisches Coaching ist eine ressourcen- und lösungsorientierte Beratungsform, im Rahmen derer der Gecoachte dabei unterstützt wird, eigenständig umsetzbare Ziele und Problemlösungen zu entwickeln. Dies geschieht in der Regel im Spannungsfeld von Beruf, Organisation und Privatleben. Coaching versteht sich dabei als persönlicher Dialog, der beim Gecoachten Veränderungs- und Lösungsprozesse durch verbesserte (Selbst-)Wahrnehmung sowie durch (Wieder-) Entdecken der eigenen Ressourcen, Potentiale und Handlungsoptionen auslöst.
Die Rollenverteilung im Coachingprozess ist sehr klar. Für den dialogischen Prozess ist der Coach verantwortlich, während der Gecoachte die Verantwortung für sein Coachingergebnis trägt.
Coaching kann nicht verordnet werden, sondern beruht auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit, die den Rahmen für eine optimale Kompetenzentfaltung bietet. Im Falle des Mitarbeitercoachings spielt die Freiwilligkeit einmal mehr eine zentrale Rolle. Denn hier bestimmt ausschließlich der Mitarbeiter, ob er sich mit einem Problem oder einem Thema an die Führungskraft wenden und von dieser begleitet werden möchte. Das Coaching muss vom Mitarbeiter angeregt werden; nur er entscheidet über das Stattfinden. Coaching spielt sich ausschließlich „im Verhaltensraum des Mitarbeiters (…)“ ab – so Sonja Radatz – „es werden Punkte gelöst, die dem Mitarbeiter wichtig sind.“[8] Dabei spielt es keine Rolle, ob er ein Thema aus dem beruflichen oder privaten Alltag wählt, denn häufig lässt sich eine deutliche Abgrenzung nicht vornehmen.[9]
Coaching setzt eine vertrauensvolle und partnerschaftliche Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter voraus. In einem solchen Umfeld können durch Coaching neue Begegnungsräume generiert werden, die ein intensives, systemisches Arbeiten an und in Beziehungen ermöglichen. Coaching kann sich günstig auf das Sicherheitsempfinden des Mitarbeiters in seinem Rollen-, Arbeits- und Teamgefüge auswirken; zugleich wird das Autonomieerleben des Mitarbeiters gefördert, indem Selbstverantwortung (auch in der Lösungsfindung) und Kompetenzen gestärkt werden. Nicht nur, dass Coaching den Kern der zwischenmenschlichen Grundbedürfnisse bedient – Coaching wirkt damit ganz unmittelbar auf der (systemischen) Beziehungsebene.
Vom Coaching generell abzugrenzen ist die Mitarbeiterbegleitung. Hier ist es nicht der Mitarbeiter, der auf die Führungskraft zugeht, sondern die Führungskraft, die sich mit einem Thema an den Mitarbeiter wendet. In der Regel wird es um Ergebniserzielung im Arbeitskontext gehen, die vom Mitarbeiter zu erbringen und von der Führungskraft einzufordern und zu begleiten ist.[10] Auch diese Gespräche können mit Interventionsmethoden aus dem Coaching gestaltet werden. Ähnlich wie das Coaching wirkt die Mitarbeiterbegleitung beziehungs- und potentialfördernd. Lern- und Erkenntnisprozesse können in beiden Fällen initiiert werden.
3 Die systemisch-konstruktivistische Coachinghaltung
Der Ablauf eines Coachingprozesses hängt auch immer von der inneren Haltung des Coaches bzw. der Führungskraft ab. Die innere Haltung ist der Kern des Coachingangebotes.[11] Vorliegend wird ein wertschätzender und kompetenzorientierter Ansatz vertreten, dem das systemisch-kontruktivistische Verständnis zugrunde liegt.
3.1 Konstruktivistisches Verständnis
„Die Umwelt, die wir wahrnehmen, ist unsere Erfindung“[12] – kaum trefflicher lässt sich die Idee des Konstruktivismus[13] beschreiben. Verkürzt formuliert beschreibt der konstruktivistische Ansatz die Abkehr von der Erfahrbarkeit einer objektiven Realität.
Alles, was wir wahrnehmen – etwa durch hören, fühlen, riechen – erleben wir als Wirklichkeit, die genau genommen jedoch keine ist. Denn wir interpretieren unsere Wahrnehmung stets vor dem Hintergrund unserer persönlichen, wohltuenden oder konfliktreichen Erfahrungen und Erlebnisse, die auf unserer Lebenslandkarte verzeichnet sind. Die von uns erlebte Realität ist damit nichts weiter als eine Konstruktion, die auf dem Boden des stetig wachsenden Erfahrungshintergrundes fortwährend neu geschaffen wird. Rückt man also die Individualität innerer Erlebniswelten in den Fokus, wird es keine zwei Menschen geben, die die gleiche Wahrnehmung, das gleiche Erleben miteinander teilen. Eine gemeinsame Wirklichkeit existiert dann nicht; jeder ist und bleibt Schöpfer seines ganz persönlichen Erlebens.
Befragt man etwa Mitarbeiter, was diese unter „guten Arbeitsbedingungen“ verstehen, wird man hierauf vermutlich höchst unterschiedliche Antworten erhalten. Menschen bringen verschiedene Erfahrungen, Einstellungen und Werte mit und verfolgen unterschiedliche, persönliche Ziele. All diese Parameter beeinflussen die Bewertung der Frage und gleichsam die Ausformulierung der Antwort, die sich damit als höchst subjektiv und individuell erweist. Ja, selbst wenn die gleichen Begriffe gewählt würden – z. B. gutes Gehalt, Freiraum etc. –, hieße das nicht, dass auch dasselbe damit gemeint sei. Wahrnehmung, Sprach- und Begriffsverständnis der Menschen sind verschieden und dürfen es auch sein. Jede Erlebenswelt steht damit gleichberechtigt neben der anderen. Eine Bewertung nach den Kriterien „richtig“ oder „falsch“ ist dann obsolet.
Wenn wir davon ausgehen, dass jeder Mensch seine eigene Welt gestaltet und in der Beziehung zu sich selbst, aber auch in der Beziehung zu anderen immer wieder neu entwickelt, dann liegt die Annahme nahe, dass wir weder in der Lage sind, geschweige denn jemals in der Lage sein werden, diese komplexe Welt des jeweils anderen im Detail zu erfassen. Auf der anderen Seite wird es aber auch keinem gelingen, unsere Vorstellung von der Wirklichkeit in der notwendigen Tiefe zu verstehen. Der Zustand des gegenseitigen Unverständnisses führt häufig im zwischenmenschlichen Kontakt zu Demotivation und Frustration, insbesondere dann, wenn die gegenseitigen Erwartungen unerfüllt bleiben. Dieses Dilemma zeigt doch sehr deutlich, wie schwer es ist, die eigenen Verständnis- und Erwartungshorizonte für andere transparent und erfahrbar zu machen.
Genau genommen müssen wir Abstand nehmen von der Vorstellung, einen anderen Menschen von einer Vision, Idee oder Maßnahme überzeugen zu können, der für sich einen anderen, für ihn sinnvolleren Weg gewählt hat. Jeder Mensch trifft seine Entscheidungen stets auf der Basis seines eigenen Bezugsrahmens und Deutungshintergrundes. Denn Menschen fühlen, denken und handeln völlig autonom und zugleich in Abhängigkeit von ihrem Umfeld, folgt man dem kybernetischen Ansatz zweiter Ordnung.
3.2 Systemisches Verständnis – Kybernetik zweiter Ordnung
Im Allgemeinen befasst sich die Kybernetik[14] mit der Lenkung und Steuerung komplexer Systeme. Ein System kann gemeinhin als Gruppe von Elementen beschrieben werden, die durch wechselseitige Beziehungen miteinander verbunden sind und die sich durch eine deutlich sichtbare Grenze von ihrer Umwelt abheben. Jeder Mensch ist bereits für sich genommen ein komplexes System mit all seinen Verhaltensweisen, Kognitionen und Gefühlen. Daneben können bspw. Familien, Organisationen, Teams und Abteilungen als eigenständige, soziale Systeme verstanden werden.
Im Rahmen der „Systemlenkung“ wird zwischen der Kybernetik erster und zweiter Ordnung differenziert. Die Kybernetik erster Ordnung geht davon aus, dass ein System von außen zielgerichtet beeinflusst und manipuliert werden kann, um das gewünschte Verhalten zu erzielen. Man denke nur an das übliche Vorgehen von Unternehmensberatungsgesellschaften, die in ihren Konzepten zur Organisationsentwicklung in der Regel sehr deutliche Entwicklungsmaßnahmen anweisen, die es zu befolgen gilt. Der das System bewertende Berater greift also aktiv von außen in das System ein und gestaltet dieses. Dem Berater kommt somit eine Art Expertenstatus gegenüber dem zu beratenden System zu.
Im täglichen Kontakt mit Menschen lässt sich jedoch häufig beobachten, dass Vorgaben oder andere gut gemeinte Ratschläge ein Unbehagen auslösen, das in eine stille oder deutlich ausformulierte Ablehnungshaltung münden kann. Der Coach und Supervisor Heinrich Fallner hat in diesem Kontext den Begriff der „aufgedrängten Orientierung“ geprägt, die von vielen Menschen als unangenehm empfunden wird. Wie sollte es auch anders sein. Ratgeber und Ratnehmer verfügen nicht über denselben Erfahrungs- und Denkrahmen (konstruktivistisches Verständnis). Dieser unbefriedigende Zustand führt uns zu einem weiteren Ansatz, nämlich zur Kybernetik zweiter Ordnung.
Die Kybernetik zweiter Ordnung knüpft an die Idee des Konstruktivismus an und befasst sich mehr mit den zwischenmenschlichen Interaktionen in einem System. Kerngedanke ist, dass jeder, der ein System von außen bewertet, immer auch Bestandteil des bewerteten Systems ist. Denn alles, was wir denken, äußern oder tun, vollzieht sich nicht losgelöst, sondern hat stets systemische Resonanz. Wir sagen etwas und ein anderer reagiert hierauf, was wiederum Einfluss auf unser Verhalten hat. Alles ist wechselseitig miteinander verbunden und wirkt auf uns zurück. Hiervon ausgehend genügt es nicht mehr, darüber zu lamentieren, dass dieses oder jenes nicht funktioniert, um sodann Maßnahmen zu ergreifen, die quasi von außen auf das System einwirken, wie es in der betrieblichen Praxis oft üblich ist (Kybernetik erster Ordnung). Unser Verhalten ist immer mitentscheidend. Denn jeder beklagenswerte Systemzustand (fehlender Teamzusammenhalt, untätige Kollegen und Mitarbeiter etc.), ist von uns selbst (mit-) gestaltet worden, da wir immer und jederzeit systemimmanent sind und handeln.
Ganz auf der Linie des Konstruktivismus führt dieser Ansatz zu einer erhöhten Eigenverantwortung des Einzelnen. Denn er erfordert die Bereitschaft, wach auf das eigene Verhalten zu schauen, sich dessen Wirkung bewusst zu machen; sich immer wieder mit den eigenen Wahrnehmungs- und Verhaltensprozessen auseinander zu setzen und diese differenziert zu betrachten; zudem die Bereitschaft, die eigenen Trigger und Projektionen mit ihren emotionalen, kognitiven und intuitiven Anteilen zu erkennen und nach Möglichkeit zu integrieren. Und er erfordert die Bereitschaft, die eigene Wahrnehmung als nur eine von vielen zu akzeptieren sowie Zurückhaltung zu üben mit gut gemeinten Ratschlägen. Denn zumeist wissen wir nicht wirklich, was für den anderen gut ist.
3.3 Kompetenzaktivierendes Verständnis
Aus dem Konstruktivismus sowie aus der Kybernetik zweiter Ordnung lässt sich ableiten, dass jeder Mensch für sein selbst konstruiertes Erleben verantwortlich ist und gleichsam die Verantwortung für sein Verhalten trägt. „Wenn ich selbst der einzige bin, der entscheidet, wie ich handle, dann bin ich auch für meine Handlungen verantwortlich“, so Heinz von Förster. Eines der „populärsten Spiele, die man heute spielt (…)“ besteht darin, „jemand anderen für meine Handlungen verantwortlich zu machen.“[15]
Die theoretischen Ansätze verdeutlichen aber auch, dass jeder Mensch die Freiheit sowie die Möglichkeit hat, in seiner eigenen Wirklichkeit für Veränderung zu sorgen. Er ist Experte für seine eigene Realität und damit auch Experte für seine eigenen Probleme und Konflikte.
Aus konstruktivistischer Sicht sind auch intrapersonelle sowie interpersonelle Probleme oder Konflikte nichts anderes als selbst gestaltete Wahrnehmungsprozesse, die der jeweilige Betroffene als Problem oder Konflikt erlebt. Wenn aber das „Problem“ ein Ausdruck selbstgemachten Erlebens ist, dann muss das auch für das Lösungserleben gelten. Hieraus gestaltet sich der kompetenzorientierte Ansatz: Jeder Mensch und jedes System, das von Menschen gebildet wird, verfügt über alle Potentiale und Kompetenzen, die er/es zur Lösung seines eigenen Problems benötigt. Und generell hat der Mensch mehr Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten, als ihm bewusst ist. Er trägt die Lösung buchstäblich in sich.
3.4 Wertschätzendes Verständnis
Probleme und Konflikte intrapersoneller oder interpersoneller Natur sind immer auch Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse, die sich aus bestimmten Denk- und Glaubensmustern speisen: Zugehörigkeit, Sicherheit, Autonomie, Orientierung, Partizipation sowie eine Rollen- und Aufgabenklarheit sind Bedürfnisse, die in systemischen Arbeitskontexten vorkommen können.
Daher kann es nicht um das „Wegmachen“ eines Problems gehen, sondern in erster Linie um die wohlwollende Anerkennung der dahinter liegenden Wünsche und Anliegen. Hierfür gilt es, den Menschen ohne Vorbedingung in seinem Fühlen und Erleben anzunehmen, d. h., die individuelle Erlebniswelt vorbehaltlos zu akzeptieren, aber auch seine bisherigen Problemlösungsversuche respektvoll zu würdigen. Das bedingt ein einfühlsames Verstehen (Zuhören und Raum schenken) sowie die Fähigkeit, diese Empathie auch zu kommunizieren.
4 Interventionsmethoden
Kompetenzaktivierendes oder lösungsfokussiertes Arbeiten hat zum Ziel, den Mitarbeiter dabei zu unterstützen, eigenständig umsetzbare Perspektiven und Ziele zu formulieren. Der Mitarbeiter soll ermutigt werden, selbst Antworten auf seine Fragen zu finden. Hierbei wird nicht das Problem in den Mittelpunkt gerückt, sondern das Lösungserleben. Das erfolgt – wie es Gunther Schmidt formuliert – durch „Fokussierung von Aufmerksamkeit“ auf das Lösungserleben.[16] Da die Welt nicht so ist, wie sie ist, sondern wie wir sie subjektiv wahrnehmen, können wir jederzeit eine andere Perspektive einnehmen und so ein Lösungserleben ermöglichen. Erreicht werden kann dies mithilfe verschiedener Methoden:
1. Die Methode des aktiven Zuhörens geht auf Carl R. Rogers zurück, dem Begründer der klientenzentrierten Gesprächsführung. Aktives Zuhören ist eine Begegnungsform, im Rahmen derer dem Gegenüber eine ungeteilte Aufmerksamkeit, ein aufrichtiges Interesse sowie bedingungslose Akzeptanz und Einfühlung entgegengebracht wird. Das geschieht im Wesentlichen durch aufmerksames Zuhören. Die Anliegen, Wünsche und Bedürfnisse des Gegenübers werden wahrgenommen und gespiegelt, System- oder Verständnisfragen werden gestellt. Nicht zuletzt wird das Gehörte immer wieder mit eigenen Worten wiedergegeben (Paraphrasierung). Hierdurch erfährt derjenige, dem einfühlsam zugehört wird, positive Beachtung und Akzeptanz seiner Person. Auf der Beziehungsebene führt das aktive Zuhören zum Aufbau eines gegenseitigen Vertrauens; auf der semantischen Ebene erfolgt durch Nachfragen und Paraphrasieren eine Klärung des Grundanliegens.
2. Systemische Fragen, die im Wesentlichen in der systemtherapeutischen Praxis entwickelt wurden, dienen der Aufdeckung von Prozessen in Beziehungssystemen sowie der Irritation etablierter Kommunikations-, Interaktions- und Denkmuster, die zu Konflikten innerhalb eines Systems führen. Durch systemische Fragen wird der Befragte eingeladen, sich und andere in Beziehung zueinander zu setzen und systemische Bezüge herzustellen. Der Perspektivenwechsel innerhalb des Systems wird ermöglicht, unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen werden transparent gemacht und Ideen für neue Deutungsmuster und Handlungsoptionen generiert. Nicht zuletzt wird der Blick auf vorhandene Ressourcen und Kompetenzen gelenkt und zur Lösungsfindung ermutigt. Generell sollen systemische Fragen zum Denken anregen. Deshalb handelt es sich grundsätzlich um offene Fragen, die auf die Zukunft, auf die Lösung, auf die Verbesserung, auf das konkrete Verhalten etc. fokussiert sind.
3. Mithilfe der Umdeutung (engl. refraiming), die von der Familientherapeutin Virginia Satir entwickelt wurde, kann eine alternative Interpretation der Wirklichkeit erzeugt werden. Individuelle menschliche Denkmuster vollziehen sich in der Regel in einem Kontext (Rahmen), der festlegt, wie eine konkrete Situation interpretiert bzw. erlebt wird. Ist das „Glas halb voll“, liegt ein eher positiver Rahmen vor; ist es „halb leer“, scheint ein eher negativer Rahmen durch. Durch Umdeutung wird der Situation eine andere Bedeutung zugewiesen, indem sie in einem anderen Kontext betrachtet wird. Bereits die Umdeutung eines Erlebens kann eine wirkungsvolle Intervention sein. Zu den Klassikern gehört etwa die Umdeutung eines als negativ wahrgenommenen Erlebens („Mein Kollege nervt. Der kommt ständig in mein Büro“) in eine positive Betrachtung („Ihr Kollege wünscht sich also Kontakt zu Ihnen“).
5 Coaching lernen
„Die Entwicklung des Selbst (ist) die einzig sinnvolle Möglichkeit, um ein erfolgreicher Berater zu werden“[17] – so Edwin Nevis. Sich zu entwickeln, bedeutet zu lernen, in Bewegung zu sein und seine Fähigkeiten und Fertigkeiten ständig zu erweitern. Sicherlich spielt in diesem Kontext die eigene methodische, sozial-kommunikative sowie systemische Wissens- und Kompetenzentfaltung eine wesentliche Rolle. In erster Linie geht es jedoch um das Haltungslernen. Haltung hat viel mit Präsenz- und Kontaktfähigkeit zu tun. „Das umfasst den Selbstkontakt, den Kontakt zum Gegenüber, den Kontakt zum Thema und den Kontakt zur Atmosphäre.“[18] Die Arbeit an der eigenen Haltung erfordert im Wesentlichen die Ausbildung der Selbstreflexion. Wach auf das eigene Verhalten zu blicken sowie die eigenen Denk,- Glaubens- und Handlungsmuster einschließlich ihrer Auswirkungen aufmerksam zu hinterfragen, sind wichtige Aspekte der Selbstreflexion.
Im täglichen Umgang mit unseren Mitarbeitern merken wir jedoch rasch, dass die Entwicklung der eigenen Präsenz- und Kontaktfähigkeit eine der größten Herausforderungen darstellt. Wie schnell erleben wir im Dialog den Rückfall in alte Denk- und Verhaltensmuster, in alte Prägungen. Das zu bemerken und achtsam wahrzunehmen, ist das eine; das andere ist, zu lernen, mit sich und seinen „Verhaltensfehlern“ verzeihlich umzugehen. Denn mit der wertschätzenden Haltung, mit der wir unseren Mitarbeitern begegnen möchten, sollten wir uns auch selbst begegnen und akzeptieren, dass wir alle – Mitarbeiter und Führungskräfte – Lernende sind.
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Dr. Katja Bartlakowski
Hochschule Osnabrück, Barbarastraße 22, 49076 Osnabrück
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