Startseite Jüdische Studien Matthias Bauer, Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Handbuch Literatur und Film. Berlin, Boston: de Gruyter, 2024. ISBN: 978-3-11-055524-0
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Matthias Bauer, Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Handbuch Literatur und Film. Berlin, Boston: de Gruyter, 2024. ISBN: 978-3-11-055524-0

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Veröffentlicht/Copyright: 22. September 2025
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Matthias Bauer, Stefan Keppler-Tasaki (Hg.). Handbuch Literatur und Film. Berlin, Boston: De Gruyter, 2024. ISBN: 978-3-11-055524-0


Die Beziehung zwischen Literatur und Film ist äußerst dynamisch und komplex: Während die Literatur auf eine jahrtausendealte Geschichte zurückblickt, ist der Film noch keine 150 Jahre alt. Literatur wird häufig als anspruchsvoll und hermetisch, Film eher als populär und leicht zugänglich wahrgenommen. Während Literatur meist als Einzelleistung entsteht, ist die Filmproduktion in der Regel ein kollektiver Prozess. Trotz dieser offensichtlichen Unterschiede beeinflussen sich beide Medien gegenseitig stark, und auch andere Künste können bei der Betrachtung dieses Verhältnisses nicht außer Acht gelassen werden. Gerade der Film ist ein hybrides Medium par excellence, das verschiedene Künste integrieren kann und auf den steten Austausch mit anderen Disziplinen angewiesen ist.

Die bei de Gruyter erscheinende Reihe Handbücher zur kulturwissenschaftlichen Philologie, die diverse interdisziplinäre Arbeitsfelder der Literaturwissenschaft abbildet, hat mit diesem 2024 erschienenen Band 12 eine wichtige und umfangreiche Ergänzung zum Themenschwerpunkt Literatur und Film erhalten. Das Handbuch, herausgegeben von den Literaturwissenschaftlern Matthias Bauer (Europa-Universität Flensburg) und Stefan Keppler-Tasaki (Universität Tokyo), bietet einen Überblick über das vielschichtige Verhältnis der beiden Erzählmedien, die nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden können. Eine präzise Bestimmung der Beziehung von Literatur und Film ist daher kaum möglich, vielmehr kann der Anspruch des Bandes als Versuch beschrieben werden, die intensiven Einflussnahmen aufeinander und die kreativen Übernahmen von Literatur und Film in ihren theoretischen und historischen Dimensionen zu beleuchten.

Unterteilt ist das Handbuch in drei inhaltliche Abschnitte: Den Teil „Theoretische Perspektiven“ eröffnet Matthias Bauer mit einer Überblicksdarstellung der themenbezogenen theoretischen Ansätze und ihrer historischen Entwicklungslinien. Ausgehend von der sogenannten Kinodebatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts über den Status und die kulturelle Bedeutung des Films als neues Massenmedium, das die Monopolstellung der Literatur in Bedrängnis brachte, widmet er sich den verschiedenen Theorieschulen, an denen die Problematiken und Fragestellungen zum Verhältnis von Literatur und Film nicht vorbeigegangen sind. Die weiteren Artikel vertiefen diesen thematischen Schwerpunkt, wie etwa Martin Nies’ Beitrag zur strukturalistisch-semiotischen Methode in der Literatur- und Medienanalyse oder Irina O. Rajewskys Untersuchung, die u. a. die Bedeutung des Forschungszusammenhangs von Literatur und Film für die Etablierung der Inter- und Transmedialitätsforschung seit den 1980er Jahren herausarbeitet.

Die Beiträge des folgenden Teils („Problematisierungen und Forschungsfragen“) befassen sich mit Forschungsfeldern wie dem Verhältnis von Film und Schrift, Literaturverfilmungen oder dem literaturhistorischen Film. Jörn Glasenapp greift in seinem Artikel zum Autorenfilm etwa die Entwicklungen und Diskussionen zum Begriff der Autorschaft in der Literatur- und Filmwissenschaft auf. Stefan Keppler-Tasaki beschreibt, wie das Medium Film in Tagebüchern, Briefen, Gedichten und Romanen literarisch verarbeitet und reflektiert wurde und skizziert in einem zweiten Teil seines Beitrags die literarische Kinopublizistik im Feuilleton u. a. im Rahmen der „Kinodebatte“. Interessant sind dabei die Fragen rund um die Skandalisierung und Zensur von Filmen und die Beteiligung von Schriftsteller:innen an diesen Diskursen. Joseph Roth prägte beispielsweise das deutschsprachige Filmfeuilleton maßgeblich, wobei er auch seine moralisch-ästhetischen Vorbehalte gegenüber dem Film immer wieder zum Ausdruck brachte; so sprach er sich zum Beispiel gegen das Zeigen von Todesszenen aus.

Der letzte Teil des Handbuchs ergänzt die vorangegangenen Beiträge mit Untersuchungen zu spezifischen „Historische[n] Konstellationen“ von Literatur und Film – vom Precinema über den Stummfilm, den Tonfilm und das Fernsehen im geteilten Deutschland bis zum Post-Cinema und den Folgen der Digitalisierung und neuer Rezeptionsformen. Diese kulturhistorische Rahmung des Verhältnisses von Literatur und Film wird in den vorangegangenen Teilen bereits angerissen, bekommt hier aber mehr Raum und wird chronologisch behandelt, was die Orientierung erleichtert. Der letzte Beitrag – „Post-Cinema, Fernsehserie und digitale Medienkultur” von Christoph Ernst – entlässt die Lesenden mit aktuelleren Fragen über Rezeptionsformen von Film und Literatur. Die „Explosion des Kinos”, wie Francesco Casetti die Fragmentierung und Hybridisierung des Films durch die Digitalisierung beschreibt und die Ernst für seinen Text konzeptuell aufgreift, wird praxisnah beleuchtet, in einen breiteren medienkulturellen und gesellschaftlichen Kontext eingeordnet sowie mit den seit den 1990er Jahren in der Literaturwissenschaft stattfindenden Debatten um die Transformation der Schrift und des Buches in das Medium nichtlinearer Hypertexte verknüpft. Ernst zeigt, wie diese durch die Digitalisierung ausgelösten Phänomene, ähnliche Prinzipien sowohl in Literatur als auch Film sichtbar machen, vergleichbare Debatten anregen und tradierte Rezeptionsmuster aufbrechen.

Zusätzlich haben die Herausgeber ein nützliches Glossar zusammengestellt, das auf wichtige Begriffe des Forschungsfeldes – von Autorenfilm bis Remediation – näher eingeht und damit die Erwartungen an ein Handbuch einlöst. Zudem gibt es ein Personen- und Sachregister. An dieser Stelle wäre auch ein Film- bzw. Literatur-Register wünschenswert gewesen, da die Autor:innen ihre Analysen mitunter durch sehr interessante Beispiele – wie bspw. Jaimy Fishers Ausführungen zur transmedialen und transnationalen Geschichte des Dracula- bzw. Nosferatu-Stoffes und dessen Bedeutung für die Etablierung des Horror-Genres – anreichern.

Die zahlreichen Beiträge eröffnen interdisziplinäre Perspektiven auf die oben beschriebene komplexe, dynamische Beziehung zwischen Literatur und Film. Sie beschränken sich maßgeblich auf den deutschsprachigen, europäischen und angloamerikanischen Raum, wobei in einigen Artikeln transnationale, interkulturelle und auch postkoloniale Ansätze stark gemacht werden. Insgesamt geht der Anspruch der Herausgeber auf, einen Akzent sowohl auf die Medienkonkurrenz und damit auch die kontrastive Profilierung von Literatur und Film zu legen, andererseits aber auch die Analysemethoden und -kategorien auszuleuchten, die es ermöglichen, Gemeinsam- und Vergleichbarkeiten sowie intermediale Phänomene zu untersuchen. Den Herausgebern ist ein breit aufgestelltes und zur Vertiefung einladendes Kompendium zum Themenschwerpunkt gelungen, das Anregungen für weitere Forschungen und Debatten bietet. Wer sich mit dem Verhältnis von Film und Literatur beschäftigen möchte, wird es mit Gewinn lesen.

Online erschienen: 2025-09-22
Erschienen im Druck: 2025-11-11

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Frontmatter
  3. Teil 1: Literatur im Film – Film in der Literatur. Visuell-textuelle Verhandlungen jüdischer Topoi und Narrative / Literature in Film – Film in Literature. Visual-Textual Negotiations of Jewish Topoi and Narratives
  4. Einleitung
  5. Literaturverfilmungen / Literary (Film-)Adaptions
  6. „Damals war dies alles noch nicht geschehen“
  7. „Mein Retter, mein Geliebter, mein Vergewaltiger ...“
  8. Jüdische Fluchtbewegungen
  9. Film in der Literatur / Film in Literature
  10. „Wenn man die große Kunst in den Film bringen könnte!“
  11. Der reliterarisierte Film: Paul Wegeners ‚Erfindung‘ des Golem
  12. Fritz Kortner, Maria Matray und Carl Zuckmayer: Verflochtene Autobiographien und Exilgeschichten
  13. Kino als Medium, Metapher und Methode der Erinnerung.
  14. Literatur im Film / Literature in Film
  15. Dance, Girl, Dance: Vicki Baum, Dorothy Arzner and Hollywood Cinema
  16. Marktplatz der Sensationen (des Egon Erwin Kisch).
  17. Die filmische Darstellung historischer Zeugenschaft: Konrad Weiß’ und Walther Petris dokumentarischer Film Dawids Tagebuch
  18. Die Leinwand durch den Text betreten.
  19. Teil 2: Else Lasker-Schüler Lecture
  20. Welcome Words
  21. Else Lasker-Schüler, Leah Goldberg and Zelda:
  22. Mich führte in die Wolke mein Geschick ...” – Else Lasker-Schüler in ‘The City with no Horizon’
  23. From Erotic Projection to Morbid Reflection: Else Lasker-Schüler’s Poetic Transformations of Jerusalem
  24. Rezensionen
  25. Matthias Bauer, Stefan Keppler-Tasaki (Hg.): Handbuch Literatur und Film. Berlin, Boston: de Gruyter, 2024. ISBN: 978-3-11-055524-0
  26. Thomas Sparr: „Ich will fortleben, auch nach meinem Tod“. Die Biographie des Tagebuchs der Anne Frank. Frankfurt/Main: Fischer, 2023. ISBN: 978-3-10-397545-1
  27. Gerald Richter, Marian Kretschmer. Die sieben Leben des Stefan Heym (Graphic Novel). München: C. Bertelsmann, 2024. ISBN: 978-3-570-10471-2
  28. Autorinnen und Autoren / About the Authors
Heruntergeladen am 19.12.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/yejls-2025-0017/html
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