Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
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Bearbeitet von:
Johannes Hürter
und Agnes Bresselau von Bressensdorf -
Herausgegeben von:
Institut für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte
, Isabel Heinemann , Jörn Leonhard , Stefanie Middendorf , Margit Szöllösi-Janze und Andreas Wirsching
Handlich, lesbar und stets am Puls der Forschung: Im Programm der Schriftenreihe spiegelt sich seit über 50 Jahren das gesamte Spektrum der Zeitgeschichte. Zwei Bände im Jahr, schlank im Format, Qualitätssicherung durch Peer Reviews. Die Reihe kann kostengünstig im Abonnement bezogen werden (€ 34,80 zzgl. Versandkosten).
Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin herausgegeben von Isabel Heinemann, Jörn Leonhard, Stefanie Middendorf, Margit Szöllösi-Janze, Andreas Wirsching
Redaktion: Agnes Bresselau von Bressensdorf, Johannes Hürter
Fachgebiete
Mitte der 1970er Jahre waren Migrant*innen ein fester Bestandteil der westdeutschen Gesellschaft. Gleichwohl waren deren politische Partizipationsmöglichkeiten hart umstritten. Politik und Gesellschaft rangen um die Frage, ob die Bundesrepublik ein Einwanderungsland sei. In den Auseinandersetzungen um die Integration und Partizipation von Migrant*innen übernahm München eine Pionierrolle. Als eine der ersten verabschiedete die Stadt 1974 ein „Ausländerprogramm" und richtete einen Ausländerbeirat ein, der die Interessen migrantischer Einwohner*innen und ihre Forderung nach sozialer und politischer Teilhabe vertreten sollte. An der Schnittstelle zwischen Migrations- und Stadtgeschichte zeigt Grazia Prontera die Möglichkeiten und Grenzen dieses Gremiums in den mühsamen Aushandlungsprozessen zwischen Bund, Land und Kommune, die von programmatischen Innovationen ebenso geprägt waren wie von bürokratischen Zuständigkeitsfragen und parteitaktischen Erwägungen.
Der „Palandt", ein erstmals 1939 erschienener Kurzkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, und der „Schönfelder", eine ab 1932 publizierte Gesetzessammlung, begleiteten Generationen deutscher Juristen und Juristinnen. Doch wer waren die Namensgeber dieser beiden Standardwerke? Für welches Rechtsdenken und juristisches Selbstverständnis standen Otto Palandt (1877–1951) und Heinrich Schönfelder (1902–1944)? Wie verhielten sie sich zum NS-Staat, der Recht und Justiz pervertierte? Auf breiter Quellenbasis zeigt Lutz Kreller in seiner Studie, dass sich Palandt und Schönfelder aus Überzeugung in den Nationalsozialismus integrierten. An diesen beiden Biografien wird exemplarisch deutlich, wie leicht die Prinzipien der Unabhängigkeit von Recht und Justiz sowie die Gewaltenteilung 1933 zerstört und durch ein nationalsozialistisches Weltanschauungsrecht ersetzt werden konnten.
Die Geschichte des 20. Jahrhunderts kann nicht geschrieben werden, ohne Einfluss und Macht des Kommunismus angemessen zu berücksichtigen. Relevanz gewinnt das Thema insbesondere aus seinem von Beginn an spürbaren, strukturellen Theorie-Praxis-Problem. Denn die Ideologie des Marxismus-Leninismus erzeugte zwar ein klares dichotomisches Weltbild; wie weit jedoch dessen Bedeutung faktisch reichte, ist eine weiterhin offene Frage. Zwischen universalem Anspruch und lokaler bzw. sozialer Partikularität bestanden stets große Spannungen, die es empirisch aufzugreifen gilt. In welchem Verhältnis zueinander standen die kommunistische Ideologie und Propaganda, die Moskauer Zentrale und die soziale Praxis der Kommunisten in ihrem jeweiligen Umfeld? Worin gründete die Faszination des Kommunismus und über welche Handlungsautonomien verfügten seine Akteure? Trotz einer immensen Forschung zeugen solche Fragen von weiterhin bestehender Unsicherheit des Urteils. Der Kommunismus begann als Kopfgeburt, als philosophisch-ideologische Konstruktion, und suchte erst dann seine Praxis. Der vorliegende Band, der teilweise auf frühere Aufsätze des Autors zurückgreift, untersucht dieses Feld an ausgewählten, vergleichenden Beispielen.
Das Buch erzählt die Geschichte des deutschen Juristen Helmut Schneider (1910–1968). Der NS-Gegner wird leitender Mitarbeiter im Personalbereich der IG Farben, die 1941–1945 in unmittelbarer Nachbarschaft zum KZ Auschwitz mit Hilfe von Tausenden jüdischer Häftlinge und Zwangsarbeitern ein großes Chemiewerk aufbaute. Er ist in dieser Funktion ein indirekter Mitorganisator des Systems der Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen und damit der „Vernichtung durch Arbeit" in diesem Lager. Zugleich wird er zum Beschützer einer großen Gruppe französischer Zwangsarbeiter, deren Aktivitäten für die Résistance er unterstützt und die er im Januar 1945 auf dem gefährlichen Marsch nach Westen begleitet. Das trägt ihm in Frankreich den Titel des „anti-nazi assesseur Schneider" ein. Mit den jungen Franzosen schließt er eine lebenslange Freundschaft, die u. a. zu einer deutsch-französischen Städtepartnerschaft führt. Nach seiner Zeugenaussage im Nürnberger Prozess gegen die IG Farben, einem langwierigen Entnazifizierungsverfahren und einem Strafprozess wird er 1949 Oberstadtdirektor von Goslar, Verfasser politisch-philosophischer Texte und Briefpartner und Freund von Ernst Jünger. Schneiders Biografie zeigt exemplarisch, wie sich in einem durch den Nationalsozialismus belasteten Leben Opposition, Mittäterschaft und Verdrängung miteinander verknüpften.
Die Lebenssituationen homosexueller Menschen in Deutschland und Europa wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Widersprüchen geprägt: Während die staatliche Strafverfolgung weitgehend endete, erwiesen sich gesellschaftliche Diskriminierungen als deutlich langlebiger, bevor sie schließlich emanzipativen Entwicklungen Raum geben mussten. Ausgehend von den Nachwirkungen der NS-Homosexuellenverfolgung in den Nachkriegsgesellschaften der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und Österreichs, betrachtet dieser Band die Vielfalt von Repressionen nach 1945. Die thematische Breite reicht von der Ausgrenzung innerhalb der Kommunistischen Partei über die Kriminalisierung homosexueller Handlungen im Strafrecht und antilesbische Ausrichtungen im Familienrecht bis hin zur homophoben Diskriminierung innerhalb der Bundeswehr. Untersucht werden auch die Rolle der Kirchen als Seismographen sexueller Ausgrenzung oder Liberalisierung sowie die emanzipativen Trends in den Transformationszeiten des späten 20. Jahrhunderts einschließlich ihrer Begrenzungen durch neue Formen mehrheitsgesellschaftlicher Anpassung und Normalisierung.
Die Studie untersucht die diskursiven Kämpfe um die Anerkennung des NS-Völkermords an Sinti und Roma in der Bundesrepublik bis 1990. Dabei wird unter Anerkennung zweierlei verstanden: die Akzeptanz der Verbände der Sinti und Roma als legitime Gesprächspartner der Bundesregierung sowie die Bewertung der „NS-Zigeunerverfolgung‟ als „rassisch‟ motiviertes Verbrechen in Politik und Wissenschaft. Auf der Grundlage umfassenden Quellenmaterials von Bundesbehörden und politischen wie zivilgesellschaftlichen Akteuren entsteht eine Diskursgeschichte dieses langwierigen Anerkennungsprozesses. Sie zeigt, dass bis tief in die 1960er Jahre hinein ein durch und durch rassistisches Bild der nationalsozialistischen Politik gegen Sinti und Roma vorherrschte. Dieser Denkstil, der von traditionellen Vorurteilen über „Zigeunerkriminalität‟ geprägt war, geriet in den 1970er Jahren mit der Rezeption von internationalen Forschungsarbeiten immer stärker unter Druck. Doch erst in den 1980er Jahren begann mit der Anerkennung der Sinti und Roma als Gesprächspartner durch Bundeskanzler Helmut Schmidt auch die Erforschung des NS-Massenverbrechens.
Lange Zeit waren kroatische Nationalisten, unter ihnen Anhänger des faschistischen Ustaša-Regimes, eine der aktivsten Exilgruppen in der Bundesrepublik Deutschland. Global eng vernetzt und untereinander zum Teil spinnefeind, einte sie der Kampf gegen das sozialistische Jugoslawien, den manche Akteure auch mit politischer Gewalt austrugen. Vor allem jugoslawische Repräsentanten und Infrastrukturen, aber auch jugoslawische Arbeitsmigranten wurden immer wieder zum Ziel von Anschlägen. Wer waren die kroatischen Exilanten? Wie wurden ihre Aktivitäten in der Bundesrepublik diskutiert? Und welche Konsequenzen hatte dies für ihre Beobachtung und Verfolgung durch die Sicherheitsbehörden? Fragen wie diesen geht Matthias Thaden in seinem Buch nach. Er kann aufzeigen, wie das von Exilkroaten und von den „Gegenmaßnahmen‟ des jugoslawischen Geheimdienstes ausgehende Gefahrenpotenzial zum Kompetenzausbau von Polizei und Verfassungsschutz herangezogen wurde. Die Verbindung von migrations- und sicherheitspolitischen Fragestellungen hat daher eine weitaus längere Geschichte als häufig angenommen. Das Buch stellt deswegen auch eine Intervention in aktuelle Debatten dar und ist ein Plädoyer für mehr historische Tiefenschärfe.
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 war das Gründungsdokument für die Berliner Republik, mit dem das vereinigte Deutschland seine volle Souveränität zurückerhielt. Die dort gefundenen Regelungen betrafen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Deutschlands und Europas. Der Band widmet sich daher zunächst vor dem Hintergrund des Abschieds vom Kalten Krieg den internationalen Voraussetzungen für die deutsche Einheit. Es geht zudem um den Umgang mit den 1989/90 wieder zutage getretenen Hypotheken der Vergangenheit, wie der Reparations- und Entschädigungsproblematik sowie der deutsch-polnischen Grenzfrage. Angesichts der beendeten Ost-West-Konfrontation stellte sich überdies die Frage nach neuen Ordnungsentwürfen für Europa: Thematisiert werden die Rolle der KSZE als gesamteuropäischer Organisation, Abrüstung und Auflösung der Militärallianzen als Element zur dauerhaften Stärkung der internationalen Ordnung sowie die Renaissance der Nationalstaaten in Ostmitteleuropa und deren gleichzeitiges Streben in die Europäische Gemeinschaft. Ob das vereinigte Deutschland aus Sicht der ehemaligen vier Siegermächte der Spagat zwischen seiner neuen Führungsrolle und dem Verzicht auf Vormachtstreben gelang, wird abschließend erörtert.
Der Band vereinigt zwölf Beiträge des am 4. März 2019 ebenso früh wie unerwartet verstorbenen Historikers Jürgen Zarusky. Darunter befinden sich mehrere bislang unveröffentlichte Manuskripte. Die Texte spiegeln die zentralen wissenschaftlichen und politischen Themenfelder, mit denen sich der Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte auseinandergesetzt hat: politische Justiz, nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft sowie Widerstand und Verfolgung. Als maßgebliches methodisches Instrumentarium dient dabei der Diktaturvergleich. Quer dazu liegt mit der Erinnerungspolitik eine weitere Thematik, die für Jürgen Zarusky stets von großer Bedeutung war, betrachtete er den Beruf des Zeithistorikers doch auch als politische Profession. Andreas Wirsching leitet den Band mit einer Würdigung der wissenschaftlichen Persönlichkeit Jürgen Zaruskys ein.
Eugen Kogon (1903–1987) drückte als Publizist und Politikwissenschaftler der jungen Bundesrepublik seinen unverwechselbaren Stempel auf. Er schrieb das erste Buch über die deutschen Konzentrationslager und damit einen Bestseller internationalen Rangs. Schon früh beteiligte er sich an der Gründung der deutschen Politikwissenschaften und prägte als Lehrstuhlinhaber ganze Generationen von Studierenden. Die Deutschen nannten ihn den „Fernsehprofessor" und staunten über die Verve, mit der er als Moderator des TV-Magazins Panorama einen kritischen Journalismus vertrat. Kogon zählte zu den einflussreichsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts.
Dennis Beismann beschreibt in seiner biografischen Studie den Weg Kogons zur moralischen Autorität in der Bundesrepublik. Im Fokus stehen dabei das Denken und Handeln in den spannungsgeladenen Jahren von 1949 bis 1969. Auf der Grundlage umfassender Quellen beleuchtet der Autor ein bisher kaum erschlossenes Ideengebäude, das sich nicht in das ideologische Lagerdenken der Nachkriegszeit einreiht und somit neue Zugänge zur bundesdeutschen Intellektuellengeschichte eröffnet.Gibt es ihn noch – den Intellektuellen? Oder bleibt nur, ihm ein „Grabmal" (Lyotard) zu setzen? Ähnlich wie im Falle Godots in Becketts Theaterstück herrschen heute Zweifel an seiner Existenz und Wirkungsmacht. Zugleich haben jedoch die Umbrüche der jüngsten Zeit – beschleunigte Globalisierung, Pluralisierungsprozesse, Strukturwandel der Öffentlichkeit – in Verbindung mit Intellektuellenkritik und intellektueller Selbstreflexion neue Rollenmodelle entstehen lassen.
Der vorliegende Band beschäftigt sich mit den Wandlungen im Handlungsrahmen, in der sozialen Rolle und in den Wirkungsmustern von Intellektuellen und diskutiert ihre Bedeutung in der politischen Öffentlichkeit seit den 1960er Jahren. Im Zentrum stehen Figuren, die am klassischen Vorbild orientiert blieben, das Wechselverhältnis von Intellektuellen und sozialen Bewegungen, rechter (Anti-)Intellektualismus sowie das Spannungsverhältnis zwischen intellektueller Autonomie und politischem Engagement.
Zwischen gestern und morgen: Der Titel eines deutschen Spielfilms von 1947 kennzeichnet die Umbruchs- und Übergangsphase der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Autorinnen und Autoren des Bandes analysieren Spielfilme aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, die für die filmische Verarbeitung der Vergangenheit sowie der Gegenwartsprobleme und Zukunftserwartungen charakteristisch sind. Damit leistet das Buch einen Beitrag zur vergleichenden Geschichte der Nachkriegsgesellschaften und ist zugleich ein Plädoyer für den zeithistorischen Quellenwert von Spielfilmen.
Die Studie beschäftigt sich mit der Geschichte eines Vorurteils – dass nämlich Homosexuelle zur Bildung einflussreicher, oft transnationaler Netzwerke tendierten, die gefährlich seien für "gesunde" nationale Politik. Die Untersuchung geht aus vom Skandal um einen Freundeskreis des deutschen Kaisers Wilhelm II. 1907/08 und vom österreichisch-ungarischen Spionagefall Redl 1913. Auf die 1934 ermordete SA-Führung um Ernst Röhm wird als herrschende "homosexuelle Clique" neues Licht geworfen. Weiterhin wird die Jagd auf homosexuelle "Verräter" in staatlichen Elitepositionen betrachtet, die in den 1950er und 1960er Jahren die USA und Großbritannien, aber auch die Bundesrepublik und die DDR prägte. Im Zuge sexueller Liberalisierung erlebte das homophobe Stereotyp einen Relevanzverlust. Doch noch 1983/84 konnte einer der ranghöchsten Bundeswehrgeneräle als angebliches homosexuelles Sicherheitsrisiko aus dem Amt gedrängt werden. Noch immer existieren heute Restbestände des alten Feindbildes.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebten über eine halbe Million ehemalige SS-Angehörige in Westdeutschland. Obwohl die SS als Organisation für die schlimmsten NS-Verbrechen verantwortlich war, konnten sich die allermeisten ihrer Mitglieder lautlos und ohne Probleme in die bundesrepublikanische Gesellschaft integrieren. Diese Diskrepanz führte in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik allerdings immer wieder zu Skandalen um SS-Vergangenheiten einzelner Personen sowie zu Diskussionen über die Grenzen der Integration und den Umgang mit NS-Tätern. Andreas Eichmüller untersucht in seiner Studie diese Debatten und die darin vorherrschenden Bilder der SS in ihren Ausprägungen und Veränderungen bis in die 1980er Jahre.
Der Kalte Krieg und die deutsche Teilung hatten globale Dimensionen: Sie bestimmten auch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Indonesien. Der Krisenweg des jungen Staates unter Präsident Sukarno stellte die bundesdeutsche Außenpolitik vor schwierige Aufgaben. Der blutige Umsturz von 1965/66 und General Suhartos „neue Ordnung" schufen dann eine neue Konstellation, auf die Bonn in der Logik des Kalten Krieges reagierte. Till Florian Tömmel unterzieht die bundesdeutsche Indonesienpolitik, von der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1952 bis zum Schlusspunkt des Bonner Alleinvertretungsanspruchs 1973, erstmals einer quellengestützten Analyse.
Vorsorge ist überall. Als Gesundheits-, Kriegs- oder Krisenprävention, als Versicherung, Verhütung kriminellen Verhaltens oder Vorbeugung sozialer Probleme – Vorsorgen ist längst zum Alltag geworden. Die Autoren des Bandes erkunden dieses moderne Gesellschaftsphänomen und fragen nach seinen Voraussetzungen und Folgen. Sie widmen sich den Anbietern und Empfängern, Anhängern und Gegnern, den Profiteuren und Leidtragenden. Die Studie bietet damit erstmals eine ebenso facettenreiche wie fundierte Gesellschaftsgeschichte der Vorsorge und eröffnet neue Einblicke in den Wandel moderner Gesellschaften.
In beiden deutschen Staaten wurden seit ihrer Gründung politische Anstrengungen unternommen, um den ökonomischen Strukturwandel in seinem Verlauf und seinen Wirkungen zu lenken. Trotz unterschiedlicher Rahmenbedingungen gestalteten sich die Problemkonstellationen ähnlich: Einseitige Branchenstrukturen und räumliche Ungleichgewichte sollten ausgeglichen, Arbeitsplätze bereitgestellt und die Infrastruktur entwickelt werden. Der Sammelband fragt nach Wahrnehmungen und Deutungen strukturpolitischer Herausforderungen sowie nach den Trägern und Mitgestaltern des strukturellen Wandels in West- und Ostdeutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei werden Möglichkeiten und Grenzen der Steuerungsansätze sowohl im nationalen Kontext analysiert als auch mit Blick auf kollektive Akteure und Betroffene wie Länderregierungen und Kommunen, Branchen und Unternehmen, Gewerkschaften und Arbeitnehmer.
"Wenn Sie Ihre Wirtschaft auf Vordermann gebracht haben, dann kann man die Mauer wieder aufmachen", erklärte Nikita S. Chruschtschow gegenüber Walter Ulbricht am 26. Februar 1962. Der Mauerbau war letztlich auch eine Absage an den bis dahin offen ausgetragenen Wettstreit zwischen Ost und West über das bessere Wirtschaftssystem. Der Magnettheorie Kurt Schumachers und Konrad Adenauers hatte Otto Grotewohl eine ostdeutsche Variante entgegengesetzt, die von der Überlegenheit der Planwirtschaft in der DDR gegenüber der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik ausging. Doch das auf dem V. Parteitag der SED proklamierte Ziel, die Bundesrepublik konsumpolitisch einzuholen, scheiterte – obwohl sich die Sowjetunion unter Chruschtschow sehr darum bemüht hatte, die DDR zum "Schaufenster" des Sozialismus herauszuputzen. Die wechselvolle und spannungsreiche Geschichte der ostdeutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen in den 1950er und 1960er Jahren wird hier erstmals durch zentrale Dokumente aus Moskauer Archiven anschaulich gemacht.
Die Kontroverse um den NATO-Doppelbeschluss und die Nachrüstung erschütterte die westdeutsche Gesellschaft in den 1980er Jahren. Besonders schwer traf sie die Sozialdemokraten, die gespalten waren zwischen der Politik ihres Kanzlers Helmut Schmidt und der Friedensbewegung. Jan Hansen untersucht diesen Nachrüstungsstreit auf breiter Quellenbasis. Er zeigt, dass Teile der SPD den Kalten Krieg für anachronistisch hielten, lange bevor er tatsächlich an sein Ende kam. Auf den Prüfstand gelangte dabei nicht nur der ideologische Gegensatz zwischen den Supermächten, sondern auch der sozialdemokratische Politikbegriff. Der Konflikt veränderte die SPD und führte dazu, dass sich die Partei stärker als zuvor gesamtgesellschaftlichen Transformationen anpasste.
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war Wolfhilde von König 13 Jahre alt. In den folgenden sieben Jahren führte sie ein "Kriegstagebuch". Die rund 630 Einträge dieses außerordentlichen Zeitzeugnisses dokumentieren sechs Jahre Krieg, die Zerstörung ihrer Heimatstadt München im Bombenkrieg, ihre Sorge um Vater und Bruder, die Niederlage, und die prekären ersten Nachkriegsmonate. Sie geben einen seltenen und unverstellten Blick in das Kriegserleben einer Jugendlichen und jungen Frau, die sich selbst als überzeugte Nationalsozialistin verstand. Ihre Selbstwahrnehmung, ihr Denken und ihr Alltag waren durch die Mitgliedschaft im Bund Deutscher Mädel und das begeisterte Engagement im Gesundheitsdienst des BDM geprägt.
Alfred Flechtheim (1878-1937) war einer der bedeutendsten Kunsthändler seiner Zeit. Werke von Paul Klee oder Pablo Picasso hingen in seinen Galerien. 1933 musste er als verfolgter Jude aus Deutschland fliehen. Was mit seinen Bildern geschah, ist bis heute in vielen Fällen ungeklärt und umstritten. Der Sammelband widmet sich dem Galeristen und seinen Bildern. Internationale Expertinnen und Experten aus Provenienzforschung und Zeitgeschichte erörtern exemplarisch in interdisziplinärer Perspektive aktuelle Fragen nach der Restitution von Raubkunst.
Die Studie "Das Amt und die Vergangenheit" (2010) hat nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Fachwissenschaft eine lebhafte Debatte über die Rolle des Auswärtigen Amts in der NS-Diktatur hervorgerufen. Der vorliegende Sammelband bezieht sich auf diese Diskussion, die jedoch nicht einfach nur erneut geführt wird. Ziel ist vielmehr eine Bestandsaufnahme der Forschung nach der Debatte. Was wissen wir wirklich über das Auswärtige Amt im Nationalsozialismus, wo liegen die Desiderate, was ist gerade in Arbeit, was unbestritten, was umstritten? Damit gibt der Band eine Antwort auf die Frage, wie sich dieser Streit zwischen Historikern in die Entwicklung der Forschung einordnen lässt und welche Impulse von ihm ausgehen können.
Großbanken symbolisieren wie kaum eine andere Institution das kapitalistische Wirtschaftssystem. Um 1870 entstanden, erlangten sie in kürzester Zeit eine beherrschende Stellung in der deutschen Wirtschaft. Für die breite Bevölkerung interessierten sie sich bis Mitte des 20. Jahrhunderts aber nicht. Erst im Gefolge des Wirtschaftswunders, als der Durchschnittsbürger allmählich zu einem Wirtschaftsfaktor wurde, bemühten sich die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Commerzbank mit neuen Finanzprodukten um das "gemeine Volk" und seine Spargroschen.
In seiner Studie, die 2013 den Preis für Unternehmensgeschichte erhalten hat, untersucht Simon Gonser, wie die drei Kreditinstitute in den 1950er und 1960er Jahren die Basis für ihr heutiges Privatkundengeschäft legten und welche wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen dabei eine Rolle spielten.
Wie sich die internationalen Koordinaten auch verschieben mögen – der Nahe Osten scheint stets dazu verurteilt, einer der Brennpunkte der globalen Politik zu sein. Die vorliegende Studie analysiert eine der komplexesten und folgenreichsten Konfigurationen der hier angesiedelten Konfliktgeschichte: das Beziehungsdreieck zwischen der Sowjetunion und der zionistischen Bewegung bzw. zum Staat Israel und zu der einem zunehmend sozialistisch getönten Antikolonialismus der Republik Ägypten. Das bedeutsame erste Nachkriegsjahrzehnt mit der mehrfachen Zäsur von 1956 wird dabei in die weitere historische Perspektive der Vorkriegs- und Kriegsepoche gestellt. Auf einer breiten Quellengrundlage entschlüsselt Wiebke Bachmann eine höchst widerspruchsvolle Entwicklung. Der innerstaatliche Antisemitismus in Stalins Sowjetunion stand neben der außenpolitischen Unterstützung für die Staatsgründung Israels, und die spätere Wende zur "antiimperialistischen" sowjetisch-ägyptischen Interessenkohärenz wurde durch Nassers Verbot der ägyptischen kommunistischen Partei nicht beeinträchtigt.
Manfred Kittel untersucht ferner die Bedeutung der inneren Kräfte - der konservativen Regierung und der linken Opposition, der Medien und der Geschichtswissenschaft - im Umgang mit den Lasten der Vergangenheit: bei der Ahndung von Kriegs- und Gewaltverbrechen, bei der "Wiedergutmachung" für die Opfer und der Entwicklung der politischen Kultur in einer shintôistisch bzw. protestantisch geprägten Erinnerungslandschaft bis hin zur Studentenbewegung der 1960er Jahre.
Nach der Eroberung von Königsberg durch die Rote Armee am 9. April 1945 und der Einverleibung des nördlichen Ostpreußen in die UdSSR hatten sich die neuen Machthaber zum Ziel gesetzt, aus Königsberg eine sowjetische Stadt zu machen. Neben dem Bevölkerungsaustausch und der Umbenennung in Kaliningrad im Juli 1946 kam der architektonischen Umgestaltung der stark zerstörten Stadt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Bert Hoppe beschreibt und analysiert die Verzahnung von Architektur- und Identitätspolitik sowie die ihr zugrundeliegenden Konzepte, Pläne und Umgestaltungsmaßnahmen auf einer breiten Quellenbasis, die insbesondere auf Akten aus Kaliningrader Archiven fußt. Der Autor zeigt, daß es sich keineswegs um einen einlinigen Prozeß handelte. Nicht zuletzt aus der Enttäuschung über uneingelöste Versprechen der hochfliegenden Planungen erwuchs eine Bewegung, die einen behutsameren und bewußteren Umgang mit den architektonischen Zeugnissen der deutschen Stadtgeschichte forderte. Der Widerstand gegen die Sprengung der Ruine des Königsberger Schlosses erlitt allerdings eine Niederlage.
Aus der Presse: "Eine äußerst lesenswerte Publikation, empfehlenswert weit über historische Fachkreise und heimattreue Leser hinaus!" Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 2001
Der Besitz von Kernwaffen hatte für Großbritannien nicht nur militärische Bedeutung, sondern diente darüber hinaus der Erhaltung des Großmachtstatus. Dieses Interesse war auch die treibende Kraft der britischen Nichtverbreitungspolitik, die zu einem zentralen Aspekt der Außenpolitik wurde und in den Beziehungen zu den USA, zur Bundesrepublik Deutschland und Frankreich eine entscheidende Rolle spielte. Während die Briten von den USA als Lieferanten moderner Kernwaffentechnologie abhängig waren, drängten sie die Bundesrepublik zum Verzicht auf Nuklearwaffen. Dem ehemaligen Kriegsgegner Deutschland, obwohl inzwischen zum Verbündeten geworden, wollte man weiterhin nur einen niedrigeren Rang in der internationalen Szenerie gewähren. Aus diesen grundsätzlichen Zielen ergaben sich die britische Position in den Teststopp-Verhandlungen, die Ablehnung von Plänen zur Gründung einer multilateralen NATO-Atomstreitmacht (MLF) und die Haltung Londons in den Verhandlungen über einen Nichtverbreitungsvertrag.
In der sowjetischen Besatzungszone traten seit 1946 Volksrichter zunehmend an die Stelle der zahlreichen Richter und Staatsanwälte, die im Zuge der Entnazifizierung aus der Justiz entfernt worden waren. Dieser Elitenaustausch bildete ein zentrales Mittel zur Transformierung des Justizwesens in der entstehenden DDR. Bisher weitgehend unbekannte Quellen veranschaulichen die Entscheidungen der zentralen Instanzen (Zentralverwaltung für Justiz, SMAD, SED) und geben Aufschluß über die Entwicklung der zunächst rein fachlichen, später jedoch stark ideologisierten Kurzausbildung der neuen Juristenelite. Daß deren Fortbildung nicht nur dazu diente, fachliche Defizite auszugleichen, sondern auch justizsteuernde Funktionen besaß, wird ebenso deutlich wie das Ziel, die Volksrichter möglichst rasch in Führungspositionen zu bringen. Der Autor: Hermann Wentker ist stellvertretender Leiter der Außenstelle Berlin des Instituts für Zeitgeschichte.
Karl Bonhoeffer war einer der bedeutendsten deutschen Neurologen und Psychiater des 20. Jahrhunderts. Sein Sohn, der Theologe Dietrich Bonhoeffer, beteiligte sich in seinen letzten Lebensjahren am Widerstand gegen das NS-Regime und wurde 1945 hingerichtet. Uwe Gerrens untersucht, wie der Mediziner und der Theologe auf das nationalsozialistische Programm der Zwangssterilisation und die so genannte Euthanasie reagierten. Anhand der Quellen wird deutlich, wie der Mediziner Karl Bonhoeffer als Vorsitzender des Deutschen Vereins für Psychiatrie und Klinikleiter in der Charité Verantwortung für seine Patienten übernahm und sich an deren Persönlichkeitsrechten orientierte. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer setzte sich in einer dicht geschriebenen "Ethik" mit dieser Problematik auseinander und entwickelte eine Theorie der Verantwortungsethik und der Menschenrechte.
Die Bundesbank spielte bei der Reintegration in die Weltwirtschaft und beim wirtschaftlichen Aufbau in der Bundesrepublik eine oftmals bedeutendere Rolle als Ludwig Erhard, der vielzitierte "Vater" des Wirtschaftswunders. Das ist die zentrale These dieser, auf umfangreichem Quellenmaterial aus dem Archiv der Bundesbank gestützten Untersuchung von Monika Dickhaus. Ihre Analyse der internationalen Währungspolitik der Zentralbank zwischen 1948 und 1958 veranschaulicht zugleich die Machtverhältnisse und internen Auseinandersetzungen innerhalb der Bank sowie ihre Zusammenarbeit mit den politischen Entscheidungsträgern. Dabei zeigt sich, daß die Zentralbank, indem sie die europäische Währungskooperation befürwortete, die Rückkehr Deutschlands auf den europäischen Markt ermöglichte und die Grundlagen ihrer späteren Führungsrolle in Europa legte. Die Autorin: Monika Dickhaus ist Assistentin für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bielefeld.
1963 - "Epochenwende" oder "Übergangsjahr"? Der Kanzlerwechsel von Adenauer zu Erhard markiert einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und ihrer auswärtigen Politik. Die Autoren dieses Sammelbandes setzen sich anhand von Problemen der Europa- und Ostpolitik mit verschiedenen außenpolitischen Ansätzen beider Kanzler auseinander. Gleichzeitig zeigen sie auch eine Kontinuität in der Außenpolitik auf, die in der starken Position des Auswärtigen Amts und den fortdauernden außenpolitsichen Rahmenbedingungen begründet war.