Marcel Boldorf/Rainer Haus (Hrsg.), Die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung 1914–1918 2016.
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Christian Kleinschmidt
Manchmal ist die Entdeckungs- und Editionsgeschichte eines Buches fast genauso interessant wie dessen Inhalt. So etwa im vorliegenden Fall des dreibändigen Werkes über die deutsche Kriegswirtschaft im Bereich der Heeresverwaltung im Ersten Weltkrieg, das jahrzehntelang als verschollen galt und erst vor wenigen Jahren durch den Herausgeber Rainer Haus wieder ausfindig gemacht wurde.
In einem Begleitband zu den genannten drei Bänden widmet sich Haus deshalb auch ausführlich der hundertjährigen Editionsgeschichte, während sich Mitherausgeber Marcel Boldorf mit Fragen der wirtschaftlichen Organisation und Ordnungspolitik auseinandersetzt und drei weitere Beiträge sich mit denjenigen Industrien beschäftigen, die in den editierten Bänden im Mittelpunkt stehen: das Waffen- und Munitionswesen (Markus Pöhlmann), die Eisenwirtschaft (Rainer Haus) sowie die Spinnstoffwirtschaft (Uwe Balder). Von der ursprünglich auf acht Bände ausgelegten Überblicksdarstellung der «Wissenschaftlichen Kommission des Königl. Preußischen Kriegsministeriums» sind nur die o. g. drei übrig geblieben, weil das Reichswehrministerium sowohl aus Geldmangel als auch aufgrund inhaltlicher Bedenken die anderen Bände erst gar nicht druckte und von der recht hohen Erstauflage der verbliebenen Bände den größten Teil sogleich wieder vernichtete. Als Leiter des Projektes fungierte Max Sering, Agrarökonom der Humboldt-Universität Berlin, Autoren waren neben Robert Weyrauch (Waffen- und Munitionswesen), Alfred Stellwaag (Eisenwirtschaft) sowie Otto Goebel (Volkswirt und ehem. Doktorand von Max Sering) für den Bereich Spinnstoffe.
Durch das Nichterscheinen bzw. die Vernichtung eines Großteils der Erstauflage wurden nicht nur den Zeitgenossen, sondern auch der nachfolgenden historischen Forschung wertvolle Quellen zur Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg vorenthalten, die zumindest 100 Jahre später eine Lücke schließen können. Pünktlich zum 100jährigen Jubiläum, so könnte man sagen, ermöglichen die drei Bände wichtige Informationen über Organisationen, Verwaltung und Behörden, über technikhistorische Entwicklungen, über betriebswirtschaftliche Aspekte wie Preise und Gewinne, über die Arbeit und Arbeitsbeziehungen in den jeweiligen Industrien sowie über das Dreiecksverhältnis zwischen Staat, Unternehmen und Arbeiterschaft. Das ist umso stärker zu begrüßen, da – anders als mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg – die wirtschaftshistorische Forschung zum Ersten Weltkrieg deutlich geringer ausfällt.
Hatte sich Gerd Hardach bereits 1973 als einer der ersten in einer noch heute gut lesbaren Darstellung diesem Phänomen gewidmet (Hardach schreibt für den vierten Band der vorliegenden Ausgabe die Einleitung), so blieb das wirtschaftshistorische Interesse in den folgenden Jahrzehnten – zumindest im deutschsprachigen Raum – eher dünn. Regina Roth widmete sich in den 90er Jahren dem Verhältnis von Staat und Wirtschaft, und Stefanie van de Kerkhof untersuchte 2006 die Entwicklung der Stahlindustrie im Kaiserreich unter besonderer Berücksichtigung der Kriegswirtschaft. Die großen Diskussionen zum 100jährigen Jubiläum standen dann aber ganz im Zeichen einer Neubewertung der politisch-militärischen Zusammenhänge (Christopher Clark) unter Berücksichtigung der «Fischer-Kontroverse». Wirtschaftshistorische Fragen lagen nicht im Zentrum des Interesses. Die nun aufgefundenen Quellenbände sowie der Begleitband können hier die Schwerpunkte der Forschung und ggf. der öffentlichen Diskurse wieder ein wenig stärker in Richtung der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte verschieben, zumal auch der Mitherausgeber Marcel Boldorf an einem weiteren Publikationsprojekt zur Wirtschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs arbeitet.
Der Verlag übrigens, der vor 100 Jahren das geplante Mammutwerk zur Wirtschaft im Ersten Weltkrieg publizieren sollte, war der Verlag Walther de Gruyter. Er ist es auch, der das Projekt heute zu einem guten Ende bringt.
© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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