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Islam- und Muslimfeindlichkeit im deutschsprachigen Raum aus praktisch-theologischer Perspektive

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Published/Copyright: March 9, 2023
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Zusammenfassung

Der Beitrag zielt auf eine (selbst)kritische Rezeption sozialwissenschaftlicher Studien zur Islam- und Muslimfeindlichkeit im deutschsprachigen Raum durch die christliche Theologie und Religionspädagogik. Denn eine Meta-Analyse ausgewählter empirischer Studien für Deutschland, Österreich und die Schweiz zeigt, dass die Dimension der Religion zwar sehr gut erforscht ist, eine genuin theologische Perspektive, die nach dem Einfluss historisch und zeitgenössisch wirkmächtiger, genuin christlicher Motive, Inhalte, Narrative und Praktiken fragt, jedoch unterbelichtet ist. Theologie und Religionspädagogik sollten sich daher hinkünftig verstärkt in die Forschung zu Islam- und Muslimfeindlichkeit einbringen.

Abstract

This article aims at a (self-)critical reception of social science studies on Islamophobia and Muslimophobia in German-speaking countries by Christian theology and religious education. A meta-analysis of selected empirical studies for Germany, Austria and Switzerland shows that although the dimension of religion is very well researched, a genuinely theological perspective that asks about the influence of historically and contemporarily effective, genuinely Christian motifs, contents, narratives and practices is underexposed. Theology and religious education should therefore become more involved in research on Islamophobia and Muslimophobia in the future.

1. Zur christlich-theologischen Verantwortung gegenüber der Islam- und Muslimfeindlichkeit

Angesichts einer weit verbreiteten Islam- und Muslimfeindlichkeit im deutschsprachigen Raum kommt der christlichen Theologie und Religionspädagogik aus empirischen wie theologischen Gründen eine besondere Verantwortung zu. So dokumentieren der „Religionsmonitor 2017“[1] wie auch die Europäische Wertestudie 2017[2], dass sich Befragte mit katholischem und protestantischem Selbstverständnis in ihren negativen Einstellungen zum Islam und zu Muslim:innen nicht signifikant von der Gesamtbevölkerung unterscheiden.[3] Zudem belegt eine Studie des PEW Research Center 2017, dass ein christlich-konfessionelles Selbstverständnis in Westeuropa als Identity-Marker fungiert, der die kulturelle und nationale Zugehörigkeit über die Ab- und Ausgrenzung von Muslim:innen definiert.[4]

Aus der Sicht der Katholischen wie Evangelischen Kirche ist dies ein beunruhigender Befund. Denn trotz der theologischen Unterschiede zum Islam engagieren sich beide Kirchen für ein friedliches Zusammenleben und interreligiösen Dialog. So betrachtet das Lehramt der Katholischen Kirche seit Nostra Aetate 3 (1965) die Muslime „mit Hochachtung“, fordert die Gläubigen zu Kooperation und Dialog auf und ringt insbesondere seit Papst Johannes Paul II.[5] und mit Papst Franziskus[6] um eine theologische Würdigung des Islam. Die Evangelische Kirche Deutschlands stellt demgegenüber das „theologisch und rechtlich gegründete Ja zur Religionsfreiheit und Religionsvielfalt“[7] ins Zentrum und setzt auf „Klarheit und gute Nachbarschaft“[8].

Diese unterschiedliche konfessionelle Schwerpunktsetzung erklärt möglicherweise, warum laut der EKD-Studie „Zwischen Nächstenliebe und Abgrenzung“ 2022[9] evangelische Kirchenmitglieder in Deutschland im Vergleich zur Gesamtbevölkerung Muslim:innen gegenüber weniger negativ eingestellt sind. Zugleich dokumentiert diese Studie den signifikanten Einfluss, den ein religiöses Selbstverständnis auf Vorurteile gegenüber Muslim:innen hat.[10] Während die Zentralität, also eine hohe Bedeutung des Glaubens, sowie eine aktiv praktizierte, „soziale Religiosität“ tendenziell vor Vorurteilen schützen, zeigen monoreligiöse Personen, die die eigene Religion für wahrer halten als andere Religionen, stärkere Vorurteile gegenüber Muslim:innen.

Befunde wie diese wecken die Frage nach dem Einfluss von Religiosität auf Islam- und Muslimfeindlichkeit auch aus theologischer Perspektive, denn „Theologie und Glaube können ein Nährboden“[11] für Vorurteile gegenüber Muslim:innen sein.

Mein Beitrag verfolgt daher das Ziel, christliche Religionspädagog:innen für eine (selbst)kritische Rezeption der sozialwissenschaftlichen Forschung zu Islam- und Muslimfeindlichkeit zu sensibilisieren und dabei auf deren noch weitgehend ausstehende theologische Bearbeitung hinzuweisen. Ich gehe dabei der Frage nach, ob und wie der Einfluss genuin christlich-theologischer Motive, Inhalte, Narrative und Praktiken in der Forschung zu Islam- und Muslimfeindlichkeit berücksichtigt wird, und welche Konsequenzen daraus für Theologie und Religionspädagogik zu ziehen wären. Dazu bietet der Beitrag eine erste Orientierung im Feld der empirischen Islam- und Muslimforschung; einen umfassenden oder theoretisch vertiefenden Überblick kann und will er nicht leisten.

Um mein Ziel zu erreichen, verdeutliche ich zunächst die christliche Verantwortung anhand historischer Blitzlichter (Abschnitt 2). Danach beschreibe ich die aktuelle Politisierung des Themas Islam und skizziere die Rolle sich auf das Christentum berufender Motive und Bewegungen darin (Abschnitt 3). Es folgen ein Einblick in die Debatten zu Begriffsdefinitionen (Abschnitt 4) sowie ein Überblick über ausgewählte repräsentative empirische Studien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz (Abschnitt 5), um abschließend zu zeigen, welche Konsequenzen sich aus diesen Befunden für Theologie und christliche Religionspädagogik ergeben (Abschnitt 6).

2. Die historische Verantwortung: Blitzlichter

Das historische Verhältnis des christlich geprägten Europas zum Islam und zur islamischen Welt ist ein wesentlicher Erklärungsfaktor, warum sich Vorurteile, Ängste und Unsicherheiten gegenüber dem Islam aktuell politisch so effektiv instrumentalisieren lassen. Die jahrhundertealten islamfeindlichen Narrative der christlichen Tradition stellen bis heute eine wirkmächtige Quelle der Islam- und Muslimfeindlichkeit dar. Denn das Verhältnis zum Islam hat eine „historische Tiefendimension“, „die auch dann unsere Wahrnehmung steuert, wenn sie nicht mehr bewusst ist“[12].

So beginnt mit der islamischen Expansion im 7. Jahrhundert eine jahrhundertelange theologische Auseinandersetzung mit dem Islam.[13] Aktuelle Vorstellungen vom Islam als Bedrohung, der wesensmäßig mit Gewalt im Namen Gottes, Fanatismus oder Intoleranz gegenüber Anders- und Ungläubigen verbunden sei, haben ihre Ursprünge in dieser Geschichte. Für viele christliche Theologen waren Muslime Heiden, Irrlehrer und Häretiker, die man töten durfte.[14] Auch die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den osmanischen Türken im 16. Jahrhundert wurden mithilfe christlicher Apokalyptik als Strafe Gottes gedeutet.[15] Bis in die Neuzeit herrschen in Europa eine tiefsitzende Angst und ein massives Unterlegenheitsgefühl gegenüber dem Islam und islamischer Herrschaft.

Zugleich war dieses Verhältnis immer auch durchzogen von Neugier, Faszination und Bewunderung. Mit ihren Errungenschaften in Kunst und Wissenschaft, dem umfassenden Handel und einer blühenden Wirtschaft war die islamische Kultur überdies ein wesentlicher Impuls für die Renaissance in Europa, die Weiterentwicklung der Medizin oder der christlichen Theologie. Bestimmend wurde in Folge dann aber das Narrativ vom weltgeschichtlichen Kampf zwischen Christentum und Islam bzw. Europa und der islamischen Welt um die Weltvorherrschaft. So wurden bereits bei der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 Europa, Christentum und Zivilisation gleichgesetzt und Asien, dem Heidentum und der Barbarei gegenübergestellt.[16]

Mit der Aufklärung schlägt die Angst vor dem übermächtigen, aber als Rivalen anerkannten Feind jedoch um in herablassende Überlegenheit und Verachtung.[17] Das Bild vom Orient als einer rückständigen Barbarei wird dominant, während zeitgleich das Narrativ vom immerwährenden Fortschritt Europas entsteht. Der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts wird dieses Narrativ der Überlegenheit der europäisch-christlichen Kultur dann für die Gegenwart grundlegen.[18] Es sind also historische und theologische Konstellationen, die für die heute verbreitete Wahrnehmung „des“ Islam als Gegenbild zur europäischen Identität und zu christlichen Werten maßgeblich verantwortlich sind und Theologie und Religionspädagogik in die Pflicht nehmen.

3. Die aktuelle Rolle sich auf das Christentum berufender Motive und Bewegungen

Die beiden Weltkriege und der Kalte Krieg lassen diese Narrative in den Hintergrund treten. Sie werden erst wieder nach dem Mauerfall 1989 und der Implosion des Sowjetimperiums reaktiviert[19] und dienen unter veränderten geopolitischen Konstellationen dazu, die internen Krisen eines Europa zu interpretieren, das nach der Wende um seine Identität ringt und durch die Globalisierung in massive ökonomische Krisen gerät.[20] Das Narrativ vom „Kampf der Kulturen“[21] tritt an die Stelle des Antikommunismus. Mit den islamistisch motivierten Terroranschlägen 2001 in New York, 2004 in Madrid und 2005 in London beginnt die Wahrnehmung des Islam als einer expansiven politischen Ideologie. In Europa entsteht dabei ein zunächst sicherheitspolitisch dominierter Islamdiskurs, der im Weiteren auf Migration und Integration fokussiert und die Aufmerksamkeit auf die bis dahin weitgehend unsichtbaren muslimischen Minderheiten richtet. Diese Dynamik beschleunigte sich im Gefolge der sog. „Flüchtlingskrise“ 2015, als nach den Rechtsextremen auch die etablierten Mainstreamparteien das Thema politisierten und einen antiislamischen Diskurs in der Mitte der Gesellschaft etablierten.

So belegte z. B. die Europäische Wertestudie 2010, dass die Ablehnung von Muslim:innen in jenen Ländern am stärksten ausgeprägt ist, in denen die Mainstreamparteien eine antimigrantische/antiislamische Rhetorik praktizierten.[22] Dabei waren und sind es in Deutschland, Österreich und der Schweiz vor allem die christdemokratischen Parteien, die im Rekurs auf europäische und christliche Werte die Abgrenzung zum Islam zur Selbstidentifikation[23] und zur Legitimation einer restriktiven Migrations- und Asylpolitik[24] benütz(t)en. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spiel(t)en dabei auch neorechte christliche Gruppierungen. So führt z. B. eine transatlantisch agierende islamfeindliche Bewegung unter dem Stichwort „Islamisierung“ einen strategischen Kampf gegen die liberale Demokratie und deren gesellschaftlichen Pluralismus – und findet dabei unter Berufung auf traditionelle antiislamische Stereotype auch in den etablierten Kirchen Anhänger:innen.[25]

4. Einblick in die Begriffsdefinitionen zu „Islam- und Muslimfeindlichkeit“

Die hier kurz skizzierte historische wie zeitgenössische Verantwortung weckt daher die Frage nach dem Einfluss genuin christlich-theologischer Motive auf die Islam- und Muslimfeindlichkeit. Dazu folgt nun zuerst ein Einblick in die Debatten zu deren Begriffsdefinitionen, da diese die Untersuchungsdesigns maßgeblich prägen. Die vorfindbaren Termini entstammen dabei verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und verfolgen heterogene und länderspezifische Erkenntnisinteressen.

Zum Beispiel bezeichnet Islamophobie – ein Begriff, der sich im Anschluss an den Islamophobia Report des britischen Thinktanks Runnymede Trust[26] international verbreitet hat – ein geschlossenes Weltbild, das den Islam als statischen, monolithischen Block betrachtet. Dieser gilt als abgeschottet und „absolut anders“ und sei als barbarische, irrationale, primitive und sexistische Ideologie bedrohlich, gewalttätig und dem Westen unterlegen. Dieser Begriff wird vor allem in Großbritannien, den USA und Frankreich, in Berichten der EU und der UNO sowie von Medien und NGOS verwendet.[27] Das internationale Jahrbuch für Islamophobieforschung wiederum identifiziert Islamophobie mit antimuslimischem Rassismus, wobei mittels dieser Ideologie eine „dominante Gruppe von Menschen Macht erstrebt, stabilisiert und ausweitet, indem sie einen Sündenbock imaginiert, der real existiert oder auch nicht, und diesen Sündenbock von den Ressourcen, Rechten und Definitionen eines kollektiven ‚wir‘ ausschließt.“[28]

Im deutschsprachigen Raum hat sich demgegenüber der Begriff der Islamfeindlichkeit durchgesetzt, da der Islamophobie-Begriff „klinische Implikationen“[29] habe, d. h. Islamfeindlichkeit pathologisiere und zur Abwehr von berechtigter Kritik an Glaubensvorstellungen und -praktiken benützt werden könne. Sozialwissenschaftliche Studien fokussieren daher auf islamfeindliche Vorurteile und Einstellungen der Bevölkerung.[30] Das zentrale definitorische Kriterium ist die generalisierende, stereotypisierende und motivierte Abwertung und Ungleichwertigkeit von Muslim:innen als „Outgroup“ (Fremdgruppe) gegenüber der In-Group (Eigen- oder Bezugsgruppe).[31]

Vertreter:innen der kritischen Rassismusforschung[32] sehen im Rassismus die weitaus relevantere Ursache für Islamfeindlichkeit als in der religiös-kulturellen Diskriminierung. Sie sprechen daher von antimuslimischem Rassismus bzw. Kulturrassismus. Islamfeindlichkeit ist nicht nur das Problem einzelner Gruppen in einer an sich liberalen und humanen Gesellschaft, sondern konstitutiv mit den Strukturen von Gesellschaften verklammert, die an der Konstruktion einer Muslimisierung bzw. Islamisierung maßgeblich beteiligt sind. Der Kulturrassismus schreibe in seinem Konzept des „Ethnopluralismus“ dabei den biologistischen Rassismus des 19. und 20. Jahrhunderts in kulturalisierter Form fort: Heterogene Kulturen gelten in diesem Konzept als unvereinbar und sollen deshalb ideell und räumlich voneinander getrennt bleiben.

Gängig ist auch der Begriff der Muslimfeindlichkeit. Bezieht sich Islamfeindlichkeit auf eine pauschalierende Abwertung des Islam als Islam, fokussiert Muslimfeindlichkeit auf die Betroffenen selbst. Argumentieren die einen, dass mit Muslimfeindlichkeit gezielter auf die Diskriminierung von Betroffenen fokussiert werden könne und legitime Religionskritik dadurch einfacher möglich wäre[33], möchten andere mit dieser Unterscheidung auch das Recht atheistischer und ex-muslimischer Religionskritiker:innen sowie Vertreter:innen eines säkularen Humanismus auf die Abwertung von Religion sichern.[34] Eine empirische Studie zur notwendigen Differenzierung zwischen diesen Konzepten bietet Isabell Diekmann, die zeigt, dass Kontakte zu Muslim:innen zwar mit reduzierten und eine religionskritische Haltung mit verstärkten Vorurteilen gegenüber dem Islam und Muslim:innen einhergehen; für die Islamfeindlichkeit stellt eine allgemeine Religionskritik aber einen wichtigeren Prädikator dar als der Kontakt zu Muslim:innen.[35]

Insgesamt stehen bei allen Unterschieden in der Begrifflichkeit vor allem machtpolitische Konstellationen sowie die soziale bzw. politische Funktion von Religion im Zentrum der sozialwissenschaftlichen Aufmerksamkeit.

5. Empirische Studienergebnisse

Auch die im weiteren ausgewählten repräsentativen empirischen Studien bieten kaum Information bezüglich genuin christlicher bzw. islamischer Inhalte. Das Verständnis vom Islam und von Muslim:innen ist relativ homogen und berücksichtigt kaum die innerislamische Diversität; Muslim:innen werden zumeist als ethnische, kulturelle, soziale, von Vorurteilen betroffene Gruppe gefasst. Die Studien basieren auf sozial- und politikwissenschaftlichen Theorien, wobei der Fokus auf Religion dann entweder fehlt oder auf deren soziologisch wahrnehmbare Ausformung beschränkt ist (z. B. konfessionelle Zugehörigkeit, religiöse Praxis im engeren Sinn, Wahrheitsanspruch o. ä.).

So lassen Studien auf EU-Ebene zumeist keine Aussagen über das Ausmaß religionsbezogener oder religiös motivierter Islam- und Muslimfeindlichkeit zu. Die EU-MIDIS II-Studie[36] der Grundrechteagentur der Europäischen Union subsumiert Muslim:innen unter „ethnische Minderheiten“ und dokumentiert in Konsequenz kulturelle und ethnische Diskriminierung in Form eines signifikantes Ausmaßes an rassistisch motivierter Diskriminierung und Viktimisierung von Muslim:innen.

Für Österreich äußert der ECRI-Report 2020[37] Sorge angesichts des Zuwachses an intolerantem Diskurs gegen Muslim:innen. Zitiert werden Studien, die belegen, dass 28 % der österreichischen Bevölkerung keine Muslim:innen als Nachbarn wollen und 65 % sich gegen eine weitere Zuwanderung aus muslimischen Staaten aussprechen. Die Studie „Muslims in Europe. Integrated but not accepted?“[38] wiederum zeigt, dass eine rechtliche und institutionelle Anerkennung des Islam nicht automatisch mit sozialer Anerkennung von Muslim:innen verbunden ist. Dies gilt insbesondere für Österreich, das das höchste Maß an struktureller Anerkennung aufweist.

Mit Blick auf nationale Studien belegt eine repräsentative Umfrage an der Universität Salzburg[39], wie ausgeprägt – trotz einer europaweit einzigartigen religionsrechtlichen Anerkennung des Islam – die „Islamkritik“ in Österreich ist. Knapp 70 % der Bevölkerung sind der Überzeugung, dass der Islam nicht in die westliche Welt passt. 51 % denken, dass die Glaubensausübung von Muslim:innen eingeschränkt werden sollte. 45 % treten dafür ein, dass Muslim:innen nicht die gleichen Rechte haben sollten wie alle in Österreich. Tolerante Einstellungen zu Islam und Muslim:innen vertreten Menschen ohne religiöses Selbstverständnis und sehr religiöse Menschen.

Für die Schweiz zeigt die Erhebung „Zusammenleben in der Schweiz“[40] zwar eine weniger ausgeprägte Ablehnung von Muslim:innen, aber auch hier erfahren diese eine stärkere Ablehnung als andere Minderheiten. 14 % stimmen den Aussagen zu, dass man Muslim:innen die Religionsausübung verbieten und deren Zuwanderung untersagen sollte. 16,8 % sind der Ansicht, dass Muslim:innen fanatisch und aggressiv seien, Frauen unterdrücken und die Menschenrechte nicht akzeptieren. Demgegenüber aber meinen 91 %, dass Muslim:innen Menschen mit Stärken und Schwächen wie alle anderen auch seien.

Eine überaus differenzierte empirische Forschung gibt es in Deutschland. Seit 2003 erforschen die Surveys des Bielefelder Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung zum Syndrom der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit[41] sowie die Mitte-Studien der Universität Leipzig[42] die Entwicklung der Ablehnung von Muslim:innen. Die Mitte-Studien interpretieren Islam- und Muslimfeindlichkeit dabei im Kontext des Rechtsextremismus und eines sozialdarwinistischen und ökonomistischen Einstellungsmusters, das sich durch Feindseligkeit gegenüber Gruppen zeigt, die als schwach, abweichend oder minderwertig gebrandmarkt werden, oder schwach sind, weil sie besonderer Integration bedürfen bzw. keinen ökonomischen Nutzen haben.[43]

Die Mitte-Studie 2020/21[44] belegt zwar den Rückgang rechtsextremer und fremdenfeindlicher Einstellungen, aber auch den Anstieg uneindeutiger „teils-teils“ Antworten. So lassen sich nur mehr 11 % als muslimfeindlich bezeichnen (2018/2019: 21,1 %),[45] aber 18,5 % finden sich im teils-teils-Bereich. 21,3 % der Befragten sind überdies der Ansicht, dass Deutschland durch den Islam unterwandert wird.[46]

Weitere repräsentative sozialwissenschaftliche Befunde legen auch die ALLBUS-Umfragen[47], die Leipziger Autoritarismus-Studien[48] oder der Nationale Diskriminierungs- & Rassismusmonitor 2021[49] vor, die ihre Forschungen im Kontext von Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Autoritarismus und Ausländer- bzw. Fremdenfeindlichkeit sowie Rassismus und „Othering-Prozessen“ verorten.[50]

Einen Ländervergleich zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz ermöglicht der „Religionsmonitor“ der Bertelsmann Stiftung 2017. Während das Christentum und andere Religionen nur von 10 % als bedrohlich wahrgenommen werden, stufen in Deutschland 53 %, in Österreich 47 % und in der Schweiz 50 % der Befragten den Islam als Bedrohung ein.[51] Diese Personen zeichnen sich durch antidemokratische Einstellungen und eine negative Haltung gegenüber weltanschaulicher Pluralität aus. Die Studie folgert, dass es in Deutschland zwar eine ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Islam gibt, aber nur eine Minderheit als islamfeindlich zu bezeichnen sei, weil die Mehrheit den Islam nicht primär als Religion, sondern als politische, demokratiefeindliche und extremistische Ideologie betrachtet.[52]

Umfassend erforscht ist auch der Einfluss von Religiosität. Gert Pickel und Alexander Yendell[53] konstatieren für ganz Europa eine alle Länderunterschiede übertönende diffuse Abwehrhaltung gegenüber Muslim:innen, die sich als Bedrohungsgefühl der eigenen und kollektiven Identität zeigt. Dabei bündeln sich „selektive Wahrnehmungen dieser Gruppe, eine geringe Kenntnis deren (religiöser) Überzeugungen, sowie allgemeine Fremdheitsgefühle zu Stereotypen und gruppenbezogenen Vorurteilen“.[54] Während bereits die Möglichkeit zu realen Kontakten mit Muslim:innen das Bedrohungsgefühl senken kann, verstärken parasoziale Kontakte – u. a. über die Medien – islamfeindliche Einstellungen. Religion wiederum dient als „Marker“ der als fremd wahrgenommenen Gruppe, „wobei nicht die eigene Religionszugehörigkeit, sondern die Fremdzuschreibung einer Gruppenzugehörigkeit über das Merkmal Religion entscheidend ist“[55]. Religion erweist sich demnach als „politischer Konfliktfaktor“[56].

Detlef Pollack[57] wiederum zeigt mit Blick auf Toleranz gegenüber Muslim:innen, dass sich (nicht nur) in Deutschland vor allem die Kontakthäufigkeit mit Muslim:innen hochsignifikant auswirkt. Von mittlerer Wichtigkeit ist religiöser Dogmatismus, d. h. die Betrachtung von nur einer Religion als der wahren. Menschen mit persönlichen Kontakten zu Muslim:innen sowie religiöser Pluralität gegenüber offene Menschen sind demnach deutlich toleranter. Entscheidend ist überdies eine positive Einstellung zu Christ:innen; diese begünstigt auch die Toleranz gegenüber Muslim:innen. Die Konfliktlinie verläuft also weniger zwischen Christ:innen und Muslim:innen, sondern zwischen Religion und Säkularität.

In eine ähnliche Richtung verweist auch die Österreichische Wertestudie 2017[58]: Hinsichtlich der Anerkennung demokratiepolitischer Einstellungen verläuft die Konfliktlinie keinesfalls zwischen Christ:innen und Muslim:innen, sondern als entscheidend erweisen sich vielmehr die religiöse Intensität, das Geschlecht, das Alter und der Wohnort. So haben z. B. hochreligiöse, ältere, katholische Männer auf dem Land einen höheren Autoritarismuswert als die urbanen Hochreligiösen, unter denen sich auch viele Muslim:innen befinden.[59]

Eine Studie von Beate Küpper[60] zeigt zwar einen signifikanten Einfluss von Religiosität auf Vorurteile – vor allem bei den „eher religiösen“ Personen –; in Bezug auf Islamfeindlichkeit spielt Religiosität aber eine geringere Rolle. Gleichwohl stellt sie einen irreduziblen Einflussfaktor dar: Höherwertigkeitsvorstellungen, die Andersreligiösen moralische Ebenbürtigkeit und gleiche Rechte absprechen; die stereotype Darstellung anderer Gruppen in Verbindung mit vereinfachend vermittelten dogmatischen Gewissheiten;, die Förderung einer starken Eigengruppenidentität; die Forderung kirchlicher Repräsentanten nach Unter- und Einordnung sowie Strukturen, die dies befördern; sowie die Billigung abwertender Aussagen über Muslim:innen verstärken Islamfeindlichkeit.

6. Fazit

Die exemplarischen Einblicke zeigen, dass Religion ein politischer Konfliktfaktor ist. Diesem Umstand muss in der Theologie und Religionspädagogik mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.[61] Die Kommunikation bzw. Vermittlung des christlichen Glaubens wirkt sich auch auf das Verhältnis zum Islam und zu Muslim:innen aus und findet überdies nicht im luftleeren Raum, sondern in einer demokratiepolitisch prekären Situation statt, in der auch die Kirchen und Christ:innen eine zum Teil problematische Rolle spielen. Die politische Dimension des christlichen Glaubens in Theorie und Praxis muss daher stärker als bisher Gegenstand theologischer Forschung, religiöser Bildung und christlicher Katechetik sein.

Zugleich bleiben in der sozialwissenschaftlichen Forschung die inhaltlichen Dimensionen eines genuin christlichen wie auch islamischen Selbstverständnisses in deren Pluralität unterbelichtet. Zwar werden der Islam als Religion wie auch der Einfluss von Religiosität wahrgenommen bzw. erforscht, aber konkrete Auslegungstraditionen des Islam sowie genuin christliche Motive, Denkfiguren, Narrative und Praktiken, auf die sich Islamfeindlichkeit bezieht bzw. aus denen sich diese speist, sind weitgehend unbekannt. Deren Kenntnis wären für Theologie und Religionspädagogik aber notwendig, um Forschung und Lehre ggf. zu korrigieren.

So belegt die sozialwissenschaftliche Forschung zwar den negativen Einfluss eines dogmatischen Wahrheitsverständnisses, benennt aber nicht die Inhalte desselben. Solche Tiefenanalysen wären jedoch notwendig, um das für jede Offenbarungsreligion konstitutive Verständnis der Wahrheit der je eigenen Tradition auch theologisch und religionspädagogisch ohne Abwertung und Ausgrenzung anderer religiöser Überzeugungen und Gruppen verstehen und vermitteln zu können. Wenn Monoreligiosität und Dogmatismus Islamfeindlichkeit verstärken, müsste überdies die theologische Würdigung des Islam stärker als bisher ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

In diesem Kontext zeigt sich auch die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dem islamfeindlichen Erbe des Christentums, von der auch die sozialwissenschaftliche Forschung profitieren könnte, da sich islamfeindliche Narrative und Motive der christlichen Tradition in säkularisierter Form auch in zeitgenössischen anti-islamischen/muslimischen Stereotypen finden lassen. Theologie und Religionspädagogik sollten dazu auch intensiver die Forschung zu (Post)Kolonialismus und Orientalismus rezipieren.

Einen wichtigen Beitrag könnten christliche und islamische Theologie auch zur Frage einer theologisch notwendigen Religionskritik leisten; denn einzelne Motive der Skepsis gegenüber dem Islam oder Muslim:innen sind möglicherweise auch defizienten islamischen Auslegungstraditionen geschuldet und deren Ablehnung daher nicht unbedingt Ausdruck von Islam- oder Muslimfeindlichkeit.

Schließlich muss an die sozialwissenschaftliche Forschung auch die Frage gestellt werden, ob ihre empirischen Studien nicht in der Gefahr stehen, durch ihre „Vermessungen“ zu jenen wissenschaftlichen Strategien und Mechanismen beizutragen, die Muslim:innen zu Fremden und Anderen machen[62] und so indirekt auch Islam- und Muslimfeindlichkeit fördern. Auch die Forschung ist verstrickt in eine hegemoniale Perspektive auf den Islam und operiert in einer politisierten, säkularen „Matrix“, die den Islam unter ein säkulares Religionsverständnis subsumiert und damit den Rahmen definiert, welche Religion erlaubt ist und welche nicht.[63]

Hervorzuheben ist abschließend die Bedeutung, die reale Begegnungen und Kontakte für den Abbau von Islam- und Muslimfeindlichkeit haben. Damit kommt dem christlich-islamischen Dialog in der Theologie wie auch Modellen eines dialogischen, religionsverbindenden Religionsunterrichts eine zentrale Bedeutung in der Förderung wechselseitiger Kenntnis und im Einsatz für Toleranz zu. Denn Begegnungen und Lernprozesse zwischen Christ:innen und Muslim:innen lassen beide Gruppen in ihrer Diversität erkennen und schwächen die Wahrnehmung des Islam und der Muslim:innen als kollektive Andere. Zugleich wird es in diesen Formaten möglich, den Islam nicht nur als politischen Faktor, sondern auch als gelebten Glauben und als Lebensform kennen- und verstehen zu lernen.

Published Online: 2023-03-09
Published in Print: 2023-03-07

© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.

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