Die Finanzkrise und der Ruf nach mehr Europa / The financial crisis and the call for “more Europe”
-
Wernhard Möschel
Zusammenfassung
Der Ruf nach mehr Europa hat mit fundamentalen Strömungen im europäischen Einigungsprozess zu tun und soll zugleich eine Antwort auf die gegenwärtige Finanzkrise sein.
Die fundamentalen Strömungen lassen sich als Friedensargument, Binnenmarktargument, das imperiale Argument und das Deutschen-Argument systematisieren. Hinzu treten spezifische Interessenlagen einzelner Mitgliedstaaten.
Zwecke und eingesetzte Mittel (mehr Europa) sind letztlich nicht verhältnismäßig.
Die gegenwärtige Krise rührt von der Politiklastigkeit des Projekts Währungsunion. Aus deutscher Sicht ging es darum, den europäischen Einigungsprozess irreversibel zu machen. Dabei wurden die Eigengesetzlichkeiten der Märkte unterschätzt, das mangelnde Gewicht der no bail out-Klausel bei einer Bankenkrise nicht bedacht und fehlsam auf die Bindungskraft völkerrechtlicher Verträge auch dann vertraut, wenn es um innerste Kernbereiche der Politik geht. Aus französischer Sicht ging es darum, den DM-Imperialismus zu beseitigen. Die französische Diplomatie setzte ihre Interessen meisterlich durch. Politikdefekte mit einer Ausdehnung der Politik bekämpfen zu wollen, wirkt eher grotesk.
Einem Bundesstaatsmodell fehlen sämtliche Funktionsvoraussetzungen. Man lieferte sich überdies unbekannten Mehrheitsentscheidungen aus (Beispiel EZB) bis hin zum Risiko einer merkantilistisch geprägten „Europäischen Wirtschaftsregierung“. Fortbestehende Verantwortung eines Mitgliedstaates nimmt den Charakter eines sicheren Hafens an.
3 Optionen zeichnen sich zur Währungsunion ab.
Die bisherige Rettungspolitik wird fortgeführt. Ihr Scheitern steht noch nicht fest.
Führt das Kaufen von Zeit nicht zu nachhaltigen Strukturreformen, landet man endgültig bei einer Transferunion.
Geboten wäre eine Wiederbelebung des no bail out-Prinzips und entschlossener Widerstand gegen alle Versuche, Elemente des Krisenmanagements in ein Regelungsmuster von Dauer überzuführen.
Reißbrettlösungen nach Art einer Aufspaltung der Währungsunion sind politisch nicht konsensfähig und aufgrund ihrer antagonistischen Struktur eine Gefährdung des Projekts Europa.
Summary
The call for “more Europe” has to do with fundamental currents in the process of european integration. At the same time it is said to give an answer to the present financial crisis. The fundamental currents can be systematized as the peace-argument, the internal market-argument, the imperial argument and the German-Argument. Some specific interests of the individual member states have to be added. Objectives and instruments, finally, are not in a proportionate relation.
The present crisis is due to the political load of the project common currency. From a german perspective the aim was to make the process of the european integration “irreversible”. The peculiarities of the markets were heavily underestimated, the failing weight of the “no bail out-clause” in case of a banking crisis was not considered. Erronneously on trusting on the binding force of international treaties even then when core elements of policy were at stake.
From a french perspective the target was to eliminate the “imperialism of the Deutsch-Mark”. The french diplomacy pursued its interests in a masterly manner.
To overcome policy defects by an extension of policy seems rather grotesque.
The concept of a federal European state lacks all necessary prerequisites. In addition one is handed over to the unknown results of majority decisions. The present policy of the European Central Bank is an example for that. The continuing responsibility of a member state has, under these conditions, the character of a safe harbour.
As far as the currency union is concerned three options can be distinguished:
The actual policy of saving banks and states is continued. The failure of this policy is not yet sure.
When the attitude of buying time does not lead to lasting structural reforms we reach a transfer union.
Imperative would be a revival of the no bail out-principle and determined resistance against all efforts to transform elements of a crisis-management into a rule of durability. Proposals from a green table to split up the currency union do not find a political majority and jeopardize in their antagonism the project of european integration itself.
© 2013 by Lucius & Lucius, Stuttgart
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