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Konfessionskunde – eine alte Disziplin in einem neuen Kontext

Published/Copyright: November 9, 2023
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Liebe Leserinnen und Leser,

Konfessionskunde scheint eine speziell deutsche Erfindung zu sein. Eine entsprechende Disziplin gibt es jedenfalls in anderen Ländern praktisch nicht, zumindest nicht mit einer Bezeichnung, die dem deutschen Begriff entsprechen würde. Dies zeigt sich beispielsweise dann, wenn im internationalen ökumenischen Gespräch erklärt werden muss, womit sich das Konfessionskundliche Institut in Bensheim beschäftigt. Gleichwohl gibt es in anderen Ländern durchaus die Beschäftigung mit den Fragen, die Gegenstand der Konfessionskunde sind. Dass sich jedoch im deutschsprachigen Raum das Fach Konfessionskunde entwickelt hat, für das es im evangelischen Bereich zumindest eine Zeit lang einen universitären Lehrstuhl gab, hängt sicher damit zusammen, dass die Entstehung der verschiedenen heute existierenden Konfessionen eng mit der in Deutschland begonnenen Reformation und den damit entstandenen „Bekenntnissen“ (Confessio Augustana, Confessio Helvetica etc.) zusammenhängt. Allerdings geht die Entwicklung seit Ende des 20. Jahrhunderts und im 21. Jahrhundert in die Richtung, dass sich alte konfessionelle Trennungslinien auflösen oder anders definiert werden, sodass in manchen Kontexten die Frage entsteht, inwiefern die Konfessionen überhaupt noch eine Rolle spielen. Für die Konfessionskunde stellen sich daher neue Fragen und Herausforderungen. Diese Herausforderungen und die Frage, ob die verschiedenen konfessionellen Traditionen heute noch von Bedeutung sind und ob dementsprechend Konfessionskunde noch zeitgemäß ist, standen bereits 2017 im Fokus eines Expertengesprächs, das vom Konfessionskundlichen Institut in Bensheim organisiert wurde (veröffentlicht in: Mareile Lasogga und Michael Roth, Hg., Konfessionskunde im 21. Jahrhundert. Bestandsaufnahmen, Herausforderungen, Perspektiven [Leipzig: EVA, 2021]).

Die dort angestellten Überlegungen wurden – mit einem anderen Ansatz – am 27./28. März 2023 in einem weiteren Fachgespräch unter dem Titel „Konfessionskunde – eine alte Disziplin in einem neuen Kontext. Begriff, Inhalt und Methodik“ fortgesetzt. Angesichts der 2017 festgestellten neuen Herausforderungen wurde dieses Gespräch von vorneherein ökumenisch geplant und organisiert als Kooperation zwischen dem Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn (rk.) und dem Konfessionskundlichen Institut in Bensheim (ev.). Im Vordergrund standen Fragen wie: Wird Konfessionskunde überhaupt noch benötigt? Wie ist ihr Gegenstand angesichts der Veränderungen genau zu definieren? Wie kann sie die neue Vielfalt und die Relativierung überkommener Konfessionen wahrnehmen und darstellen? Was sind heute angemessene Methoden für Konfessionskunde? Daraus ergaben sich drei thematische Blöcke, die sich mit Fragen nach (1) Einordnung und Abgrenzung von Konfessionskunde, (2) dem Begriff und der Bedeutung sowie (3) der Methodik von Konfessionskunde befassten. Zu jedem thematischen Block gab es einen Hauptvortrag und zwei oder drei Antwortreferate (Response), die das Thema jeweils aus unterschiedlichen konfessionellen Perspektiven behandelten und die wir im vorliegenden Heft dokumentieren.

Den Aufschlag macht Jennifer Wasmuth mit einem Thesenpapier zur Einordnung und Abgrenzung der Konfessionskunde. In den Antworten aus freikirchlicher und römisch-katholischer Perspektive untersucht zunächst Michael Schroth das Verhältnis von Kirchentheorie und Konfessionskunde, während Benjamin Dahlke ihre Zuordnung zu Dogmatik, Ökumenischer Theologie oder Kirchengeschichte in ihrer jeweiligen Funktion genauer bestimmt. Kai Funkschmidt stellt mit einem dritten Respons die Abgrenzung zur Weltanschauungsarbeit dar, die vor allem in der unterschiedlichen Zielsetzung festzumachen ist.

Der zweite Block von Vorträgen zu Begriff und Bedeutung der Konfessionskunde wird eröffnet von Markus Iffs Überlegungen, die von der historischen Entwicklung des Begriffs und der Disziplin ausgehend eine aktuelle und zukünftige Bedeutung dieses Faches konstatieren. Julia Knop nimmt diese Perspektiven auf und stellt aus römisch-katholischer Sicht kritische Anfragen. Der orthodoxe Theologie Ioan Moga stellt dezidiert die Frage nach der Zukunft der Konfessionskunde und hebt hervor, dass vor allem im orthodoxen Bereich das „konfessionelle“ Selbstbewusstsein wieder stärker in den Vordergrund rückt (auch wenn man sich selbst nicht als „Konfession“ versteht) und daher konfessionelle Identitäten und die Beschäftigung damit keineswegs obsolet sind.

Zur Methodik der Konfessionskunde werden gemeinsam von Dagmar Heller (ev.) und Johannes Oeldemann (rk.) Überlegungen angestellt. Dabei wird nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch deutlich, dass Konfessionskunde zwar aus einer bestimmten konfessionellen Perspektive heraus betrieben wird, aber heutzutage in ökumenischer Zusammenarbeit und dabei methodischem Einverständnis. Jochen Wagner plädiert in seiner Antwort darauf aus frei-evangelischer Sicht für einen weiten Begriff von „Konfession“ und stellt die Begegnung als grundlegende Methode der Konfessionskunde in den Vordergrund. Yauheniya Danilovich beschäftigt sich mit dem Thema sowohl aus religionspädagogischer als auch aus orthodoxer Sicht und prognostiziert eine Hochkonjunktur der Konfessionskunde.

Einige Gedanken aus den Diskussionen während der Tagung und daraus erwachsene Erkenntnisse sind in einem kurzen Thesenpapier zusammengefasst.

Am Ende des Heftes findet sich eine Rezension des Buches von Sebastian Rimestad, Orthodox Christian Identity in Western Europe. Contesting Religious Authority.

Wir wünschen eine anregende Lektüre!

Dagmar Heller, Lothar Triebel und Johannes Oeldemann (Gast-Mitherausgeber)

Online erschienen: 2023-11-09
Erschienen im Druck: 2023-11-27

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 11.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/mdki-2023-0031/html
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