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Wandel versus Stabilität im Informations- und Wissensmanagement: Optimierte Handhabung eines Spannungsfelds

  • Michael Reiß

    Prof. Dr. Michael Reiß studierte Wirtschaftswissenschaften und Psychologie an den Universitäten Frankfurt und Freiburg. Von 1988 bis März 2013 war Michael Reiß Inhaber des Lehrstuhls für ABWL und Organisation an der Universität Stuttgart. Seine Publikationsliste umfasst mehr als 450 Veröffentlichungen auf den Gebieten Organisationsgestaltung, Personalführung, Kooperationsmanagement, Planung, Controlling, Qualitätsmanagement, Change-Management und Netzwerkorganisation.

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Published/Copyright: November 28, 2017

Zusammenfassung

Das spannungsgeladene Zusammenspiel von Wandel und Stabilität lässt sich mit einem Hybridansatz besser verstehen und gestalten als mit den vorliegenden Ansätzen der Path Constitution, des geschichteten Wandels oder des durchbrochenen Gleichgewichts. Der Beitrag vermittelt einen Überblick über die generischen Architekturen von Hybridansätzen, vor allem die Prinzipien, qualitativen Muster und quantitativen Proportionen der Kopplung von Wandel und Stabilität und gibt damit neue Antworten auf die Fragen nach dem Wie, Wann, Wo und Wie viel einer Konfiguration von kontinuierlicher und diskontinuierlicher Veränderung.

Abstract

The antithetic interplay of change and stability can be better understood and shaped with a hybrid approach than with the prevalent approaches of path constitution, sedimented change or punctuated equilibrium. The paper provides an overview of the generic architectures of hybrid approaches, especially the principles, qualitative patterns and quantitative proportions of the coupling of change and stability, thus providing new answers to the questions of how, when, where and how much of a configuration of continuous and discontinuous change.

Résumé

Le concomitance antithétique de changement et de stabilité peut être mieux comprise avec une approche hybride qu'avec les présentes approches de Path Constitution, le changement stratifié ou l'équilibre brisé. L’article donne un aperçu d'architectures génériques des approches hybrides, surtout les principes, des configurations qualitatives et des proportions quantitatives de connexions du changement et de la stabilité et donne de nouvelles réponses aux questions après comment, quand, où et comme beaucoup une configuration de changement continue et discontinue.

1 Positionierung des Spannungsfelds

Für Informations- und Wissensmanager bildet die Mitwirkung in Change-Vorhaben und Innovationsprozessen einen obligatorischen Bestandteil ihrer Tätigkeitsbeschreibung. Häufig sind diese Management-Sparten die Treiber von Innovationen und Wandel. So etwa, wenn die Informationstechnologie als Enabler von neuen Geschäftsmodellen fungiert oder bestimmte Ansätze des Wissensmanagements wie Swarm Intelligence oder Crowdsourcing als Basis für eine interorganisationale Kollaboration im Rahmen von Ecosystems oder Internet Communities dienen. Eine fundamentale Herausforderung für das Management von Veränderungen stellt das Spannungsfeld zwischen Wandel und Stabilität dar. Zwar wird das Informationsmanagement – wie auch andere Management-Sparten – mit einer Vielzahl von Gegensätzen, Widersprüchlichkeiten, Inkompatibilitäten, Dilemmata, Paradoxien (z. B. Paralyse durch Analyse) sowie Zielkonflikten (z. B. zwischen Reichweite und Reichhaltigkeit der Kommunikation) und Wertkonflikten (z. B. Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit) konfrontiert. Doch aufgrund seiner Allgegenwart nimmt das Spannungsfeld „Stabilität versus Wandel“ hier eine zentrale Position ein. Dies betrifft alle Ebenen des OGI-Modells aus Organisation, Gruppe und Individuum.

Einerseits werden in Praxis und Wissenschaft Zielsetzungen wie Stabilität, Nachhaltigkeit, Beständigkeit, Berechenbarkeit, Identität (z. B. Einzigartigkeit), Entschleunigung, Leapfrogging (Überspringen von Innovationen), Sicherheit, Standardisierung und Routine (zur Erzielung von Lernkurveneffekten) sowie kontinuierliche Verbesserung propagiert. Andererseits findet man im Mainstream zahlreiche Plädoyers für Dynamik, Versionen-Konzepte, Wandlungsfähigkeit, Transformation, Wachstum, Flexibilität, Adaptivität, Antwortfähigkeit, Kreativität, Fluidität, Innovativität, permanenten Wandel, Perpetual Beta und disruptive Innovationen (z. B. „Next Generation“- bzw. „Next Age“-Ansätze) (Ross et al. 2008).

Damit Manager und Mitarbeiter mit dem resultierenden Konflikt konstruktiv umgehen können, muss man sie mit Antworten auf folgende W-Fragen versorgen:

  1. In welchen Kombinationsformen kann man Wandel und Stabilität konfigurieren? („Wie-Frage“)

  2. In welchen zeitlichen Abfolgen lassen sich Stabilität und Wandel am besten kombinieren? („Wann-Frage“)

  3. Wie kann man Wandel und Stabilität auf unterschiedliche Bereiche verteilen? („Wo-Frage“)

  4. Lassen sich Ober- bzw. Untergrenzen für Wandel bzw. Stabilität festlegen? („Wie viel-Frage“)

Bevor man untersuchen kann, ob die Wissenschaft oder die Praxis bereits fundierte Lösungsansätze oder Good Practices zur Beantwortung dieser Fragen beisteuern können, müssen das Wesen und der Wert dieses Spannungsfelds konkreter spezifiziert werden.

2 Interpretation und Stellenwert des Spannungsfelds

Wer sich fundiert mit der Relevanz des Spannungsfelds beschäftigen will, sollte beachten, dass generische Begrifflichkeiten wie „Stabilität“ und „Wandel“ sehr vielfältig verstanden werden können. Folglich gibt es auch mehrere Interpretationsvarianten des Spannungsfelds, wie die folgenden Gegenüberstellungen verdeutlichen:

  1. Schlecht prognostizierbare Diskontinuität versus gut prognostizierbare Kontinuität

  2. Stresssteigerung versus Stressvermeidung

  3. Lernen als Experimentieren versus Lernen als Perfektionieren

  4. Fluidität versus Identität

  5. Kurzlebigkeit versus Langlebigkeit

  6. Kreativität versus Routine (Sonnenshein 2016)

Aus dieser Vielfalt von Interpretationsansätzen resultieren Überschneidungen mit ähnlich gelagerten Spannungsfeldern. Dies trifft zu auf Innovation versus Tradition, Exploration versus Exploitation (Entdeckung von radikal neuen und verbesserte Nutzung bekannter Ideen, Lernformen und Geschäftsfelder), organisches versus mechanistisches Funktionieren von Unternehmen sowie Ordnung versus Unordnung, vor allem mit Blick auf die besonders attraktive Konfiguration des so genannten Edge of Chaos, verstanden als Grenzregion zwischen Ordnung und Unordnung.

Alle Versuche einer Präzisierung beginnen damit, Wandel und Stabilität nicht als überschneidungsfreie Gegensätze, sondern als eine künstliche Dichotomisierung eines ordinal skalierten Spektrums zu modellieren. Hier stehen sie für relativ „viel“ Veränderung (z. B. explosionsartiges Wachstum, Sprünge, Strukturbrüche, Richtungswechsel, Turbulenzen) beziehungsweise für „wenig“ Veränderung (z. B. graduelle Kaizen-Prozesse, im Extremfall für Stationarität). Folglich korrespondiert Stabilität mit kontinuierlich-inkrementeller Veränderung (z. B. Lernkurven), während Wandel eine tiefgreifend-diskontinuierlich Veränderung (Krisen, Disruption, Business Transformation usw.) bezeichnet.

Die Relevanz des Spannungsfelds resultiert aus der Tatsache, dass dessen unzureichende Beherrschung eine Erfolgsbarriere oder gar einen Misserfolgsfaktor für die Aktivitäten von Informationsmanagern darstellt, die in Vorhaben des Wandels und der Innovation involviert sind. Das Spannungsfeld provoziert letztlich eine Orientierungslosigkeit. Die daraus resultierenden suboptimalen Kombinationen von Wandel und Stabilität bilden eine Ursache von Widerstand und einen plausiblen Erklärungsansatz für das bekanntermaßen hohe Misserfolgsrisiko von Change-Vorhaben, etwa wenn implementierte Veränderungen wieder rückgängig gemacht werden müssen (z. B. ein IT-Outsourcing gefolgt von einem Backsourcing).

3 Lösungsansätze

Eine Analyse der Stärken und Schwächen vorhandener Ansätze bringt tendenziell „starke Schwächen“ und „schwache Stärken“ zutage. Insbesondere die Antworten auf die Wo-Frage und Wie-Frage sind nicht zufriedenstellend, weil extrem lückenhaft.

Unzureichender Detaillierungsgrad: Gemeinhin ist im Zusammenhang mit informationsfokussierten Veränderungsprozessen wie z. B. Digitalisierung, Virtualisierung oder Sharing („Teilen statt Besitzen“, z. B. Best Practice Sharing oder Open Source) von „dem“ Wandel die Rede. Das entspricht einer Einführungsstrategie, die plakativ als „Big Bang-Strategie“ bezeichnet wird. Tatsächlich unterliegen jedoch Gebilde wie Informationssysteme, Unternehmen, Branchen oder Menschen nicht als Ganzes einer Veränderung. Vielmehr bezieht sich Wandel oder Stabilität immer auf Segmente: Einige davon wandeln sich, andere bleiben stabil. Versteht man Change-Management als Abstimmung von neuem Konzept und vorhandenem Kontext (Reiss 2012), eröffnen sich zwei Optionen für eine Segmentierung: Segmentierung eines Gesamtkonzepts in Domänen (z. B. Hardware, Software, Vernetzung) und des gesamten Kontexts in Areale (etwa Pilotbereiche). Anders als in der Mehrzahl der vorliegenden Ansätze eröffnet die zweigleisige Segmentierung insgesamt drei stufenweise Einführungsstrategien. Sie basieren auf einer differenzierten Verteilung von Wandel und von Stabilität auf Konzept- und Kontextsegmente, wie aus Abbildung 1 hervorgeht.

Abbildung 1 
Strategien des stufenweisen Veränderungsmanagements (Quelle: Eigene Darstellung).
Abbildung 1

Strategien des stufenweisen Veränderungsmanagements (Quelle: Eigene Darstellung).

Allerdings setzt jeder differenzierte Ansatz eine Modularisierungsfähigkeit voraus. Im Fall modularer Konzepte (z. B. modulare ERP-Software) ist das gegeben, bei ganzheitlichen Veränderungsansätzen (etwa Total Quality Management oder Supply Chain Optimierung) hingegen fraglich.

Unklare Verbundbeziehungen: Umstritten ist ferner, ob zwischen Wandel und Stabilität ein Ergänzungs- oder ein Ersetzungsverbund vorliegt (Farjoun 2010):

Einerseits deuten die begrifflichen Gegensätze (Wandel und Stabilität verhalten sich zueinander wie These und Antithese) darauf hin, dass auf dem Wandel-Stabilität-Kontinuum ein Ersetzungsverbund (Dualismus) besteht. Für einen Ergänzungsverbund (Dualität) spricht andererseits, dass mehrere Mechanismen wie beispielsweise das Lernen aus Fehlern sowohl für Stabilität als auch für tiefgreifende Veränderung sorgen können. Analog signalisiert die gezielte Verfestigung von neuen Einstellungen („freezing“), dass Stabilität einen Wandel unterstützt.

Innerhalb einer Stärkenanalyse wird erkennbar, dass es eine Reihe punktueller Ansätze zur Ausbalancierung von Wandel und Stabilität gibt. Hierzu zählen mehrere Antworten auf die Wann-Frage, sprich Modelle der temporalen Verknüpfung: Das Spektrum umfasst vor allem das durchbrochene Gleichgewicht (Punctuated Equilibrium: Abfolge von marginalen und radikalen Veränderungen) und die Rhythmisierung von Wandel (Klarner; Raisch 2013). Antworten auf die Wie-Frage liefert das Modell des geschichteten Wandels (Sedimented Change), wo vorhandene Elemente nicht ersetzt, sondern lediglich von den neuen Elementen überlagert werden. Der Ansatz der Path Constitution kombiniert die Verfestigung von Pfaden mit dem Brechen von Pfaden (Sydow et al. 2012). Anspruchsvolle Modelle orientieren sich dabei an übergeordneten Zielen, etwa Agilität (Aghina et al. 2015), Fitness oder Rendite. Die Anwendung dieser betont rationalen Lehrbuchansätze setzt allerdings voraus, dass den beteiligten Akteuren die Ursache-Wirkung-Zusammenhänge bekannt sind.

4 Wandel und Stabilität als Hybridkonzept

Ein Lösungsansatz mit einer deutlich besseren Orientierungsleistung ist die Interpretation und Gestaltung des Wandel-Stabilität-Dilemmas als Hybridkonzept (Reiss 2013). Hybride sind nicht nur aus dem Alltag bekannt, seien es nun Hybridantriebe für Fahrzeuge oder soziale Marktwirtschaft. Auch im Informationsmanagement wird verstärkt mit Hybridkonzepten gearbeitet, etwa Augmented Reality, Mixed Reality, Hybrid Clouds, Info- und Edutainment, Push-Pull-Steuerung, Co-Producing und Blended Learning. Der Hybridansatz deckt nicht nur alle Anregungen aus den vorliegenden Lösungsansätzen ab, sondern erfasst darüber hinaus bislang übersehene Optionen von Verknüpfungsstrukturen. Die Optimierung von Hybridkonzepten erfolgt über das Kopplungsmanagement (Kombinationsformen) und das Diversitätsmanagement (Kontrast von Wandel und Stabilität).

4.1 Kopplungsmanagement

Die Kopplungsformen werden auf drei Konkretisierungsebenen des Kopplungsmanagements fixiert: durch abstrakte Prinzipien, qualitative Muster und quantitative Proportionen der Kopplung.

Kopplungsprinzipien: Der Hybridansatz lässt auf dieser Ebene neben dem begriffskonstituierenden Ersetzungsverbund („Dualismus“) auch einen Ergänzungsverbund („Dualität“) zu und trägt auf diesem Weg der faktisch bestehenden Ambiguität der Verbundbeziehung Rechnung. Der Ersetzungsverbund folgt etwa dem Leitbild der schöpferischen Zerstörung. Demgegenüber schlägt sich der Ergänzungsverbund beispielsweise in einem komplementären Portfolio-Verbund von standardisierten und von dynamischen Assets nieder. Ferner nutzt er produktive Umwege, etwa Erholung als Voraussetzung für innovative Leistungen nach dem Vorbild des Intervalltrainings.

Abbildung 2 
Spektrum der Kopplungsmuster (Quelle: Eigene Darstellung).
Abbildung 2

Spektrum der Kopplungsmuster (Quelle: Eigene Darstellung).

Kopplungsmuster: Abbildung 2 veranschaulicht das Spektrum von Kopplungsmustern anhand von Beispielen, wobei von links nach rechts ein Übergang vom Ergänzungs- zum Ersetzungsprinzip erfolgt. Der Paket-Kopplung liegt ein Ergänzungsverbund zugrunde. Hier finden Stabilität und Wandel auf ein und demselben Terrain statt. So können beispielsweise Beschwerden von Kunden zu inkrementellen Übungseffekten, aber auch zu einem radikalen Kurswechsel führen. Im Fall der Ebenen-Kopplung bleiben in einem Mehrebenen-System die oberen Hierarchie-Ebenen stabil, während sich der Wandel auf den unteren Ebenen vollzieht. Eine solche Übereinander-Kombination charakterisiert das Ergänzungsverhältnis von stabilen Grundsätzen (z. B. Regelwerke für das Blogging) und variabler Anwendung (z. B. multikulturelle Differenzierung). Auch die Episoden-Kopplung beruht auf einem Ergänzungsverbund: Dieses temporale Nacheinander-Muster kombiniert sequentiell Phasen der kontinuierlichen und der diskontinuierlichen Veränderung. Anregungen hierfür liefert der Punctuated Equilibrium-Ansatz. Beim Refreezing von Einstellungen erfolgt beispielsweise erst eine Veränderung und dann eine Stabilisierung. Bei der Sektoren-Kopplung werden Wandel und Stabilität auf unterschiedliche Sektoren des Konzepts bzw. des Kontexts zugeordnet. Mit anderen Worten bleiben zum einen einige Bausteine des neuen Konzepts relativ stabil, andere werden durch neue Bausteine ersetzt. Im Rahmen der Implementierung neuer Software ist diesbezüglich von „Migration“ die Rede. Zum anderen bleiben spiegelbildlich einige Areale des Kontexts unverändert, andere werden an das neue Konzept (bzw. dessen Komponenten) angepasst. Die Subsidiär-Kopplung beruht auf dem Ersetzungsprinzip: Den Regelfall bildet die kontinuierliche Veränderung („flow“), die diskontinuierliche Veränderung („jump“) stellt den Ausnahmefall dar. Hierher gehört auch die Schichtenkopplung: Mitarbeiter erfüllen ihren Job (Routinetätigkeit) in der Linie, Sonderaufgaben werden in Projektteams erledigt. Schließlich kombiniert die Menü-Kopplung Stabilität und Wandel in einem Ad hoc-Modus („situated“), etwa je nach der aktuellen Risikoeinstellung (Risiko-Aversion und Risikofreudigkeit).

Kopplungsproportionen: Innerhalb der jeweiligen qualitativen Architekturen legen die Kopplungsproportionen das quantitative Gewicht von Wandel respektive von Stabilität fest, etwa das Verhältnis von alten zu neuen Segmenten. Innerhalb einer Episoden-Kopplung werden beispielsweise Grenzwerte für die Dauer einer Episode fixiert, z. B. Vertragslaufzeiten für Service Level Agreements.

4.2 Diversitätsmanagement

Hier geht es in der Regel um die Angleichung (Assimilation) der beiden Hybridkomponenten hinsichtlich Breite, Tiefe, Unsicherheit und Geschwindigkeit von Veränderungen, um dadurch den Zielkonflikt zu entschärfen. Die Dissimilation (Polarisierung) bildet hingegen die Ausnahme, etwa im Fall des Unfreezing von Gewohnheiten (z. B. CC-Setzungen im E-Mail-Verkehr). Zur Angleichung der Breite wird die Segmentierung von Kontext und Konzept genutzt (vgl. Abb. 1): So bleiben etwa in einer auf der so genannten Mass Customization („Massenindividuaisierung“) beruhenden Veränderungsstrategie die Komponenten eines Informationssystems konstant, nur deren Konfiguration wird fallspezifisch modifiziert. Analog bleiben einige Areale des Kontexts (z. B. Geschäftsmodelle) unverändert. Für eine Angleichung der Unsicherheit eignet sich beispielsweise ein Szenario-Ansatz, der zwischen mehr oder weniger wahrscheinlichen Entwicklungen unterscheidet. Die Assimilation der Geschwindigkeit basiert auf einer Entschleunigung. Dies gelingt nicht nur durch geringere Veränderungsraten pro Zeiteinheit, z. B. durch Mindestlaufzeiten von SLAs. Etwas eleganter erzielt man eine Entschleunigung, wenn man auf das Time Pacing (Brown; Eisenhardt 1997) von Veränderungen (rhythmisiertes Timing, Klarner; Raisch 2013) übergeht. Im Gegensatz zum Event-Pacing (Reaktion auf externe Veränderungen wie etwa Änderungen der gesetzlichen Bestimmungen, z. B. Netzwerkdurchsetzungsgesetz) sorgt das Time Pacing für mehr Prognostizierbarkeit.

5 Fazit und Ausblick

Der Hybridansatz erschließt neue Möglichkeiten für eine optimale Handhabung des Zielkonflikts zwischen Wandel und Stabilität und liefert damit mehr und differenziertere Antworten auf die Wie-, Wann-, Wo- und Wie viel-Fragen rund um dieses Spannungsfeld. Trotz dieser Stärken muss noch intensiv in das Orientierungspotenzial des Hybridansatzes investiert werden. Orientierung erfordert nicht zuletzt einen Bewertungsansatz für die skizzierten Kopplungsformen: Mit dessen Hilfe sollten sich innerhalb des angereicherten Alternativenspektrums die geeigneteren von den weniger geeigneten Kopplungsvarianten nach ihrer Wirkung auf übergeordnete Zielsetzungen wie z. B. Agilität differenzieren lassen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass auf dieser übergeordneten Ebene ebenfalls Spannungsfelder auftreten können: Dass es z. B. naiv wäre, alles auf Agilität zu fokussieren, lehrt uns der so genannte Leagility-Ansatz (Van Hoek 2000): Agilität benötigt Slack, also Reserven. Diese stellen allerdings aus Sicht des Lean-Ansatzes eine effizienzmindernde Verschwendung (waste) dar. Mit anderen Worten ist die real existierende Komplexität durch multiple Spannungsfelder gekennzeichnet, die das Operieren mit Multi-Hybridansätzen erforderlich macht (Reiss 2013).

Über den Autor / die Autorin

Prof. em. Dr. Michael Reiß

Prof. Dr. Michael Reiß studierte Wirtschaftswissenschaften und Psychologie an den Universitäten Frankfurt und Freiburg. Von 1988 bis März 2013 war Michael Reiß Inhaber des Lehrstuhls für ABWL und Organisation an der Universität Stuttgart. Seine Publikationsliste umfasst mehr als 450 Veröffentlichungen auf den Gebieten Organisationsgestaltung, Personalführung, Kooperationsmanagement, Planung, Controlling, Qualitätsmanagement, Change-Management und Netzwerkorganisation.

Literatur

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Online erschienen: 2017-11-28
Erschienen im Druck: 2018-04-26

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 22.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/iwp-2017-0064/html
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