Startseite CeBIT 2016: Nur für Techies?
Artikel Öffentlich zugänglich

CeBIT 2016: Nur für Techies?

Eindrücke einer CeBIT-Newcomerin
  • Elgin Helen Jakisch EMAIL logo
Veröffentlicht/Copyright: 3. Mai 2016
Veröffentlichen auch Sie bei De Gruyter Brill

Man hat ja so seine Vorurteile – davon bin ich auch nicht frei. Die CeBIT, die diesmal vom 14. bis 18. März 2016 stattfand, habe ich innerlich und geographisch bisher weiträumig umgangen. Ich bin ja nicht im IT-Business tätig und als Konsument von Elektronik eher pragmatisch-kritisch bis zurückhaltend, auch wenn neue Informationssysteme die IuD-Welt längst verändert haben und auch für mich zur Selbstverständlichkeit geworden sind.

 Abbildung 1: Hereinspaziert! (Foto: E. Jakisch).

Abbildung 1: Hereinspaziert! (Foto: E. Jakisch).

Mein Oktoberfest ist die jährliche Buchmesse in Frankfurt am Main. Nun war ich neugierig auf den Wallfahrtsort der IT. Schließlich war 2015 von der Bundesregierung als das Jahr der Digitalisierung ausgerufen worden. Es gab jede Menge politisch motivierter Veranstaltungen zu dem Thema, die mahnten, wir müssten bei der Digitalisierung endlich aufholen (versuchen Sie mal, auf der Bahnfahrt zwischen Berlin und Stendal eine Internetverbindung aufzubauen). Ich fühlte mich also angesprochen. Die CeBIT ist eine Schnittstelle zur digitalen Wirtschaft, ein Versammlungsort der Innovation. Bereits bei der Vorankündigung hatte die CeBIT verlauten lassen, dass sie gerade keine reine IT-Messe sein will, sondern sich inhaltlich mit Themen zur Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft positioniert. So war es an der Zeit, als „Digital Immigrant“ und Infoprofi der eigenen Neugierde nachzugeben.

IT nimmt viel Raum ein

Der erste Eindruck: das Gelände ist sehr weiträumig. Wer gerne Langstrecken läuft, ist hier richtig. Der Skywalk vom Messebahnhof bis zum Messeeingang, der über eine ebenerdige Rollbahn die Schrittgeschwindigkeit verdoppelt, ist gefühlt 10 km lang. Shuttlebusse transportieren müde gewordene Läufer. Das Messegelände ist ein weiter Campus mit einer Aneinanderreihung von Hallen im Käsewürfelformat, die sich mit futuristisch angehauchter Architektur abwechseln. Alles monumental, dazwischen parkähnliche Grünanlagen, die zum Verweilen einladen. Schade, dass der fahl sonnige Märztag meines Besuches dafür nicht frühlingshaft genug war.

Mein Plan: erst mal treiben lassen, Eindrücke sammeln, dann etwas zielgerichteter Big Data in der Halle 5 aufsuchen, auch im Hinblick auf die nächsten DGI-Praxistage und nachmittags in Halle 6 beim Future Talk zuhören, der von Reinhard Karger moderiert wird. Das Thema dort an diesem Tag: Künstliche Intelligenz. Doch dazu später mehr.

Die CeBIT – und das ist sinnvoll – bietet thematische Führungen à 2 Stunden an. Das würde ich beim nächsten Mal in Anspruch nehmen, weil es schwer ist, sich irgendwo zu verorten und die Interessen spontan zu kanalisieren. So arbeitete ich mich von Halle 13 rückwärts bis Halle 5 vor – weiter kam ich nicht mehr an dem Tag. Zu sehen waren viele Männer in Anzügen, ein paar Frauen, allerdings mehrheitlich auf Werbeflächen beim glücklichen Benutzen von Gadgets, dazu Nerds und Nachwuchs – fast alle mit aktiviertem Smartphone vor der Nase. Darunter gab es ab und an ein paar schöne Autos mit digitaler Technik drin. Soweit das bestätigte Vorurteil.

Die Heterogenität der Aussteller hat mich überrascht und die vorab geweckten Erwartungen bestätigt: hier werden gesellschaftliche Auswirkungen von Technik diskutiert. Die Bundeswehr war da und machte Werbung für oder gegen den Cyberwar, dazu fanden sich zahlreiche Sicherheits- und Überwachungsdienstleister, die ihre Vernetzung von Haus, Handy und Notruf präsentierten. Eine Gruppe junger Männer bildete eine Crowd um zwei Hospitanten, die mit VR-Brillen auf der Nase und schwankenden Oberkörpern eine virtuelle Achterbahnfahrt durchlebten. Der Heise-Verlag mit seinem C’t-Magazin und seinen Printprodukten war da, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, die Bundesdruckerei, die ETH-Zürich aus dem Gastland Schweiz. Der Bereich Job und Career bereitete eine Bühne für die in der IT tätigen Menschen. Personalvermittler und die IG Metall waren da. „SAP hat jetzt seit 10 Jahren einen Betriebsrat!“ Verhaltener Applaus. Zumindest hatte ich hier für kurze Zeit eine Sitzgelegenheit, die mir einen Vortrag über das Aussterben des klassischen Büros, die Polarisierung von Arbeit und die Verdienstmöglichkeiten von MINT-Berufen bescherte. Was ist man noch wert in der digitalen Zukunft?

In Halle 5 stieß ich auf Mittelstandsinitiativen, die KMU fit für die digitale Transformation machen wollen und zu Fragen nach der sicheren Cloud beraten. Big Data, Visualisierung, Tableau und Qlik (mir bekannt als Referenten der letzten Praxistage) standen dicht gedrängt in der Gruppe der Datenanalysten. Aber wo anfangen? „Kennen Sie die DGI“, fragte ich einen gelangweilten Sales-Rep, der sich mir, erfreut über Abwechslung, in den Weg stellte. „Habe ich schon mal gehört“, so seine wenig glaubhafte Antwort, die ich nicht weiter kommentierte. Was Informationswissenschaftler tun, was Infoprofis sind und wer Fachinformationen nutzt, nach denen man strukturiert recherchiert, schien den meisten unbekannt. Ein Transfer ihrer Angebote zu unserem Know-how schien erst mal schwierig. Aber ja, sie sollen in erster Linie Kunden werben und verkaufen, weniger Schnittstellen finden. Ich fühlte mich wie ein unfreiwilliger Missionar auf verlorenem Posten. Gibt es immer noch so wenig Verbindung zwischen unseren Welten? Das sollte sich ändern, aber nicht heute. Ich verließ meinen Posten und wandte mich Richtung Future Talk und der Künstlichen Intelligenz zu. Endlich Input, endlich Butter bei die Fische.

Keine Angst vor Künstlicher Intelligenz

Das waren der rote Faden und das Fazit des sehr hörenswerten Gesprächs zwischen Robert Thielicke von Heise und Prof. Dr. Wolfgang Wahlster vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Dafür hatte sich mein CeBIT-Besuch gelohnt. Wahlster sprach vor einer zahlreichen und gespannten Zuhörerschaft. Ist Künstliche Intelligenz overhyped oder unterschätzt?

Abbildung 2: Der Messebesucher ist der „DigITalisierung“ auf der Spur (Foto: E. Jakisch).
Abbildung 2:

Der Messebesucher ist der „DigITalisierung“ auf der Spur (Foto: E. Jakisch).

Eine gute Frage von Thielicke. In den Medien sehen wir dieser Tage CeBIT-Berichte mit Fotos von roboterhaften Nachbildungen von Menschen oder lesen Artikel, in denen Marktführer oder IT-Koryphäen warnen und Angst verbreiten. Wie wohltuend sachlich und differenziert waren die Argumente von Prof. Wahlster. Die Sorge der Menschen scheint, dass die KI uns in der geistigen Domäne überflügelt. Schach, Go, IBM-Watson... alles Beispiele für die rationale Verwendung von Information. Was bleibt vom Menschen, wenn es hierfür technischen Ersatz gibt, der genauer, schneller und fehlerloser rechnet?

Wahlster beruhigte. Soziale und emotionale Analysen einer Situation, angemessene Reaktionen, Umgang mit ungenauer Information, Anpassung der Reaktion an Veränderungen in Sekunden, das schnelle Lernen und Nachahmen einer Handlung mit wenigen Daten, ein Gespür für eine Situation, ein Teamgefühl entwickeln – das alles können Rechner nicht. Sie sind nicht in der Lage zu Abstrahieren, von einer Situation auf sich und andere zu schließen. Wir könnten also vom Hype runterkommen, dass dies heute schon alles ginge, so Wahlster, die KI sei von der menschlichen Intelligenz noch Lichtjahre entfernt. Bilder von Robotern seien Science Fiction und nicht zukunftsweisend. Denn der Mensch mit seinen Schwächen sollte nicht kopiert werden. KI könne anfallende Daten nutzbar machen, mit elektronischen Sensoren riechen, schmecken, hören und sehen lernen. Momentan forscht man an der Sensorenfusion. Computer werden hier zu Assistenten, wenn das Sehvermögen oder das Hörvermögen eines Menschen für die Analyse einer Situation nicht ausreicht. Es wird Projekte geben, in denen Menschen, die das nicht ausreichend können, mit Robotern zusammenarbeiten.

Der Mensch kam bei Wahlsters Betrachtungen extrem positiv weg. Die Intelligenz des Menschen ist hormongesteuert. Die Hirnprozesse unterliegen komplexen Veränderungen und verleihen Sympathie und Empathie. Wahlster äußerte einen großen Respekt gegenüber der menschlichen Alltagsintelligenz und seiner Individualität. Ein fast demütiger Satz eines Wissenschaftlers, der Robotern „Leben“ einzuhauchen versucht. Der Mensch, so Wahlster, wagt auch aufgrund von wenigen Informationen etwas, er entscheidet in Bruchteilen von Sekunden intuitiv und kommt mit unbekannten Sachlagen zurecht. Dazu kann er mit symbolischem Wissen umgehen und versteht den Kontext einer Situation. Das alles ist unmöglich für Roboter. Weder Mensch noch Roboter können zueinander jemals ein inniges Verhältnis entwickeln. Seiner Ansicht nach steckt im Menschen mehr KI als im Roboter. Die Gewichtung und Bemessung von menschlicher Intelligenz wird sich vermutlich neu sortieren. Die Bewertung der Vernunft, die wir für die höchste Form der geistigen Leistung halten, vielleicht auch. Wenn man die Technik bei der Debatte zu sehr in den Vordergrund rückt, macht man einen großen Fehler, so Wahlster.

Abbildung 3: Prof. Dr. Wolfgang Wahlster (links) und Robert Thielicke sprechen auf dem Future Talk über künstliche Intelligenz (Foto: E. Jakisch).
Abbildung 3:

Prof. Dr. Wolfgang Wahlster (links) und Robert Thielicke sprechen auf dem Future Talk über künstliche Intelligenz (Foto: E. Jakisch).

So informiert und zum Nachdenken angeregt, konnte man noch den zwei folgenden Vorträgen des Tages lauschen. Einer ging über Green-IT, dem nachhaltigen Einsatz von Ressourcen bei der Herstellung und Entsorgung von elektronischen Geräten, die erstaunlicherweise bei der Planung der Herstellung eine immer noch sehr kleine Rolle spielt. Bei der Jagd nach technischer Innovation ist es mit dem Transferwissen der Menschheit, das auf den Erfahrungen der bisherigen Industrialisierung aufbauen könnte, nicht weit her, denn Umweltverschmutzung und Müll in der dritten Welt werden achselzuckend in Kauf genommen. Darauf folgte die TIB-Hannover (Oh Wunder, etwas Bekanntes!), die ihr Open Science Lab – Science 2.0 für die Wissenschaft der Zukunft vorstellte. Ein Vortrag auch für die Infoprofis zum Schluss. Leider war die TIB nicht mit einem Stand auf der Messe vertreten. Hoffentlich im nächsten Jahr vom 20. bis 24. März 2017.

Das Fazit meines CeBIT-Besuchs ist: Dabei sein ist nicht alles, aber es schadet Infoprofis nicht, mal für einen Tag mit offenen Augen über die Messe zu gehen. Man sollte unbedingt einen ganzen, vielleicht sogar zwei Tage einplanen, sich gut vorbereiten und fokussieren, die Führung mitmachen, den CeBIT-Guide am Eingang mitnehmen, die Halle mit Schwerpunkt Forschung und Entwicklung aufsuchen, dem Future Talk beiwohnen, bei den großen Playern der Szene reinschauen und etwas Zeit für Zufälle und Hannover einplanen. Ob ich im nächsten Jahr wiederkäme, fragte mich am Ausgang eine sympathische Besucherbefragerin. Ja, ich denke schon. Sie stupst mit dem Finger meine Antwort in ihr Tablet und bedankt sich höflich. CeBIT nur für Techies? Never underestimate a librarian!

Deskriptoren: Messe, Informationstechnologie, Künstliche Intelligenz, Future Talk, CeBIT 2016

Elgin Helen Jakisch ist mit U&B Interim-Services, Berlin selbstständig und Mitglied im DGI-Vorstand sowie im Programmkomitee der DGI-Praxistage.

Online erschienen: 2016-5-3
Erschienen im Druck: 2016-5-1

© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Heruntergeladen am 22.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/iwp-2016-0029/html
Button zum nach oben scrollen