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Sprache als Erinnerungsort der Kultur: Die Bedeutung von Wortfeldern für das Sprachverständnis

  • Gunnar Klatt

    Dr. Gunnar Klatt, Dozent am German Department an der Ocean University of China. Seine Fachgebiete sind Literaturwissenschaft und Deutsche Geschichte.

    and Dongdong Qi

    Dr. Dongdong Qi, Korrespondenzautorin der vorliegenden Arbeit, Dozentin am German Department an der Ocean University of China. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Linguistik und Interkulturelle Kommunikation.

Published/Copyright: March 26, 2024

Zusammenfassung

Dieser Artikel behandelt das Thema Kultur und Wortfelder. An Stelle der realen Welt stellt jede Sprache eine halb fiktive Version von Dingen dar. Sprache schafft ihre eigene Sicht auf die Welt. Dies führt zu unterschiedlichen Wortfeldern für jede Sprache. Wortfelder aus dem Chinesischen und Deutschen werden hier als Erinnerungsorte mit ihrem kulturellen und historischen Hintergrund dargestellt. Auf dieser Grundlage wird die Bedeutung von Wortfeldern im Kulturkontext für das Sprachverständnis und die Sprachvermittlung aufgezeigt.

Abstract

This article looks at the topics of culture and semantic fields. Instead of the real world every language presents a fictive version of things. Language creates its own version of the world. This leads to different semantic fields in every language. In this article, Chinese and German semantic fields are presented as realms of memory within their cultural and historical backgrounds. It is further argued, that semantic fields are important for the learning, understanding and teaching of a language in its cultural context.

1 Einleitung

Sapir-Whorf-Hypothese besagt, dass Sprache ein Weg zur gesellschaftlichen Realität ist. Die reale Welt wird demnach zu einem großen Teil unbewusst nach den Sprachgewohnheiten ihrer Sprecher aufgebaut. Dabei sind zwei Sprachen nie ausreichend ähnlich, als dass man davon ausgehen kann, dass sie die gleiche gesellschaftliche Realität darstellen, folgt aus der Hypothese. Verschiedene Gesellschaften leben in ganz verschiedenen Welten. Es werden nicht einfach nur die Bezeichnungen in der Welt ausgetauscht (vgl. Kramsch 2014).

In diesem Artikel wird nun die in der Forschung über die semantische Struktur der Sprachen weitverbreitete Wortfeldtheorie von Jost Trier herangezogen. Sie teilt die Begriffswelt der Menschen sprachlich in viele Sinnbezirke auf, in denen die Wörter mit ähnlicher Bedeutung zusammen eingeordnet sind (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 154). Trier bezeichnet solche Wörtergruppen als Wortfelder (vgl. Foerste/Borck 1964: VII). Die Wortfeldtheorie bietet eine linguistische Methode zur Interpretation der semantischen Struktur an. Der Sapir-Whorf-Hypothese entsprechend, wird eine mehr oder minder große Divergenz zwischen den Sprachen erkennbar. Dieses Phänomen ist auf die jeweiligen Kulturen zurückzuführen. In diesem Artikel wird deshalb das Verhältnis von Sprache und Kultur untersucht.

2 Sprache, Kultur und Wortfeld

Sprache schafft Kultur als Norm für eine Gesellschaft, an die Sprecher sich halten muss (vgl. Kramsch 2014: 44). Daher ist es eine Aufgabe für Fremdsprachlehrer, diese Norm den Lernern und Lernerinnen deutlich zu machen und ein entsprechendes anderes Bild einer Gesellschaft und Kultur für die zu lernende Sprache zu vermitteln.

Der Mensch teilt über Sprache das Wesen von Dingen mit, das sich ihm erschlossen hat (vgl. Benjamin 1992: 31–32). Dabei stellt sich das Problem der Intersubjektivität, denn das Bewusstsein einer Person ist einer anderen nicht zugänglich. Um dieses Problem zu lösen, verwendet der Mensch Objektivierungen. Es kann sich bei diesen Objektivationen um Kulturgegenstände, aber auch abstrakte Zeichensysteme handeln. Diese Schöpfungen bilden dann das kollektive Gedächtnis der Menschen (vgl. Assmann 2018: 19). Sprache soll dementsprechend als Erinnerungsort betrachtet werden. Es soll dabei, so weit dies möglich ist, untersucht werden, wie diese Wortfelder entstanden sind, wie sie damit zu Erinnerungsorten wurden und welche Beziehung zwischen Wortfeld und Kultur deshalb aufgebaut wurde. Auf diese Art und Weise soll dann der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung ein Wortfeld als Erinnerungsort für die jeweilige Kultur hat, da dies seine Vermittlung beeinflusst.

Sprache ist kein unproblematischer Erinnerungsort, denn das Gedächtnis ist normalerweise von Vergessen geprägt, es kann nur eine bestimmte Menge an Informationen vorhalten und wählt entsprechend die, die als nützlich eingeordnet werden. Worte, die nicht gebraucht werden, geraten dann in Vergessenheit. So wird heute ein Wort wie Fräulein kaum noch gebraucht und das Wort Jungfer ist im Deutschen völlig aus dem aktiven Sprachgebrauch verschwunden und wird von gegenwärtigen deutschen Muttersprachlern auch kaum noch verstanden. Es ist eine derartige Veränderung im Wortgebrauch, die zeigt, weshalb Sprache überhaupt als Erinnerungsort bezeichnet werden kann. Sprache ist so nämlich ein doppelter Erinnerungsort, zum einen ist er als Archiv zu verstehen, in dem Dinge aufbewahrt werden, die nur bei wenigen Gelegenheiten noch in der Öffentlichkeit erscheinen, zum anderen zeigt er aber auch, dass bei allem sprachlichen Wandel bestimmte Dinge von Bedeutung sind, so dass sie auch, wenn ihre Ursprünge in Vergessenheit geraten sind, das Konzept, dass sie darstellen von Bedeutung ist, weil es für die Sprachgemeinschaft von Bedeutung war einen bestimmten Zustand oder eine Erscheinung von anderen zu unterscheiden und eindeutig zu bezeichnen. Im Zusammenwirken von Sprache als aktivem Spiegel gesellschaftlicher Realität und ruhendem Ort der Konservierung liegt der besondere Charakter des Erinnerungsortes Sprache. Schrift ist deshalb als ein wichtiger Teil des Erinnerungsortes Sprache zu sehen, denn Sprache ist als gesprochene Sprache flüchtig, die Schrift hingegen galt schon den Ägyptern als Medium der Verewigung (vgl. Assmann 2018: 181). Schrift ist als die dauerhafte Ausprägung eines kulturellen Funktionsgedächtnisses zu sehen, das ansonsten sprachlich an ein Subjekt gebunden ist. Kultur ist nicht Produkt der Schrift, sondern die Schrift ist ihr Abbild. Schrift vollzieht demzufolge nur das, was sich bereits in Sprache vollzogen hat, nach.

Dieses Funktionsgedächtnis ist grundsätzlich als ein lebendiges Gedächtnis zu sehen. Es ist gruppenbezogen, selektiv und in seiner Wirksamkeit auf die Zukunft bezogen. Dies bedeutet, dass Sprache insgesamt – als gesprochene und geschriebene Sprache – demnach ein „kollektives Gedächtnis“ schafft, das die Eigenart und Kontinuität einer Gruppe sichert. Dem Funktionsgedächtnis gelingt es damit die Identität von Gruppen wie Staaten oder Nationen als Großgruppen über lange Zeit zu erhalten (vgl. Assmann 2018: 131–137).

Die hier vorgestellten Wortfelder haben alle sehr klar historische Wurzeln, denn ihre Ursprünge liegen deutlich jenseits des drei Generationen umfassenden kommunikativen Gedächtnisses und sie haben – in gewissem Umfang – einen Wiedererkennungswert für eine Gruppe (vgl. Badstübner-Kizik 2020: 658). Aber sie beinhalten Worte, die noch im aktiven Gebrauch sind. Deshalb eignen sie sich besonders für die Untersuchung kultureller Lernprozesse in diesem Beitrag.

Erinnerungsorte bilden Knotenpunkte in Konnotationsnetzen und führen damit zu weiteren Interpretations- und Deutungsstrukturen. Wir kommen deshalb aufbauend auf Wilhelm von Humboldt zu der Beschreibung von Sprache als kognitiv (vgl. Trabant 2012: 25). Dazu ist die Fortsetzung dieses Gedankens durch Humboldt von besonderer Bedeutung, in der er ausführt, dass in der konkreten sprachlichen Äußerung die gedanklich gewonnene Sicht der Welt für den Menschen zu etwas Konkretem wird (ebd.). Für den Bereich von Fremdsprachen ist daher besonders zu beachten, dass nicht das Lernen von Vokabeln eine andere Sichtweise eröffnet, sondern der kommunikative Austausch. Dass dieser mit einem Muttersprachler erfolgen sollte, wäre dabei festzuhalten, da sich letztendlich nur über den Kontakt mit einem Repräsentanten der Kultur die umfassende und korrekte Bedeutung eines Wortes erschließen lässt.

Dies ergibt sich daraus, dass unter Kultur hier ein Konstrukt von kommunikativen Handlungen verstanden werden soll (vgl. Assmann 2018: 19). Wie hier bereits mit Walter Benjamin festgestellt wurde, teilt der Mensch sich mit, in dem er Dinge benennt. Der kommunikativ Handelnde möchte genau dies tun und einer anderen Person etwas Bestimmtes mitteilen, eine bestimmte Bedeutung mit einem Gegenüber teilen. Kommunikation ist deshalb das erfolgreiche Teilen von Bedeutung (vgl. Herdin 2018: 48). Ein Wortfeld entsteht demnach auf der Grundlage von Kommunikation innerhalb einer Gruppe, es wird so ein Erinnerungsort und Teil der Kultur dieser Gruppe. Wir setzen das Entstehen von Wortfeldern, dies wird die folgende Darstellung verdeutlichen, in eine Zeit, in der Kontakte mit anderen Kulturen noch eine Ausnahme darstellten. Die Globalisierung, die der Idee von Transkulturalität zugrunde liegt, spielt für Wortfelder als Teil von Kultur deshalb zunächst keine Rolle (vgl. Gehrmann 2017: 87). Dass die Globalisierung ein Wortfeld heute beeinflussen kann, soll damit nicht ausgeschlossen werden, denn ein Wortfeld kann sich durchaus auch schon in frühgeschichtlicher Zeit im kulturellen Austausch bilden, wie am Wortfeld zu Milchprodukten im Deutschen gezeigt wird.

Wir gehen hier nun einen dritten zwischen beiden Ansätzen der Transkulturalität und Homogenität vermittelnden Weg in der Betrachtung von Sprache und Kultur. Wir sehen Sprache als einen relativ stabilen Gegenstand, der sich nur langsam entwickelt. Sprache als Teil von Kultur stellt damit eine langfristige Struktur an Bedeutung für eine Gruppe von Menschen dar, wie Yoshihisa Kashima feststellt. Kultur wird dementsprechend von Kashima als System betrachtet. Gleichzeitig wird Kultur von Kashima aber auch als ein Prozess angesehen, in dem über Bedeutung von Symbolen ständig verhandelt und entschieden wird (vgl. Herdin 2018: 66). Es ist deshalb die Aufgabe ein einheitliches Muster zu finden, das hinter diesen Verhandlungen einer Kultur steht. Wenn diese Aufdeckung, wie in der hier vorgelegten Untersuchung geschieht, dann kann auch ein Blick auf ein anderes Land und dessen vorhersehbar anderes Muster zum Zweck des Vergleichs erfolgen. Sprachvermittlung ist für uns auch Kulturvermittlung und diesen Vergleich zu ermöglichen und die unterschiedlichen kulturellen Entstehungsbedingungen von Wortfeldern dabei deutlich zu machen, ist die Aufgabe der Lehrperson.

Gegenüber der umfangreichen Welt ist das sprachliche Darstellungsvermögen der Menschen begrenzt. Es gibt keine Sprache, die die Außenwelt exakt und vollständig beschreiben kann. Der kontinuierliche Umlauf der Sonne um die Erde wird sprachlich beispielsweise meist nur mit Tag und Nacht interpretiert (vgl. Wu 2000: 3). Die Welt wird von den Menschen vage und nicht homogen beschrieben. Nach Maletzke kann „ein Objektbereich sprachlich nur relativ grob kategorisiert, er kann aber auch außerordentlich fein ausdifferenziert werden; und dieses Ausmaß der Aufgliederung wird wesentlich gesteuert durch die Bedeutung, durch das Gewicht, das dem betreffenden Objektbereich in einer Kultur zukommt: Je bedeutender, desto feiner die sprachliche Differenzierung; und je weniger bedeutend, desto gröber die Differenzierung.“ (Maletzke 1996: 73)

Um diese Auffassung zu illustrieren und der Frage nachzugehen, weshalb Kultur in der Sprache so unterschiedlich dargestellt wird, werden hier ausgewählte Wortfeldpaare im Chinesischen und Deutschen als Beispiele dargestellt. Es geht in der Untersuchung bei einem Wortfeld um die Vielfalt dessen, was bezeichnet wird und bei anderem um die unterschiedliche Art und Weise, womit etwas bezeichnet wird.

3 Parallele Wortfelder

3.1 Bohnenprodukte – Milchprodukte

Bohnen und Milch zählen in China und Deutschland zu den wichtigen Nahrungsmitteln. Sie werden als Rohstoff zu verschiedenen Produkten verarbeitet.

Bohnen gehören zu den wichtigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen der Chinesen. Aufgrund der vielfältigen klimatischen Verhältnisse in diesem großen Land gibt es sehr unterschiedliche Bohnensorten. Sie werden nach Farben klassifiziert und bezeichnet, z. B. grüne Bohne, weiße Bohne, schwarze Bohne, gelbe Bohne, rote Bohne. Dabei stellte sich die Sojabohne – die gelbe Bohne für Chinesen – als der nahrhafteste Grundstoff heraus. Die Sojabohne wird zum Würzen und als Nahrungsmittel benutzt. Als die bekanntesten Nutzungen der Sojabohne sind Sojasoße, Sojamilch und Tofu zu nennen. Außerdem hat jede Region Chinas ihre Spezialitäten aus bestimmten Bohnen entwickelt. Die Bohnenprodukte zählen in China zum alltäglichen Essen und bilden dementsprechend ein großes Wortfeld.

Im Vergleich dazu sind in Deutschland Milchprodukte für das deutsche Essen gleichfalls wichtig. Man kann eine ganze Reihe von Milchprodukten aufzählen: Butter, Käse, Quark, Sahne, Joghurt usw., die weiter in Untergruppen erfasst werden und dementsprechend ebenfalls ein großes Wortfeld im Bereich der Nahrungsmittel bilden.

Die zwei Wortfelder stehen nur isoliert für sich allein und es bestehen keine Überlappungen zwischen ihnen. Zur Veranschaulichung werden sie in Tabelle 1 dargestellt.

Tab. 1:

Chinesische Bohnenprodukte und deutsche Milchprodukte

Bohnenprodukte (豆 dou)

豆汁 douzhi

豆浆 doujiang (Sojamilch)

豆皮 doupi

豆瓣酱 doubanjiang

豆油 douyou

酱豆腐 jiangdoufu

豆鱼 douyu

豆肠 douchang

豆腐 doufu (Tofu)

豆豉 douchi

Milchprodukte

Butter

Käse

Quark

Sahne

Joghurt

Rahm

Schmand

Buttermilch

Molke

Kefir

Im chinesischen Wortfeld lassen sich zu Bohnenprodukten noch Dutzende Bezeichnungen aufzählen, die nicht oder kaum auf Deutsch übersetzbar sind. Gleichfalls gibt es auch im deutschen Wortfeld Milchprodukte viele Unterkategorien, die den Chinesen völlig fremd sind.

Die voneinander weit divergierenden Wortfelder sind auf die Entwicklungen der jeweiligen Kulturen zurückzuführen. Die chinesische Geschichte und die deutsche Geschichte sind durch die Landwirtschaft geprägt. Die einheimischen landwirtschaftlichen Erzeugnisse dominieren seit eh und je die Ernährung.

Bohnen als nahrhafte Nahrungsmittel sind in China schon in der vorgeschichtlichen Zeit bekannt. Es ist historisch belegt, dass die Chinesen bereits vor 4000 bis 5000 Jahren begannen Bohnen anzubauen (vgl. Sun 2013: 8). Vielfältige Arten von Bohnen sind über die gesamte Ausdehnung des chinesischen Kulturraums vertreten. Zur Anpassung an den Geschmack der jeweiligen Einheimischen haben die Chinesen viele Verfahren zu ihrer Verarbeitung erfunden (z. B. trocknen, mahlen, gären, braten, räuchern), so dass eine große Menge von Bohnenprodukten zustande kommen. Ein in ganz China beliebtes Bohnenprodukt ist Tofu. Seine Verarbeitungstechnik begann schon in der Han-Zeit (ca. 179 v. Chr.) (vgl. Lan/Qin 2017: 138). Die Bohnen wurden durch Einweichen, Mahlen, Filtern und Kochen zu Sojamilch verarbeitet, dann mit einem Gerinnungsmittel zu Tofu weiterverarbeitet. Aus dem Tofu entwickelten sich noch viele regionale Varianten, die ebenfalls als Zutaten in Gerichten verwendet werden. Die Bohnen sind außerdem Rohstoff für vielfältige Gewürze.

Das Wort 豆 (dou) steht als Stichwort bereits im ersten und repräsentativen chinesischen Wörterbuch Shuowen jiezi (《说文解字》) vom Gelehrten Xu Shen, das im Jahr 100 n. Chr. erschienen ist. Das Wort 豆(dou) bedeutet hier aber nicht Bohne, sondern Behälter für Fleisch. Das Wort 豆 wurde von Xu Shen als Radikal aufgenommen, der einen Bedeutungsbereich angibt.[1] Zu diesem Bereich gehörten in diesem Wörterbuch sieben Wörter.

In dem Wörterbuch Xinhua da zidian (《新华大字典》) steht das Wort 豆 (dou) in der ersten Bedeutung für „eine Pflanze, deren Samen zu mehreren in länglichen, fleischigen Hülsen sitzen“ (vgl. Xinhua da zidian 2015: 200), in der dritten Bedeutung für einen Behälter für Lebensmittel. Der Bedeutungsbereich mit dem Radikal 豆 (Bohne) erweitert sich im neuen Wörterbuch auf 13 Wörter. Darüber hinaus setzt sich das Wort 豆 als Wortstamm mit anderen Wortteilen zu zehn neuen Wörtern zusammen. Daraus ist die große Bedeutung des Wortes 豆 in der chinesischen Kultur erkennbar. Zur Illustration werden einige Wörter aus dem Wörterbuch Xinhua da zidian (2015) in Tabelle 2 dargestellt.

Tab. 2:

Chinesische Schriftzeichen mit dem Radikal 豆 und deren Bedeutung

Schriftzeichen

Bedeutung

豌 (wan)

Erbse

豐 (feng)

Behälter voller Bohnen

荳 (dou)

eine Art von Bohnen

餖 (dou)

Tributgabe

脰 (dou)

Nacken

侸 (dou)

aufrecht stehen

浢 (dou)

Flussname

梪 (dou)

Behälter für Bohnen

郖 (dou)

Ortsname

痘 (dou)

Erhebung auf der Haut, Pocken

In der Tabelle 2 enthalten alle chinesischen Wörter das Radikal 豆, darunter haben aber einige Wörter mit Bohnen nichts zu tun. Aus dieser Darstellung ist die Bedeutung des Wortes 豆 (dou) in der chinesischen Kultur ersichtlich. Das Wortfeld erfasst damit die sich über mehrere Jahrtausende vollziehende Entwicklung eines zentralen Bereichs der chinesischen Ernährung und stellt entsprechend einen Erinnerungsort der chinesischen Agrarkultur dar.

Im Vergleich zu Bohnenprodukten kommt die chinesische Küche ohne Milchprodukte aus, weil Viehzucht in der Landwirtschaft in China nur eine Nebenrolle spielt (vgl. Hao 2022: 154). China hat erst in den letzten Jahrzehnten angefangen, Milchkühe in großem Maße zu züchten. Deshalb fehlen Milchprodukte in der klassischen chinesischen Ernährung.

Anders als China hat Viehzucht in Deutschland eine bedeutende Tradition. Die Landwirtschaft beginnt von 7000 v. Chr. bis etwa 4500 v. Chr. in ganz Europa zu dominieren, trotzdem lässt sich Viehwirtschaft trotzdem nur in sehr beschränktem Umfang feststellen (vgl. Pohanka 2016: 75, 122). Dennoch weisen in der indoeuropäischen Sprachfamilie viele Wortstämme für Nutztiere und Milchprodukte auf. Dieses Missverhältnis bedarf einer Erklärung. Den am weitesten verbreiteten Erklärungsansatz liefert die Kurgan-Hypothese von Marija Alseikeitė Gimbutas Diesem Ansatz nach ist das Indogermanische Urvolk mit der Kurgankultur identisch. Das Verbreitungsgebiet dieser Kultur liegt nördlich des Schwarzen Meeres bis hin zum Kaspischen Meer. Die Menschen leben als halbnomadische Hirten, auch wenn sie in geringem Umfang Ackerbau betreiben. Zwischen 4500 v. Chr. und 2200 v. Chr. ist es in Europa dann zu verschiedenen „Einwanderungswellen“ dieses indogermanischen Urvolkes gekommen (vgl. Pohanka 2016: 123). Da sich aber andererseits keine durchgreifende genetische Vermischung der Bevölkerung feststellen lässt, ist nur von einer kleinen Gruppe an Menschen, die zuwandert bis hin zu einer reinen Wanderung von Ideen auszugehen. Das Nomadenvolk der Kurgankultur hätte demnach eine seiner Lebensweise angepasste Sprache zusammen mit anderen Elementen seiner Kultur, wie der Viehwirtschaft, in das Gebiet der sesshaften europäischen Bauern gebracht, die dies alles in ihre Kultur übernahmen, die sich entsprechend veränderte (vgl. Pohanka 2016: 124). Nicht alle Begriffe im Wortfeld der Milch und Milchprodukte lassen sich dabei bis zu ihrem Ursprung nachverfolgen. Die Germanen kannten Käse aber nur in Form eines weichen quarkähnlichen Frischkäses und übernahmen erst von den Römern das Wissen zur Herstellung festerer Käsesorten. Dies zeigt, dass mit dem kulturellen Kontakt nicht nur ein Produkt eingeführt wurde, sondern dass es auch eine sprachliche Entwicklung innerhalb der deutschen (germanischen) Sprache gegeben hat, da das Wortfeld Milch und Milchprodukte, so viel ist sicher, eindeutig nicht lateinischen Ursprungs ist. Kultur tritt in diesem Beispiel, sowohl als ordnendes System mit ausgeprägt lokalem Ursprung hervor, genauso wie sie auch als dynamischer Prozess erkennbar wird.

Die Verarbeitung von Milch zu verschiedenen Produkten ist dabei eine notwendige Folge des Umstands, dass Milch in ihrem Rohzustand sehr schnell für den menschlichen Genuss verdirbt. Die Weiterverarbeitung der Milch macht sie in unterschiedlichem Umfang länger haltbar. Die Behandlung der Milch ist ein Vorgang, der andere an dieser Stelle wichtigere Vorgang ist die Benennung des Produkts. Durch die unterschiedlichen Benennungen wird das Wissen um den Prozess, der dieses Produkt erzeugt hat, an andere Menschen weitergegeben. Genauso beschreiben aber auch die vielfältigen Worte für Bohnen und ihre Produkte eine erfahrbare Realität für die Menschen, die durch Sprache geordnet wird. Die Sprache verfestigt deshalb das Wissen der Menschen über die Welt, in der sie leben und wandelt es damit in eine kulturtypische Eigenart.

An diesem Wortfeld wird deutlich, warum sich im chinesischen Wörterbuch kein Wortfeld der Milchprodukte findet und im Deutschen kein Wortfeld der Bohnenprodukte, das der jeweils anderen Sprache im Umfang oder Bedeutungen entspricht. Dies belegt die angeführte These von Maletzke, dass, was für eine Sprachgemeinschaft relevant ist, das wird genauer ausdifferenziert; für etwas, das in einer Sprachgemeinschaft keine große Bedeutung hat oder nicht existiert, besteht entsprechend ein kleines oder kein Wortfeld. Wortfelder sind damit ein Abbild der Kultur als erfahrbare Realität, die ihren Ursprung in frühgeschichtlicher Zeit hat und deshalb die Eigenschaft als ein vom Individuum losgelöster die Kultur prägender Erinnerungsort deutlich macht.

3.2 Städtenamen

Sowohl im Deutschen als auch im Chinesischen fallen einige Städtenamen häufig ins Auge: viele chinesische Städtenamen haben ein Morphem als Endung 州 (zhou), während viele deutsche Städtenamen das Morphem -burg besitzen. Ein Blick auf eine Landkarte zeigt viele chinesische Städte mit der Endung -zhou und viele deutsche Städte mit -burg. Unter anderem sind einige bekannte Städte in Tabelle 3 zu nennen.

Tab. 3:

Chinesische Städtenamen mit -州 und deutsche Städtenamen mit -burg

Chinesische Städte mit -州 (-zhou)

广州Guangzhou

杭州Hangzhou

郑州Zhengzhou

福州Fuzhou

兰州Lanzhou

温州Wenzhou

朔州Shuozhou

徐州Xuzhou

常州Changzhou

苏州Suzhou

扬州Yangzhou

湖州Huzhou

沧州Cangzhou

锦州Jinzhou

台州Taizhou

Deutsche Städte mit -burg

Hamburg

Freiburg

Duisburg

Lüneburg

Rothenburg

Wolfsburg

Riedenburg

Oldenburg

Marburg

Limburg

Frohburg

Augsburg

Annaburg

Arneburg

Coburg

Das Phänomen, dass die Morpheme mit -zhou und -burg als Endung so häufig vorkommen, ist kein Zufall, sondern sie stehen im engen Zusammenhang mit der Geschichte und stellen einen Erinnerungsort als kollektives kulturelles Gedächtnis dar.

Das Wort 州 (zhou) stammte schon aus der Xia-Dynastie (2070 v. Chr.). 州bedeutet ursprünglich eine bewohnbare Insel (vgl. Tang 1997: 1606). In der Qin-Zeit (221 v. Chr. – 207 v. Chr.) wurden aus mehreren kleinen Reichen ein einziges geschlossenes Land. Zur besseren Verwaltung wurde das Land in 9 Bezirke aufgeteilt, die mit zhou bezeichnet wurden (vgl. Chang 1995: 188). Daher wurde das Land neben China auch 九州 (jiu zhou – neun Zhou) genannt. Der Name九州 (jiu zhou) ist in vielen historischen Werken zu finden.

Das Morphem -zhou zur Bezeichnung einer Verwaltungseinheit hat sich bis in die Gegenwart erhalten (vgl. Xia 1999: 265). Allerdings hat sich das Bezeichnetes verändert. In der ganzen Kaiserzeit (221 v. Chr. – 1911) wurde 州 (zhou) in der Verwaltung unmittelbar dem kaiserlichen Hof untergeordnet und galt als die größte Verwaltungseinheit. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurde aber nicht mehr nur eine Provinz, sondern ihre Hauptstadt mit zhou bezeichnet, u. a. 广州 (Guangzhou), 郑州 (Zhengzhou). Danach verbreitete sich das Wort zhou, womit auch viele neu entstandenen Städte benannt wurden. Dieses Phänomen steht im engen Zusammenhang mit der Industrialisierung in China. Im 20. Jahrhundert befindet sich China in der Industrialisierungsphase. Sie führte zu vielen neuen Siedlungen, denen ein Name gegeben wird, z. B. 徐州 (Xuzhou), 锦州 (Jinzhou). Im Laufe der Zeit verliert das Wort Zhou zunächst seine ursprüngliche Bedeutung Insel (州 – zhou) und ist heute zu einem reinen Morphem für die Wortbildung geworden.

Der deutsche Städtenamenteil -burg beruht sehr wahrscheinlich auf dem gotischen Wort baurgs und entstammt damit in seinem Ursprung einer germanischen Sprache (Simek 2006: 21). Bei der damit bezeichneten Anlage handelt es sich um einen von einem ringförmigen Wall umgebenen Platz, der von den Germanen als Zufluchtsort in Zeiten der Gefahr aufgesucht wurde. Die Siedlungsweise der Germanen ist ansonsten von weit auseinanderliegenden Gehöften gekennzeichnet, wobei enger geschlossene Siedlungsformen kleiner Gruppen von Höfen nur regional unterschiedlich stark nachweisbar sind (vgl. Simek 2006: 21–22). Eine Burg ist daher nicht mit einer Höhenburg gleichzusetzen, wie sie die Nürnberger Burg darstellt, dies ist ein mittelalterlicher Typ von Burg, der sich aus der sich veränderten Kriegsführung ergibt. Auch in sehr flachen Gebieten, wie dem norddeutschen Tiefland finden sich derartige Hinweise auf eine Fluchtburg in den Namen von z. B. Oldenburg oder Nienburg (Weser). Der geografische Ort der Stadt entsteht dann zunächst auch unabhängig von einer derartigen Wehranlage. Mit den Römern kommt die Einrichtung festgelegter Bezirke als Verwaltungs- und Rechtseinheiten nach Deutschland (vgl. Goten 2013: 25–26). In diesen Bezirken befinden sich zunächst eine ganze Reihe von Siedlungen, die jedoch nicht alle zum Ausgangspunkt einer Stadt werden. Zentrum der ersten größeren Ansiedlungen sind zunächst die römischen Lager, um die sich eine Marktstadt für die Versorgung der Soldaten bildet, wie etwa in Regensburg. Die Befestigungsanlage ist hier also noch keineswegs Teil der Siedlung, sondern klar von ihr getrennt.

Die Lager oder auch andere Verwaltungseinrichtungen, verfallen mit dem Abzug der Römer und was die Menschen jetzt an den Ort bindet, sind die Kirchen von Bischöfen, die sich zum Zentrum der Stadt entwickeln (vgl. Goten 2013: 25–26). Ein Bischofssitz ist ein bedeutender Faktor für die Wirtschaft, die Funktion als Handelsplatz bleibt dem Ort also erhalten. Damit wird die Ansiedlung an diesem Ort für die Menschen interessant, was zum Wachstum der Siedlungen führt. Aus diesem Wachstum ergibt sich die Notwendigkeit sie rechtlich aus dem übrigen Gebiet herauszulösen, da die Verwaltung nur so ihren vergleichsweise besonderen Bedürfnissen und ihrer Größe gerecht werden kann (Goten 2013: 63). Die Entwicklung der Stadt bedeutet damit aber auch einen wachsenden Wohlstand, der wiederum eines besonderen Schutzes bedarf, weshalb es zur Befestigung der Städte kommt. Der alte Begriff der Burg erhält in dieser Situation eine neue Bedeutung, da er nun einem ständigen Siedlungsplatz zufällt.

Um die Wende vom 11. Jahrhundert. zum 12. Jahrhundert Beginnt der Begriff Burg sich dann von dem der Stadt zu trennen. Dies hat nicht nur damit zu tun, dass Burgen nun zunehmend als Höhenburgen verstanden werden, sondern auch damit, dass die Einwohner der Städte beginnen eine eigene Identität zu entwickeln (Goten 2013: 89–90) Die Städte erscheinen dabei nicht nur als priviligiert, sondern sie sind dies besonders im Fall der Reichsstädte, die nur dem Kaiser untergeordnet sind auch wirklich. Was unabhängig von allen mit dem Stadtstatus verbundenen rechtlichen Privilegien für die Stadt dabei bis ins 19. Jahrhundert hinein von Bedeutung bleibt, ist ihre Stadtmauer, die zu jener Zeit längst ihre ursprüngliche militärische Bedeutung verloren hat, da Kriege nun von Armeen in Schlachten auf offenem Feld geführt werden und nicht mit Belagerungen verbunden sind. Es mögen bedeutende Siedlungen außerhalb der Stadtmauer entstehen, die Stadt erkennt diese nicht als Teil von sich an, das Stadttor allein markiert den Weg in die Stadt und die Mauer ist ihre Grenze. Die Durchbrechung dieser Regelung erfolgt beispielhaft in Hannover mit dem Aufbau der sogenannten „Oststadt“ erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die unmittelbar an die Stadt Hannover angrenzende Stadt Linden mit umfangreicher Industrie wird sogar erst 1920 eingemeindet.

Die Sichtweise der Stadt als eng begrenzter Raum hat sich demzufolge von ihrem Ursprung in der befestigen Burgsiedlung bis in die Gegenwart in Deutschland erhalten.

Die chinesische Sichtweise auf die Stadt ist eine ganz andere. Eine chinesische Stadt wird sehr viel weiträumiger aufgefasst als eine deutsche Stadt, die heute klar zwischen der eigentlichen Stadt und ihrem Landkreis in der Verwaltung unterscheidet. Eine chinesische Stadt bezieht diesen nach deutschen Maßstäben oftmals sehr ländlich geprägten Landkreis mit entsprechenden Siedlungen in den Begriff der Stadt mit ein. Damit spiegelt sich im Chinesischen bis heute der Begriff zhou als Verwaltungseinheit wider, der im Deutschen in Verbindung einer Gruppe von Siedlungen, wie dargestellt wurde, mit dem Ende der römischen Herrschaft in Germanien langsam verloren ging, da er nur noch auf eine ausgewählte Siedlung bezogen wird.

Wir haben einleitend mit Yoshihisa Kashima Kultur als einen Prozess eingeordnet und Hans-Jürgen Heringer vertritt sehr ähnlich die Auffassung, dass Sprache ein Produkt der kulturellen Evolution ist (vgl. Heringer 2004: 128). In den Städtenamen mit -zhou und -burg lässt sich Sprache als Geschichte und damit als ein Erinnungsort fassen: In China wird das Beiwort zhou in der Geschichte zur Verwaltung benutzt, während in Deutschland eine Burg vor allem als Schutzanlage dient. Der Grund dafür, dass zhou keine Bedeutung von Schutz hat, könnte darin liegen, dass China seit der Qin-Zeit (bereits vor über 2000 Jahren) ein vereintes Land ist. Doch kann man dies auch für den deutschen Sprachraum für die Zeit ab Karl dem Großen um etwa 900 sagen, und damit weit früher als sich die Begriffe Burg und Stadt voneinander zu trennen beginnen. Die Befestigung der Stadt dient dementsprechend auch in Deutschland weniger der Abwehr konkreter Gefahren, als mehr dem Ausdruck einer Abgrenzung, bei der auch die Verwaltungsstellung eine Rolle spielt. Aber bei einer im rechtlichen in manchem ähnlichen Ausgangslage führt es sprachlich doch zu sehr unterschiedlichen Betrachtungsweisen des bezeichneten Objekts.

Nach dem trilateralen Zeichenmodell von Ogden und Richards – auch semiotischen Dreieck genannt – besteht zwischen dem Sprachkörper und dem Gegenstand eine willkürliche Relation (vgl. Stolze 2001: 43). An diesen Beispielen ist jedoch ersichtlich, dass sich auch über Sprachen hinweg dabei durchaus Ähnlichkeiten im Charakter ergeben können und die Relation dementsprechend nicht rein willkürlich sein kann. Die Einzelheiten sind dann zwar wie gezeigt wurde sehr unterschiedlich, denn in ihnen macht sich die kulturelle Prägung bemerkbar, doch widerspricht dies nicht dem Konzept einer sinnhaften Relation. Viele typische Teile der Ortsnamen in Deutschland mit Endungen wie -kirche, -heim und in China wie – 阳 yang (Sonne), 安 -an (Frieden) lassen sich genauso auf einen historischen Ursprung zurückführen, auch sie sind demnach sprachliche Erinnerungsorte, deren jeweiliger Hintergrund an dieser Stelle jedoch nicht untersucht werden kann.

Die Relation von Sprache und Gegenstand wird, so wird gesagt, von „einer unsichtbaren Hand“ gesteuert (vgl. Heringer 2004: 115). Die oben angeführten Wortfelder zeigen uns aber, dass diese Steuerung der Sprachkörper, auch wenn sie nicht durch konkret nachweisbare Entscheidungen erfolgt, dennoch stark an eine kulturell-geschichtliche Evolution gebunden ist und damit erklärbar sind und keineswegs so unsichtbar ist wie behauptet.

Dieses Wortfeld macht auch deutlich, dass sich kulturelle Unterschiede durchaus hinreichend mit historischen Entwicklungen erklären lassen, da sie auf grundsätzliche Merkmale bauen. Diese Wortfelder sind demnach Erinnerungsorte und sie bilden durch ihr einheitliches Muster gleichzeitig auch die Basis der Kultur. Eine unter die Oberfläche gehende Betrachtung der Städtenamen im Sinne des Eisbergmodells, nach dem sehr viel des betrachteten Objekts unter der (Wasser-)Oberfläche verborgen bleibt, zerstört diese Gemeinsamkeit wieder, denn zu unterschiedlich sind hier sowohl im kulturinternen, wie auch im kulturübergreifenden Vergleich die Unterschiede, wenn ein Deutscher bei Wolfsburg an den Autokonzern Volkswagen denkt, während dem Chinesen bei Hangzhou der Westsee als Assoziation erscheint. Dies sind der Stadt als allgemein erfahrbare Realität nachgeordnete – individuelle – Punkte, auch wenn sie wichtige Bestandteile der jeweiligen Kultur sind, sind sie nur Teil des weiteren Netzes, das sich vom Wortfeld ausgehend spannt. Für Fremdsprachenlerner und -lernerinnen sind zum Verständnis des Wortfeldes und damit für eine erfolgreiche Kommunikation letztendlich sowohl historisch formative, wie individuelle Merkmale und Assoziationen wichtig. All dies muss dementsprechend in der Lehre thematisiert werden.

4 Ungleiche Wortfelder

Radegundis Stolze (2001: 31) weist als Zusammenfassung der Ansichten von Leo Weisgerber darauf hin: Jede Sprache gilt als ein relativ geschlossenes, gegen andere Sprachen abgegrenztes System. Dabei wird betont, dass sich nicht für jedes Wort einer Sprache in jeder anderen ein genaues Äquivalent finde, sondern dass gewisse Unterschiede auftreten.

Nach dieser Auffassung besteht in zwei Sprachen kaum der Fall, in dem ein Wortpaar im Verhältnis 1:1 steht. Die Bedeutung der einzelnen Wörter wird auch in diesem Fall durch den semantischen bzw. kulturellen Kontext fixiert. Eine für eine Sprachgemeinschaft wichtige Bedeutung wird von dieser weitergehend definiert und in mehre Sprachkörper aufgeteilt, d. h. gegenüber einer Einzelbedeutung in einer Sprache kann in einer anderen Sprache ein ganzes Wortfeld bestehen. Im Folgenden gibt es einige Beispiele dafür.

4.1 Wortfeld 酒杯 (jiubei)

Die Bezeichnungen der Wein- und Alkoholtrinkgefäße im alten China leiten sich meist von ihrer Form und der Hierarchie ab, die sie repräsentieren, während die Namen der deutschen Weingefäße davon abhängen, für welche Art von Wein sie verwendet wurden. Mit der kontinuierlichen Entwicklung der Gesellschaft und der Wirtschaft in China ändern sich auch die Materialien, die handwerkliche Verarbeitung, die Formen und die Funktionen der Alkoholbehälter. Im alten China waren die Alkoholtrinkgefäße allgemein als „尊“ (zun) bekannt. Neben den „zun“ gibt es auch „壶“ (hu), „爵“ (jue), „角“ (jue), „献“ (xian), „杯“ (bei), „盏“ (zhan), „盅“ (zhong), „罄“ (qing) und viele andere (vgl. Wang 2011: 103). Jede Art von Trinkgefäßen hat ihre eigene Funktion und ist unterschiedlich geformt. Die Vielfalt der chinesischen Alkoholtrinkgefäße ist nicht nur auf die Entwicklung der sozialen Produktivität zurückzuführen, sondern auch auf das Bedürfnis der feudalen Hierarchie, verschiedene Identitäten durch unterschiedliche Gefäße zu repräsentieren (vgl. Wang 2011: 103).

Im Gegensatz dazu haben die Wein- und Alkoholtrinkgefäße in dem heutigen China nicht mehr die Funktion, Hierarchie zu repräsentieren. So werden die obigen Bezeichnungen in der gegenwärtigen alltäglichen Kommunikation selten gebraucht. „酒杯“ (jiubei – Glas für Alkoholgetränke) ist der am häufigsten benutzte Ausdruck.

Es gibt auch viele verschiedene Arten von deutschen Weintrinkgefäßen. Ein Unterschied zu China ist jedoch, dass man, egal ob man Rot- oder Weißwein trinkt, ein gläsernes Gefäß verwendet, damit man die Farbe des Getränks beim Trinken beobachten kann. Für jede Weinsorte gibt es ein geeignetes Glas, z. B. schlanke Sektflöten, Bordeauxgläser, Cocktailgläser, Weinbrandgläser mit kleinem Stiel und großem Bauch usw.

Die deutsche Essens- und Getränkekultur unterscheidet sich sehr stark von der chinesischen und entsprechend besteht auch ein Bedarf nicht nur an Gegenständen, sondern damit auch an angemessenen Bezeichnungen für sie. Die Vielfalt der Bezeichnungen verdeutlicht darüber hinaus, dass entsprechend der These von Maletzke dem Alkoholkonsum und alkoholischen Getränken eine im Vergleich zu China größere Bedeutung zukommt, da die Vielfalt der Bezeichnungen in direkter Beziehung zur Bedeutung steht.

Gläser sind aber nur ein Teil des Gesamtzusammenhanges Geschirr, für den sich im Deutschen wesentlich mehr Bezeichnungen finden als im Chinesischen, wie z. B. der Kuchenteller oder Dessertteller und nicht zu vergessen die weitgehende Differenzierung der Biergläser, die für unterschiedliche Biersorten auch noch unterschiedliche Gläser benennt, wie z. B. einen Humpen. Das Wort Humpen für ein großes kräftiges Biergefäß stammt laut Peifers Etymologischen Wörterbuch wahrscheinlich aus der Studentensprache und steht mit dem niederdeutschen hump(e), was einen Klumpen bezeichnet, in Verbindung. Der Humpen ist erst seit dem 16. Jahrhundert bezeugt. Auch der Begriff Seidel, der für ein das als Humpen bezeichnete Biergefäß ebenfalls gebräuchlich ist, kommt aus dem mittelalterlichen lateinischen Wort situlus und wird laut Pfeifers etymologischen Wörterbuch im 13. Jahrhundert entlehnt. Während ein Humpen sowohl Form und Größe sowie Gewicht des Gegenstandes neben seinem erheblichen Inhalt darstellt, zeigt der Seidel nur die Eigenschaft eines großen Gefäßes für Flüssigkeit an, ohne dies jedoch näher zu beschreiben. Diese Bezeichnungen zeigen eine Entwicklung, die sich aus dem konkreten Bedarf für eine spezifische Benennung ergibt. Die sprachliche Veränderung folgt hier nur bedingt kulturellen Veränderungen, denn diese gehen ihr voran.

In der historischen Betrachtung sind nämlich andere Dinge von Bedeutung, die auf die Ursprünge von Worten in diesem Wortfeld als solche blicken. Das Wort Bier ist laut Etymologischen Wörterbuch des Duden in seinem Ursprung nur sehr zweifelhaft westgermanischer Herkunft. Als Getränk in seiner heutigen Form wird Bier um 600 zuerst in Klöstern gebraut und verdrängte allmählich das germanische ungehopfte bierähnliche Getränk, dessen Bezeichnung im englischen Wort Ale laut Etymologlischen Wörterbuch des Duden heute noch besteht. Bier entsteht damit zwar nicht mehr unter dem direkten Einfluss der Römer aber in einer Gemeinschaft, in der Latein eine sehr geläufige Sprache ist, so dass die Bezeichnung möglicherweise vom lateinischen bibere (trinken) abgeleitet wird. Mit dem neuen Getränk wird damit in jedem Fall aber auch ein neues Wort in die Sprache eingeführt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Werkstoff Glas. Glas war den Germanen unbekannt und sie kamen mit ihm in Form von Perlen und Schmuck allgemein erst durch die Römer in Kontakt. Als klares und durchsichtiges hartes Material war den Germanen Bernstein bekannt. Das Wort Glas bildet sich dabei laut Pfeifers Etymologischen Wörterbuchs zunächst im Mittelniederdeutschen als glār. Diese Herkunft ist nicht rein zufällig, denn an den Küsten von Nord- und vor allem Ostsee und damit im Niederdeutschen Sprachraum findet sich bis heute Bernstein. Damit wird die Bezeichnung dieses versteinerten Baumharzes glaza im Althochdeutschen bereits zu glas und die laut Pfeifers Etymologischen Wörterbuch ursprünglich im Begriff ausgedrückte für Bernstein typische gelbliche Färbung geht in dem Wort verloren, dass nun den Werkstoff bzw. daraus gefertigte Objekte bezeichnet. Das Deutsche übernimmt damit nicht das lateinische Wort vitrum, sondern findet in seiner eigenen Kultursphäre aussagekräftige Worte, die dem Bezeichnungsbedarf für den Stoff entsprechend angepasst werden. Diese Begriffe werden demnach, dies zeigt sich an diesen Beispielen sowohl durch kulturelle Kontakte, die neue Materialien einführen, wie auch durch die Bezeichnungen, die die eigene Umwelt bereits bietet mit neu gebildeten Wörtern bezeichnet. Interkulturelle Kontakte und Sprachwandel stehen an dieser Stelle in einem engen Zusammenhang. Die deutsche Sprache übernimmt dabei aber nicht einfach fremde Begriffe, sondern beeinflusst im Gegenteil mit der lateinischen Bezeichnung glaesum für Bernstein ihrerseits die lateinische Sprache. Es kann deshalb nicht von einer automaitschen Dominanz der Herkunft des Kulturimports für die sprachliche Bezeichnung ausgegangen werden, sondern die Sprachgemeinschaft entscheidet nach ihrem eigenen bereits vorhandenen Sprachbestand über die Aufnahme fremder Worte oder die Umformung bereits vorhandener Begriffe. Weil es Begriffe gibt, die bereits bestimmte Eigenschaften darstellen, die für die neue Bezeichnung ebenfalls von Bedeutung sind, beeinflussen sie die Entwicklung der Neubezeichnung eindeutig in Richtung des eigenen Sprachbestandes.

4.2 Wortfeld 教堂 (jiaotang)

Im europäischen Raum spielt die Religion eine bedeutende Rolle. Für die europäische Geschichte und Kultur ist dazu das Wortfeld 教堂 (jiaotang) entstanden. Einem chinesischen Ausdruck gegenüber sind mehrere deutsche Bezeichnungen zu lernen, die das folgende Wortfeld bilden: Gotteshaus, Kirche, Dom, Münster, Synagoge (vgl. Fuchsberger 2008: 547).

China ist ein Land mit vielen Religionen. Es gibt sowohl den einheimischen Taoismus als auch Buddhismus, Islam und Christentum, die aus dem Ausland nach China eingeführt wurden. Die Bauten des Taoismus sind 宫 (gong, Palast) oder 观 (guan, taoistischer Tempel) genannt. Islamische Moscheen und christliche Kirchen sind auch zu finden. Der Tempel gehört mit der buddhistischen Pagode und der Grotte zu den drei Bauten des Buddhismus.[2] Es gibt nur einen Ausdruck 教堂 (jiaotang) für die Bezeichnung der christlichen Gebäude, weil sie lange nur in sehr geringem Umfang in China und überhaupt nicht in den angrenzenden Gebieten anzutreffen sind. Deswegen besteht nicht der Bedarf, verschiedenartige Gebäude des Christentums voneinander zu trennen und jeweils einen Namen zu geben.

Im Deutschen verhält sich es sich jedoch ganz anders mit der Wortbildung für religiöse Gebäude als im Chinesischen. Dies liegt darin begründet, dass die germanische Götterverehrung im Freien stattfand, da die Natur und Götter in enger Verbindung standen, wie noch heute immer wiederkehrende Funde von Opferfunden in Moorgebieten zeigen. Der heilige Bonifatius lässt bei seiner Missionsarbeit unter den Chatten so auch eine dem obersten Gott Donar oder Thor geweihte Eiche fällen, um den Menschen die Bedeutungslosigkeit dieses Gottes im Vergleich zum Christentum zu zeigen. Die Germanen haben also keinen Bezugspunkt für einen Begriff in ihrer eigenen Kultur, der sich für ein christliches religiöses Gebäude anbieten würde, als die Notwendigkeit einer Bezeichnung auftritt. Bedeutung erlangte das Christentum im germanischen Sprachraum des römischen Reiches zuerst mit der Entscheidung Konstantin des Großen das Christentum zunächst zu tolerieren und dann auch zu fördern. Konstantin machte zu dieser Zeit Trier zu seiner Hauptstadt. Die Germanen kamen dort laut Pfeifers Etymologischen Wörterbuch mit dem spätgriechischen Wort kyrikón für Gotteshaus in Kontakt und schon im Althochdeutschen findet sich dann das Wort kiricha, woraus im Mittelhochdeutschen bereits das Wort kirche entsteht. Die allgemeine Verbreitung der Religion verbreitet also auch das dafür notwendige Wort, was hier erkennbar ist. Das Christentum wird zu einem Bestandteil der deutschen Kultur und sein Wortschatz wird in diesem Falle entsprechend angepasst übernommen.

Es ist davon auszugehen, dass es Juden schon in römischer Zeit im römischen Teil Germaniens wie in vielen anderen Teilen des Reiches gab. Mit dem Auftreten von Juden in deutschen Städten ist aber entsprechend dem Codex Theodosianus Kaiser Theodosius II. auch schon von Anfang an ihre Trennung vom christlichen Teil der Stadt verbunden (vgl. Bühl 2019: 54–55). Damit wurden auch die Synagogen nicht ebenso wie die Kirchen ein Teil der Alltagskultur. Deshalb gab es offensichtlich keinen Bedarf für einen besonderen deutschen Begriff für diese Gebäude, es wurde hier vielmehr nur der entsprechende kirchenlateinische Begriff synagōga ins Deutsche mit leichter Veränderung übernommen.

Synagogen haben eine zwar nur randständige, aber langandauernde Geschichte in Deutschland. Anders sieht es mit Moscheen aus. Bis ins späte 20. Jahrhundert hinein treten sie in deutschen Städten nicht in Erscheinung und werden dort, wo man sie zu etablieren versucht oftmals heftig als „fremd“ abgelehnt. Noch stärker als die mittlerweile in allen Großstädten wiedererrichteten und weitgehend integrierten Synagogen bleiben die Moscheen damit eine Ausnahme in Deutschland. Diese Distanz drückt sich auch in der Entstehung des Wortes Moschee aus. Auch wenn die Mauren die spanische Halbinsel seit der Mitte des 8. Jahrhunderts als Teil der islamischen Welt beherrschten, waren Moscheen erst mit den Kreuzzügen ab dem 11. Jahrhundert ein Bauwerk, dass ins europäische Bewusstsein rückte, da die Kreuzritter ihnen auf ihren Feldzügen begegnen. Doch wenn schon Spanien so war der südliche Mittelmeerraum für die Deutschen in damaliger Zeit noch unvorstellbar weit entfernt und seine Kultur damit nicht von Bedeutung. Im Deutschen existieren deshalb zwar schon Bezeichnungen wie meesgitt im Frühneuhochdeutschen des 14. Jahrhunderts, doch lehnen sie sich stark an das Spanische mezquita an. Im späten 15. Jahrhundert und im Verlauf des 16. Jahrhunderts findet dann jedoch ein Wechsel zum Ausdruck Muschea bzw. Moschea statt. Dies deutet eher auf italienische Ursprünge hin, wo das Wort moschea gebraucht wird. Die ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu verzeichnende Schreibweise Moschee folgt dann aber einem französischen Muster, da es dort den Ausdruck mosquée gibt, erklärt Pfeifers Etymologisches Wörterbuch die Wortgeschichte.

Hinter jedem Wortfeld verbirgt sich, dies zeigen alle Beispiele ein Stück Kulturgeschichte. Alle Beispiele belegen jedoch die These von Maletzke, dass je bedeutender, desto feiner die sprachliche Differenzierung; und je weniger bedeutend, desto gröber die Differenzierung ist. Dass das deutsche Wortfeld dabei etwas genauer differenziert als das chinesische ist nicht von Bedeutung. In beiden Feldern gibt es ein weit verbreitetes Standardwort und die Ergänzungen werden der Einfachheit halber aus anderen Sprachen übernommen ohne eine eigene Wortschöpfung im eigentlichen Sinne, denn für diesen Prozess scheint keine Notwendigkeit zu bestehen, da es sich nur um Randerscheinungen der Lebenswelt handelt, die es zu bezeichnen gilt. Im Deutschen wird dabei die besondere Stellung der christlichen Religion für die Kultur entsprechend besonders deutlich, die es entsprechend zu vermitteln gilt.

Die beiden Wortfelder illustrieren dabei aber besonders die eingangs des Textes angeführte These, dass Wörter die Welt nur in kognitive Einheiten gliedern. Es ist im Wortfeld 教堂 (jiaotang) keine Bevorzugung einer Religion in der Ausprägung der Worte festzustellen, sondern lediglich ein Abbild einer historisch fundierten Situation. Das Wortfeld ist als damit als Erinnerungsort zur Kenntnis zu nehmen. In Einklang mit Kashimas Sicht von Sprache als Prozess ist demnach trotzdem nicht auszuschließen, dass die chinesische Sprache bei zunehmendem Auftreten anderer Religionen in China darauf auch sprachlich durch eine erhöhte Differenzierung reagiert, genauso wie die Übernahme von Lebensmitteln aus anderen Kulturkreisen deren sprachliche Kategorisierung notwendig macht.

Gerade an ungleichen Wortfeldern wird deutlich, dass Lerner und Lernerinnen sich von seinen Vorstellungen, die er aus seiner eigenen Kultur an den Bereich mitbringt frei machen muss, um die Bedeutungen der Wörter wirklich zu erfassen und nicht nur das zu sehen, was er ohnehin schon kennt (vgl. Gehrmann 2017: 94). Konkret erfahrbare oder nachvollziehbare Faktoren machen diesen Zugang wie auch bei den ähnlich gestalteten Wortfeldern leichter. Der Geruch, der Geschmack, die Temperatur von Wein verändern sich direkt erfahrbar unterschiedlich in unterschiedlichen Glasformen. Die Struktur des Alltagslebens sagt wesentliches über das Verhältnis von Mann und Frau aus. Gesetzmäßigkeiten der Chemie, Physik oder Theologie sind deshalb den Assoziationen, die mit anderen Dingen verbunden sind, gleichzusetzen, ihre Bedeutung ist demnach ebenfalls der konkreten Erfahrung nachgeordnet. Sprache hat auch hier im Wortfeld etwas abgebildet, dass sich aus dem konkreten Erleben der Menschen ergeben hat und es damit als Erinnerungsort konserviert.

5 Schlussbemerkungen

Zusammengefasst stellen die oben dargestellten kulturspezifischen Wortfelder zwei Dinge dar: zum einen geht es bei den Wortfeldpaaren um das, was bezeichnet wird, das aufgrund der diversen Gegenstände radikale Unterschiede aufweisen, so dass die zwei Wortfelder nur für ihre Sprachgemeinschaft stehen. Zum anderen geht es bei den Wortfeldern um die Art und Weise, wie etwas bezeichnet wird, die durch ihre Geschichte geprägt ist. Die den Wortfeldern innewohnende ungleiche Interpretationsweise hat eins verdeutlicht: die Kultur schlägt sich in ihrer Sprache nieder oder anders gesagt, die Sprache trägt ihre Kultur. Die Bezeichnungen für die Beschreibungsobjekte sind in der Kultur, der Geschichte, der Religion und in den Sitten verwurzelt. Die Lehrperson sollte den Sprachlernenden aufzeigen, dass die Wortfelder jeder Sprache das Produkt der kulturellen Geschichte sind und als Erinnerungsorte betrachtet werden müssen.

Diese Erkenntnis ist für die Fremdsprachenlehre relevant, weil mit dem Erwerb einer zweiten Sprache das Eintauchen in eine zweite Kultur verbunden ist. In diesem Artikel werden kulturspezifische Wortfelder beschrieben und interpretiert, um Lehrpersonen für die Erkenntnis der kulturellen Prägung in der Sprache zu sensibilisieren. Die Lehrperson muss sich bewusst sein, dass Wörter nicht im luftleeren Raum existieren. Dort wären sie auch bald tot. Um zu leben, ja eigentlich um lebendig zu werden, brauchen sie wie die Luft zu Atmen eine Umgebung, den Kontext (vgl. Kußmaul 2007: 41). Unter Kontext versteht sich hier die Kultur beider Sprachen, die erlernt wird, aber auch die Muttersprache der Lehrperson.

Wortfelder entwickeln sich ganz von allein, ohne Anlehnung an die Muster einer anderen Sprache. Zwei Sprachsysteme lassen sich nicht aneinander messen oder das eine als das Maß des anderen nehmen. Man kann ein Wortfeld erst gut verstehen, wenn man es in den Zusammenhang seines kulturell-geschichtlichen Umfelds setzt. Viele semantische Fehler im Fremdsprachenunterricht liegen nicht an der Lernmethode, sondern an der falschen Sichtweise der Fremdsprache.

Es ist für die Lehrperson deshalb empfehlenswert, den Lernenden von der ersten Stunde an zu erklären, dass eine Sprache ein Produkt ihrer Sprecher und ihrer Kultur ist, und dass die Lernenden eine entsprechende Einstellung der Offenheit zur Fremdsprache haben sollen. Sprache muss immer wieder als die spezifische Sichtweise der Welt durch ihre Sprecher vorgestellt werden. Es sollten für Wortfelder immer wieder Unterschiede und ggf. auch Berührungspunkte aufgezeigt werden, die ein tieferes Verständnis der zu erlernenden Sprache, wie auch der Muttersprache der Lerner und Lernerinnen ermöglichen, sowie die Lehrperson ihre eigene Sprache dabei reflektiert.

Von der Sichtweise von Kultur als Eisberg, die nur zu einem kleinen Teil sichtbar ist, ist besonders die Notwendigkeit der Einleitung und Führung von Bedeutung für uns. Während es bei jener Darstellung von Kultur vor allem um die verborgenen Probleme, für die der Eisberg steht, in der konkreten Begegnung mit der anderen Kultur geht, konzentrieren wir uns hier aber vielmehr auf die Konsequenzen der Kulturunterschiede für die Sprachvermittlung. Eine Sprachvermittlung, die von Anfang an, die Verbindung von Sprache und Kultur auf einer grundsätzlichen Ebene herausstellt, setzt Lerner und Lernerinnen sehr viel weniger den Gefahren eines Eisbergs aus. Das Erlernen einer Sprache darf nicht auf das Lernen von Worten einer Vokabelliste als Übersetzung beschränkt bleiben. Die Lehrperson sollte das semantische Umfeld auf den Kulturkontext ausdehnen, denn so werden die Lernenden im Umgang mit der Fremdsprache sehr viel gewandter und sicherer.

In praktischer Hinsicht ist daher eine Forderung an Lehrpersonen, wie auch die Lehrwerke Unterricht zu einem multimedialen Unterricht auszubauen, in dem z. B. Internetseiten aus dem Ursprungsland der gelehrten Sprache genutzt werden. Genauso kommt Videomaterial damit eine wichtige Rolle zu. Höraufgaben müssen nicht zwangsläufig nur mit Audiodateien verbunden sein, sondern können auch an Filme gekoppelt werden, die gleichzeitig Kultur in bewegten Bildern mit den Worten für die Lernenden lebendig werden lassen. Zeitgemäßer Fremdsprachenunterricht muss sich immer auch als „Landeskundeunterricht“ verstehen. Lehrveranstaltungen aus den Bereichen Geschichte und Landeskunde, die Kultur als ihren eigentlichen Inhalt vermitteln, sind sinnvolle Ergänzungen des Sprachunterrichts. Die Betrachtung von Literatur kann als Auseinandersetzung mit dem Gebrauch von Sprache gerade durch ihren nicht alltäglichen poetischen Gebrauch die Sichtweise der Sprecher auf ihre Welt in ganz unterschiedlichen Perspektiven deutlich machen. Gerade im Bereich der Literatur bieten sich dazu thematische Quervergleiche zur Literatur der Muttersprache an, um Gemeinsamkeiten oder Unterschiede im Gebrauch von Sprache deutlich zu machen. Die Lernmotivation und der Lernerfolg werden durch einen derartig verschiedene Bereiche integrierenden Lehransatz für die Fremdsprache sichtbar ansteigen.

About the authors

Dr. Gunnar Klatt

Dr. Gunnar Klatt, Dozent am German Department an der Ocean University of China. Seine Fachgebiete sind Literaturwissenschaft und Deutsche Geschichte.

Dr. Dongdong Qi

Dr. Dongdong Qi, Korrespondenzautorin der vorliegenden Arbeit, Dozentin am German Department an der Ocean University of China. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Linguistik und Interkulturelle Kommunikation.

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Published Online: 2024-03-26
Published in Print: 2024-11-11

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Downloaded on 12.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/ifdck-2023-0010/html
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