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Agenda zwischen Ambition und Abseits?

Zur Demokratiepolitik der Ampel-Koalition
  • Christopher Gohl

    Dr. Christopher Gohl forscht und lehrt am Weltethos-Institut an der Uni Tübingen. Zwischen Mai und Oktober 2021 vertrat er die FDP als Nachrücker im Bundestag, u. a. als stellv. Mitglied im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement. Er leitet die Kommission Freiheit und Ethik der FDP und ist als Ombudsmitglied ständiger Gast im Bundesvorstand. Gohl ist Mitglied in den Kuratorien der Theodor-Heuss-Stiftung und Mehr Demokratie e.V. sowie Mitglied des Verwaltungsrats der Reinhold-Maier-Stiftung. E-Mail: gohl@weltethos-institut.org.

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Published/Copyright: March 24, 2022
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Zusammenfassung

Die Ampel-Koalition will „mehr Fortschritt wagen“. Macht der Koalitionsvertrag Hoffnung darauf, dass sie dafür die Demokratie besser organisiert und zivilgesellschaftlich vertieft? Eine Untersuchung des Koalitionsvertrags soll die real existierende demokratie- und engagementpolitische Agenda der Ampel für die Jahre 2021–2025 herausarbeiten. Dafür wird zunächst im Rückgriff auf das historische Beispiel von Hildegard Hamm-Brücher und auf Konzeptionen der Politikwissenschaften überlegt, welche Aspekte, Kategorien und Gestaltungsansprüche „Demokratiepolitik“ erfassen könnte, und in welchem Verhältnisse sie zur Engagementpolitik steht. Mit Hilfe der gewonnenen heuristischen Begriffe wird anschließend der Koalitionsvertrag durchkämmt und werden Funde auf politische Herausforderungen, einschlägige Leitbilder sowie auf drei Agenden der Demokratie als Herrschaftsform, Regierungsform und Lebensform ausgetragen. Dabei zeigt sich, dass das staats- und wirtschaftsfixierte Narrativ der Ampel nicht zum faktischen Ehrgeiz in demokratie- und engagementpolitischen Fragen passt. Das abschließende Fazit würdigt einerseits die umfassenden Vorhaben und problematisiert andererseits fehlende Klärungen und Leitbilder, mögliche Bruchstellen und offensichtliche blinde Flecken. Noch kann die Ampel ihre Ambition aus dem Abseits nehmen, das der Demokratie- und Engagementpolitik droht.

Abstract

The new German three party government (Social Democrats, Greens and Liberals) aims to „dare more progress“. Are hopes justified that democracy will become better organized as a way of government, and deepened as a way of life? An examination of the coalition founding document is intended to clarify the agenda for democratic governance and civil society in 2021–2025. In reference to to the historical example of Hildegard Hamm-Brücher and to concepts of political science, this article first considers which aspects, categories and claims a democratic reform policy might cover, and how its design relates to civic engagement policy. With the help of heuristic terms so obtained, the coalition treaty is then combed through. Findings are clustered in terms of political challenges, relevant visions, and three reform agendas in regard to democracy as a basic form of order; a form of government; and a way of life. It turns out that the state and economy-fixated narrative of the coalition does not fit the factual ambition in regard to democratic reform and civic engagement. In conclusion, comprehensive projects are acknowledged while the lack of a clarified vision, possible breaking points and obvious blind spots are problematized. It may not be too late to realize the full potential of democratically engaging civil society in meeting the challenges of transformation.

Über den Autor / die Autorin

Dr. Christopher Gohl

Dr. Christopher Gohl forscht und lehrt am Weltethos-Institut an der Uni Tübingen. Zwischen Mai und Oktober 2021 vertrat er die FDP als Nachrücker im Bundestag, u. a. als stellv. Mitglied im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement. Er leitet die Kommission Freiheit und Ethik der FDP und ist als Ombudsmitglied ständiger Gast im Bundesvorstand. Gohl ist Mitglied in den Kuratorien der Theodor-Heuss-Stiftung und Mehr Demokratie e.V. sowie Mitglied des Verwaltungsrats der Reinhold-Maier-Stiftung. E-Mail: gohl@weltethos-institut.org.

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Online erschienen: 2022-03-24
Erschienen im Druck: 2022-03-28

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 25.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/fjsb-2022-0006/html
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