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Kondrup, Johnny, Britta Olrik Frederiksen, Christian Troelsgård & David Bloch: Dansk Editionshistorie Bd. 1–4

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Published/Copyright: December 1, 2025

Rezensierte Publikation:

Kondrup, Johnny Britta Olrik Frederiksen Christian Troelsgård David Bloch 2021. Dansk Editionshistorie Bd. 1–4. Kopenhagen: Museum Tusculanums Forlag


1 Einleitung

Es sei vorweggenommen: Bei dem vorliegenden vierbändigen Werk zur vollständigen dänischen Editionsgeschichte (auf das Verständnis dieses Terminus wird im Folgenden explizit einzugehen sein) handelt es sich um eine Pionierarbeit, die mit äußerster fachlich-akademischer Expertise und Sorgfalt im renommierten Kopenhagener Wissenschaftsverlag Museum Tusculanums Forlag vorgelegt wurde, ohne jedoch den vielleicht ebenso wichtigen Vermittlungsaspekt außer Acht zu lassen, wodurch sich das Werk zwar vermutlich in erster Linie an akademische Fachkreise richtet, sich aber auch einer interessierten Leserschaft außerhalb des wissenschaftlichen Radius keineswegs verschließt. Ferner liegt ein rein buchästhetisch betrachtet äußerst ansprechendes Werk vor.

Es mag nicht verwundern, dass das Vorhaben, eine solch umfassende dänische Editionsgeschichte zu konzipieren, zu koordinieren und zu erarbeiten, nicht von heute auf morgen realisiert werden kann. Als primus motor zeichnet Prof. Johnny Kondrup, Institut for Nordiske Studier og Sprogvidenskab, Universität Kopenhagen, verantwortlich, der das Fach Editionsphilologie an seinem Institut aufgebaut und als mittlerweile festen Bestandteil des Curriculums implementiert hat. Erwähnung verdient außerdem seine inzwischen zum unverzichtbaren Standardwerk avancierte Publikation Editionsfilologi (Kopenhagen: Museum Tusculanums Forlag, 2011, 553 S.), in sich bereits eine Pionierarbeit. Dass Kondrup ungemeine Verdienste für den Bereich der Editionswissenschaft zu verzeichnen hat, belegt auch seine Initiative zur Etablierung des Nordisk Netværk for Editionsfilologer, kurz NNE, ein im Jahr 1995 ins Leben gerufenes Forschungsnetzwerk mit flacher Hierarchie, mit dem klaren Bestreben nach Stärkung der Editionsphilologie als Beschäftigungsfeld (in Theorie, aber insbesondere auch in der Praxis), des fachlichen Austauschs und auch der Nachwuchsförderung in den nordischen Ländern. Regelmäßige Konferenzen, Forschungsworkshops und Publikationen unterstreichen diesen unermüdlichen Impetus. An dieser Stelle sei die NNE-Schriftenreihe Nordisk Netværk for Editionsfilologer. Skrifter explizit erwähnt, deren umfassender Band 10, Editionshistorie (2014, herausgegeben von Johnny Kondrup und Klaus Nielsen, 264 S.), ein Tagungsband ist, der als eine Vorarbeit zu dem hier zu rezensierenden Werk gilt.

Für das nun seit geraumer Zeit in imposanter wie überzeugender Form vorliegende Ergebnis des im Jahr 2011 begonnenen interdisziplinären Forschungsprojekts, die vierbändige Dansk Editionshistorie, zeichnet also Hauptherausgeber Johnny Kondrup mit einem Redaktionsteam bestehend aus Britta Olrik Frederiksen, Christian Troelsgård und David Bloch verantwortlich. Sie gehören auch zum Verfasserteam, insgesamt 24 Forscherinnen und Forscher, Expertinnen und Experten, Textphilologinnen und Textphilologen, hauptsächlich aus Dänemark, aber auch aus Norwegen, Island und Deutschland. Allein die Liste der Beitragenden der Einzelbände verspricht Substantielles und liest sich wie ein Who is who (in alphabetischer Reihenfolge): Klaus Alpers, David Bloch, Ivan Boserup, Adam Bülow-Jacobsen, Sten Ebbesen, Markus Hedemann, Anders Leegaard Knudsen, Fritz Saaby Pedersen †, Karen Skovgaard-Petersen und Christian Troelsgård (Band 1); Matthew Driscoll, Anne Mette Hansen, Odd Einar Haugen, Jonna Louis-Jensen, Gottskálk Jensson, Britta Olrik Frederiksen, Ragnheiđur Mósesdóttir und Marita Akhøj Nielsen (Band 2) sowie Peter Balslev-Clausen, Per Dahl, Johnny Kondrup, Flemming Lundgreen-Nielsen, Sebastian Olden-Jørgensen und Vibeke A. Pedersen (Band 3).

Inhaltlich gewährleisten die vier Bände der Dansk Editionshistorie – zunächst grob zusammengefasst – einen Überblick über wissenschaftliche Editionen, die in Dänemark oder von dänischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von der Renaissance bis zur Gegenwart erarbeitet und vorgelegt wurden. Drei Schwerpunkte, die sich auf die Bände 1–3 verteilen, lassen sich in der Darstellung ausmachen: erstens Ausgaben griechischer und lateinischer Literatur, hauptsächlich der Antike, aber auch lateinische Werke aus dem Mittelalter, der Renaissance und der Neuzeit (Band 1), zweitens Editionen der westnordischen und ostnordischen Literatur des Mittelalters (Band 2) sowie drittens Ausgaben der neusprachlichen dänischen Literatur, d. h. der Literatur, die nach der Erfindung des Buchdrucks (bzw. dessen Einführung in Dänemark ca. 1495) entstanden ist (Band 3). Abgerundet wird dieser Überblick durch einen Begleitband, Band 4, mit der Bündelung und Ergänzung durch vorbildlich ausgearbeitete und in höchstem Maße funktionale Bibliographien und Register, wodurch dieser Band einen unentbehrlichen Mehrwert bringt.

Die Bände sind mit ihren insgesamt knapp 3.000 Seiten nicht nur inhaltsschwer, sondern auch in jeder Hinsicht gewichtig (abgewogen knapp 6 kg).

2 Konzeption

Die grobe inhaltliche Aufteilung und damit die Untersuchungsschwerpunkte auf die drei Hauptbände wurden bereits erwähnt. Dabei wird genauestens darauf Bedacht genommen, dass diese Untersuchungsschwerpunkte diachron, chronologisch-progressiv gestaltet sind, wodurch auch eine fortschreitende Fokussierung möglich ist, die sich in Fall- und Spezialstudien äußert. Konkret ist jeder Band mit einer Einleitung versehen, wonach die einzelnen Kapitel folgen. Als Ergänzung (und im Sinne der Fokussierung) enthält jeder Band so genannte Spezialstudien: Band 1 enthält eine Spezialstudie, Band 2 zwei und Band 3 drei an der Zahl.

Im ersten Band wird erwartungsgemäß die Konzeption des Unterfangens eingehend dargelegt. Was umfasst eigentlich der Begriff Editionsgeschichte und inwiefern ist die Editionsgeschichte ein Forschungsfeld? (S. 31). In Bezug auf letztere Frage werden die Jahre um die Jahrtausendwende als eine Art Geburtsstunde dieses Forschungsgebiets identifiziert, zu belegen durch diverse Publikationen auf diesem Gebiet und sich in einem allgemeinen verstärkten Interesse für die Editionswissenschaft manifestierend. Nicht nur bedingt dieses Interesse ab dem Ende des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Auseinandersetzung mit der Editionswissenschaft und ihren Praktiken, entscheidend ist auch der digitale Medienwandel, der die Editionswissenschaft in den letzten Jahrzehnten neu befeuert und gleichzeitig auch ein Um- und Neudenken notwendig gemacht hat, nicht zuletzt in Bezug auf die editorische Methodik und Praxis.

Was ist aber unter Editionsgeschichte zu verstehen? Eine Antwort könnte lauten: der diachrone Blick auf die produktions-, überlieferungs- und rezeptionsseitige Editionstheorie und -praxis. Die Editionsgeschichte bzw. die Geschichte des Edierens darzulegen bedeutet somit, die historische Transformation der Editorik an sich (also Theorie und Praxis der wissenschaftlichen Edition) nachzuzeichnen, darunter auch das sich wandelnde Verständnis des Editionsbegriffs und das des Herausgebers (bspw. als Autorität oder als autoritätsbefreiter Akteur). Dabei können die sich über Jahrhunderte etablierenden und ebenfalls dem Wandel unterworfenen Methoden und Techniken der Herausgebertätigkeit nicht losgelöst vom Bildungs- und Wissenschaftsbegriff betrachtet werden (was ist Wissenschaft, Geisteswissenschaft, Philologie etc.?). Editionsgeschichte wird verstanden als historisch gedachte Editionswissenschaft und somit per se als Teil der Wissenschaftsgeschichte. Entsprechend steckt sich das Werk folgendes Ziel: „Dansk editionshistorie [sic] vil give en historisk og systematisk fremstilling af, hvilke viden-skabelige udgaver der er blevet foranstaltet i Danmark eller af danske lærde fra renæssancen til i dag.“ (S. 40) Das editorische Arbeitsfeld wird dabei als ein Aspekt der Wissenschaftsgeschichte verstanden, indem dieses Arbeitsfeld in den Kontext der Diskussionen editionsphilologischer Methodik, der literarischen Kanonisierungen, der ideologischen und hermeneutischen Paradigmen, der Literatursoziologie sowie der Buch-, Bibliotheks- und Mediengeschichte gestellt wird (vgl. S. 43).

Editionsgeschichte als wissenschaftliche Disziplin nimmt als historische Phänomene sowohl die Editionspraxis und ihre zugrundeliegende Theorie als auch ihren Gegenstand, die Texte an sich, in den Blick. Die Editionsgeschichte geht dabei dem Vorläufigkeitscharakter der Wissenschaft entsprechend davon aus, dass jede Ausgabe prinzipiell immer nur relativ und vorläufig sein kann (S. 39), und jede Herausgebertätigkeit und ihre definierten Ziele, Motivationen, Methoden, Theoriegebäude und Resultate unterliegen allesamt den jeweiligen historischen Bedingungen.

Perspektiven, die sich durch die Beschäftigung mit der Geschichte der dänischen Editionsphilologie ergeben, werden benannt als (1) bewusstseins- und ideologiehistorisch (die wandelbare und sich stetig verändernde Auffassung von Wert und Nutzen alter Texte), (2) literatursoziologisch (die Geschichte von Finanzierung und Distribution von Literatur), bibliotheksgeschichtlich (die Geschichte der Bibliotheken als produktive Stätten der Edition, aber auch der Bewahrung), institutionsgeschichtlich (etwa anhand der Geschichte von Literatur- und Editionsgesellschaften), buchhistorisch (materielle und buchästhetische bzw. materielle Aspekte des Buches beleuchtend) sowie medienhistorisch (mit Fokus auf den Übergang von der Handschrift zum Buchdruck bis hin zur digitalen Edition) (vgl. S. 40).

Sowohl die Auswahl des inhaltlichen Korpus als auch Form und Aufbau der Darstellung werden stringent, didaktisch, überzeugend und nachvollziehbar argumentiert.

3 Die vier Bände

Im Folgenden werden die einzelnen Bände kursorisch umrissen, wobei auf den dritten Band exemplarisch ausführlicher eingegangen wird.

Der erste Band, Udgivelse af græsk og latinsk litteratur (851 S.), widmet sich der dänischen Edition griechischer und lateinischer Literatur zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Eingeleitet werden die Darlegungen mit einem ausführlichen Einführungskapitel (S. 51–100), das einen Überblick über die Bedeutung der lateinischen und griechischen Literatur für die dänische Editorik ebenso umfasst wie eine gründliche Introduktion in die Editionsphilologie und ihre textkritische Methodik als Grundlage für das Verständnis der Folgekapitel. Hier wird auf relevante Aspekte der Buchkultur und (historische) Editionspraxis konzise eingegangen, u. a. auch auf kodikologische und paläographische Fragestellungen. Vier übergeordnete Abschnitte mit jeweils mehreren Unterkapiteln widmen sich sodann zunächst dem Bereich „Renæssance og Oplysningstid“ (S. 103–239), mit Kapiteln zu lateinischen und griechischen Ausgaben des Gesamtzeitraums 1500–1800. Der folgende Abschnitt, „Den metodiske tekstudgivelses gennembrud: Madvig og hans efterfølgere“ (S. 243–412), widmet sich in extenso der herausragenden Bedeutung des dänischen klassischen Philologen Johan Nicolai Madvig (1804–1886). Madvig hatte die philologische Methodik entscheidend geprägt, insbesondere durch seine mustergültige systematische Analyse von Handschriftenmaterial auf der Grundlage der genealogischen Methode; von Madvig beeinflusst war auch der Mathematiker und klassische Philologe Johan Ludvig Heiberg (1854–1928) – nicht zu verwechseln mit dem älteren Schriftsteller gleichen Namens. Seine zahlreichen Ausgaben der wichtigsten überlieferten antiken, spätantiken und byzantinischen Werke zu naturwissenschaftlichen Themen auf Griechisch (S. 383–412) waren nicht zuletzt aufgrund ihres textkritischen Zugangs bemerkenswert. Heibergs Ausgaben von griechischen naturwissenschaftlichen Werken (bspw. von Archimedes und Euklid) stellten eine bedeutende Stärkung der Quellengrundlage und einen wichtigen dänischen Beitrag zur europäischen Wissenschaftsgeschichte in diesem Bereich dar. Ein dritter Abschnitt widmet sich in sieben Unterabschnitten zahlreichen Beispielen für „1900-tallets koordinerede udgivelsesprojekter“ (S. 415–692), bspw. über die Relevanz von Gesellschaften, Akademien und Fördereinrichtungen, dänische Ausgaben griechischer Lexika oder die Edition dänischer Philosophen des Mittelalters. Schließlich folgt der vierte und letzte Abschnitt, „Øvrig udgivelsesaktivitet i 1900-tallet“ (S. 695–794), der von dänischen Papyrusausgaben bis zu Ausgaben dänischer neulateinischer Literatur reicht. Ergänzt werden diese Abschnitte mit der Spezialstudie „500 års udgaver af Saxos Danmarkshistorie“ (S. 797–848) zur fünf Jahrhunderte umfassenden Editionsgeschichte des um 1200 entstandenen Geschichtswerks Gesta Danorum von Saxo Grammaticus (ca. 1160-nach 1208). Es handelt sich um eine faszinierende und facettenreiche Darlegung der vollständigen Editionsgeschichte, angefangen bei der materiellen Ausgangs- und Überlieferungssituation, über die erste gedruckte Ausgabe von 1514 unter dem (hier verkürzt wiedergegebenen) Titel Danorum egum heroumque historię durch den Theologen und Buchdrucker Christiern Pedersen (ca. 1480–1554) – auf der alle späteren Ausgaben beruhen, da keine vollständigen mittelalterlichen Manuskripte erhalten sind – bis hin zur bisher letzten Ausgabe mit englischsprachiger Parallelübersetzung aus dem Jahr 2015, Gesta Danorum – The History of the Danes, herausgegeben von Karsten Friis-Jensen. Nachdem sich die Untersuchung über mehrere Jahrhunderte erstreckt, lassen sich gerade wandelnde Praktiken, Strategien und Bedingungen nicht nur in Bezug auf die textkritische Arbeit, sondern auch auf Verlagspraktiken oder buchhistorische Aspekte besonders anschaulich gestalten. Die Gesamtheit des Bandes zeichnet ein deutliches Bild von der bemerkenswert starken Stellung der dänischen Editorik, nicht zuletzt auch im internationalen europäischen Kontext.

Band 2, Udgivelse af norrøn og gammeldansk litteratur (896 S.), fokussiert im Wesentlichen auf zwei wissenschaftliche Ausrichtungen innerhalb der dänischen Editionsgeschichte, beide gleichzeitig integraler Bestandsteil der dänischen Wissenschaftsgeschichte: Zum einen werden in „Norrøn litteratur“ (S. 47–485) die Editionstraditionen und -diskussionen norwegisch-isländischer (westnordischer), ausschließlich in Handschriften überlieferter Mittelalterliteratur in den Blick genommen, zum anderen in „Gammeldansk litteratur“ (S. 489–806) jene der dänischen (ostnordischen), zum überwiegenden Teil in Handschriften überlieferten Mittelalterliteratur; die Darlegung der Editionsgeschichte reicht bis ins Jahr 2015. Besondere Erwähnung verdient das vergleichsweise ungewöhnlich umfangreiche Kapitel „Udgivelse af gammeldansk litteratur ca. 1825–2015“ (S. 537–806!), in dem Britta Olrik Frederiksen insbesondere auf institutionelle Aspekte der wissenschaftlichen Herausgebertätigkeit eingeht und Editionsprojekte von Det nordiske Literatur-Samfund, Samfund til udgivelse af gammel nordisk litteratur und Universitets-Jubilæets danske Samfund bespricht. Für die Zeitspanne 1911-ca. 2000 werden unterschiedliche Projekte von Det Danske Sprog- og Litteraturselskab thematisiert und jene Problemstellungen und Herausforderungen anschaulich dargelegt, die sich im Zuge der konkreten editorischen Auseinandersetzung von Projekten der jüngeren Vergangenheit herauskristallisiert haben, etwa in Bezug auf das Projekt „Danmarks gamle Landskabslove“ (S. 636–665). Zwei Spezialstudien, „Skálholt-udgaverne af norrøne værker omkring 1690“ (S. 809–836) und „Middelalderens danske Bønnebøger“ (S. 837–894) schließen den Band ab. Wie jeder der drei Hauptbände steht auch am Beginn von Band 2 ein Einführungskapitel. Im Hinblick auf die editionswissenschaftlichen Grundlagen und Methoden verweisen die Autoren dieses Kapitels, Matthew Driscoll und Britta Olrik Frederiksen, auf die fachspezifische Einleitung in Band 1, die auch auf handschriftenspezifische Fragestellungen Bezug nimmt. Auf eine gesonderte Darstellung wird also bewusst verzichtet, wohl um Redundanzen zu vermeiden. Das ist insofern in Ordnung, als Dansk Editionshistorie ohnehin nur in ihrer Gesamtheit zu erwerben ist.

Der dritte Band, Udgivelse af dansk litteratur (767 S.), widmet sich der Editionsgeschichte der neueren dänischen Literatur ab der Implementierung des Buchdrucks in Dänemark. Auch am Beginn des dritten Bandes steht zunächst eine vom Hauptherausgeber Johnny Kondrup verfasste Einleitung (S. 19–66), die sich wie ein Lehrbuch zur Editionsphilologie liest (und im Übrigen auch auf Kondrups bereits erwähntes Standardwerk Editionsfilologi aus dem Jahr 2011 aufbaut); fast könnte man auch von einem Crashkurs über die wichtigsten methodologischen Grundlagen und editionswissenschaftlichen Problemstellungen sprechen, inklusive konziser terminologischer Abklärungen und einem abschließenden wissenschaftshistorischen, stets mit Praxisbezug versehenen Abriss der Ausgabentradition bis hin zu digitalen und hybriden Ausgaben. Es folgen drei große Kapitel zur Edition dänischer Literatur im Zeitraum 1495–2018, portionsweise aufgeteilt in die Zeitspannen 1495–1800, 1800–1900 und 1900–2018. Es versteht sich von selbst, dass diese drei Kapitel aufgrund der enormen zeitlichen Spanne und der damit einhergehenden Weiterentwicklung des textkritischen Zugangs und des sich wandelnden Buchwesens im Allgemeinen, also in literatursoziologischer Hinsicht, nicht einer einheitlichen Systematik unterliegen (können). Gemeinsam ist ihnen aber jedenfalls, dass sie alle die stetig zunehmende Relevanz institutioneller Einrichtungen mit editionsphilologischem Profil wie Editionsgesellschaften in den Fokus nehmen. Nicht zuletzt das Kapitel zur jüngsten dänischen Editionsgeschichte widmet sich explizit der ausführlichen diachronen Präsentation von Struktur, Entwicklung und konkreten editorischen Projektaktivitäten der Netzwerke bzw. Gesellschaften Universitets-Jubilæets danske Samfund, Det Danske Sprog- og Litteraturselskab sowie Nordisk Netværk for Editionsfilologer. Drei gattungsspezifische Spezialstudien beschließen den Band. In der ersten geht es um die Editionsgeschichte der dänischen Mittelalterballaden (folkeviser) zwischen 1591–2018. Die Darlegung der Editionsgeschichte eines solchen Projekts bietet vielerlei interessante Einsichten auch in den Wandel der editionsphilologischen Prinzipien. In der zweiten Spezialstudie, „Danske salmebøger 1528–2002“ (S. 567–654) behandelt Peter Balslev-Clausen die Editionsgeschichte der dänischen, kirchlich kontextualisierten Gesangbücher, als solche gewissermaßen Gebrauchstexte. Anhand dieser Gattung wird auch die Entstehung eines dänischen Lyrikkanons diskutiert und dessen Entwicklung anhand der Liederbuchausgaben bis in die Gegenwart beleuchtet. In der dritten Spezialstudie, „Udgivelse af kilder til dansk historie 1514–2018“ (S. 655–765), beleuchtet Sebastian Olden-Jørgensen die Editionsgeschichte dänischer historischer Quellen, d. h. von Texten, die zumindest nicht primär einem engen Literaturbegriff zuzurechnen sind. Dass Begriffs- und Gattungsgrenzen jedoch einem steten Wandel unterliegen, zeigt gerade diese Untersuchung. Die Spezialstudie ist auch Ausdruck eines interdisziplinären Zugangs, einer gegenseitigen Befruchtung von Geschichts- und Literaturwissenschaft, indem Fragen der Historiographie mit jenen der Editionsphilologie verknüpft werden.

Band 4, Litteraturlister og registre (421 S.), stellt einen in seiner Funktionalität vorbildlichen Supplementband dar. Er präsentiert eingangs nochmals die Inhaltsverzeichnisse der Bände 1–3, gefolgt von ausgezeichnet strukturierten, den jeweiligen Kapiteln der einzelnen Bände eindeutig zuordenbaren und einem einheitlichen Aufbau folgenden, aussagekräftigen Bibliographien. Die Register (Namen- und Themen- bzw. Sachregister) stellen ein für ein so umfassendes Werk ebenso unverzichtbares wie nützliches Werkzeug dar.

4 Exemplarische Beleuchtung der dargelegten editionsgeschichtlichen Entwicklungslinie in Band 3

Flemming Lundgreen-Nielsens Kapitel „Udgivelse af dansk litteratur 1495–1800“ (S. 67–160) über die dänische Literatur und deren Editionspraxis vom ausgehenden 15. Jahrhundert bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, in dem also auch der entscheidende Medienübergang zum gedruckten Buch enthalten ist, ist allein schon wegen der abgedeckten Zeitspanne bemerkenswert. Entsprechend präsentiert der Autor einen mit zahlreichen Namen und Titeln gespickten Überblick. Das älteste in Dänemark auf Dänisch gedruckte Buch ist die dänische Reimchronik, allgemein als „Rimkrøniken“ bekannt, mit dem eigentlichen Titel then danskæ Krønnickæ (1495), eine Geschichte Dänemarks auf Basis von 115 erdichteten Monologen vom mythischen König Dan bis zum historischen Christian 1. im Knittelvers. Bei der Ausgabe, gedruckt von Gotfred af Ghemen (?-1510), handelt sich um die Wiedergabe eines älteren, handschriftlich überlieferten, anonymen Textes. Dieses Werk ist nicht nur das älteste gedruckte Buch Dänemarks, sondern gilt auch als die erste Publikation eines dänischen literarischen Werks. Um 1500 gibt es nur wenige Buchdrucker in Dänemark, zudem sind auch nur wenige neu verfasste Texte verfügbar, weshalb man auf Manuskripte früherer Jahrhunderte zurückgreift. Die Reformation und die Schließung bzw. Vernichtung von klösterlichen Sammlungen begünstigt diese Praxis jedoch nicht. Außerdem gibt es weitere bedeutende Verluste durch den Brand von Kopenhagen 1728, bei dem sowohl die Universitätsbibliothek als auch private Sammlungen stark in Mitleidenschaft gezogen werden; auch die folgenden Brände von 1795 und 1807 bedeuten entsprechende Verluste.

Im Zeitraum 1495–1799 erscheinen sowohl so genannte gelehrte Ausgaben (Vorläufer der wissenschaftlichen Ausgaben, also eigentliche textkritische Ausgaben in angestrebter historisch-authentischer Form mit einem entsprechenden Apparat, gedacht für Studium und Forschung) als auch kommerziell oder privat veranstaltete Ausgaben. Hierzu gehören v. a. ausgewählte oder gesammelte Werke einzelner Verfasser zum Zweck der Muße oder der populären, u. a. aufklärerischen Wissensvermittlung. Dies sind Ausgaben, hinter denen Buchdrucker, Buchhändler und nach 1770 auch eigentliche Verlage stehen, deren Ausführung sich nach dem Markt richtet, und die über die Jahrhunderte auch auf ein Lesepublikum gemünzte Anpassungen orthographischer, sprachlicher und stilistischer Art zulassen.

Lundgreen-Nielsens Beitrag bietet eine Fülle von Informationen in nicht weniger als 32 Unterkapiteln, die meisten davon recht kurz gehalten, mit einigen Ausnahmen wie den beiden Holberg-Abschnitten „Ludvig Holbergs fiktive udgiverapparater“ (S. 103–111) und „Peder Paars som klassiker“ (S. 128–136). Die lange Reihe bedeutender Persönlichkeiten umfasst Namen wie Claus Christoffersen Lyschander (1558–1624), königlicher Historiograph und Herausgeber der Genealogie Danske Kongers Slectebog (1622), Anders Bording (1619–1677), übrigens der erste in Dänemark, der ohne ein Amt zu bekleiden von seiner dichterischen Tätigkeit zu leben versucht, Jens Schelderup Sneedorff (1724–1764) oder Johan Herman Wessel (1742–1785). Nicht zuletzt wird auch die Bedeutung von literarischen Gesellschaften mit Leitgestalten hervorgehoben, u. a. Jacob Baden (1735–1804), A.G. Carstens (1713–1795), B.W. Luxdorph (1716–1788) oder P.F. Suhm (1728–1798), dessen Name mit kurzem Vokal ausgesprochen wird, sodass er sich auf das dänische Adjektiv „stum“ (bzw. dt. „stumm“) reimt, wie in einer Fußnote zu lesen ist (und ich bereits in meiner eigenen Studienzeit eingebläut bekommen habe, wofür ich allerdings seither einen schriftlichen Beleg vermisst habe!).

Per Dahl findet im folgenden Kapitel, „Udgivelse af dansk litteratur 1800–1900“ (S. 161–294), den Anschluss zunächst bei Namen, die bereits bei Lundgreen-Nielsen gefallen sind, mit der Erwähnung von (adligen und bürgerlichen) Buchsammlern und Bibliophilen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, darunter eben P.F. Suhm oder B.W. Luxdorph. Mit Blick auf Zugänglichkeit und Öffentlichkeit von Literatur wird die wachsende Bedeutung von privaten Bibliotheken und Sammlungen, die in gewissem Umfang auch für Interessierte zugänglich sind oder werden, ebenso hervorgehoben wie die Bedeutung von Literaturgesellschaften und anderen institutionellen Einrichtungen wie der Universitätsbibliothek (Möglichkeit der Entlehnung nach Hause für Studierende ab 1788) und der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen (deren Nutzung der Öffentlichkeit ab 1793 möglich ist). Bestände werden insgesamt leichter zugänglich, was auch die Möglichkeit der gewissenhaften, so genannten gelehrten Editionsarbeit im 19. Jahrhundert weiter befeuert. Im Zentrum der Editionsbestrebungen steht in erster Linie die Literatur des 18. Jahrhunderts, bereits ab den 1790er Jahren kommt es etwa zu zahlreichen Holberg- und Wessel-Ausgaben. Die Editionsarbeit ist in steigendem Grad in Editionsgesellschaften beheimatet wie beispielsweise in einer der bekanntesten und profiliertesten unter ihnen, Samfundet til den danske Litteraturs Fremme (1827–1886), mit Systematik, Einheitlichkeit und Kontinuität als Leitlinien der Arbeit. Außerdem entwickelt sich die editionsphilologische Praxis und Sorgfalt nach Maßstäben weiter, die mit einem gesteigerten Bewusstsein für den Umgang mit dem Text und dessen Varianten einhergeht. Parallel dazu kommt es auch zu einer markanten Weiterentwicklung des wissenschaftlichen Textkommentars. Gleichzeitig verfolgen kommerzielle Verlage andere Publikationsstrategien, bedingt durch die vorherrschenden Verhältnisse des Buchmarkts, aber auch durch den Respekt seitens der Verlage und der Leserschaft dem Autor eines Werks bzw. dem autorisierten Text gegenüber. Durch die Industrialisierung kommt es zu einer Umwälzung der Produktionsbedingungen und zur Möglichkeit, in geringerer Zeit bedeutend mehr zu drucken und damit zur Möglichkeit der Massenproduktion, nicht nur auf dem Buch- sondern auch auf dem Zeitungsmarkt (um eine Zahl zu nennen: in den Jahren 1827 und 1834 vervierfacht sich die dänische Papierproduktion). Die zunehmende Mechanisierung führt auch zu entsprechenden Umwälzungen in der Druckereibranche, etwa mit der Einführung Rotationspresse in den 1860er Jahren. Der Beruf des Typographen ist im steigenden Kurs. Ein Resultat der veränderten Bedingungen sind preiswertere Bücher, wodurch der Markt weiter profitiert. Verlage und Druckereien operieren zunehmend unabhängig voneinander, aber in einem engen und oftmals festen Kooperationsverhältnis, als Beispiel dient die Zusammenarbeit zwischen dem Verlag C.A. Reitzel und der Druckerei Bianco Luno – gerade auf das Verhältnis zwischen Verlagen und Druckereien geht Per Dahl ausführlich ein und beleuchtet auch die Auswirkungen der Konkurrenz auf dem florierenden Buchmarkt, u. a. die sich verschiebenden Verantwortlichkeits- und Eigentumsverhältnisse in Bezug auf die dänischen Verlage. Auch die Präsenz von literarischen Texten in Zeitungen nimmt zu. Staatliche Förderungen im Bereich der Literatur sind hingegen noch verhältnismäßig gering; dies gilt auch für die Förderung von Editionsprojekten; gleichzeitig nimmt die Förderung dänischer Autoren zu (nicht aber der Herausgabe von literarischen Werken, mit Ausnahme von Vedels Saxo-Übersetzung). Neben den direkt oder indirekt staatlichen Fonds gibt es nur wenige private Fonds; dies ändert sich erst im späten 19. Jahrhundert, bspw. mit der 1876 begründeten Carlsbergstiftung und weiteren wichtigen Akteuren des literarischen Markts.

Vor diesem Hintergrund legt Dahl in Einzelabschnitten zentrale Gestalten und ihren Einsatz für die Herausgabe von Texten dar: u. a. die umtriebigen und produktiven Knud Lyne Rahbek (1760–1830) und A.E. Boye (1784–1851), u. a. für ihre Holberg- und Wessel-Ausgaben bekannt. Rasmus Nyerup (1759–1829) und Christian Molbech (1783–1857) setzen sich für die Herausgabe älterer Literatur ein. Ferner widmet sich Dahl auf knapp 50 Seiten (S. 208–257) der Bedeutung von Editionsgesellschaften, am ausführlichsten dargelegt am Beispiel einer der wichtigsten unter ihnen, Samfundet til den danske Litteraturs Fremme (S. 208–243) und deren Editionsprojekte (u. a. Ludvig Holberg, Christian Falster, Ambrosius Stub, Schack Staffeldt). Weitere bedeutende Gesellschaften sind Det Holbergske Samfund (1842) und Selskab til Udgivelse af Oehlenschlägers Skrifter (1857), Samfund til udgivelse af gammel nordisk litteratur (1879) oder Universitets-Jubilæets danske Samfund (1879). Im 19. Jahrhundert ist es in hohem Maß die Etablierung solcher selbstverwalteten organisatorischen Rahmen, die nicht nur die Herausgabe dänischer Literatur bestimmt, sondern zugleich auch den Bildungsbestrebungen der bürgerlichen Öffentlichkeit zugute kommt, die sich am politischen Übergang von Absolutismus zu Demokratie manifestieren. Aber auch die abseits von Literatur- und Herausgebergesellschaften durchgeführte Editionstätigkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird dargelegt und exemplifiziert anhand von Verlagsausgaben, Ausgaben von Poul Martin Møller, Steen Steensen Blicher und Briefausgaben; schließlich geht Dahl insbesondere auf den sich abzeichnenden Wandel am Ausgang des Jahrhunderts ein und bringt die Beispiele der Grundtvig-Ausgabe Poetiske Skrifter, August Arlauds (1828–1914) Ausgaben von H.A. Brorson und Jens Baggesen sowie die Holbergausgabe von Julius Martensen (1839–1910).

Dahl zeichnet ein ausführliches Bild der steten Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Edition, die die so genannte gelehrte Ausgabe begriffsmäßig ablöst. Der terminologische Übergang steht mit der Weiterentwicklung der Editionsphilologie und ihrer Methoden um 1850 in Zusammenhang. Die wissenschaftliche Edition gewinnt nicht zuletzt auch durch die Arbeit der Herausgebergesellschaften an Systematik, Kontinuität und Qualitätssicherung (etwa durch Gutachtertätigkeit). Die steigende Mitgliederzahl der Gesellschaften, ihre Profilierung und Öffentlichkeit begründet neue Finanzierungsmöglichkeiten und Projektfinanzierung durch Fonds (bspw. Det Classenske Fideikommis, 1871, Den Hielmstierne-Rosencroneske Stiftelse, 1862, und nicht zuletzt die bereits erwähnte Carlsbergstifung, Carlsbergfondet, 1876), aber auch durch Förderung seitens des Königshauses und/oder des Staats. Dies führt insgesamt zu einer gesteigerten Professionalisierung und Institutionalisierung der Editionstätigkeit, die sich auch im 20. Jahrhundert fortsetzt.

Entsprechend geht Johnny Kondrup im folgenden Kapitel des Bandes, „Udgivelse af dansk litteratur 1900–2018“ (S. 295–476), zunächst ausführlich auf die Bedeutung von Förderungen gerade durch private Fonds und neue wissenschaftliche Editionsgesellschaften ein, allen voran Det Danske Sprog- og Litteraturselskab (1911), unter steter Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Editionsmethoden und -praktiken. Kondrup erstreckt seine Darlegung bis zur digitalen Edition, die durch den Medienwechsel einen massiven Einschnitt in Arbeits- und Organisationsformen, aber auch Denkweisen bedeutete und nach wie vor bedeutet. Neue Kompetenzen sind gefragt, die zunächst im Bereich der Informatik angesiedelt und mittlerweile integraler Bestandteil der so genannten Digital Humanities sind.

Zur gesteigerten ,Wissenschaftlichkeit‘ und Ausentwicklung eines entsprechenden Theorie- und Methodenapparats gesellt sich ab dem 20. Jahrhundert aber im gesteigerten Maß die Notwendigkeit, sich mit der professionellen Arbeit auch an ein breiteres Publikum zu richten als die Fachkreise alleine, wodurch sich die Kommentierung von Werken drastisch verändert. Neben die streng kritisch-historische Ausgabe tritt außerdem die Studienausgabe mit abgeschwächten textkritischen Ambitionen, aber doch stärker ausgeprägt als die reine Leseausgabe. Kondrup geht ferner auf die rechtliche Reglementierung im Umgang mit Texten (Urheberrecht etc.) und die Auswirkungen auf die Editionsarbeit ein. Ein großer Abschnitt konzentriert sich auf die ausführliche Präsentation der bis heute wesentlichsten fachlichen dänischen Editionsgesellschaften: Universitets-Jubilæets danske Samfund und Det Danske Sprog- og Litteraturselskab unter besonderer Berücksichtigung ihrer Grundlagen, Organisation und editorischen Prinzipien sowie des ,Outputs‘. Danach folgt ein Überblick über groß angelegte dänische Autorenausgaben, die quasi als Fallstudien fungieren. Sie geben Einblick in die ,Werkstatt‘ der konkreten Herausgebertätigkeit durch die direkte und detaillierte Gegenüberstellung von Grundproblemen und Lösungsstrategien, die Ähnlichkeiten und Unterschiede der textkritischen Zugänge offenlegen; präsentiert werden Hans Christian Andersen-Ausgaben (S. 358–381), Ludvig Holberg-Ausgaben (S. 381–405) und Søren Kierkegaard-Ausgaben (S. 405–446); ferner behandelt werden „Klassikerbiblioteker“ (S. 446–464), darunter insbesondere die Reihe Danske Klassikere in Regie von Det Danske Sprog- og Litteraturselskab, mit einer genauen Darlegung der Editionsprinzipien, der Arbeitsschritte und auch der sonstigen Ausstattung der Reihenbände. Schließlich geht Kondrup noch auf das Nordisk Netværk for Editionsfilologer ein (S. 465–469), das in dieser Rezension eingangs schon erwähnt wurde.

Abschließend soll noch auf eine der drei Spezialstudien des Bandes näher eingegangen werden, Vibeke A. Pedersens „De danske folkevisers udgivelseshistorie 1591–2018“ (S. 479–566), die die Editionsgeschichte der dänischen Balladentradition in den Blick nimmt. Den dänischen folkeviser, also den dänischen Mittelalterballaden (eine direkte Übersetzung als Volkslieder wäre prinzipiell unzulässig, hat dieser Terminus doch seinen Ursprung in der Romantik) kommt dabei ein Alleinstellungsmerkmal in der skandinavischen und sogar in der europäischen Literatur zu, als Dänemark auf eine längere Tradition der Sammlung und (kritischen) Veröffentlichung der Mittelalterballade zurückblickt als andere europäische Länder; die folkeviser nehmen auch in der Forschung einen besonderen Platz ein und sind darüber hinaus ein Teil des geltenden dänischen Kulturkanons. Interessant und erhellend ist die Auseinandersetzung mit der Editionsgeschichte auch aufgrund der Thematisierung und Kontextualisierung einer soziokulturellen Bandbreite, v. a. auch in der Rezeptionsgeschichte, die diese Textgattung erlaubt bzw. vorgibt. Den Anfang der Editionsgeschichte der dänischen Mittelalterballaden markiert Anders Sørensen Vedels Hundredvisebog (1591) mit einer so genannten gelehrten Ausgabe, denn hier „møder læserne en udgiver, der forholder sig undersøgende, systematiserende og historisk kommenterende til sit materiale“ (S. 479). Die diachrone Betrachtung ist auch relevant, weil sich anhand der Editionsgeschichte anschaulich darlegen lässt, welche Editionsprinzipien und wissenschaftlichen Editionsstandards im Laufe der Zeit diskutiert werden, nicht zuletzt im Zuge des so genannten „folke-visestrid“, des Balladenstreits, den Vibeke A. Pedersen mit Blick auf die geübte Kritik, die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Ansätze und Meinungen und die unterschiedlichen Ausgaben nachzeichnet (S. 515–529). Besonderes Augenmerk wird dabei natürlich auf das bahnbrechende, von N.F.S. Grundtvig (1824–1883) initiierte und sich über 120 Jahre erstreckende Editionsprojekt Danmarks gamle Folkeviser, kurz DgF (in 12 Bänden, 1853–1976), gelenkt. Bis heute gilt die Ausgabe als absoluter Goldstandard und als eine der ersten im eigentlichen Sinn wissenschaftlichen Ausgaben. Die Editionsprinzipien von DgF werden eingehend diskutiert und als terminologischer und systematischer Referenzrahmen herangezogen, man denke etwa an die nach wie vor gültige, von Grundtvig eingeführte, inhaltsbezogene Grundkategorisierung der Balladentypen in kæmpeviser (mythisch-heroische Balladen), trylleviser (naturmythische Balladen), historiske viser (historische Balladen) und ridderviser (Romanzen), eine Einteilung, die allerdings bereits in Anders Sørensen Vedels Balladenausgabe von 1591 angelegt ist. Die Entwicklungslinien werden überzeugend nachgezeichnet; durch einen Blick auf digitale Editionen der neuesten Zeit wird das Gesamtbild komplettiert. Pedersens Darstellung profitiert dabei im Übrigen durch die fallweise Perspektivierung im Verhältnis zu entsprechenden Ausgaben in anderen nordischen Ländern. Auch gewährt ein Blick darauf, wie die unterschiedlichen Ausgaben überhaupt zustande gekommen sind, welche Institutionen und Gesellschaften sich von Fall zu Fall engagiert haben und wie sich die Finanzierungs- und Förderungsseite der Ausgaben gestaltet hat, Einblick in literatursoziologische Aspekte und natürlich auch den Status der Mittelalterballade im Allgemeinen. Der Überblick über die sich über 400 Jahre erstreckenden Ausgaben, von Vedels Hundredvisebog (1591) über Iørn Piøs Ausgabe Dronningens Visebog (1984) bis zu neuesten Ausgaben und die jeweilige Gewichtung der Balladentypen sind nicht nur von textphilologischer Relevanz, sondern spiegeln auch das sich wandelnde Interesse auf Rezeptionsseite wieder. Bspw. dominieren die historischen Balladen in Epochen, wo man von einem Wert der Texte als historische Quellen ausgeht. Die trylleviser hingegen dominieren trotz ihres geringen Umfangs in der Romantik (um nur zwei Beispiele zu nennen).

5 Benutzerfreundlichkeit und Funktionalität

Abschließend sei noch auf die allgemeine Benutzerfreundlichkeit und Funktionalität der Dansk Editionshistorie hingewiesen. Es ist deutlich, dass die Verantwortlichen niemals den potentiellen Leser der Bände aus dem Bick verlieren, den man, wie man neuerdings sagt, ,abholen‘ möchte; bei der Konzipierung der Bände hat man ganz offensichtlich besondere Aufmerksamkeit auf die Architektur der Bände und die Abstimmung der einzelnen Kapitel untereinander gerichtet. Jeder der drei ,Hauptbände‘ bietet zunächst ein kurz gehaltenes Inhaltsverzeichnis, auf den ein jeweils detailliertes, also ,gut ausgeschildertes‘ Inhaltsverzeichnis folgt. Jeder Band ist außerdem mit einem Abschnitt mit einleitenden Überlegungen versehen, wonach die einzelnen Kapitel in prinzipiell chronologischer Progression folgen. Ergänzt wird diese Struktur durch eine bis mehrere Spezialstudien. Durch diese Architektonik tritt der Leser wie durch ein großes Portal in die heiligen Hallen ein, wo er sich zunächst in einigen Vorräumen einen Überblick verschaffen und sich langsam akklimatisieren kann, um dann immer weiter in die weiteren Räume des übersichtlichen und gut ausgeschilderten Gebäudes vorzudringen, ohne sich von den enormen Eindrücken, Informationen und Wissensmengen erschlagen zu fühlen. Die Räume sind gut erkennbar miteinander verbunden, man verirrt sich nicht, sondern kann sich im Gegenteil gut vorbereitet und stetig weiter informiert vorwärtsbewegen.

Ausgesprochen wohlüberlegt ist auch die Einbringung von einer großen Menge von aussagekräftigen Abbildungen und Illustrationen (auch in Farbe), jeweils mit ausführlichen Erläuterungen, die nicht selten wie in sich geschlossene Erzählungen erscheinen. Diese Erläuterungen erlauben mitunter auch (unterhaltsame) Digressionen und persönliche Anekdoten. Diese Texte funktionieren ausgezeichnet, in vielen Fällen fast schon als eigenständige ,Infoboxen‘, die durch ihre Ausführlichkeit keineswegs lapidar sind und durchaus zum Blättern und Schmökern zwischendurch einladen.

6 Konklusion

Dansk Editionshistorie beleuchtet eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte der dänischen Editorik (Traditionen, Tendenzen, Beweggründe und Ergebnisse) anhand theoretisch-methodologischer Einführungen, detail- und facettenreichen editionsgeschichtlichen Überblicksdarstellungen und ausgewählten Spezialstudien. Die Ausrichtung ist interdisziplinär und versteht sich als wissenschaftsgeschichtlich. Im Fokus stehen die Herausgebertätigkeit und jene Kompetenzen, Kriterien, Überlegungen und Strategien, die zur Edition in all ihrer möglichen Ausführung und Ausstattung führen. Zur Beleuchtung dieser Tätigkeit werden aber auch die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen in den Blick genommen, etwa institutioneller Art. Der Entwicklungsbogen, die Etappen der Professionalisierung und Spezialisierung von den Anfängen der dänischen Editionstätigkeit bis zur modernen wissenschaftlichen Edition im Zeichen des neuesten Medienwandels werden überzeugend nachgezeichnet.

Sämtlichen Autorinnen und Autoren der vorliegenden Bände gelingt es trotz der überaus komplexen Zusammenhänge und Unmengen an behandeltem Stoff in beeindruckender stringenter Form, die vielfältigen Fragen der historischen Bedingungen jeweiliger Ausgaben vor dem Hintergrund von Textsituation, Methodik und dem zugrundeliegenden Wissenschaftsverständnis klar zu beantworten und so dieses enorme editionsgeschichtliche Feld abzudecken. Dansk Editionshistorie ist schlichtweg ein eminentes Werk.


Corresponding author: Monica Wenusch, Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft, Universität Wien, Abteilung Skandinavistik, Vienna, Austria, E-mail:

Online erschienen: 2025-12-01
Erschienen im Druck: 2025-12-17

© 2025 the author(s), published by De Gruyter, Berlin/Boston

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Downloaded on 11.12.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/ejss-2025-2024/html
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