Zusammenfassung
Auf Basis der Praxis des Phonogrammarchivs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften präsentiert der Beitrag neben einigen generellen Überlegungen zwei Workflows zu inhaltlichen und technischen Aspekten einer kommentierten Edition historischer Tonaufnahmen. Thematisiert werden u. a. die quellenkritische Aufbereitung und Kontextualisierung sowie Re-recording, Digitalisierung und Signalverbesserung.
Abstract
Following the code of practice established by the Phonogrammarchiv of the Austrian Academy of Sciences, this contribution – alongside some general reflections – presents two workflows on the content-related and technical aspects of an annotated edition of historical sound recordings. The topics include source-critical preparation and contextualisation as well as re-recording, digitisation, and signal processing.
1 Einleitung und Überblick
Das Phonogrammarchiv (PhA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), 1899 als erstes Schallarchiv der Welt gegründet, veröffentlicht seit 1999 eine Gesamtausgabe der Historischen Bestände 1899–1950 auf CD.[1] Diversen Vorarbeiten für die Edition dieser unikalen, bei Feldforschungen oder im Archiv entstandenen akustischen Aufnahmen auf mechanischen Tonträgern, die aus der Zeit vor der Einführung der Magnetbandtechnik im PhA (1951) stammen und im Memory of the World Register der UNESCO eingetragen sind, widmet sich die 2015 abgeschlossene Master-These[2] des Autors in drei Hauptkapiteln. Sie werden untenstehend kurz dargelegt, um einen Einblick in die Gesamtkonzeption der These zu geben, wobei der Schwerpunkt dieses Beitrags aber in der Vorstellung der beiden Workflows liegt.
Probleme und Methoden der Erschließung, Kontextualisierung und Edition historischer Tondokumente bilden den Mittelpunkt des ersten Kapitels der These, an dessen Beginn Betrachtungen zum Wert historischer Tonaufnahmen stehen, bevor dann Wesen und Ziele der Gesamtausgabe sowie deren Editionsprinzipien erläutert werden. Im Anschluss folgen Überlegungen zu einer zukünftigen Publikationsform (Online/Open Access)[3] sowie ein Vergleich mit der CD-Reihe des Berliner Phonogramm-Archivs. Die beiden nächsten Abschnitte umfassen zwei exemplarische, praxisorientierte Workflows für die kommentierte Quellenedition historischer Tondokumente auf Basis des im PhA vorliegenden Materials – insbesondere der Aufnahme-Protokolle und der dazugehörigen Phonogramme. Der Workflow zur inhaltlichen Erschließung ist eher diskursiv angelegt und thematisiert neben wichtigen Arbeitsschritten auch prinzipielle editorische Fragen, während der technische Workflow als klassischer Leitfaden konzipiert ist.
Im zweiten Kapitel der These wird eine Auswahl unveröffentlichter historischer Tonaufnahmen des PhA aus den Jahren 1911 bis 1918 für die künftige Edition vorerschlossen. Abgesehen von der quellenkritischen Aufbereitung der Protokolle liegt der Schwerpunkt dabei auf den Biografien der Feldforscher (in diesem Falle Sprachwissenschaftler) und der Phonographierten sowie auf der Kontextualisierung der Tondokumente. Konkret handelt es sich um folgende kleinere Sammlungen:
Eugen Herzog: „Französische und deutsche Aufnahmen, Archiv 1911“/„Czernowitz 1912–13“
Carlo Battisti: „Italienische Dialekte, Archiv 1913“
Josef Balassa: „Ungarn 1914–15“
Karl von Ettmayer: „Italienische Kriegsgefangene 1918“/„Grödnertal 1918“
Im letzten Kapitel galt es, auf Grundlage der ISAD(G) Internationale Grundsätze für die archivische Verzeichnung, einen Archivbehelf für ein Konvolut bislang ungesichteter Materialien aus dem PhA zu erstellen, um diese Quelle (v. a. allgemeine Akten, Personalakten und Zeitungsausschnitte der Jahre 1899–1955) für Editionen und Recherchen zur Geschichte des PhA entsprechend nutzbar zu machen.
2 Workflow I: Inhaltliche Aspekte
2.1 Einführung
Trotz ihrer Defizite – wie etwa mangelnde Tonqualität oder geringe Aufnahmedauer (bei Phonogrammen maximal drei Minuten) – werden historische Tondokumente heutzutage von der Forschung im Allgemeinen durchaus wertgeschätzt, wenn auch nicht gleichermaßen in allen Disziplinen. Unabdingbare Voraussetzung ist jedenfalls eine editorische Aufbereitung in inhaltlicher und technischer Hinsicht. Eine Edition wie die Gesamtausgabe richtet sich aber auch an die Ursprungsländer der Aufnahmen, die über solch einzigartige Quellen vielfach gar nicht verfügen, und stellt somit einen Akt der Repatriierung von immateriellem Kulturgut dar. Um die Internationalität der Gesamtausgabe zu gewährleisten, ist die Publikationssprache in der Regel Englisch; im Sinne des Zielpublikums werden aber gelegentlich auch zwei- oder mehrsprachige Editionen publiziert.
2.2 Editionsschritte
Ausgehend von den sogenannten, im PhA vorliegenden Protokollen – also der zeitgenössischen schriftlichen Dokumentation zu den Aufnahmesitzungen (ansatzweise vergleichbar den deskriptiven „Metadaten“ eines „Dublin Core Metadata Element Set“),[4] ohne deren Information der wissenschaftliche Nutzen akustischer Zeugnisse erheblich eingeschränkt ist – lassen sich folgende Editionsschritte definieren:
Inhaltliche Zusammenstellung der Aufnahmen zu Serien: In erster Linie widmet sich eine Serie einer bestimmten Region oder Thematik bzw. einem oder mehreren Forschern/Forschungsprojekten.[5] Sie besteht aus einzelnen Archivnummern, aufgrund der kurzen Aufnahmedauer musste eine Darbietung jedoch oft auf mehrere Phonogramme (und somit zusammengehörige Archivnummern) verteilt werden, die zu einem CD-Track zusammenzufassen sind. Im Anschluss an die Feststellung der im Rahmen eines Projektes getätigten Feld- und/oder Archivaufnahmen ist ihre Reihenfolge in der Edition zu klären. In der Regel wird es sinnvoll sein, bei kleinen Sammlungen die chronologische, aus den Datumsangaben der Protokolle ersichtliche Abfolge in der Edition abzubilden. Bei größeren Sammlungen hingegen ist eine übergeordnete Gruppierung nach inhaltlichen Kriterien vorzuziehen, z. B. nach Genres (Sprach-/Musikaufnahmen; diese zerfallen wiederum in Vokal-/Instrumentalmusik etc.) oder nach Sprachgebieten und Dialektorten (wie bei unserer Edition der Schweizer Aufnahmen), wobei innerhalb der jeweiligen Gruppen die Aufnahmen chronologisch zusammenzufassen sind. Dies erlaubt einen besseren Überblick über den Bestand (sowie letztendlich dessen einfachere Auswertung) und erhöht die Benutzerfreundlichkeit.
Quellenkritische Aufbereitung der Protokolle: Nach der Zusammenstellung von Kurzinformationen zu Inhalt, Ort und Datum der Aufnahme sowie zur phonographierten Person (Name, Alter, Beruf, Herkunft) ist eine Ab- bzw. Neufassung von Orientierungs-Transkriptionen auf Basis heute üblicher Praxis vorzunehmen. Sie dienen lediglich dem besseren Verständnis und sollen daher – im Falle von Sprachaufnahmen – bewusst keine detaillierten phonetischen Umschriften bieten. Die bereits vorhandenen Transkriptionen sind erneut durch Abhören der Tonaufnahmen zu überprüfen, da sie zumeist vor der eigentlichen Aufnahme gemacht wurden und daher gelegentlich vom tatsächlich Aufgenommenen abweichen können. Editorische Korrekturen/Ergänzungen (wie z. B. aktuelle geografische Bezeichnungen) oder auch im Protokoll notierte, aber letztendlich nicht aufgenommene Passagen werden mittels [ ], Versprecher/Wortwiederholungen o. ä. durch ( ) signalisiert; besonders bei nicht verschriftlichten oder aussterbenden Sprachen sowie Minderheitensprachen sind ggf. (Teil-)Übersetzungen (bei Liedern auch Incipits) sowie kurze Anmerkungen hilfreich.
Kontextualisierung mittels weiterer (schriftlicher) (Archiv-)Quellen: In der Regel enthalten die Beiträge im Kommentarteil zur Gesamtausgabe des PhA Angaben zur Entstehung, Interpretation und wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung der Aufnahmen, zu deren Evaluierung im Rahmen der jeweiligen Disziplin sowie biografische Angaben zu den Feldforschern und Phonographierten. Die auf diese Weise erfolgte Kontextualisierung ist unabdingbar dafür, dass das Tondokument auch als wissenschaftliche Quelle bestehen kann. Dabei gilt: Die kommentierte Quellenedition soll die detaillierte wissenschaftliche Auswertung der Aufnahmen ermöglichen, jedoch nicht vorwegnehmen. Aufgrund der Heterogenität der Bestände handelt es sich bei der Herausgabe einer CD-Serie jedenfalls um ein interdisziplinäres Projekt, das sich nur im Team und mithilfe externer Kooperationen zielführend realisieren lässt. Der Kontakt mit Fachvertretern der entsprechenden Disziplinen sowie mit Angehörigen der jeweiligen, seinerzeit aufgenommenen Community ist daher unerlässlich. Als hilfreich bei der Kontextualisierung haben sich auch Recherchen etwa im Österreichischen Staatsarchiv, im Archiv der Universität Wien oder in wissenschaftlichen Nachlässen (v. a. hinsichtlich Korrespondenz der Feldforscher) sowie das Studium von zeitgenössischen Presseberichten erwiesen – insbesondere dann, wenn (womöglich mangelhaft ausgefüllte) Protokolle die einzige im PhA vorliegende Dokumentation ist und auch im Archiv der ÖAW keine weiteren Quellen vorhanden sind.
3 Workflow II: Technische Aspekte[6]
3.1 Einführung
Die Historischen Bestände 1899–1950 umfassen ca. 3 200 sogenannte Phonogramme und ca. 800 Grammophonaufnahmen.[7] Hinsichtlich der Tonqualität der Phonogramme stellen Lechleitner und Schüller (1999) 35 fest:
„They suffer from heavy linear distortions, i.e. deviations from a linear frequency response, from non-linear distortions and from wow and flutter, speed variations caused by the uneven rotation of the mechanical recording devices. Mechanical rumble, rough recording surfaces, and low recording levels are the reasons for generally poor signal-to-noise ratios of most of the recordings. Additionally, due to imperfections of and damages to the recording surfaces of the original recording media, impulsive noises are found in the replay signals, which generally far exceed the signal levels.“
Die sieben Stationen, die generell bei der Edition historischer Tonaufnahmen zu durchlaufen sind, hat bereits Dietrich Schüller (1991) klar formuliert; darauf basieren auch jene sieben „Ebenen der Restaurierung“, die Wallaszkovits[8] folgendermaßen beschreibt:
„Die erste Ebene der Restaurierung beginnt mit der Frage nach dem Original bzw. mit der Wahl des zu übertragenden Tonträgers.“
Die zweite Ebene ist „der rein physischen Erhaltung des Originalträgers, bzw. der Spielbarmachung desselben“ gewidmet.
Die dritte Ebene „umfasst die Wahl der Wiedergabegeräte, die zur sachgerechten Übertragung verwendet werden sollen“.
Die vierte „Ebene der unerlässlichen Restaurierungsschritte“ gilt der „Kompensation von intendierten Signalveränderungen, die bei der Aufnahme angewendet wurden, wie z. B. Entzerrung oder Rauschunterdrückung“.
„Die fünfte Ebene umfasst die Kompensation von möglichen Fehljustierungen bei der Aufnahmegerätschaft“, wie z. B. „den Ausgleich von Fehlern im Schneidwinkel bei Platten in Tiefenschrift“.
„Die sechste Ebene betrifft die Kompensation von nicht intendierten Signalveränderungen, und bezeichnet in den meisten Fällen den Startpunkt der digitalen Signalbearbeitung“. Dazu zählen die Anwendung von Filtern „zur Kompensation von Nichtlinearitäten im Frequenzgang, verursacht z. B. durch Unzulänglichkeiten der Aufnahmegeräte (etwa Trichterresonanzen), das Entfernen von [...] Nadelgeräuschen, transienten Störgeräuschen etc.“.
Die siebte Ebene, oder „Re-Interpretation auf dem Tonmeister-Level“, erstreckt sich auf „sämtliche subjektive Bearbeitungsschritte, die der Bearbeitende hinzufügt, um das endgültige Ergebnis klanglich zu optimieren (subjektive Filterungen, Hinzufügen von Raumanteilen etc.)“.
Der Ansatz des PhA zielt nun darauf ab, „die Aufnahme unter bestmöglicher Anwendung der Ebenen 1–5 in der sechsten Ebene so aufzubereiten, dass die aufnahme- und wiedergabeseitigen Artefakte möglichst objektiv kompensiert werden“ – doch „sollten im Zweifelsfall Artefakte des Originals belassen und dokumentiert bzw. kommentiert“ und „Artefakte des Restaurierungsvorganges [...] nicht in das Signal eingebracht werden“.[9] Somit ergibt sich untenstehender Workflow, der die Praxis im PhA darlegt und sich in erster Linie auf Phonogramme, z. T. aber auch auf Wachszylinder und Grammophonplatten anwenden lässt.
3.2 Reinigung
Zunächst wird das Phonogramm einer Reinigung unterzogen: zuerst trocken (weicher Pinsel), dann nass (mit temperiertem Wasser und einem Netzmittel, z. B. H10, oder einfachem Spülmittel), wodurch die Oberflächenspannung des Wassers gebrochen und die Rillen auch in der Tiefe gesäubert werden; anschließend erfolgt die Trocknung an der Luft.[10] Alternativ kann die Reinigung auch mit einer Record Cleaning Machine (aqua bidest./Netzmittel H10) erfolgen (z. B. Loricraft Record Cleaning Machine oder Keith Monks Record Cleaning Machine).
3.3 Re-recording
Unter Re-recording versteht man in diesem Zusammenhang die Übertragung von Aufnahmen auf mechanischen Tonträgern mittels Plattenspieler und Tonabnehmersystem.[11] Dazu empfiehlt die International Association of Sound and Audiovisual Archives Folgendes:
„It is mandatory that transfers made from old to new archive formats be carried out without subjective alterations or ‘improvements’ such as de-noising, etc. It is essential that the full dynamic range and frequency response of the original is transferred.
It is important to understand that the intended signal is only part of a given sound document. The unintended and undesirable artefacts (noise, distortions) are also part of the sound document, either caused by limited historical recording technology, or subsequently added to the original signal by mishandling (e.g. clicks) or by poor storage. Both have to be preserved with utmost accuracy [...].
Better transfers of the unintended parts of a sound document [...] make the future removal of these artefacts by digital signal processing easier“.[12]
Die Vorgangsweise des PhA lässt sich nun so zusammenfassen:[13]
„Die Übertragung erfolgt mittels elektromagnetischen Stereo-Pickups unter Anwendung aller Sorgfaltsmaßnahmen des modernen Re-recording (Einsatz hochwertiger Übertragungsgeräte, Zentrierung an den Trägern und Nadelwahl). Die linear verstärkten Signale des Stereo-Pickups werden als Rohübertragungen gespeichert [...] und dienen als Ausgang für die weiteren Bearbeitungen. Das Mono-Signal der vertikal modulierten Phonogramme wird durch Differenz-, das der lateral modulierten Grammophonplatten durch Summenbildung der Signale des Stereo-Pickups erzielt.“
Das PhA verfügt über folgendes Set-up für das Re-recording:
Abspielgerät: Diapason, ein modifizierter Technics-Plattenspieler (Technics SFTG 172-01, „Diapason Archive Turntable“) mit variabler Umdrehungszahl (ca. 15–120 rpm, revolutions per minute), regulierbarem Anti-Skating sowie höhenverstellbarem Tonarm (SME Series III) – wichtig aufgrund der unterschiedlichen Höhe historischer Tonträger – mit Öldämpfung und Tonabnehmersystem Shure M44-7.
Vorverstärker (AHE Audio Heritage Equipment Preamplifier PA-02, entwickelt von Franz Lechleitner): Durch die Abspielung mittels Stereosystem wird die vertikale Modulation der Phonogramme durch Differenzbildung der beiden Kanäle hergestellt.
Vor dem Re-recording sind folgende vier Arbeitsschritte vorzunehmen:
Einstellung der Geschwindigkeit: Die empfohlene Aufnahmegeschwindigkeit für Sprache bzw. Musik betrug in der Regel zwischen 50 und 70 rpm, wobei 50 rpm etwa einer Aufnahmedauer von zwei Minuten entsprachen. Diese Angaben waren jedenfalls auch in den Protokollen zu notieren, sind zumeist korrekt und somit die Ausgangsbasis für die Einstellung der Geschwindigkeit, die aber dennoch gelegentlich auditiv zu korrigieren ist.
Auswahl der Nadel: Für die Übertragung von Phonogrammen hat sich eine bi-radiale (quasi-elliptische) Nadel bewährt (Abmessungen: 229µm x 61µm, Gewicht: 50mN),[14] wobei sicherheitshalber auch stets eine Dimension darüber/darunter zu testen und auditiv zu bewerten ist. Eine Rille kann beispielsweise in mittlerer Höhe mechanische Schäden aufweisen, die durch entsprechende Auswahl der Nadel beim Auslesen des Signals umgangen werden können.
Zentrierung der Platte: Nachdem die Epoxidharz-Abgüsse der Phonogramme über kein normiertes Mittelloch verfügen, ist die perfekte Zentrierung des Phonogramms (bei laufender Platte und aufgelegter Nadel) von großer Bedeutung, da ansonsten Tonhöhenschwankungen auftreten, die sich nachträglich nicht entfernen lassen.
Anti-Skating: Durch entsprechende Einstellung des Anti-Skating wird verhindert, dass die Nadel beim Abspielen an die Rilleninnenkante gedrückt wird und bei seichten Rillen dadurch herausspringt (Skating). Dies passiert bei Phonogrammen bei Rillenverschnitt (hervorgerufen durch Aus- und erneutes Einschalten während des Aufnahmevorgangs) häufig.[15] Da das Skating sowohl von der Geschwindigkeit als auch vom jeweiligen Trägermaterial abhängig ist, muss das Anti-Skating beim Re-recording von Phonogrammen unterschiedlicher Geschwindigkeit bzw. vor dem Wechsel zu anderen Tonträgern neu eingestellt werden.Die wichtigsten technischen Parameter (Tonabnehmer + Nadel, Geschwindigkeit, Angaben zur Einstellung des Vorverstärkers) werden in einem Übertragungsprotokoll notiert und zusammen mit weiteren Details als Preservation Metadata in der internen Archiv-Datenbank abgespeichert.[16]
3.4 Digitalisierung
Die Digitalisierung erfolgt im Wesentlichen auf Basis der von der UNESCO als „best practice“ empfohlenen Guidelines on the Production and Preservation of Digital Audio Objects.[17]
Zielformat bei der Digitalisierung (Archivstandard: 24 bit/96 kHz; bei zu erwartender, aufwendiger Restaurierung alternativ auch 24 bit/192 kHz) ist das lineare (also nicht datenreduzierte) Waveform Audio File Format (WAVE), mittlerweile das gängige Standardformat. Die dafür verwendeten Geräte sind ein Vorverstärker (s. o.) und ein externer, professioneller A/D-Wandler (z. B. Lake People ADDAC F 446), wobei ein Audio-Editor (wie etwa WaveLab) als Software dient.
3.5 Schnitt
Ausgangspunkt sind die Rohübertragungen, jene, die aus mechanischen Gründen (Kratzer, Höhenschlag bei seichten Rillen etc.) nicht in einem kontinuierlichen Durchgang gemacht werden können, müssen vor der Signalverbesserung zunächst geschnitten werden. Angesichts der Zielvorgabe, so viel wie möglich vom Inhalt zu übertragen, gestaltet sich dieser Prozess bei stark beschädigten Phonogrammen aus zwei Gründen als arbeitsintensiv:
Die Nadel überspringt bei beschädigter Oberfläche unkontrolliert Rillen, wodurch mehrere Versionen unterschiedlichen Inhalts bzw. unterschiedlicher Länge entstehen.
Durch mehrmaliges Übertragen erhält man verschiedene Versionen bzw. Fragmente, aus denen eine Aufnahme zusammengesetzt werden muss.
Der auf diese Weise entstandene Rohschnitt wird als digitale Archivkopie unter einer eigenen Signatur gespeichert und in der internen Archiv-Datenbank erfasst, um a) eine erneute Signalverbesserung zu einem zukünftigen Zeitpunkt vornehmen und auf diese Weise von der Weiterentwicklung der Technik profitieren zu können,[18] und b) eine Referenzversion zu haben, die eine Überprüfung der signalverbessernden Eingriffe ermöglicht.
3.6 Signalverbesserung
Das Ergebnis dieses Arbeitsvorgangs, der nach dem Prinzip „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“ abläuft und auch psychoakustische Aspekte berücksichtigt,[19] ist eine Datei, deren Signal – im Gegensatz zu jenem von Rohübertragung und Rohschnitt – modifiziert wurde. Diese signalverbesserte Version wird als „Master“ bezeichnet und bildet die Basis für die Edition. Als guter Überblick sei einleitend die Zusammenfassung aus den „Editionsprinzipien“ zitiert:[20]
„Auf den Audio-CDs werden im wesentlichen sogenannte flat transfers publiziert, bei denen das im Frequenzgang unbehandelte, also linear verstärkte Signal lediglich von groben Oberflächenfehlern (‚Knacksern‘) befreit und mit einer, jeder Aufnahme individuell angepaßten, Bandbegrenzung versehen wird. Die Entfernung der groben Oberflächenfehler ermöglicht einen höheren Signalpegel auf der CD, während eine hohe obere Grenzfrequenz das Nutzsignal garantiert unbeeinflußt läßt. Dem durch das Rauschen irritierten Hörer bleibt eine individuelle Höhenbegrenzung unbenommen [...]. Um den Hörer auf die historische Tonqualität vorzubereiten, werden Einlaufrillen ein-, Auslaufrillen ausgeblendet. Bei abrupt beginnenden bzw. endenden Aufnahmen wird Rauschen aus dem Kontext zum Ein- und Ausblenden benutzt. Eine weitere Signalbearbeitung, etwa Entrauschen, wird generell nicht vorgenommen.“
Die Signalverbesserung wird mittels einer integrierten Workstation für Audiorestaurierung in nachstehender Reihenfolge durchgeführt (basierend auf den im PhA verwendeten Plug-ins, den AudioCube-VPIs):
De-Clicker: Entfernen von punktuellen, starken transienten Störgeräuschen („Knacksern“),
DeCrackler: Entfernen von „Knistern“ über die gesamte Aufnahme hinweg,
RepairFilter: Hoch- und Tiefpassfilter, bei Bedarf notch filter (Kerbfilter zum Entfernen von schmalbandigen Störgeräuschen), Live Spektralanalyse,
Waveform Restorer: dient dem manuellen Entfernen von punktuellen „Knacksern“ (im Gegensatz zu DeClicker und DeCrackler, die – einmal eingestellt – auf die gesamte Aufnahme angewendet werden),
SpectraPolator: erlaubt eine frequenzspezifische Auswahl und somit die selektive Beseitigung von Störgeräuschen auf Basis einer Spektralanalyse (anders als der Waveform Restorer, der auf die Wellenform – also auf das gesamte Spektrum – abzielt),
SpectralDeHiss Expert II: ermöglicht das Entrauschen auf Basis eines individuell analysierten Rauschprofils der jeweiligen Aufnahme,
analogEQ: finales Entrauschen und Entrumpeln der Aufnahme durch Pegelabsenkung außerhalb des Nutzsignalfrequenzspektrums (Equalizer).
Die Stufen 3–6 kommen nur im Bedarfsfall zum Einsatz. Besonderer Wert wird dabei darauf gelegt, dass alle Methoden entsprechend maßvoll eingesetzt werden, um möglichst keine hörbaren Artefakte der Restaurierungsschritte in den Signalweg einzubringen.[21]
Abschließend muss darauf hingewiesen werden, dass es für den Einsatz von Restaurierungs-Tools „bisher noch keine allgemein angewandten Empfehlungen als ethische und ästhetische Entscheidungshilfen“ gibt.[22] Es ist folglich immer eine individuelle Einschätzung vorzunehmen.[23]Wallaszkovits (2009) 607 präsentiert dazu hilfreiche Überlegungen, die als „Grundgerüst“ dienen mögen:
Digitale Restaurierung indiziert:
bei nicht intendierten Aufnahmefehlern, dazu zählt z. B. „ein stärkeres Rauschen, das aufgrund von Gleichlaufschwankungen ein regelmäßiges Muster aufweist“, hervorgerufen durch eine Platte, die „bei der Aufnahme nicht ganz plan aufgelegt war“,
bei der sich ändernden Klangfarbe des Rauschens, die ja „rein medial bedingt“ ist,[24]
bei nicht intendierten Artefakten, „die durch den modernen Reproduktionsvorgang und die Wiedergabe entstehen“, wie z. B. „eine verminderte Signalqualität durch Körnigkeit und Qualität des Abgusses, Resonanzen des Wiedergabesystems, nichtlineare Verzerrungen durch Geometrie der Abtastnadel und des Tonarmes, Verzerrungen durch Probleme beim Zentrieren der Phonogramme, Rillensprünge und dadurch erfolgte Abtastung in Teilen“,
Digitale Restaurierung nicht indiziert: Bei Ein- und Ausschaltgeräuschen infolge einer Aufnahme in Teilen. Werden diese „bei der Restaurierung entfernt, um eine Aufnahme im Ganzen zu simulieren [...], werden dem Hörer wichtige Informationen vorenthalten und eine wissenschaftliche Auswertung führt zu falschen Ergebnissen“.[25]
3.7 Mastering
Das Audio-CD-Mastering wird wieder im WaveLab durchgeführt und umfasst folgende Arbeitsschritte:
Angleichen der Lautstärke,
Anordnen der Tracks in der für die Edition gewählten Reihenfolge, Arrangieren der Tracks (also das Zusammenfassen von zwei oder mehreren zusammengehörigen Phonogrammen zu einer Tracknummer),
Konvertieren in das Audio-CD-Format (16 bit/44,1 kHz) unter Anwendung von dithering und noise shaping,
Fade-in/Fade-out der einzelnen Aufnahmen,
Kontrolle der Audio-CD-Parameter und Erstellen/Brennen der Master-CD für die Produktion.
4 Abschließende Bemerkung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vorgestellten Workflows zu inhaltlichen und technischen Aspekten der Edition historischer Tonaufnahmen zwar auf der Praxis des Wiener PhA basieren, doch in vielen Bereichen von allgemeiner Gültigkeit sind und somit – neben der nach wie vor wichtigen persönlichen Einschulung vor Ort –auch anderen Institutionen Orientierung und einen ersten Überblick bieten können.
Über den Autor / die Autorin

Literaturverzeichnis
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