Editorial
Hybrides Arbeiten wird von vielen geschätzt, weil das Abhalten von Online-Besprechungen statt Projekttreffen mit stundenlanger Anreise und die schnelle Abstimmung eines Dokuments per Videokonferenz praktisch und zeitsparend sind. Zwar wird über „digitale Demenz“ und sich ohne Pause aneinanderreihende Online-Termine nicht wenig gejammert, aber im Großen und Ganzen sind sich doch alle einig darin, dass das hybride Arbeiten im Alltag vieles erleichtert. Daher will auch niemand zurück in eine Zeit, als man für eine Besprechung von drei Stunden mit dem Flieger hin und her jettete, um am selben Abend wieder zuhause zu sein.
Was angenehm und praktisch im beruflichen Alltag ist, kann in der privaten Freizeit aber deutlich an Attraktivität verlieren. Viele Einrichtungen freuen sich, dass sie zu Veranstaltungen mit Themensetzungen, die früher nur eine kleine Zahl von Besucherinnen und Besuchern interessierten, nun eine große Online-Community begrüßen können. Das trifft sicherlich für alle Formen von Communities zu, die sich um ein klares Thema gebildet haben, wie spezielle Forschungsinteressen, Citizen-Science-Projekte oder Datenauswertung. Hier erreichen Veranstaltungen, die sonst nur auf den kleinen Raum ihrer Hochschule oder Kommune begrenzt waren, auf einmal überregionale Reichweite. Kleine Archive oder Spezialbibliotheken werden plötzlich viel sichtbarer. Spezialistinnen und Spezialisten können sich vernetzen, die vorher gar nicht voneinander wussten. Schülerinnen und Schüler, für die es bisher nicht genug Angebote zur Unterstützung von wissenschaftspropädeutischen Seminararbeiten gegeben hat, finden nun ein viel größeres Spektrum vor.
Bei anderen Angeboten wie Lesungen, Aktionen für Kinder oder Ältere gehen die Besuchszahlen von virtuellen Veranstaltungen inzwischen jedoch deutlich zurück. Das Interesse, Kulturveranstaltungen oder Konzerte vor dem Bildschirm zu genießen, nimmt zusehends ab. Zugleich werden die Unsicherheiten nicht geringer, ob man ein Konzert, für das man teure Karten gekauft hat, überhaupt wird besuchen können. Das führt aber nicht dazu, dass die Kundinnen und Kunden auf das kostenpflichtige Streaming ausweichen, um eine bessere Planbarkeit ihrer Freizeitaktivitäten zu erreichen.
Für viele Einrichtungen, die auf eine bestimmte Kundenfrequenz angewiesen sind, sind diese Veränderungen existenzbedrohend. Die bessere Erreichbarkeit von überregionalen Kundengruppen mit Spezialinteressen kann die Verluste bei den Basisangeboten nicht kompensieren. Bibliotheken ebenso wie andere Einrichtungen, die eine Breitenwirkung ihrer Angebote erreichen wollen und müssen, haben große Herausforderungen zu bewältigen. Mit rein digitalen Angeboten können – wenn es in den Bereich der Freizeit und Freiwilligkeit geht – nur begrenzte Kundenschichten erreicht werden. Je stärker sich das hybride Arbeiten, Lernen und Forschen etabliert, umso größer könnte auch der Freizeithunger nach dem Analogen und Echten werden. Sind Bildungs- und Kultureinrichtungen darauf vorbereitet, und schaffen sie es, sichere und attraktive Begegnungsstätten zu bleiben, wo sich Beschäftigte ebenso wie Besucherinnen und Besucher wohlfühlen? Vieles wird davon abhängen, ob passende Konzepte entwickelt werden, die auch in einer Zeit der Unsicherheit robust sind, keinen zu hohen Ressourcenverbrauch bedeuten und nötigenfalls schnell abgeändert werden können. Hier sind wir alle noch immer am Lernen.

Konstanze Söllner
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© 2022 Konstanze Söllner, publiziert von De Gruyter.
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