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Naturrecht als Vernunftrecht

Entwicklungen im Verständnis des ius naturale zwischen Gratian und Thomas von Aquin
  • Stephan Ernst
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Natur und Vernunft
Ein Kapitel aus dem Buch Natur und Vernunft

Zusammenfassung

Während in der Mitte des 12. Jahrhunderts im ,Decretum Gratiani‘ das ius naturale noch als das definiert wird, was im alttestamentlichen Gesetz und im Evangelium enthalten ist, bahnt sich bereits zeitgleich bei Peter Abaelard ein Verständnis der lex naturalis an, das dieses natürliche Sittengesetz in der Vernunft des Menschen verankert. Für Abaelard gibt es keinen anderen Weg in die Einsicht des Sittlichen als über die eigene ratio. Auch die Gebote der lex scripta im Dekalog sind deshalb gültig, weil die Vernunft ihnen aus ihrem eigenen Prinzip heraus zustimmt. Vor dem wissenschaftstheoretischen Hintergrund der Zweiten Analytik des Aristoteles setzt dann Wilhelm von Auxerre am Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert das ius naturale mit den principia per se nota des intellectus practicus gleich, mit Prinzipien also, die der praktischen Vernunft von sich selbst her einleuchten. Dabei unterscheidet Wilhelm von Auxerre im praktischen Urteil einen oberen Weg der Einsicht in die ersten unwandelbaren Prinzipien, die keinem Irrtum unterworfen und immer wahr ist, von einem unteren Weg, bei dem es um den Gebrauch dieser Prinzipien in Bezug auf die Konklusionen geht. Hier spielt die Erfahrung eine konstitutive Rolle, so dass auch eine Wandelbarkeit des Urteils möglich ist.

Zusammenfassung

Während in der Mitte des 12. Jahrhunderts im ,Decretum Gratiani‘ das ius naturale noch als das definiert wird, was im alttestamentlichen Gesetz und im Evangelium enthalten ist, bahnt sich bereits zeitgleich bei Peter Abaelard ein Verständnis der lex naturalis an, das dieses natürliche Sittengesetz in der Vernunft des Menschen verankert. Für Abaelard gibt es keinen anderen Weg in die Einsicht des Sittlichen als über die eigene ratio. Auch die Gebote der lex scripta im Dekalog sind deshalb gültig, weil die Vernunft ihnen aus ihrem eigenen Prinzip heraus zustimmt. Vor dem wissenschaftstheoretischen Hintergrund der Zweiten Analytik des Aristoteles setzt dann Wilhelm von Auxerre am Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert das ius naturale mit den principia per se nota des intellectus practicus gleich, mit Prinzipien also, die der praktischen Vernunft von sich selbst her einleuchten. Dabei unterscheidet Wilhelm von Auxerre im praktischen Urteil einen oberen Weg der Einsicht in die ersten unwandelbaren Prinzipien, die keinem Irrtum unterworfen und immer wahr ist, von einem unteren Weg, bei dem es um den Gebrauch dieser Prinzipien in Bezug auf die Konklusionen geht. Hier spielt die Erfahrung eine konstitutive Rolle, so dass auch eine Wandelbarkeit des Urteils möglich ist.

Kapitel in diesem Buch

  1. Titelei I
  2. Inhalt V
  3. Einleitung 1
  4. I Historische Perspektiven
  5. Über Quellen naturrechtlichen Denkens 7
  6. Das naturgemäße Leben als das glückliche Leben 29
  7. Naturrecht als Vernunftrecht 51
  8. Lässt sich moralische Kategorizität ohne Gott denken? 73
  9. Die Transformation des Naturgesetzes zum Gesetz der Freiheit bei Johannes Duns Scotus 99
  10. Ius naturale und Lex naturalis bei Autoren der „Schule von Salamanca” 113
  11. Konfessionelle Partikularisierung und neuzeitliches Naturrecht als Vernunftrecht 145
  12. Unde malum? Unde natura? Unde gratia? 171
  13. II Systematische Perspektiven
  14. Naturrechtsethik und Moralischer Realismus 195
  15. Naturrecht und der Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses 215
  16. Fallibilistischer Essentialismus als Voraussetzung für eine zeitgemäße Naturrechtsethik 231
  17. Neue Naturrechtsethik als dispositionale Werttheorie? 255
  18. Die inclinationes naturales nach Thomas von Aquin und die empirischen Wissenschaften 275
  19. Zur Relevanz des Gottesbegriffs für die christliche Ethik 291
  20. Protestantische Zugänge zum Naturrechtsgedanken 313
  21. Ist die New-Natural-Law-Theory eine naturrechtliche Ethik? 333
  22. Metaethischer Konstitutivismus 357
  23. III Angewandte Perspektiven
  24. III.1 Rechtliche Perspektiven
  25. Naturrecht und Menschenrechtsbegründung aus der rechtspositivistischen Sicht von N. Bobbio und H. L. A. Hart 385
  26. Das Recht auf Leben als unveräußerliches Menschenrecht 407
  27. Friedensethische Orientierungen in einer Zeit weltordnungspolitischer Umbrüche 429
  28. III.2 Sozialethische Perspektiven
  29. Natur als Grenze und Anspruch 449
  30. Gemeinwohl im Spannungsfeld von Freiheit und Natur 471
  31. Sozialethische Reflexionen auf naturrechtliche Gerechtigkeitsvorstellungen 493
  32. III.3 Bioethische Perspektiven
  33. Deathbots 517
  34. Altern und Sterben als Gestaltung der Ambivalenz zwischen Verletzlichkeit und Wachstumspotenzialen 527
  35. Naturrechtliches Denken und die Frage nach dem assistierten Suizid aus christlich-protestantischer Sicht 549
  36. Personenregister
Heruntergeladen am 28.12.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/9783111695440-004/html
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