Volume 25, Issue 1

Die Schwelle des Jahrhunderts (oder Jahrtausends) gab Anlaß zu einer vielfältigen Bilanz der Hermeneutik, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts als eine wichtige Richtung der Philosophie behauptet hatte. Die Zeit der Wiederentdeckung der Hermeneutik außerhalb ihrer traditionellen Disziplinen (Theologie, Recht und Philologie), die mit dem Erscheinen von Gadamers Hauptwerk im Jahre 1960 anfing, ist aber vorüber. Von den Streitigkeiten zwischen der Hermeneutik und der Ideologiekritik, dem Strukturalismus, der analytischen Philosophie oder dem Postmodernismus findet man jetzt nur noch Spuren. Dies wenigstens ist der Eindruck, den der von Axel Bühler herausgegebene Band erregen möchte.

Deutschsprachige Künstlerdramen gibt es in unüberschaubarer Fülle. Allein das Leben Mozarts ist zwischen 1800 und 1930 über 50 Mal für die Bühne aufbereitet worden. Schaut man sich nur die Titel dieser Dramen an, bekommt man einen Eindruck von der Variationsbreite des Künstlerdramas: Der Blick wird auf die Eckdaten des Lebens gerichtet (von An Mozarts Wiege . 1914, bis zu Mozarts Tod . 1825 und 1832), auf herausragende Ereignisse ( Die Hochzeit des Mozart . 1912), auf die Beziehung zu anderen Künstlern ( Mozart und Schikaneder . 1801), auf zentrale Konfliktfelder ( Kunst und Leben . 1862), auf den Nachruhm ( Salzburgs größter Sohn . 1880) und den göttlichen Mozart ( Apotheose Mozarts . 1868). Da sich das Gattungsrepertoire vom Trauerspiel bis zum komischen Singspiel erstreckt (von den Differenzen im Niveau ganz zu schweigen), ist es kein Leichtes, etwas Verbindliches über die Präsentation Mozarts in diesen Dramen zu sagen.

The inclusion of Gisela Vollmann-Profe's new edition of Das fließende Licht der Gottheit in the normative Bibliothek des Mittelalter series marks another significant milestone in the establishment of this extraordinary text in the canon of German medieval literature and in the opening up of this work to a wider modern readership. This process began in the nineteenth century with the publication of the first edition (Regensburg 1869) of the text by Father Gall Morel, librarian in the Benedictine monastery at Einsiedeln.

Die Vernachlässigung einzelner Werke und Autoren oder ganzer Gattungen und Epochen setzt in der Literaturwissenschaft in der Regel nicht als Ergebnis differenzierter Auseinandersetzungen ein, sondern greift eher aufgrund von undiskutiertem Konsens um sich, der auf stillschweigender Übertragung von Zielsetzungen oder Grundannahmen beruht, wie sie vor allem durch die Praxis von Literaturgeschichten verfestigt werden. Die großen Erzähldichtungen der Jahre von etwa 1230 bis weit ins 14. Jahrhundert schienen seit dem frühen 19. Jahrhundert den Werken der mittelhochdeutschen Klassik unterlegen zu sein und nicht in den Dienst einer Annäherung an die Einigung des nationalen Staats oder der nationalen Kultur gerückt werden zu können, so daß ihnen von Karl Rosenkranz, Georg Gottfried Gervinus, August Friedrich Christian Vilmar und anderen bis zu Gustav Ehrismann wenig Aufmerksamkeit und entsprechend wenig Forschungsleistung anderer Germanisten gewidmet worden ist.

Dietlind Gade tritt mit ihrer Dissertation in einen illustren Kreis fundamentaler älterer und jüngerer Beiträge zur meisterlichen Spruchdichtung ein. Dieser Gattung widmete die Altgermanistik in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr ihr analytisches Interesse, nachdem das Material durch die empirischen Vorarbeiten des Repertoriums der Sangsprüche und Meisterlieder und auch durch moderne, hervorragend kommentierte Ausgaben wie zu Heinrich von Mügeln und Heinrich von Meißen aufbereitet wurde. Wissen – Glaube – Dichtung ist ein weiteres willkommenes, ein literarhistorisch prägnantes Buch, das neue Einblicke in die wissensgeschichtlich dichten poetologischen Entwürfe der meisterlichen Spruchdichtung insbesondere von Frauenlob, Hülzing, Konrad von Würzburg, vom Marner, von Regenbogen, Rumelant, vom Zwinger und von Heinrich von Mügeln bietet.

Der Erlanger Literaturwissenschaftler legt mit dieser klassischen Monographie seine passagenweise überarbeitete Göttinger Habilitationsschrift von 1998 vor, die im wesentlichen in zwei große Teile gegliedert ist. Auf gut 50 Seiten widmet sich der Verfasser einer notwendig werdenden neuen „Theorie des Geschichtsdramas“, und die restlichen rund 320 Textseiten sind einer „Geschichte des Geschichtsdramas in der Frühen Neuzeit“ gewidmet. Gryphius, Lohenstein, Gottsched, Lessing und Klopstock erhalten dabei Einzelkapitel, wobei Gryphius mit 40 Seiten etwa doppelt so viel Beachtung erhält wie Lohenstein. Die übrigen Kapitel, die größere literaturgeschichtliche Abschnitte mit mehreren Autoren abdecken, erhalten im Durchschnitt auch etwa 40 Seiten. Der Band wird von einer 40 Seiten starken vorzüglichen Bibliographie und einem angesichts der Fülle von behandelten Autoren sehr nützlichen Register beschlossen.

Die 32 Beiträge des voluminösen Bandes gehen zum Teil auf Referate einer 1997 in Danzig veranstalteten interdisziplinären Tagung zurück; zum anderen handelt es sich um später eingeworbene Arbeiten. Einige Aufsätze sind in einer ausführlicheren oder in einer kürzeren Fassung an anderer Stelle, manche davon in polnischer Sprache, bereits früher einmal erschienen. Das Ergebnis der erfreulichen Zusammenarbeit polnischer und deutscher Wissenschaftler darf sich sehen lassen.

Eine umfassende Erklärung der Entwicklung der deutschen Literatur unter den Vorzeichen des Dreißigjährigen Krieges hat in den vergangenen 30 Jahren – seit Erich Trunz' Nachwort zum Opitz-Neudruck – niemand mehr in Angriff genommen. Nicola Kaminskis energischer Versuch verdient schon deswegen Anerkennung. Sie riskiert Thesen über die utopische Zielsetzung der deutschsprachigen Poesie nach 1624 und die konfessionspolitischen Sympathien ihrer Verfasser. Sie entläßt ihre Leser nach 550 Seiten mit der Erkenntnis, daß der Dreißigjährige Krieg Spuren in allen deutschsprachigen Dichtungen hinterlassen hat und die Dichter sich der Bewältigung des Kriegsleids verschrieben haben. In Sonetten, Klageliedern, Dramen und Romanen haben sie gegen Streit, Gewalt und mutwillige Verwüstung angeschrieben und sich mit den Folgen des Krieges auseinandergesetzt.

Johann Anselm Steiger provides here the first ever published edition of Friedrich Breckling's autobiography. We can be grateful for this publication on many grounds. Despite recent interest in early modern autobiography and “ego documents”, there are still precious few available in modern editions. Friedrich Breckling (1629–1711) is deserving of scholarly attention because of his connections with leading figures of his time. Breckling studied under leading Lutheran orthodox scholars of the day including Abraham Calov, Johann Andreas Quenstedt, Johannes Hülsemann, Johannes Musäus, Johann Ernst Gerhard and Justus Feurborn. During a study visit to Hamburg in 1654, Breckling discovered the writings of Johann Tauler, Joachim Betke and Christian Hoburg, and converted to a form of mystical spiritualism (p. 132). The following year Breckling was in Strasbourg and made the acquaintance of Johann Konrad Dannhauer and his student Philipp Jakob Spener.

Daß die Verskunst Klopstocks der deutschen Literatur eine ganz eigene Poetik der „Wortbewegung“ beschert hat, die die Rhythmik der Sprache zu einem eigenständigen Parameter poetischer Darstellung zu entwickeln sucht, ist mittlerweile fast schon ein Gemeinplatz der Klopstockforschung. Doch nach der für alle weiteren Arbeiten grundlegenden Monographie von Hans-Heinrich Hellmuth, nach Katrin Kohls Untersuchungen über die Entstehung und die Bedeutung der freilich noch anders motivierten ‚freien Rhythmen‘ in den frühen religiösen Hymnen Klopstocks der 1750er Jahre, ist bislang allenfalls erst in Ansätzen erhellt worden, wie eigentlich genau aus rhythmischen Phänomenen Darstellungsmomente und Bedeutungsträger werden können – wenn sich nicht gar, wie Winfried Menninghaus in einer viel beachteten Studie provokativ behauptete und Klopstocks Theorien der Wortbewegung „mit Klopstock gegen ihn“ lesend, diese ‚Eigenständigkeit‘ des Rhythmischen zu einem bedeutungsfreien Sprachspiel ‚reiner Bewegung‘ verselbständigt.

Im Abstand von fünf Jahren sind zwei Sammelwerke erschienen, die thematisch eine greifbare Nähe aufweisen. Daß die Goethe-Forschung von Anbeginn, schon im Hinblick auf die Provokation des Faust -Schlusses, „theologische“ und „weltanschauliche“ Problemstellungen aufgegriffen hat und daß diese, auch unter dem „keineswegs originellen und vielleicht altertümlich wirkenden Titel“ „Goethe und […]“ (Anderegg/Kunz in ihrer Vorbemerkung) durchaus Aktualität beanspruchen können – dies gilt für beide hier anzuzeigenden Bände. Dabei ist der Werkbezug unterschiedlich: Beim „Pietismus“ geht es um das Weltbild des jungen Goethe – so der Titel des älteren Werks von Rolf Christian Zimmermann 1969 – und seine konkreten Folgen und Folgerungen im Werk, damit auch um konkrete Texte, vor allem natürlich um die theologischen Provokationen des „Jungen Goethe“, den Wilhelm Meister und seine „Schöne Seele“ sowie die Hermetik und Alchemie im Faust , aber auch um die Biographika, so im Blick auf die „Konfession“ in Dichtung und Wahrheit .

Der amerikanische Germanist Jeffrey L. Sammons ist allen Heine-Spezialisten nicht nur als Autor von beachteten Heine-Studien bekannt – man denke zum Beispiel an seine Heine-Biographie aus dem Jahre 1979 –, sondern auch als unermüdlicher Rezensent von Heine-Studien und Verfasser von kritischen Heine-Bibliographien für zahlreiche Zeitschriften, von German Quarterly über The romantic movement zum Heine-Jahrbuch . Für das Verständnis seiner Stellung innerhalb der Heine-Forschung erweisen sich solche Beiträge als genauso wertvoll wie die vielen von ihm veröffentlichten Aufsätze, die nun – mit wenigen Ausnahmen – im vorliegenden, als Abschluß seiner mehr als 40 Jahre andauernden Forschungsarbeit zum Thema Heine veröffentlichten Sammelband vereinigt worden sind. Auf sehr anschauliche Weise wird Sammons' Wirkung in der dem Werk angehängten vollständigen Liste seiner Heine-Publikationen dokumentiert.

Die einer Erzählung des Aristoteles zugeschriebene Weisheit des Silen besagt, daß es besser wäre, nie existiert zu haben, das Zweitbeste sei, bald zu sterben, also sei der Tod besser als das Leben. Zwar wurde der Rat unter bedrückten Umständen gegeben, als Silen Gefangener des König Midas gewesen ist, er taucht aber sonst immer wieder auf, etwa im König Oedipus von Sophokles oder in der liebenswürdigen Ermunterung der Frau Hiobs: „sage Gott ab und stirb!“ In seiner in jeder Hinsicht beeindruckenden neuen Arbeit stellt Ralph Häfner fest, daß sich diese melancholische Denkart unter europäischen Intellektuellen des frühen 19. Jahrhunderts verbreitet hat. Sie ist in erster Linie ein Ergebnis der sich lockernden Überzeugungskraft des religiösen Weltbildes. Es ist, als ob die Gläubigen recht hätten, daß der Verlust des Glaubens zur Sinnlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und zynischen Amoralität führen müsse, wie es besonders penetrant in den von Häfner gegen Ende seiner Studie angeführten Dämonen Dostojewskis dargestellt wird.

In seinem 1999 erschienenen Überblicksaufsatz zur „Rilke-Forschung heute“ stellte Manfred Engel am Ende bilanzierend fest, „daß die Rilke-Forschung, nach einer bald dreißigjährigen Dauerkrise, heute an der Schwelle zu einem neuen Aufbruch steht.“ Gut ein halbes Jahrzehnt später lassen die facettenreichen Einzelbeiträge des von Engel herausgegebenen Rilke-Handbuchs keinen Zweifel daran, daß jener Aufbruch stattgefunden und in mancherlei Hinsicht eine „Neu-Lektüre des Autors“ (S. XII) ermöglicht hat.

Christian Schärf, habilitierter Dozent für Germanistik an der Universität Mainz, ist aus der Hillebrand-Schule hervorgegangen: gewiß die beste, wenn es um Benn geht. Sein Buch Der Unberührbare beansprucht für sich, ganz neu anzusetzen, einen völlig neuen Blick auf Benn zu eröffnen, die Benn-Forschung zu revolutionieren: Bisher sei man der Selbststilisierung Benns auf den Leim gegangen, habe sich in dem von ihm „gesteuerten Bild […] verfangen“ (S. 7) und infolgedessen nichts anderes getan, als es zu reproduzieren. Eine Lektüre gegen den Strich wird uns versprochen, der Leser ist mehr als gespannt.

Arbeit und Arbeitslosigkeit können als die großen gesellschaftspolitischen Themen gelten, die den Aufstieg und die Krise klassischer Industriegesellschaften von Anfang an begleitet haben, und so wäre es schon sehr verwunderlich, wenn sich die Literatur nicht mit diesen beiden für das Selbstverständnis neuzeitlicher Gesellschaften zentralen Problembereichen auseinandergesetzt hätte. Wenn die Literaturwissenschaft bisher exakt diesen Eindruck entstehen ließ, so gibt die hiermit anzuzeigende Göttinger Habilitationsschrift eine Ahnung davon, welcher Blickbegrenzungen es bedurfte, um eine Literatur zu übersehen, „die Problemkonstellationen aus dem alltäglichen Lebensbereich ihrer aktuellen Gegenwart aufnimmt und ausgestaltet“ (S. 13).

Since unification the discourse of contrition that is a hallmark of Germany's engagement with National Socialism has been contested by a range of memory debates. On the one hand, the controversies of the 1990s reflect the uncertainties created by globalisation and unification; on the other, the boom in the memory industry voices the passing of the last generation of first-hand witnesses of National Socialism alongside the emergence of new generational identities. However, in spite of the increased historical distance the recent debate about Günter Grass' admission that he was drafted into the Waffen SS underlines the fact that greater historical distance does not automatically find expression in greater objectivity. On the contrary, the long-term legacy of National Socialism remains a hotly contested issue, which regularly ignites ferocious debates in the media.