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Wie entsteht „Flow“ in einem Unternehmen?

Ein ganzheitlicher und strukturierter Weg zur Unternehmensexzellenz
  • Andreas Wendt

    Prof. Dr.-Ing. Andreas Wendt studierte nach einer Ausbildung an der Bayerischen Staatslehranstalt für Fotografie Allgemeinen Maschinenbau an der TU München. Er promovierte über „Qualitätssicherung in flexibel automatisierten Montagesystemen“. Bei der Robert Bosch GmbH durchlief er verschiedene Führungsfunktionen im Produktionsbereich, zuletzt war er Werkleiter des Bremsenwerks in Barcelona. Bei der BMW AG führte er zunächst als Leiter Strategieentwicklung des Produktionsressorts das Wertschöpfungsorientierte Produktionssystem (WPS) ein. Danach wurde er Leiter Produktion „Fahrwerks- und Antriebskomponenten“, Geschäftsführer der BMW Motoren GmbH in Steyr und Leiter der BMW Group Werke Regensburg und Dingolfing. 2018 wurde er in den Vorstand der BMW AG für Einkauf und Lieferantennetzwerk berufen. Als Chairman der European Foundation for Quality Management (EFQM) setzte sich Dr. Wendt von 2013 bis 2018 für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen und Organisationen ein und brachte das Streben nach Business-Excellence maßgeblich voran. Seit 2023 ist Dr. Wendt u. a. Vorsitzender des Aufsichtsrats der Ingenics AG. 2024 wurde er zum Honorarprofessor der TU München für Unternehmensführung bestellt.

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Veröffentlicht/Copyright: 17. Februar 2025
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Abstract

Wie entsteht Leidenschaft in einem Unternehmen? Eine Haltung und ein Leistungswille aller Beteiligten, Hindernisse zu überwinden und neue Chancen zu nutzen? Eine Eigendynamik, die aus unterschiedlichen Perspektiven und Fähigkeiten Leistung, Geschwindigkeit und Freude entwickelt? Führung ist das Schlüsselthema, das aber ebenso konsequente Arbeit an Prozessen, Strategie und Kundenwirksamkeit voraussetzt. Der Autor zeigt am Beispiel eines Automobilwerks, wie in achtjähriger, systematischer Führungsarbeit mit den Menschen der Charakter einer erfolgreichen Organisation entwickelt wurde, der bis heute prägend ist.

Abstract

How do you generate passion at a company? How do you encourage everyone to embrace the values and show the motivation needed to overcome hurdles and leverage new opportunities? How do you create momentum that turns a variety of perspectives and skills into performance, speed and enthusiasm? Leadership is the key, but it calls for an equally resolute focus on processes, strategy and delivering for customers. Based on the example of a car factory, the author shows how eight years of systematic leadership work with the people there honed the character of a successful organisation – a character that still shapes the company to this day.

Dieser Beitrag besteht aus vier Teilen, die in aufeinanderfolgenden ZWF-Ausgaben veröffentlicht werden. Die inhaltlichen Themenschwerpunkte der einzelnen Teilbeiträge sind:

  • Einführung in die ganzheitliche Unternehmensführung, Kriterien, Drei-Dimensionen-Modell, Erfahrungen, Hürden, Wirkprinzipien

  • Qualitätsstreben und Durchlaufzeit – Lehrmeister für exzellente Prozesse

  • Strategie und Führung

  • Über Qualität, Prozesse, Strategie und Führung zum Flow, Führungsparadigmen der obersten Leitung, Fazit.

Umfassende Unternehmensexzellenz – eine Lebensversicherung in schwierigen Zeiten

In Zeiten schneller Veränderungen und komplexer Wirkzusammenhänge sind Unternehmen im Vorteil, die den Rücken frei haben und sich mit diesen Herausforderungen agil und antizipativ auseinandersetzen können. Wer in kritischen Zeiten noch den Ballast ungemachter Hausaufgaben – Organisationsentwicklung, Qualitätsprobleme, Prozessschwächen, Führungsdefizite, Haltungsfragen – mit sich trägt, ist in einer schwierigen Lage. Kurzfristig verordnete Sparprogramme können nicht ersetzen, was jahrelang versäumt oder nur anekdotisch und defizitorientiert behandelt wurde.

Die strukturierte Entwicklung eines ganzheitlich exzellenten und resilienten Unternehmens ist anstrengend, aber lohnend. Sie gelingt, wenn in der gesamten Organisation neben der perfekten Erfüllung der aktuellen Aufgaben ein permanentes Bestreben nach umfassender unternehmerischer Weiterentwicklung verankert wird. Führung und Werten kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Erfolgsfaktoren sind die klare Orientierung am Bestmöglichen, kritische Selbstreflektion, Hinwendung zu Menschen und Prozessen sowie ein systemisches Vorgehen [1].

Unterstützt wird dieses Vorhaben durch ein Vorstellungsmodell eines exzellenten Unternehmens, das alle Kriterien und Wirkzusammenhänge hinreichend vollständig beschreibt und handlungsbezogene Handreichungen gibt. Von diesem Anspruch geleitet, entstand in drei Jahrzehnten und aus der Praxis von acht Leitungsfunktionen im Automobilbau ein dreidimensionales, funktionales Beschreibungsmodell aller Aspekte und Wirkzusammenhänge für die Entwicklung eines exzellenten Unternehmens.

Ein dreidimensionales Modell für Unternehmensexzellenz

Im Zentrum steht der Kernwertschöpfungsprozess, der den Geschäftszweck realisiert und den Erfolgsmotor des Unternehmens darstellt. Zwei weitere Dimensionen gestalten und modulieren diesen Kernprozess: die systemisch/methodische Achse, die vom Shopfloor bis zum strategischen Handeln der obersten Leitung ein systematisches Vorgehen nach höchsten Zielen beschreibt und leitet sowie die dritte Dimension der Führung und Werte. Also die aktive Verankerung von Handlungsmaximen und Haltungen im ganzen Unternehmen, was die Voraussetzung für ein kohärent konstruktives Verhalten darstelltund die Bedingung für Spitzenleistung einer Organisation ist (Bild 1).

Bild 1 Drei-Dimensionen-Modell für Unternehmensexzellenz
Bild 1

Drei-Dimensionen-Modell für Unternehmensexzellenz

Die Dimension „Kernwertschöpfung“ (physische Dimension – „Was?“)

Der Kernwertschöpfungsprozess realisiert den eigentlichen Geschäftszweck und ist Existenzgrundlage eines gewinnerzielenden Unternehmens. Ziel ist die gegenseitige Verstärkung von Kundenbegeisterung und Zahlungsbereitschaft am einen und Innovations- und Investitionsfähigkeit am anderen Ende des Prozesses. Alle modulierenden Aktivitäten – Operative, Strategie, Führung, Werte – zielen auf gewinnsichernde Resultate im Geschäftsergebnis ab und dürfen sich nicht in Selbstbezüglichkeiten ergehen. Der Kernwertschöpfungsprozess beinhaltet aber nicht nur die physikalische Welt perfektionierter Herstellprozesse, sondern genauso die strategische Arbeit der Unternehmensführung in der Gestaltung und Führung der Geschäftsprozesse.

Die Systemische Dimension in Prozess und Strategie (rationale Dimension – „Wie?“)

Hier geht es um die Frage, ob die Bearbeitung und Perfektionierung des Kernwertschöpfungsprozesses situativ und anekdotisch stattfindet oder systematisch gestaltet wird. Diese Fragestellung gilt sowohl für die operative als auch für die strategische Exzellenz des Unternehmens: Ein Produktionssystem ist ebenso ein strategisches Führungsinstrument für den Shopfloor, wie ein Business-Excellence-Modell ein „Produktionssystem“ für die zielgerichtete Leitungsarbeit der Führungsetage darstellt. In der Strategiearbeit werden systematisch nachvollziehbare und belastbare Ziele für die Operative entwickelt, die dort ebenso systematisch und nachweislich in Prozesserfolge umgesetzt werden. Strategische und operative Exzellenz bedingen sich also gegenseitig.

Die Dimension „Führung und Werte“ (emotionale Dimension – „Warum?“)

Führung ist die entscheidende Erfolgsgröße eines exzellenten Unternehmens. Deshalb sollen hier inhaltliche Setzungen – beginnend bei der Einstellung der obersten Leitung zu unternehmerischer Höchstleistung, Kundenperspektive und Verhaltenserwartung – über die Vermittlung dieser Sichten bis zur Formung des notwendigen Verhaltens aller Mitarbeitenden zusammengefasst werden. Wie muss geführt werden, damit das Warum beispielsweise einer Null-Fehler-Einstellung durchgängig verinnerlicht wird, und wie entsteht ein kohärent konstruktives Verhalten in der ganzen Organisation, das stärker ist als retardierende Verhaltensmuster? Wertesetzungen und in schwierigen Situationen gültig erlebtes Führungsverhalten sind hierfür elementar.

Anspruch an das Modell

Um Anspruch und Bedarf eines fassbaren und funktionalen Modells zu verdeutlichen, soll hier die Persönlichkeit exzellenter Unternehmen beschrieben werden: Exzellente Unternehmen übertreffen die Erwartungen sämtlicher Interessengruppen, handeln auch in herausfordernden Situationen souverän, angemessen und weitblickend und sind deshalb dauerhaft wirtschaftlich erfolgreich. Neben herausragenden Produkten und perfekten Prozessen zeichnet sich ihre Führung durch ein strukturiertes und nachhaltiges strategisches Vorgehen, eine intensive Einbindung von Mitarbeitenden und eine gelebte Kundenorientierung aus. Ihr Handeln ist wertegeleitet und übernimmt auch für die Mitwelt Verantwortung. Permanentes Lernen und Verbessern, ein sich Messen an den stärksten Wettbewerbern und die offene Annahme von internen und externen Rückmeldungen sind selbstverständlich. In den besten dieser Unternehmen entsteht in der gesamten Organisation „Flow“: eine spürbare, sich verstärkende Eigendynamik von kohärent konstruktivem Verhalten. Dieser Flow manifestiert sich in einer potenzierten kollektiven Schaffenskraft und Kreativität sowie der Freude an Spitzenleistung aller Mitarbeitenden und Führungskräfte.

Soll der anspruchsvolle Weg einer solchen Persönlichkeitsentwicklung eines Unternehmens nachvollziehbar beschrieben werden, sind folgende vier Fragestellungen relevant:

  • Beschreibt das Vorstellungsmodell alle relevanten Aspekte und Kriterien hinreichend vollständig?

  • Sind die Wirkzusammenhänge beschrieben und die Wirkprinzipien geklärt?

  • Welche Führungsmaximen ergeben sich für die oberste Leitung aus der Ganzheitlichkeit des Anspruchs und einer nachhaltigen Wirksamkeit?

  • Lassen sich Aussagen über ein erfolgversprechendes Vorgehen zur schrittweisen Entwicklung eines exzellenten Unternehmens und „Flow“ ableiten?

Natürlich kann dies kein simples Kochrezept sein. Beschreibbar ist aber ein praktikabler Handlungsrahmen, der über defizitorientierte Einzelansätze oder modisch aktuelle Veränderungsthemen der Managementliteratur weit hinausgeht.

Es gibt gute und ganzheitliche Darstellungen unternehmerischer Erfolgsfaktoren und funktionaler Zusammenhänge erfolgreicher Organisationen. Hier seien das 7S-Modell von McKinsey, das St. Galler-Managementmodell sowie das EFQM-Modell genannt [2, 3, 4, 5].

Das 7S-Modell beschreibt Grundtugenden des unternehmerischen Handelns: das Primat des Handelns, die Nähe zum Kunden, den Freiraum für Unternehmertum, Produktivität durch Menschen, ein sichtbar gelebtes Wertesystem, die Bindung an das angestammte Geschäft, ein einfacher und flexibler Aufbau der Organisation sowie eine straff-lockere Unternehmensführung.

Das EFQM-Modell 2013 beschreibt acht Grundprinzipien exzellenter Unternehmen [5, 6]:

  • Nutzen für den Kunden schaffen,

  • Zukunft nachhaltig gestalten,

  • Fähigkeiten der Organisation entwickeln,

  • Kreativität und Innovation fördern,

  • mit Vision, Inspiration und Integrität führen,

  • Veränderungen aktiv managen,

  • durch Mitarbeitende erfolgreich sein und

  • dauerhaft herausragende Ergebnisse erzielen.

Zur Entstehung des Modells

Die Suche des Autors nach einem strukturierten Weg zu ganzheitlich exzellenten Unternehmensabläufen begann mit der Einführung von Produktionssystemen und geht bis in die 1990er-Jahre zurück. Bei Bosch war die wirksame Einführung des Bosch-Produktionssystems (BPS) in den am härtesten im Wettbewerb stehenden Geschäftseinheiten eine Überlebensnotwendigkeit [7]. Bei BMW wurde mit dem Wertschöpfungsorientierten Produktionssystem (WPS) ein verbindlicher und breit eingeführter Standard der BMW-Werke geschaffen [8, 9].

Neben der konsequenten Einführung eines Produktionssystems für den Kernwertschöpfungsprozess entstand der Bedarf, auch die Strategiearbeit einem strukturierten Vorgehen zu unterziehen und damit einen weiteren Schritt in Richtung eines ganzheitlich exzellenten Unternehmens zu gehen.

Für das hier eingesetzte EFQM-Modell sprechen das kriteriengestützte Bewertungssystem, die dynamische Funktionalität des Lernkreislaufs und die gegenseitige Bedingtheit von Befähigern und Ergebnissen im managerialen Vorgehen. Die reifegradorientierte Beschreibung der Ausprägungen exzellenter Unternehmen auf den drei Bezugsebenen Kunde, Mitarbeitende und Partner/Gesellschaft sind gut greifbar. Das Modell ist in vielen Unternehmen bekannt und kostenfrei zugänglich. Hinzu kommt die Möglichkeit strukturierter Benchmarks mit anderen, insbesondere branchenfremden Unternehmen.

Mit der jahrelangen und konsequenten Anwendung beider Systeme in verschiedenen Führungsaufgaben und immer weiter verbesserten direkten und indirekten Prozessen erwuchs jedoch die Erkenntnis, dass Führung das eigentliche Kriterium eines erfolgreichen Weges zur Unternehmensexzellenz darstellt.

Dem wurde im dreidimensionalen Führungsmodell Rechnung getragen, das im BMW Group Werk Regensburg im Rahmen der langjährigen Leitungstätigkeit des Autors in einer Vielzahl von Diskussionen mit Führungskräften und Mitarbeitenden erarbeitet wurde. Vielfältige Methoden und Führungsroutinen wurden entwickelt, die durch langjährige, konsequente Umsetzung eine beachtliche Wirksamkeit entfalteten.

Mit seinem kostenorientierten Fokus auf kleine und mittlere Fahrzeuge sowie seiner enormen Flexibilität – es werden bis zu neun verschiedene Fahrzeugtypen in freier Reihenfolge am Band montiert – stellt das Werk Regensburg einen äußerst anspruchsvollen, aber deshalb gerade ergiebigen Rahmen für das hier behandelte Vorhaben dar (Bild 2).

Bild 2 Montageband BMW Group Werk Regensburg
Bild 2

Montageband BMW Group Werk Regensburg

Das Werk stellt sich regelmäßig internationalen Vergleichen, Wettbewerben und Assessments – u. a. dem europäischen Wettbewerb der EFQM – was eine erhebliche Steigerung der ganzheitlichen Lerndynamik bewirkte. Als erstes Automobilwerk erhielt es 2015 den EFQM Excellence Award [10, 11]. Diese Auszeichnung war eine erfreuliche Anerkennung, aber keineswegs der Zweck der Bemühungen um ein exzellentes Werk.

Anwendbarkeit und Gültigkeit

Lässt sich nun der eingangs formulierte Anspruch an ein exzellentes Unternehmen und das skizzierte Vorgehen auf Organisationen jeder Art und Größe anwenden? Bei entsprechendem Lerninteresse und Transferdenken der Leitungsebene ist das möglich. Auch eingebundene Organisationseinheiten – eine Planungsabteilung, eine Landesgesellschaft, ein Shared-Service-Bereich – haben einen spezifischen Kernwertschöpfungsprozess und Kunden. Sie können Abläufe systematisch verbessern und eine unternehmerische Identität entwickeln, wenn sie sich im Organigramm geistig freischneiden. Ein Werk ohne Entwicklung und Vertrieb kann sich als Produktionsunternehmen denken, das die Erwartungen „seines“ Kunden Großkonzern übererfüllt und seine Bezüge zu den übrigen Unternehmensbereichen als Leistungsschnittstellen mit entsprechenden Inhalten beschreibt. Nichts hindert ein Werk, die Erwartungen seiner Partner überzuerfüllen und gleichzeitig eigene Erwartungen an diese für eine insgesamt bessere Performance zu thematisieren. Der erste Schritt ist allerdings immer die spürbare Verbesserung der eigenen Leistung für andere und der hartnäckige Anspruch an sich selbst – also das „Kehren vor der eigenen Haustür“ (Bild 3).

Bild 3 Freischneiden einer eingebundenen Organisationseinheit
Bild 3

Freischneiden einer eingebundenen Organisationseinheit

Hürden und Hindernisse im eigenen Kopf

Aus unzähligen Diskussionen mit Unternehmensverantwortlichen kann der Autor berichten, dass die hier zu Grunde gelegte Beschreibung eines exzellenten Unternehmens als grundsätzlich zutreffend und erstrebenswert, oft aber als idealistisch – wenn nicht utopisch – und kaum strukturiert erreichbar eingeschätzt wird.

Diese Einwände kann man in zwei Gruppen einteilen: Hürden und Hindernisse überhaupt anzufangen. Und solche, die sich ergeben könnten, wenn man angefangen hat.

Wie bei jedem Ausdauersport und jeder Persönlichkeitsentwicklung ist der ernsthafte Entschluss zum Anfangen am schwersten.

Als Hindernisse werden von oberen Führungskräften mangelnde Kapazität, geringe Handlungsspielräume des eigenen Bereichs innerhalb einer Großorganisation oder fehlende Kooperationsbereitschaft angrenzender Ressorts („da müsste aber zuerst mal die Entwicklung/der Vertrieb...“) angeführt. Häufig werden Zusatzkosten befürchtet oder das Beharrungsvermögen mittlerer Führungskräfte beklagt.

Häufig trifft man auf einen fehlenden Glauben an die grundsätzliche Verbesserungsmöglichkeit von Zuständen im Unternehmen, was aus dem Mund von Führungskräften nachdenklich stimmt. Oft liegt eine tiefe Frustration aus misslungenen bisherigen Ansätzen vor. Geklagt wird über kurze Verweilzeiten von Leitungspersonal, laufende Umorganisationen sowie vielfältige von Zentralen und Konzernvorständen verordnete und oft wirkungslose Veränderungsinitiativen. Diese Aktivitäten werden von erfahrenen mittleren Führungskräften mit Tieren verglichen, die durch ein Dorf getrieben werden. Mangelnde Ausdauerbereitschaft der Organisation oder fehlende Reflektionsbereitschaft von Führungskräften werden hingegen selten thematisiert.

Diese Hürden müssen mit hartnäckiger Überzeugungsarbeit überwunden und verlorengegangenes Vertrauen wieder hergestellt werden, wenn der strukturierte Weg zu einem exzellenten Unternehmen beschritten werden soll. Hinzu kommt, dass der Zustand höherer Exzellenz eines Unternehmens aus der Anfangsperspektive kaum fassbar ist und nur schrittweise erlebt werden kann.

Ein erheblicher Aufwand ist also vor dem Start zu veranschlagen. Ist diese Hürde aber einmal genommen, werden Erfolge deutlich schneller erreicht als erwartet. Die Energie, die bisher in die Abwehr von systemischen Ansätzen und die Entschuldigung verfehlter Ziele gesteckt wurde, kann jetzt der zügigen Verbesserung und der systematischen Lösungssuche zufließen.

Wirkzusammenhänge und Erkenntnisse

Aus der konsequenten Anwendung des vorgestellten ganzheitlichen Vorgehens lassen sich folgende Wirkzusammenhänge ableiten:

  • Ohne einen leistungsfähigen Kernwertschöpfungsprozess kann es keine unternehmerische Existenz geben.

  • Der ständig in strategischen Aspekten und operativer Ausführung perfektionierte Kernwertschöpfungsprozess ist Bezugspunkt allen Tuns im Unternehmen.

  • Strategische und operative Exzellenz bedingen sich gegenseitig. Strategie entwickelt systematisch Ziele, Operative setzt sie systematisch um.

  • Für höchste Ansprüche erfordert Strategiearbeit ein ebenso hochentwickeltes systemisches Führungsmodell (z. B. EFQM) wie die operative Umsetzung (z. B. WPS).

  • Ziele und Vorgehen müssen über alle drei Dimensionen entwickelt und abgeglichen werden.

  • Wirksamer Fortschritt erfordert den Aufbau systematischer Lernkreisläufe.

  • In seriellen Prozessketten kann eine ganzheitliche Verbesserung nur entstehen, wenn ein Prozesspartner in Vorleistung geht und anfängt, seinen Bereich umfassend zu verbessern.

  • Zumeist ist dies ein flussabwärts gelegener Bereich, der von den vorangehenden Entscheidungen flussaufwärts liegender Bereiche betroffen ist.

  • Prozesspartner können zur Mitwirkung gewonnen werden, wenn dies einen vergrößerten Nutzen für sie und das Unternehmen erzeugt.

  • Die erhöhte Leistungsfähigkeit des eigenen Bereichs ermöglicht es, Zeit und Energie in die Verbesserung der Schnittstellen zu investieren.

  • Führung ist zweckgebundene Verbreitung, Verankerung und Umsetzung von Einstellungen und Werten im Unternehmen.

  • Alle Mitarbeitenden liefern einen Beitrag zum exzellenten Unternehmen, der über die im Arbeitsvertrag beschriebene Tätigkeit deutlich hinausgeht.

  • Führung stellt sicher, dass jeder Mitarbeitende Beiträge liefern kann und will.

  • Exzellenzstreben kann man nicht delegieren und verordnen. Die persönliche Einstellung und die Entschlossenheit der obersten Leitung sind elementar.

  • Diese kann sich wirkungsvoll von einem Projektbüro unterstützen lassen, das Methoden, Organisation, Reifegradmodelle, Führungsroutinen etc. erarbeitet und koordiniert.

  • Die Sicherstellung der Wirksamkeit des entwickelten Systems obliegt den Führungskräften.

  • Die Exzellenz eines Unternehmens entwickelt sich schrittweise und erfordert Hartnäckigkeit und Dauerhaftigkeit.

  • Selbstreflektion, Feedback und externer Vergleich können schmerzhaft sein, justieren und beschleunigen aber die Umsetzung.

  • Eine kritische Hinterfragung des unternehmerischen Vorgehens kann ein Zeichen von Stärke der obersten Leitung sein, wenn sie im konstruktiven Diskurs zur Klärung des Vorgehens und zur Stärkung der Entschlusskraft der gesamten Organisation führt.

  • Die finale unternehmerische Verantwortung der obersten Leitung bleibt davon unberührt.

Ausblick

Im zweiten Teil dieser Beitragsreihe soll ein geschärfter Anspruch an die Qualität und die Durchlaufzeit von Prozessen als Beschleuniger für wirksame Verbesserungen, aber auch als Führungsherausforderung vorgestellt werden. Das aktive Bekenntnis zu Null-Fehler zeigt auf, ob die oberste Leitung an Veränderungen glaubt, diesen Glauben im Unternehmen vermitteln und die Umsetzung führen kann. Lösungsbeispiele für stabile, selbstregelnde Prozessführung werden ebenso aufgezeigt wie Methoden für systematische Prozessverbesserungen mit der gesamten Mannschaft.

In Teil 3 soll die systematische Strategiearbeit der Führungsebene durch Zielbild, jährlichen Strategiekreislauf und Ergebnis/Befähigermatrix erläutert werden. Die strukturierte Verbesserung der Führungsleistung durch den Führungsdialog und die sichere Verankerung von Zielen im Unternehmen runden diese Veröffentlichung ab.

Teil 4 stellt Erfordernisse und Erfolgsfaktoren eines langjährigen Vorgehens einer Organisation auf dem Weg zum exzellenten Unternehmen in den Mittelpunkt. Der fundamentale Anspruch an die Führungsleistung der obersten Leitung wird mit sieben Paradigmen geschärft. Den Abschluss stellt die Analogie der unternehmerischen Entwicklung mit der Maslowschen Bedürfnispyramide dar.


Hinweis

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen von den Mitgliedern des ZWF-Advisory-Board wissenschaftlich begutachteten Fachaufsatz (Peer Review).


About the author

Prof. Dr.-Ing. Andreas Wendt

Prof. Dr.-Ing. Andreas Wendt studierte nach einer Ausbildung an der Bayerischen Staatslehranstalt für Fotografie Allgemeinen Maschinenbau an der TU München. Er promovierte über „Qualitätssicherung in flexibel automatisierten Montagesystemen“. Bei der Robert Bosch GmbH durchlief er verschiedene Führungsfunktionen im Produktionsbereich, zuletzt war er Werkleiter des Bremsenwerks in Barcelona. Bei der BMW AG führte er zunächst als Leiter Strategieentwicklung des Produktionsressorts das Wertschöpfungsorientierte Produktionssystem (WPS) ein. Danach wurde er Leiter Produktion „Fahrwerks- und Antriebskomponenten“, Geschäftsführer der BMW Motoren GmbH in Steyr und Leiter der BMW Group Werke Regensburg und Dingolfing. 2018 wurde er in den Vorstand der BMW AG für Einkauf und Lieferantennetzwerk berufen. Als Chairman der European Foundation for Quality Management (EFQM) setzte sich Dr. Wendt von 2013 bis 2018 für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen und Organisationen ein und brachte das Streben nach Business-Excellence maßgeblich voran. Seit 2023 ist Dr. Wendt u. a. Vorsitzender des Aufsichtsrats der Ingenics AG. 2024 wurde er zum Honorarprofessor der TU München für Unternehmensführung bestellt.

Literatur

1 Swiss-Excellence-Forum: „Wer alleine arbeitet, addiert, wer zusammenarbeitet multipliziert...“ Interview Dr. Andreas Wendt. KMU-Magazin 9 (2015), S. 6–9. Online unter https://www.swiss-excellence-forum.ch/de/business-development/businessexcellence/efqm-assessments [Abruf am 29.01.2025]Suche in Google Scholar

2 Peters, T. J.; Waterman, R. H.: In Search of Excellence. Lessons from America’s Bestrun Companies. Harper & Row, 1982Suche in Google Scholar

3 Waterman, R. H.; Peters, T. J.; Phillips, J. R.: Structure is not Organization.” Business Horizons 23 (1980) 3, S. 14–26 DOI:10.1016/0007-6813(80)90027-010.1016/0007-6813(80)90027-0Suche in Google Scholar

4 Rüegg-Stürm, J.; Grand, S.: Das St. Galler Management-Modell: Management in einer komplexen Welt. utb GmbH, 2019 DOI:10.36198/978383855092310.36198/9783838550923Suche in Google Scholar

5 Deutsche Gesellschaft für Qualität: EFQM Excellence Modell 2013. Online unter https://www.dgq.de/wp-content/uploads/2018/06/EFQM-Excellence-Model-2013-Free-German-Partners.pdf [Abruf am 29.01.2025]Suche in Google Scholar

6 Moll, A.; Kohler, G. (Hrsg.): Excellence-Handbuch – Grundlagen und Anwendung des EFQM Excellence Modells. Symposion Publishing Verlag, Düsseldorf, 2013Suche in Google Scholar

7 Gackstatter, U.; Gönner, T.; Kurth, H.: Business Excellence in Produktion, Logistik und Servicebereichen. In: Wenger, W.; Geiger, M.; Kleine, A. (Hrsg.): Business Excellence in Produktion und Logistik. Gabler Verlag, Wiesbaden 2011. DOI:10.1007/978-3-8349-6688-9_1010.1007/978-3-8349-6688-9_10Suche in Google Scholar

8 BMW Group: „WPS-Center der BMW Group: Lernwerkstatt auf 1500 m2Fläche“ (2015). Online unter https://www.press.bmwgroup.com/deutschland/article/detail/T0214544DE/wps-center-der-bmw-group:-lernwerkstattauf-1500-m%C2%B2-flaeche?language=de [Abruf am 29.1.2025]Suche in Google Scholar

9 Scholz, G.: Lernfabrik für Flexibilität und Qualität. Automobilwoche 2015. Online unter https://www.automobilwoche.de/nachrichten/lernfabrik-fur-flexibilitat-undqualitat [Abruf am 29.1.2025]Suche in Google Scholar

10 BMW Group: BMW Group Werk Regensburg ist eine exzellente Organisation. Pressemeldung 23.10.2015. https://www.press.bmwgroup.com/deutschland/article/detail/T0240128DE/bmw-group-werk-regensburgist-eine-exzellente-organisation?language=de [Abruf am 29.1.2025]Suche in Google Scholar

11 EFQM: „Recognition Data Base“. Online unter https://shop.efqm.org/recognitiondatabase [Abruf am 29.01.2025]Suche in Google Scholar

Published Online: 2025-02-17
Published in Print: 2025-02-20

© 2025 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Heruntergeladen am 16.10.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zwf-2025-1018/html?lang=de
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