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Nachhaltigkeit ist mehr als Ressourceneffizienz

SDGs als Wegweiser zu einer gesamtheitlichen Nachhaltigkeitsstrategie
  • Jonte Pietsch

    Jonte Pietsch, M. Sc., studierte Maschinenbau (B. Sc.) und Produktentwicklung, Werkstoffe und Produktion an der Technischen Universität Hamburg. Seit 2024 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Flugzeug-Produktionstechnik der Technischen Universität Hamburg.

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    , Kim Lüdtke

    Kim Lüdtke, M. Sc., studierte Landschaftsökologie und Naturschutz (B. Sc.) an der Universität Greifswald und Umwelt, Naturschutz und Nachhaltigkeitsbildung an der Universität Hildesheim. Seit 2025 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer im Dezernat „Biosphärenregion und nachhaltige Regionalentwicklung“ und betreut dort das Partnernetzwerk der Modellregion für nachhaltige Entwicklung.

    , Arne Wendt

    Arne Wendt, M. Sc., studierte Maschinenbau (B. Sc.) und Produktentwicklung, Werkstoffe und Produktion an der Technischen Universität Hamburg. Seit 2018 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Flugzeug-Produktionstechnik der Technischen Universität Hamburg und leitet dort seit 2024 die Gruppe Autonomous Systems in Industry X.0.

    and Thorsten Schüppstuhl

    Prof. Dr.-Ing. Thorsten Schüppstuhl studierte Maschinenbau an der Universität Dortmund und promovierte am Lehrstuhl für Maschinenelemente, -gestaltung und Handhabungstechnik. Er ist Mitgründer der wissenschaftlichen Gesellschaft für Montage Handhabung und Industrierobotik und leitet seit 2010 das Institut für Flugzeug-Produktionstechnik an der Technischen Universität Hamburg.

Published/Copyright: February 17, 2025

Abstract

Getrieben durch Nachfrage und auch Regulierung, gewinnt Nachhaltigkeit in der Produktion zunehmend an Bedeutung. Der Beitrag zeigt anhand der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) auf, dass eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie über den aktuellen Fokus der Ressourceneffizienz und die Anwendung bestehender Werkzeuge und Methoden hinausgeht. Eine frühzeitige und ganzheitliche Betrachtung erlaubt das Schöpfen von umfassenden Innovationspotenzialen und sichert einen langfristigen Wettbewerbsvorteil.

Abstract

Driven by demand and regulation, sustainability is becoming increasingly important in production. This article uses the UN Sustainable Development Goals (SDGs) to show that a holistic sustainability strategy goes beyond the current focus on resource efficiency and the use of existing tools and methods. An early and holistic approach allows the realisation of comprehensive innovation potential and ensures a long-term competitive advantage.

Einleitung

Der Begriff der Nachhaltigkeit hat sich in den letzten Jahren zu einem zentralen Bestandteil im Leitbild von Politik und Gesellschaft entwickelt. Insbesondere die nachhaltige Entwicklung, d. h. die langfristige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer umweltverträglichen und langfristig tragfähigen Lebensweise für alle Generationen, steht dabei im Mittelpunkt, da sie als zentrale Antwort auf globale Herausforderungen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und soziale Ungleichheit gilt. Im Kontext dessen gewinnen in der Wirtschaft nachhaltige Produktionsprozesse und Produktdesigns zunehmend an Relevanz [1, 2, 3]. Dabei wird diese Entwicklung maßgeblich von zwei Faktoren beeinflusst. Zum einen, durch eine steigende Nachfrage nach nachhaltigen Produkten auf Seite der Konsument:innen. Zum anderen, durch fortschreitende nationale und internationale Regulierung. Auf Seite der Konsument:innen, zeigen Studien, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Bevölkerung stark gestiegen ist: 2024 betrachteten sich zwei Drittel der Konsument:innen selbst als nachhaltigkeitsbewusst und etwa die Hälfte gibt an, gezielt nachhaltig einzukaufen [4]. Nach einer Umfrage des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und dem Umweltbundesamt, wünschen sich außerdem 91 Prozent der Befragten eine umwelt- und klimafreundliche Wirtschaft in Deutschland [5]. Regulatorische Einflüsse ergeben sich beispielsweise aus dem European Green Deal und dem europäischen Klimagesetz, wonach Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent mit Netto-Null-Treibhausgasemissionen werden soll. Hierzu hat sich auch Deutschland verpflichtet [6, 7]. Direktere operative Einflüsse haben zudem EU-weite Vorgaben, wie die Berichtspflicht für Unternehmen durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Nachhaltigkeitsberichte sollen verlässliche und vergleichbare Nachhaltigkeitsinformationen liefern, die eine Bewertung der nichtfinanziellen Unternehmensleistung ermöglichen. Bisher waren 500 Unternehmen von dieser Berichtspflicht betroffen, ab dem Jahr 2025 sind es 15.000 [8, 9]. Außerdem werden finanzielle Förderungen zunehmend an Kriterien nachhaltiger Entwicklung geknüpft, zum Beispiel durch den EU-Aktionsplan [10].

Insgesamt wird deutlich, dass es für Unternehmen unumgänglich wird, über eine nachhaltige Neuausrichtung nachzudenken. Insbesondere für Unternehmen, die dies frühzeitig und umfassend tun, können sich daraus Chancen und Wettbewerbsvorteile ergeben, da sie bisher ungenutzte Potenziale ausschöpfen können. Das Streben nach mehr Nachhaltigkeit kann dabei als Innovationstreiber wirken, indem Unternehmen dazu angeregt werden, effizientere Prozesse, umweltfreundlichere Produkte und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die sowohl den Anforderungen der Kundschaft als auch den regulatorischen Rahmenbedingungen gerecht werden. Unternehmen, die glaubwürdige Nachhaltigkeitspraktiken umsetzen, können darüber hinaus ihre Markenreputation stärken und langfristige Partnerschaften aufbauen.

Nachhaltigkeit verstehen

Warum sie unverzichtbar ist und wie 17 Ziele den Weg weisen können

Menschliches Handeln hat im letzten Jahrhundert – insbesondere durch die Industrialisierung – zu tiefgreifenden Veränderungen der biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse im Erdsystem und zu einer Verknappung der natürlichen Ressourcen geführt [11]. Darüber hinaus verstärkt der gegenwärtige Lebensstil die globale Erwärmung. Nach heutigem Wissensstand ist ohne deutliche Gegenmaßnahmen bis zum Jahr 2100 mit einem durchschnittlichen Temperaturanstieg von 3,2 °C zu rechnen [12]. Dies würde zu einer Destabilisierung biologischer und menschlicher Systeme mit weitreichenden Folgen führen. Umweltkatastrophen können zum Beispiel die Infrastruktur gefährden und wichtige Rohstoffe verknappen, was wiederum zu finanziellen Verlusten und Produktionsausfällen führt. Die Vermeidung einer solchen negativen Tendenz ist von zentraler Bedeutung für die Sicherung einer stabilen Lebensgrundlage für heutige und zukünftige Generationen. Dazu ist eine nachhaltige Entwicklung notwendig. Nachhaltigkeit ist dabei kein neuer Trend, sondern ein seit Jahrhunderten bekanntes Konzept. Erstmals von Carl von Carlowitz im Sinne einer ressourcenschonenden und langfristig aktiven Waldbewirtschaftung erwähnt, fand der Begriff vor allem mit der Veröffentlichung des Berichts „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome Eingang in das politische Weltgeschehen [13]. Globale Legitimation erhielt das Konzept der Nachhaltigkeit u. a. durch den Brundtland-Bericht von 1987, der eine bis heute gültige Definition nachhaltiger Entwicklung formulierte. Im Mittelpunkt stehen dabei die Prinzipien der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit sowie eine Umorientierung hin zu einer umweltverträglichen Wirtschaftsweise [14]. Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung bedeutet demnach das ausgewogene Zusammenwirken ökologischer, ökonomischer und soziokultureller Aspekte, bei dem die Bedürfnisse der heutigen Generationen befriedigt werden, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden. Dies erfordert die aktive Beteiligung aller gesellschaftlichen Akteure.

Damit dies geschieht, wurde das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung durch die Konferenz von Rio de Janeiro als ganzheitliches Konzept in internationale und nationale Belange und Arbeitsweisen integriert [15]. Im Laufe der Zeit wurde die aus der Rio-Konferenz hervorgegangene Agenda 21 weiterentwickelt und konkretisiert. Diese Entwicklung mündete 2015 in der Verabschiedung der „Agenda 2030“ und der Einführung der „Sustainable Development Goals“ (SDGs) durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen [16]. Die SDGs sind damit ein weltweit anerkanntes und legitimiertes Framework. Im Gegensatz zu den vorherigen „Millenium Development Goals“ [17] gelten die SDGs nicht nur für Entwicklungs- und Schwellenländer, sondern auch für Industrieländer. Entsprechend sind sie seit 2016 auch zentraler Bestandteil der deutschen nationalen Nachhaltigkeitsstrategie [18]. Insgesamt umfassen die SDGs 17 übergeordnete Ziele, die in 169 spezifische Unterziele gegliedert sind und ein breites Spektrum sozialer, ökologischer und ökonomischer Gesichtspunkte abdecken. Sie umfassen soziale Aspekte wie Armutsbekämpfung (SDG 1), Bildung (SDG 4) und Gesundheit (SDG 3), ökologische Aspekte wie Klimaschutz (SDG 13), Biodiversitätsschutz (SDG 14 & SDG 15) sowie ökonomische Aspekte wie Wirtschaftswachstum (SDG 8) und nachhaltige Produktion (SDG 12) (vgl. Bild 1).

Bild 1 Die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele – SDGs [19]
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Die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele – SDGs [19]

Für die 196 Unterziele wurden über 230 spezifische Indikatoren definiert (Bild 2). Diese sind zum einen weitgehend standardisiert, so dass Vergleiche zwischen Ländern, Regionen und Zeiträumen möglich sind. Zum anderen erlauben die Indikatoren sowohl eine quantitative Messung, etwa von CO₂-Emissionen (Indikator 9.4.1), als auch eine qualitative Bewertung, wie beispielsweise der Gleichstellung von Frauen (Indikator 5.5.1). Eine transparente und regelmäßige Berichterstattung über die erhobenen Daten auf nationaler und internationaler Ebene findet ebenfalls statt. So erscheint regelmäßig ein Monitoringbericht [20] und die erhobenen Daten sind über das Statistische Bundesamt [21] online abrufbar.

Bild 2 Schematische Darstellung der SDG-Struktur
Bild 2

Schematische Darstellung der SDG-Struktur

Ein wesentlicher Aspekt ist die Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwischen Indikatoren, Nachhaltigkeitsdimensionen und globalen sowie lokalen Handlungsebenen. So ist beispielsweise nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Ressourceneffizienz (SDG 8.4) eng mit dem Ziel verbunden, die Nährstoffbelastung und Verschmutzung aquatischer Lebensräume zu verringern (SDG 14.1). Ebenso steht das Ziel, die Rechte der Arbeiterschaft zu schützen und ein sicheres Arbeitsumfeld zu schaffen (SDG 8.8), in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Gesundheitsvorsorge, einschließlich der Absicherung gegen finanzielle Risiken (SDG 3.8) [22]. Der Ansatz, Interaktionen stärker zu berücksichtigen, ermöglicht es, Synergieeffekte zu erkennen, systemische Zusammenhänge zu verstehen und gezielt zu nutzen. So können Missstände aufgedeckt und innovative Lösungen vorangetrieben werden.

Nachhaltigkeitin der Produktion – Nur ein Fokus auf Ressourceneffizienz?

Die nachhaltige Gestaltung der Produktion ist so bedeutend, dass sie durch ein SDG direkt adressiert wird (SDG 12). Bestrebungen einer Transformation zur nachhaltigen Produktion sind im Forschungsfeld des „Sustainable Manufacturing“ abgebildet. Dabei werden in der Literatur voneinander verschiedene Definitionen angelegt. Eine häufige Interpretation ist die Definition der US Environmental Protection Agency, die die nachhaltige Produktion als Herstellung von Produkten durch wirtschaftlich sinnvolle Prozesse definiert, die negative Umweltauswirkungen minimieren und gleichzeitig Energie und natürliche Ressourcen schonen [23]. Auf deutscher Seite definiert beispielsweise das BMUV nachhaltige Produkte als ressourcenschonend, langlebig, reparierbar und energieeffizient [24]. Es lässt sich ein Fokus auf die Ressourcennutzung erkennen. Das zugrunde liegende Konzept ist die EU-weit forcierte Kreislaufwirtschaft. Ziel ist die Abkehr von der Linearwirtschaft, bei der der Stoffstrom der Rohstoffe linear, von der Gewinnung der Rohstoffe über die Produktion und den Konsum, direkt bei der Entsorgung endet. Stattdessen soll die Kreislaufwirtschaft etabliert werden, bei der Rohstoffe so lange wie möglich im Wirtschaftskreislauf verbleiben sollen. Auch hier ist ein enger Fokus des öffentlichen Diskurses auf die Ressourcennutzung ersichtlich. Eine optimierte Ressourcennutzung ist zwar ein wichtiger Aspekt für eine nachhaltige Zukunft, reicht aber als alleiniges Hauptkriterium nicht aus, wenn dadurch andere Aspekte in den Hintergrund gedrängt werden. Insbesondere immaterielle Eigenschaften werden zum Beispiel bei der Produktgestaltung häufig vernachlässigt [1, 25].

In der Literatur zur nachhaltigen Produktion existieren weitergehende Ansätze, die auch immaterielle ökologische, ökonomische und soziale Aspekte berücksichtigen. Ein grundlegendes, gemeinschaftliches Prinzip dieser Ansätze ist die ganzheitliche Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus. Dies geschieht fast ausschließlich in Bezug auf ein Produkt an sich und soll zu einem nachhaltigeren Produktdesign führen. Je nach Ziel des Produktdesigns gibt es eine Vielzahl an etablierten Tools und Methoden, die anhand von Analysen die Nachhaltigkeit bewerten und in Teilen Richtlinien für eine nachhaltigere Gestaltung vorgeben (Bild 3).

Bild 3 Feld des nachhaltigen Produktdesigns (nach [26]]
Bild 3

Feld des nachhaltigen Produktdesigns (nach [26]]

Im Zusammenhang mit den nachhaltigen Designrichtlinien für Produkte werden ebenfalls nachhaltige Produktionsprozesse gefordert [26]. Jedoch werden nachhaltige Produktionsprozesse oder gar nachhaltige Produktionsmuster in den Methoden nicht ausdefiniert. Die SDGs bieten hierbei mit dem SDG 12 „Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion“ Anhaltspunkte, wie ein nachhaltiger Produktionsprozess aussehen kann und sollte.

Das SDG 12 als Grundlage eines nachhaltigen Produktionsprozesses

Das SDG 12 adressiert direkt das Themenfeld der Nachhaltigen Produktion und definiert hierzu zu erreichende Verbesserungen von Indikatoren. Dies lässt den Schluss zu, dass bei der Ausgestaltung eines Produktionsprozesses ein alleiniger Fokus auf den zu SDG 12 gehörigen Indikatoren ausreichend sei. Um dies zu überprüfen, soll beispielhaft ein Schweißprozess unter Betrachtung der Indikatoren des SDG 12 gestaltet werden. Wie sich auch im späteren Verlauf zeigt, ist die Definition der zu verschweißenden Bauteile an dieser Stelle nicht relevant. Als potenzielle Optionen werden das manuelle Schweißen durch einen Menschen oder die automatisierte Variante mittels Schweißroboter betrachtet.

Hierzu wird wie Folgt vorgegangen: Zuerst werden Unterziele des SDG 12 ausgeschlossen, die andere Anwendungsfelder als die Produktion adressieren. Hierzu zählen Bereiche wie politische Anliegen oder das Konsumverhalten. Weiterhin werden Indikatoren ausgeschlossen, die im Kontext der Produktion nicht beeinflusst werden. Ein Beispiel ist der Indikator 12.4.1 – die Anzahl der Vertragsparteien mit einem Übereinkommen über gefährliche Abfälle. Die Anzahl der Vertragsparteien wird nicht durch die Ausgestaltung des Schweißprozesses beeinflusst. Es verbleiben die vier Indikatoren 12.2.1 – Rohstoff Fußabdruck, 12.2.2 – inländische Materialnutzung, 12.4.2 – Aufkommen gefährlicher Abfälle und 12.6.1 – Anzahl Unternehmen mit Nachhaltigkeitsberichten.

Für die Nachhaltigkeitsbewertung sollen folgende Annahmen gelten: Im automatisierten Prozess entsteht weniger Ausschuss, und der Ressourcenbedarf – für einen Nachhaltigkeitsbericht – kann einfacher bestimmt werden. Damit fällt die qualitative Nachhaltigkeitsbewertung wie in Tabelle 1 dargestellt aus.

Tabelle 1.

Nachhaltigkeitsanalyse eines Schweißprozesses

Unter den formulierten Annahmen, ist die Umsetzung in der automatisierten Prozessvariante nach Betrachtung aller Indikatoren als bevorzugt anzusehen. Bedingt ist dies durch den starken Fokus auf den Ressourceneinsatz; abgebildet durch drei von vier betrachteten Indikatoren. Es zeigt sich auch hier die – in der Produktion vorherrschende – Fokussierung auf Ressourceneffizienz. Werden jedoch weitere SDGs wie SDG 8 und SDG 9 zur Bewertung mit einbezogen, erweitern sich die durch den Schweißprozess adressierbaren und zu bewertenden Nachhaltigkeitsaspekte. Beispielsweise wird im Unterziel 8.2 die technologische Modernisierung gefordert, was ebenfalls für eine automatisierte Ausführung sprechen würde. Gegen eine Automatisierung würde beispielsweise Unterziel 9.2 sprechen, das einen hohen Beschäftigungsanteil in der Industrie fordert.

Das Beispiel und dessen bewusst beschränkter Umfang illustrieren anschaulich den Konflikt: Nachhaltiges Handeln ist kein einfaches „Entweder- Oder“, sondern ein ständiges Abwägen zwischen konkurrierenden Zielen. Gleichzeitig ist das Ergebnis von Bewertungen und Vergleichen stark dadurch beeinflusst, oder lässt sich sogar bewusst dadurch steuern, welche Kriterien in die Betrachtung einfließen. Um dem Leitbild Handlungsrelevanz zu verleihen, bedarf es Strategien und Managementregeln die zusammen mit etablierten Standards und Normen die SDGs umfänglich in die Produktion mit einbeziehen. Erst so entstehen Vergleichbarkeit von und Vertrauen in die erarbeiteten Ergebnisse. Die Bedeutung einer stärkeren Integration der SDGs in die Nachhaltigkeitsbewertung von Unternehmen wird auch durch eine internationale Studie von Bonfanti et al. unterstrichen. In dieser Studie wurden mehrere Unternehmen aus dem Produktionssektor untersucht, die aktiv an der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung arbeiten. Dabei zeigte sich, dass die untersuchten Unternehmen Beiträge zu insgesamt elf der 17 SDGs leisten [27]. Diese Ergebnisse verdeutlichen nicht nur, dass Unternehmen ein sehr breites Handlungsfeld haben, um nachhaltiger zu agieren. Sondern auch, dass die Integration der SDGs dazu führen kann, dass Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsbeiträge besser identifizieren und in ein Gesamtkonzept einordnen können.

Zusammenfassung und Ausblick

Um Nachhaltigkeit als ernstzunehmendes Konzept in die Wirtschaft zu integrieren, ist es wichtig, alle Dimensionen zu berücksichtigen und den Stellenwert der nachhaltigen Entwicklung in der Industrie zu erhöhen. Dazu gehören nicht nur die Optimierung des Ressourceneinsatzes und die Förderung technologischer Innovationen, sondern u. a. auch Maßnahmen zur Minimierung von Umweltbelastungen, die Reduzierung der Flächenversiegelung sowie die Verbesserung der Lebensqualität durch faire Arbeitsbedingungen, finanzielle Sicherheit und Arbeitsschutz. Eine ganzheitliche Betrachtung der Unternehmensstruktur ermöglicht es, verschiedene Hebel für eine nachhaltige Entwicklung zu identifizieren und zu optimieren.

Die SDGs bieten hierfür ein umfassendes und international anerkanntes Bewertungsinstrument, das jedoch in der Praxis noch zu wenig Beachtung findet. Es ist daher unerlässlich, dass Forschung, Wissenschaft und Politik klare Bewertungskriterien auf Basis der SDGs entwickeln und die Messbarkeit sowie die praktische Anwendbarkeit der 17 Nachhaltigkeitsziele für Produktionsprozesse verbessern. Gleichzeitig sollten Unternehmen die SDGs stärker in ihre strategische Ausrichtung integrieren, ihre Nachhaltigkeitsbemühungen daran ausrichten und dies transparent kommunizieren.

Letztlich sind die UN-Nachhaltigkeitsziele ein anerkanntes internationales Konzept, das Unternehmen weltweit auffordert, ihre Geschäftsmodelle nachhaltiger zu gestalten und einen Beitrag zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Unternehmen, die diesen Anforderungen nicht gerecht werden, riskieren nicht nur ihre gesellschaftliche Akzeptanz und Reputation, sondern damit auch ihren langfristigen wirtschaftlichen Erfolg.


Hinweis

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen von den Mitgliedern des ZWF-Advisory Board wissenschaftlich begutachteten Fachaufsatz (Peer-Review).



Tel.: +49 (0) 40 42878-3611

Funding statement: Diese Arbeit wurde in Teilen unterstützt durch das LuFo VI-3 Projekt iPREFER - innovative Processes Enabling Fuel cEll Ramp-up (20M2219D), gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) basierend auf einem Beschluss des Deutschen Bundestages.

About the authors

Jonte Pietsch

Jonte Pietsch, M. Sc., studierte Maschinenbau (B. Sc.) und Produktentwicklung, Werkstoffe und Produktion an der Technischen Universität Hamburg. Seit 2024 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Flugzeug-Produktionstechnik der Technischen Universität Hamburg.

Kim Lüdtke

Kim Lüdtke, M. Sc., studierte Landschaftsökologie und Naturschutz (B. Sc.) an der Universität Greifswald und Umwelt, Naturschutz und Nachhaltigkeitsbildung an der Universität Hildesheim. Seit 2025 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer im Dezernat „Biosphärenregion und nachhaltige Regionalentwicklung“ und betreut dort das Partnernetzwerk der Modellregion für nachhaltige Entwicklung.

Arne Wendt

Arne Wendt, M. Sc., studierte Maschinenbau (B. Sc.) und Produktentwicklung, Werkstoffe und Produktion an der Technischen Universität Hamburg. Seit 2018 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Flugzeug-Produktionstechnik der Technischen Universität Hamburg und leitet dort seit 2024 die Gruppe Autonomous Systems in Industry X.0.

Prof. Dr.-Ing. Thorsten Schüppstuhl

Prof. Dr.-Ing. Thorsten Schüppstuhl studierte Maschinenbau an der Universität Dortmund und promovierte am Lehrstuhl für Maschinenelemente, -gestaltung und Handhabungstechnik. Er ist Mitgründer der wissenschaftlichen Gesellschaft für Montage Handhabung und Industrierobotik und leitet seit 2010 das Institut für Flugzeug-Produktionstechnik an der Technischen Universität Hamburg.

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Published Online: 2025-02-17
Published in Print: 2025-02-20

© 2025 Jonte Pietsch, Kim Lüdtke, Arne Wendt und Thorsten Schüppstuhl, publiziert von De Gruyter

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 16.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zwf-2025-1007/html
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