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Zum Stand des Editionsprojekts „Hitler-Reden 1933–1945“

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Published/Copyright: October 1, 2025

Seit 2017 bereitet das Institut für Zeitgeschichte München–Berlin (IfZ) eine historisch-kritische Edition der Reden Adolf Hitlers zwischen 1933 und 1945 vor. Seit dem 1. Januar 2024 wird dieses Vorhaben von der Deutschen Forschungsgemeinschaft als Langzeitprojekt gefördert. Motiv des Un­ter­neh­mens ist der Befund, dass bislang weder eine systematische Übersicht aller Ansprachen noch eine gesicherte Textbasis verfügbar sind. Ziel ist es deshalb, sämtliche Reden soweit möglich im vollständigen Text und Ton zugänglich zu machen, kritisch zu kommentieren und historisch einzuordnen. Das Projekt steht in der Tradition früherer Editionen des Instituts, namentlich „Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933“[1] und „Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition“.[2]

Kooperationspartner des Instituts sind die Goethe-Universität Frankfurt am Main (Lehrstuhl für Neueste Geschichte mit dem Schwerpunkt Geschichte Europas im 20. Jahrhundert, Prof. Dr. Christoph Cornelißen), die Philipps-Universität Marburg (Lehrstuhl für Praktische Informatik, Prof. Dr. Bernd Freisleben), das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) Frankfurt am Main/Potsdam-Babelsberg (Dr. Götz Lachwitz) und das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mann­heim (Prof. Dr. Henning Lobin). Während das IfZ für die Textsicherung und den historisch-kritischen Kommentar zuständig ist, übernimmt die Goethe-Universität die Erstellung der Au­dio-Edition. Das DRA sammelt die Tonaufnahmen und restauriert sie, die Philipps-Universität erstellt die Anwendungen der digitalen Text- und Audio-Edition, und das IDS bringt seine sprachwissenschaftliche Expertise ein.

Gegenstand der Edition sind die rund 735 identifizierten Hitler-Reden während der NS-Herr­schaft. Grundlage soll die je authentischste Fassung einer Rede sein. Diese Authentizität fest­zustellen und angesichts der zahlreichen Überlieferungsvarianten zu klären, ist eine der drän­gendsten Herausforderungen. Eine zentrale Quelle sind die Tonmitschnitte, von denen ins­ge­samt 324 bekannt beziehungsweise überliefert sind. Sie umfassen mitunter Teilaufnahmen, aber häufig auch ganze Reden. Der Wortlaut der Tonmitschnitte weicht zum Teil erheblich von den in der zeitgenössischen Presse veröffentlichten Texten ab. Hierbei handelt es sich sowohl um redaktionelle Überarbeitungen als auch um inhaltlich relevante Abweichungen.

Für das Jahr 1933, das aktuell im Mittelpunkt steht, sind 122 Hitler-Reden identifiziert; zu 49 von diesen ist eine Audio-Überlieferung bekannt. Zu 43 dieser Reden liegen uns Aufnahmen vor, die derzeit vom DRA geprüft und tontechnisch restauriert werden; zu sechs Reden sind Aufnahmen ausschließlich in der British Library in London vorhanden. Aufgrund eines Cyber­angriffs vom Oktober 2023 sind diese im Moment nicht zu­gäng­lich.

Alle Projektpartner koordinieren ihre Unternehmungen in regelmäßigen Arbeitstreffen. Dar­über hinaus organisierten sie drei Workshops, um den Forschungskontext zu diskutieren und das Arbeitsprogramm mit den Interessen der Wissenschaftscommunity abzugleichen. Im Januar 2024 standen zum Auftakt allgemeine Fragen historiografischer Editionen sowie die spe­zi­fi­schen Herausforderungen einer Audio-Edition im Mittelpunkt. Zugleich lernten die Beteiligten Details über Informatik-Methoden zur Analyse von Audio-Aufnahmen kennen sowie linguistische Un­tersuchungsbereiche einschließlich Erfahrungen und Erkenntnissen aus der Sprachanalyse der NS-Zeit.

Ende März 2025 diskutierten 35 Forschende am IDS über sprach­wis­sen­schaftliche Perspektiven. Erörtert wurden Fragen der Datenaufbereitung, -anreicherung und -verknüpfung. Im Mittelpunkt standen sprachliche Phänomene auf Basis des für die Edition gesammelten Text- und Tonmaterials. Analysiert wurden beispielsweise Zeitbezüge in Tri­gram­men, spezifische Sprachhandlungen, geschlechtsspezifische Rhetorik sowie sprachliche hedges. Präferierte Methode war eine Mischung aus quantitativer und qualitativer Analyse. Als Zukunftsperspektive angeregt wurde die Suche nach Vergleichsfolien durch den Abgleich mit anderen Textkorpora.

Im Juni 2025 trafen sich die Projektmitarbeitenden im Deutschen Rundfunkarchiv in Potsdam. Hier standen Einblicke in die diffizile Tonstudio-Praxis im Mittelpunkt, mit der die Audio-Va­rianten für die Edition so aufbereitet werden, dass sie gesichert authentifiziert und wis­sen­schaft­lich nutzbar sind. Daneben konnte das Mock-up zur Online-Präsentation, das seit dem Pro­jektstart von den Informatikern in Marburg laufend weiterentwickelt wird, in seinen Funk­tionalitäten und Anwendungsfällen für die geplante Veröffentlichung diskutiert werden. Ziel ist es, die Texte mit avancierten maschinellen Methoden in einer Kombination von infor­ma­tions- und sprachwissenschaftlichen Tools durchsuchbar und analysierbar zu machen.

Zu mehr als 400 Hitler-Reden gibt es keine Audio-Überlieferung. Für dieses große Konvolut haben sich die Textsicherung sowie die Aufgabe, eine authentische Version zu identifizieren, als deutlich höhere Hürde herausgestellt als ursprünglich antizipiert. Die Über­lie­fe­rungen des Deutschen Nachrichtenbüros und des Völkischen Beobachters lassen sich zwar als be­deutende und zentrale Quellen auswerten. Aber der Vergleich mit weiteren zeitgenössischen Überlieferungen, etwa in Lokalzeitungen oder durch sonstige Aufzeichnungen, zeigt regel­mä­ßig bemerkenswerte Textunterschiede. Die Recherchen zur möglichst präzisen Erfassung für die Aufbereitung in einer les- und nutzbaren Editionspräsentation sowie in der technischen Umsetzung im XML-Format sind eine enorme Herausforderung.

Diese Arbeit hat der allfälligen sorgfältigen Kommentierung vorauszugehen und bindet im Pro­zess der Editionsarbeit derzeit mehr Kräfte und Zeit als ursprünglich angenommen. Ins­be­son­dere die Erkenntnisse zu den Textvarianten und ihrer Bedeutung für die zeitgenössische, aber auch die wissenschaftliche Wahrnehmung von Hitlers Reden unterstreichen zugleich den Stel­len­wert dieses exemplarisch multidisziplinären Editionsprojekts für Forschung und Öf­fent­lich­keit. Im Herbst 2025 legen die Projektpartner einen ausführlichen Überblick zum Stand ihrer Arbeiten vor und geben einen Ausblick auf die Zukunft. Dieser Beitrag wird im Free Access bei den Zusatzangeboten von VfZ-Online in der Rubrik „Beilagen“ erscheinen.[3]

Online erschienen: 2025-10-01
Erschienen im Druck: 2025-09-02

© 2025 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 6.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/vfzg-2025-0037/html?lang=en
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