Home Margarete Klein: Russlands neue Nationalgarde – Eine Rückversicherung für Putin gegen Massenunruhen und illoyale Eliten. 2016. Mark Galeotti: National Guard: The Watchdog that Could Break the Leash. 2017 Igor Torbakov: The Praetorian Guard of Putin Must Quell Internal Unrest. 2017.
Article Publicly Available

Margarete Klein: Russlands neue Nationalgarde – Eine Rückversicherung für Putin gegen Massenunruhen und illoyale Eliten. 2016. Mark Galeotti: National Guard: The Watchdog that Could Break the Leash. 2017 Igor Torbakov: The Praetorian Guard of Putin Must Quell Internal Unrest. 2017.

  • Hannes Adomeit EMAIL logo
Published/Copyright: December 14, 2017

Im April 2016 ordnete Präsident Putin per Dekret die Gründung einer Nationalgarde an. Das entsprechende Gesetz wurde von der Staatsduma und dem Föderationsrat im Juni verabschiedet und trat im Juli in Kraft. Nach derzeitigen Schätzungen beträgt ihre Anzahl zwischen 360 000 und 380 000 Personen. Das Rückgrat der „Rosgwardija“ bilden die vorher dem Innenministerium untererstellten „Inneren Truppen“ – eine paramilitärische Einheit mit einer Stärke von 170 000 bis 180 000 Mann. Hinzu kommen die ebenfalls mit Waffen ausgestatteten Sondereinheiten der Polizei, darunter die für die Auflösung von Massenprotesten zuständigen OMON-Kräfte (ca. 30.000 Personen) und die für die Terrorismusbekämpfung ausgebildeten OMSN/SOBR-Einheiten (4.000 bis 5.000 Personen). Ebenfalls der Nationalgarde angegliedert werden Verwaltungs- und Schulungseinrichtungen sowie das föderale Staatsunternehmen „Ochrana“, das Wach- und Schutzdienste für Privatpersonen und Unternehmen anbietet. Chef der Nationalgarde ist Viktor Solotow, einer der engsten Vertrauten Putins. Beide stammen aus dem KGB; sie kennen sich seit Anfang der 1990er Jahre. Als Putin 1999 Ministerpräsident wurde, machte er Solotow zum Leiter des Sicherheitsdienstes, praktisch seinem obersten Leibwächter − eine Aufgabe, die dieser 13 Jahre lang mit großer Hingabe erfüllte. Im Jahre 2013 ernannte Putin ihn zum Oberkommandierenden der inneren Streitkräfte, die er nun als Kernstück in die Nationalgarde einbringt.

Putin zufolge ist die Schaffung der neuen Sicherheitsorganisation notwendig, um den Terrorismus wirksamer bekämpfen zu können. Wie Margarete Klein, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, schreibt, gehört Russland tatsächlich zu den Ländern, die mit am stärksten von terroristischen Anschlägen betroffen sind. Seit den Tschetschenien-Kriegen der 1990er und 2000er Jahren hätte sich vor allem der Nordkaukasus zu einem Unruhegebiet entwickelt, in dem und aus dem heraus zahlreiche Terrorakte verübt würden. In den letzten Jahren seien jedoch Tausende von islamistischen Kämpfern nach Syrien gezogen, die nach den militärischen Rückschlägen des IS wieder in den Nordkaukasus zurückkehren könnten. Wenn auch die Bekämpfung des Terrorismus eine zentrale Herausforderung für Russland darstelle, so Klein weiter, ergebe sich daraus keine hinreichende Begründung, um eine Nationalgarde zu schaffen. Zu diesem Zweck hätten genauso gut unter dem Dach des Innenministeriums die „Inneren Truppen“ und die Sondereinheiten der Polizei aufgestockt werden können. Vor allem bedürfe es zur Terrorismusbekämpfung eigener Aufklärungs- und Ermittlungsbefugnisse, über die die Nationalgarde – anders als Polizei und Inlandsgeheimdienst FSB – nicht verfügten.

Die eigentliche Aufgabe der Nationalgarde, so vermutet Klein, sei wohl der Schutz vor möglichen Massendemonstrationen. Diese Einschätzung teilen Galeotti und Torbakov, beide wissenschaftliche Mitarbeiter, der eine am Institut für Internationale Beziehungen in Prag, der andere in Helsinki. Seit den „Farbrevolutionen“ der 2000er Jahre und dem „Arabischen Frühling“ 2011 sowie den Massenprotesten in Moskau und Sankt Petersburg gegen Wahlmanipulationen im Herbst 2001 und Frühjahr 2012 werde der Sicherheitsdiskurs des Kremls von der Sorge dominiert, es könnte zu einem „russischen Maidan“ kommen.

Diese Interpretation wird durch Ausführungen des ehemaligen Generalstabschefs Jurij Balujewskij bestätigt, der derzeit Chefberater für Solotow ist. In einem richtungsweisenden Artikel in der Militärzeitschrift „Nesavissimoje woennoje obosrenie“ (Unabhängige Militärumschau) vom 26. Mai 2017, aus dem Torbakov zitiert, ist zu lesen, dass „das Ziel der Kriege im 21. Jahrhundert nicht die Besetzung von Territorien sein wird, sondern die Unterordnung des Staatsapparates und die Bildung eines Systems externer Kontrolle der Bevölkerung, die auf diesen Territorien lebt“. Balujewskij zufolge planten die „transatlantischen Strategen“, inländische gewaltlose Proteste in feindlichem Territorium als Teil der Kriegsführung zu entfachen. „Wenn das so ist“, fährt er fort, „ist es notwendig, uns gegen Massenaufstände in den Straßen unserer Städte zu verteidigen und derartige Verteidigung als [Teil] der Kriegführung zu betrachten. Der Staatsstreich in Kiew [im Februar 2014] war natürlich einer der Gründe für die Schaffung der Truppen der Nationalgarde in Russland […] und ist die Antwort auf die Herausforderung für unsere Gesellschaft, die aus der Bedrohung durch die Methode des sogenannten gewaltfreien Widerstandes hervorgeht, die richtiger aber Farbrevolution genannt werden sollte.“ Die jahrhundertealte Geschichte Russlands habe bewiesen, dass das Land nicht von außen besiegt werden kann, schließt Balujewskij. „Die Hauptbedrohungen für Russland kommen nicht von außen, sondern von innen. Wir müssen bereit sein, Bedrohungen von innen zu verhindern.“

Klein weist darauf hin, dass darüber hinaus Putin mittels der Nationalgarde im Falle eines Konflikts mit oder unter Teilen der Machtelite unmittelbaren Zugriff auf eine ihm loyale paramilitärische Organisation habe. Zudem stärke schon allein der Prozess der Umverteilung von Befugnissen und Ressourcen, der mit ihrem Aufbau verbunden ist, Putins Position als oberster Schiedsrichter. Sowohl Galeotti als auch Torbakov stellen allerdings fest, dass Prätorianergarden nicht unproblematisch sind. Im antiken Rom beispielsweise sollte die Garde dem Schutz des Kaisers dienen, sie mischte sich aber kräftig in die Politik ein und war sogar an einigen Morden des Imperators mitbeteiligt. Die uralte Frage stelle sich auch in Russland, wer die Kontrolleure kontrolliert. Nicht auszuschließen sei, dass sich die Nationalgarde mittel- bis langfristig zu einem, wie Galeotti schreibt, „Wachhund“ entwickelt, der „sich von der Leine reißt“.

Was bedeutet der Aufbau der Nationalgarde, ihre Weiterentwicklung und potentielle politische Rolle für deutsche und europäische Politik? Eine der Antworten hält Klein parat: Auch wenn externe Akteure nur geringe Möglichkeiten hätten, auf innere Entwicklungen im Lande einzuwirken, müssten die innenpolitischen Determinanten russischer Außenpolitik stärker als bisher berücksichtigt werden.

https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2016A55_kle.pdf

https://www.raamoprusland.nl/index.php?option=com_content&view=article&id=677:national-guard-the-watchdog-that-could-break-the-leash&catid=74:analyses&utm_source=newsletter_122&utm_medium=email&utm_campaign=nieuw-bij-raamoprusland-date

https://www.raamoprusland.nl/index.php?option=com_content&view=article&id=709:the-praetorian-guard-of-putin-must-quell-internal-unrest&catid=74:analyses&utm_source=newsletter_134&utm_medium=email&utm_campaign=nieuw-bij-raamoprusland-date

Published Online: 2017-12-14

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Articles in the same Issue

  1. Titelseiten
  2. Titelseiten
  3. Editorial
  4. Editorial
  5. Artikel
  6. Nordkoreas Raketenprogramm – Bedrohung oder Bluff?
  7. „Gekommen, um zu bleiben“: Optionen für eine Auseinandersetzung mit der neuen Nuklearmacht Nordkorea
  8. Trumps Staatsdemontage. Hinter vermeintlichem Chaos betreibt die US-Regierung einen strategischen Umbau des Staates
  9. Eine nukleare Neuausrichtung der NATO
  10. Literaturbericht
  11. Zum Ausmaß von und Umgang mit Nordkoreas Nuklearwaffen- und Raketenprogrammen – ein Literaturbericht
  12. Kurzanalysen und Dokumentationen
  13. Machtprojektion ins NATO-Meer: Die Marine der VR China in der Ostsee
  14. Fünf Anmerkungen zu Zapad 2017
  15. Aurora 2017 – ein neuer Beginn für Schwedens Verteidigung, und für die NATO
  16. Ergebnisse internationaler strategischer Analysen
  17. Michael J. Mazarr, Miranda Priebe, Andrew Radin, Astrid Stuth Cevallos: Understanding the Current International Order. 2016.
  18. Robert Kagan/Karen Donfried: Strengthening the Liberal World Order. A World Economic White Paper. 2016.
  19. Münchener Sicherheitskonferenz: Munich Security Report 2017: Post-Truth. 2017.
  20. Anthony H. Cordesman, Rethinking the Threat of Islamic Extremism: The Changes Needed in U.S. Strategy. 2017.
  21. Lynn E. Davis, Jeffrey Martini, Kim Cragin: A Strategy to Counter ISIL as a Transregional Threat. 2017.
  22. Richard Connolly, Towards a Dual Fleet? The Maritime Doctrine of the Russian Federation and the Modernisation of Russian Naval Capabilities. 2017.
  23. Frank G. Hoffman: Assessing Baltic Sea Regional Maritime Security. 2017.
  24. Margarete Klein: Russlands neue Nationalgarde – Eine Rückversicherung für Putin gegen Massenunruhen und illoyale Eliten. 2016. Mark Galeotti: National Guard: The Watchdog that Could Break the Leash. 2017 Igor Torbakov: The Praetorian Guard of Putin Must Quell Internal Unrest. 2017.
  25. Peter van Ham, Francesco Saverio Montesano, Frans Paul van der Putten: A South China Sea Conflict: Implications for European Security – A Scenario Study. 2016.
  26. Tong Zhao Li Bin (Hrsg.): Understanding Chinese Nuclear Thinking. 2016.
  27. Defence Budgets and Cooperation in Europe: Trends and Investments; Edited by Alessandro Marrone, Olivier De France and Daniele Fattibene. 2016.
  28. Buchbesprechungen
  29. Thomas Mahncken/ Joseph Maiolo/ David Stevenson (Hrsg.): Arms Races in International Politics. 2016.
  30. Enrico Fels: Shifting Power in Asia-Pacific? The Rise of China, Sino-US Competition and Regional Middle Power Allegiance. 2017.
  31. Franz-Josef Meiers: Bundeswehr am Wendepunkt. Perspektiven deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. 2017.
  32. Matthias Mader: Öffentliche Meinung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Zwischen Antimilitarismus und transatlantischer Orientierung. 2016.
Downloaded on 22.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2017-0098/html
Scroll to top button