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Erinnerungsmarkierungen in Zeitzeugenerzählungen. Episodische Rekonstruktion und epistemische Authentifizierung in Gesprächen mit Überlebenden der NS-Zwangsarbeitslager

  • Elisabeth Gülich EMAIL logo und Stefan Pfänder EMAIL logo
Veröffentlicht/Copyright: 8. Dezember 2022
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Abstract

An essential task of contemporary witnesses in oral history interviews is to remember past events and to communicate these memories to others. This is all the more challenging, as it often involves narrative reconstructions of virtually ‘indescribable’, ‘unspeakable’ or ‘unimaginable’ events. The present study is interested in videographed narratives of French contemporary witnesses of National Socialist forced labour. By verbatim and thus explicitly indicating that they ‘remember something’ (in French they do this with je me souviens or je me rappelle, among others), the witnesses authenticate their memories and reveal their memory process to others. Our analysis shows two different form-function designs: softly articulated forms of memory markers with retrospective syntactic scopus have the communicative function of indicating what exactly is remembered and what is not, in order to be credible as a contemporary witness. Emphasised, clearly articulated memory markers, on the other hand, have a prospective syntactic scopus and have the communicative function of opening an episodic narrative sequence. If the multimodal analysis is extended to the physical movements of the eyewitnesses during narration, it can be shown that the different levels of expression (especially syntax, prosody and posture, direction of gaze as well as gestures) together give rise to an expressive multimodal gestalt.

Unerzählbares erzählen[1]

„Schreiben an den Grenzen der Sprache“[2] und „das Paradox der Sagbarkeit des Unsagbaren“[3] – solche oder ähnliche Formulierungen werden häufig gebraucht, wenn es um das Erzählen von Erinnerungen an die nationalsozialistischen Gräueltaten, den Holocaust, die Schrecken der Zwangsarbeits- und der Konzentrationslager geht. Für Renate Lachmann gehören sie „zur Rhetorik der Lagerliteratur“. Wolfgang Kraus bezeichnet das Erzählen solcher Erfahrungen als „Arbeit am Unerzählbaren“, die er die „Nachtseite der Erzählbarkeit“ nennt (Kraus 2015, 109).

Brigitte Boothe (2015, 200) sieht das „nachträgliche Erzählen von Extrembelastungen als Herausforderung“ und verweist auf die grundsätzlichen, oft geäußerten Zweifel, „ob (...) das, was Verfolgte des Nationalsozialismus erlitten haben, in autobiographischen Erzählungen überhaupt zu vermitteln ist“ (Boothe 2015, 199).

Der „Verweis auf Sprachlosigkeit“, so schreibt Marisa Siguan (2014, 45), „zwingt zur selbstkritischen Auseinandersetzung mit den Grenzen des sprachlich Darstellbaren“. Diese Auseinandersetzung kommt in vielen literarischen Werken zur Sprache und charakterisiert in gewisser Hinsicht auch das deutsche „Unbehagen an der Erinnerungskultur“ (Assmann 2020).

Das zentrale Argument, das dafür angeführt wird, das Schweigen zu brechen und das Schreiben sogar als notwendig zu erachten, fasst Lachmann in ihrer 2019 erschienenen Monographie „Lager und Literatur. Zeugnisse des GULAG“ folgendermaßen zusammen: „Lageropfer, die sich zum Schreiben entschlossen haben, machen nachdrücklich klar, dass es ihnen in erster Linie darum geht, Zeugnis von ihren Erfahrungen abzulegen“ (Lachmann 2019, 275). Die Schreibenden, die den Holocaust überlebt haben, drücken es oft geradezu als eine Verpflichtung aus, die sie denen schuldig sind, die das Lager nicht überlebt haben und somit selbst nicht mehr Zeugnis ablegen können. „Bezeugen – Erzählen“, so lautet der Titel des Kapitels, in dem Lachmann ausdrücklich auf die Leistung des Schreibens für das Erinnern eingeht: „Dass im Schreiben Ordnung hergestellt wird und damit Zusammenhänge entstehen, die ohne diese (narrative) Ordnung unklar blieben, bedeutet für die Schreibenden die ständige Revision ihrer Erinnerungen, die nie chronologisch, sondern explosionsartig auftreten können“ (Lachmann 2019, 276).

Hier lässt sich nun eine Brücke zur mündlichen Kommunikation schlagen: Auch die Interviewten, die „den Terror nationalsozialistischer Lagerhaft bezeugen“ und deren Erzählungen Boothe (2015) analysiert, „verstehen sich in hohem Maße als Zeitzeugen der nationalsozialistischen Verfolgung und des Lagerregimes“ (Boothe 2015, 201). Auch in ihren mündlichen Erzählungen über NS-Gewalterfahrungen, (Zwangs-)Arbeitskontexte und (erzwungene) Migration lassen sich das Herstellen narrativer Ordnung, der Prozess des Rekonstruierens und des Ordnens von Erinnerungen (vgl. Luckmann 1986, Bergmann/Luckmann 1995) und der damit verbundenen „ständigen Revision“ und manchmal ihr „explosionsartiges Auftreten“ beobachten.

Solche Erinnerungs- und Erzählprozesse im Einzelnen nachzuzeichnen anhand von Gesprächen mit ehemaligen Zwangsarbeitern, die von ihren Lager-Erfahrungen und deren Bedeutung für ihr Leben Zeugnis ablegen und so zu der Erinnerungskultur unserer Gesellschaft wesentlich beitragen[4], ist das Anliegen des folgenden Beitrags.

Projektkontext Emergentes Erinnern

Der vorliegende Beitrag steht im Zusammenhang mit dem vom SNF und von der DFG geförderten interdisziplinären Forschungsprojekt Emergentes Erinnern. Fragmentierte Syntax und textuelle Herstellung in Gegenwartsliteratur und Oral History[5]. Die Projektgruppe, bestehend aus Züricher Literaturwissenschaftler:innen[6] und Freiburger Linguist:innen[7], untersucht die sprachliche Herstellung von autobiographischen Erinnerungen in Literatur und Interviews auf der Grundlage französisch- und italienischsprachiger Erinnerungserzählungen, die ihren inhaltlichen Schwerpunkt auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs legen. Ausgangspunkt ist dabei die in der Gedächtnisforschung gewonnene Erkenntnis, dass Erinnerung nicht nach dem Modell von Speicherung und identischer Wiederbereitstellung des Gespeicherten funktioniert (vgl. von Foerster 1993). Vielmehr sind Erinnerungen und somit auch Erinnerungserzählungen als komplexer Prozess der (Re-)Konstruktion zu verstehen, der bestimmten kognitiven, sprachlich-interaktiven und kommunikativen Rahmenbedingungen unterliegt. Dass sich dies in spontanen mündlichen Erinnerungserzählungen manifestiert, ist insofern zu vermuten, als jedem solchen Erzählakt ein vorgängiger oder zeitgleich ablaufender Erinnerungsakt zugrunde liegt.

Wir interessieren uns insbesondere für das allmähliche Auftauchen der Erinnerung beim Erzählen, das sich kurz als ‚Emergenz‘ bezeichnen lässt. Eine Versprachlichung, an die der Sprecher sich Schritt für Schritt herantastet, wenn er sich mit dem aufsteigenden Erinnerungsmaterial auseinandersetzt, in der man also die Spuren der Formulierungsarbeit noch deutlich erkennen kann, ist kennzeichnend für mündliches Erzählen. Gerade auch in der narrativen Rekonstruktion traumatischer Erfahrungen spielt sie eine wichtige Rolle[8], „insbesondere dann, wenn der Erinnerungsprozess emotional überwältigend wird“ (Boothe 2015, 200). Spuren des Formulierungsprozesses können syntaktische Fragmente sein, Wiederholungen, Reparaturen, Parenthesen, Digressionen, aber auch Pausen. Sie sind nicht als defizitär einzuschätzen, betont Boothe (2015, 200), sondern als „Muster, Formen und Strategien der kommunikativen Darstellung verstörender Erfahrungen“; daher ist es „von Interesse, sie als ausdruckskräftige sprachliche Inszenierungen zu würdigen“. Dafür bietet die Gesprächsforschung mit detaillierten Analysen von Gesprächstranskripten einen geeigneten methodologischen Rahmen.

Daten und Methode: ‚Zeitzeugeninterviews‘ als „versteckte Dialoge“[9]

Die Interviews, die wir für die vorliegende Studie analysieren, entstammen dem Korpus „Zwangsarbeit 1939–1945. Erinnerungen und Geschichte“[10]. In diesem Online-Archiv erzählen knapp 600 Angehörige verschiedener Opfergruppen aus 26 Ländern ihre Lebensgeschichte. Aufgezeichnet wurden die Gespräche in den Jahren 2005 und 2006 – also rund 60 Jahre nach den Erfahrungen der Zeitzeug:innen der Zwangsarbeit –, und zwar sowohl in Form von Audio-Interviews (ca. zwei Drittel) als auch Video-Interviews (ca. ein Drittel). Im Schnitt dauern die Interviews zweieinhalb bis drei Stunden, sodass das Korpus eine Gesamtlänge von rund 2.000 Gesprächsstunden aufweist. Bei unseren Analysen beschränken wir uns auf das Teilkorpus mit den französischsprachigen Zeitzeug:innen; es umfasst insgesamt über 46 Stunden, von denen 13 Stunden videographiert wurden[11].

Die „Transkripte“ aus dem Archiv, d. h. orthographische Verschriftlichungen, waren für uns eine große Hilfe, um einen Überblick zu den einzelnen Gesprächen zu gewinnen und die von den Zeitzeug:innen gemachten Thematisierungen ihrer Erinnerungsarbeit zu entdecken. Für unser Forschungsinteresse an den erwähnten Emergenzphänomenen, den mannigfaltigen Spuren konversationeller Erinnerungsarbeit, reichten die Verschriftlichungen jedoch nicht aus, zumal sie häufig Auslassungen oder stilistische Verbesserungen enthalten. Insgesamt waren die Interviews nicht so transkribiert, dass die Besonderheiten mündlichen Erzählens deutlich erkennbar sind. Es fehlten auch Annotationen aller Spuren der Erinnerungsarbeit in der Filmsituation, d. h. die allmähliche Verfertigung der Erinnerungen beim Sprechen (vgl. Auer 2014) und die aktive und manchmal fast nicht zu leistende Arbeit an der Formulierung (vgl. Gülich 2005, 2012). Dabei sind gerade der Ausdruck des nur schwer erzählbaren traumatischen Erlebens in NS-Konzentrations- und Zwangsarbeitslagern und die Versprachlichung gewaltvoller Erfahrungen von Deportation und Flucht aus Diktaturen besonders relevant. Alle Gespräche sind bspw. gekennzeichnet von langen Schweigepausen im Gespräch, die für die Darstellung von Extremerfahrungen[12] charakteristisch sind. Bislang wurde so gut wie ausschließlich nur mit den Verschriftlichungen der videographierten Interviews geforscht und somit der Akzent eher auf die Inhalte als auf die Art und Weise ihrer Darstellung gelegt. Doch sind es, wie im folgenden Beitrag deutlich werden wird, gerade die Formen des Zusammenspiels von sprachlichem und körperlichem Ausdruck, die für Oral History-Interviews und ihren Beitrag zum kulturellen Gedächtnis konstitutiv sind.

Für unsere Untersuchungen waren also einige Nachbesserungen an der Datengrundlage erforderlich; daher wurden für das Projekt feinere Transkriptionen im Sinne der linguistischen Gesprächsforschung angefertigt, die auch Abbrüche, Neuansätze, Versprecher, Pausen und Schweigen ebenso wie prosodische Gestaltungsmittel (z. B. Betonungen, Lautstärke, Sprechtempo) miteinbeziehen[13]. Dadurch lassen sich auch die Momente ad hoc, durch die sich die Arbeit an der Erinnerung manifestiert (vgl. Michaelis 2013, 210), genau analysieren.

Auf der Grundlage von Forschungsergebnissen, nach denen sich einschneidende Erlebnisse wie etwa Traumata in den Körper ‚einschreiben‘ (vgl. Laub 2000, Scheidt/Lucius-Hoene 2015) und „bestimmte Details des intrusiven Geschehens (...) im Körpergedächtnis bewahrt [werden], insbesondere Sinnesempfindungen und einzelne Wahrnehmungseindrücke“ (Boothe 2015, 200), gehen wir davon aus, dass sich die Erinnerungsarbeit auch körperlich ausdrückt. An geeigneten Stellen fügen wir daher komplementär Standbildanalysen zu mimischen, gestischen und anderen körperlichen Verhaltensweisen hinzu.

Auch wenn es sich hier um Interviews handelt, fassen wir die aufgezeichneten Daten als ‚Gespräche‘ auf. Die Kamera zeigt zwar nur den Zeitzeugen oder die Zeitzeugin; und diese:r hat auch das klare Rederecht. Dennoch, der Kameramann oder die Kamerafrau sind ebenso Adressat:innen wie die Interviewerin oder der Interviewer, was oft an der Blickrichtung der Interviewten zu erkennen ist. Auch die Frage der Mehrfachadressierung wird besonders dann relevant, wenn z. B. der Kameramann sich am Gespräch beteiligt.

Das Vorwissen der Interviewer:innen und der Kameraleute weist oft Unterschiede zu dem der Zeitzeug:innen auf, so dass eine beständig mitlaufende Kontextualisierung und Herstellung von common ground stattfindet – die mündlichen Texte verdanken sich also massiv der primären Kommunikationssituation zum Zeitpunkt des Interviews, die sehr unterschiedlich gestaltet ist.

Eine Konstante liegt darin, dass alle Zeitzeug:innen nicht in einem externen Studio, sondern bei sich zu Hause, auf einem Sofa bzw. auf einem Sessel, und von einem jeweils für eine Sprache zuständigen Forschungsteam interviewt wurden. Ein gewohntes Umfeld mit persönlichen Gegenständen und Möbeln ist für die ‚geordnete‘ Rekonstruktion der weit zurückliegenden Erinnerungen sicherlich nicht abträglich[14]. Allerdings weist Michaelis (2013, 232) berechtigterweise darauf hin, dass die Erzähler:innen zugleich „auf eine ihnen ganz fremde Ordnung von Kabeln und Geräten“ blicken und dabei mit Personen sprechen, zu denen sie kein sehr vertrautes Verhältnis haben.

Unterschiede in der Kommunikationssituation entstanden dadurch, dass die Organisator:innen die Videographierung jeweils an die gegebenen (wohn-)raumbezogenen Umstände anpassen mussten. Wie weit entfernt etwa die Kamera vom Zeitzeugen postiert werden konnte, hing schlichtweg auch von der zur Verfügung stehenden Fläche ab. Aus diesem Grund schalten wir vor jede Analyse eine möglichst genaue Beschreibung der Kontext- und Filmsituation.

Die Datenerhebung für das Archiv „Zwangsarbeit“ wurde in jeder Hinsicht mit großer Sorgfalt vorbereitet[15]. Die Interviewer:innen kontaktierten die Zeitzeug:innen zunächst telefonisch. So konnte sich einerseits die zukünftige ‚Sprechergemeinschaft‘ kennenlernen; andererseits konnte vorab die Vorgehensweise kommuniziert werden. Es wurde ein „halboffenes narratives lebensgeschichtliches Interview“ geführt, d. h. die Zeitzeug:innen wurden vor allem zum Erzählen angeregt. Zunächst wurden sie gebeten, ihre „Lebensgeschichte“ als Ganzes zu erzählen; dabei sollten sie grundsätzliche Angaben zu ihrer Person (Name, Geburtsjahr und -ort, ehemaliger Beruf, etc.) machen. Danach folgte ein spezieller und sehr ausführlicher Frageteil zur Zwangsarbeit. Dabei sollten die Interviewer „in einer Weise fragen, die Geschichten, Anekdoten und Episoden evoziert“, weil dadurch „mehr an damaligen Haltungen, Gefühlen, Sorgen und Ängsten (...) zur Sprache kommen“ würde, als wenn man sie direkt danach fragte (von Plato 2008, 447).

Im Anschluss daran wurde die Nachkriegszeit (sowohl in beruflicher als auch privater Hinsicht) thematisiert; und zuletzt wurden die Zeitzeug:innen gebeten, ihre Zeit in den Zwangsarbeitslagern in einen Bezug zu ihrem heutigen Leben zu setzen und zu bewerten. So entstand insgesamt ein reichhaltiges Bild über den jeweiligen Lebenslauf, der jedoch nicht einer chronologischen Ordnung folgend dargestellt werden musste, sondern durchaus auch Zeitsprünge enthalten konnte.

Erzählen von Erinnerungen: die selbstorganisierte Herstellung narrativer Ordnung

Wie die narrative Rekonstruktion von Erinnerungen im Gesprächsprozess vor sich geht, wollen wir in einem ersten Schritt exemplarisch anhand von zwei Fallstudien aufzeigen, denen die Interviews mit zwei französischen ehemaligen Zwangsarbeitern zugrunde liegen: Michel Antoine B. und Victor L. Die Ergebnisse wollen wir dann in einem zweiten Schritt durch Beobachtungen an weiteren Interviews ergänzen und vertiefen.

Dass es in den Gesprächen um das Erzählen von Erinnerungen geht, liegt – wie oben dargestellt – im Korpus „Zwangsarbeit 1939–1945. Erinnerungen und Geschichte“ von vornherein in der Aufgabenstellung. Eine der französischsprachigen Interviewerinnen, Anne-Marie Granet-Abisset (abgekürzt: INT), formuliert es ausdrücklich in der Anfangsphase des Interviews mit Michel Antoine B. als gemeinsame konversationelle Aufgabe und Zielsetzung[16].

01 INT: c'est bon? (-)

02 KAM: oui;

03 INT: bien donc nous sommes aujourd'hui: euhm;

04 avec monsieur michel b.,

05 °h euh: de lyON,

06 et: donc euh je suis donc anne marie granet-abisset

euh-

07 °h enseignante à grenOble-

08 et avec michel szempruch qui est euh-

09 °h euh cameraMAN hein,=

10 =sur cette: collecte de la mémOIre=

11 =pour que vous nous expliquiez, °h euhm

12 disONs votre expérience qui a été celle

13 °h euh du es té O,

14 mais plus largement aussi

15 COMMENT cette expérience euh

16 °h euh a été euh

17 ou a jouÉ un rôle dans votre vie;=

Das Interview wird hier von der Interviewerin deutlich als Interaktion zwischen drei Gesprächspartnern gerahmt: Die Interviewerin stellt sich selbst mit ihrem Namen und ihrem Beruf vor, und sie stellt auch den Kameramann (KAM) namentlich vor. Sie gibt auch zu erkennen, dass sie sich potenziell an ein größeres Publikum wendet, dem gegenüber die drei Personen sich als Gruppe vorstellen: nous sommes aujourd’hui... Das gemeinsame Anliegen des Gesprächs fasst sie in Z. 10 als ein Zusammenstellen, eine Sammlung von Erinnerungen auf: cette: collecte de la mémOIre, die interaktiv zustande kommt: durch den Angesprochenen („vous“) und die Adressaten („nous“, das sich auch auf eine größere Zuhörerschaft beziehen kann). Die Aufgabe des Interviewten wird mit „expliquer“ bezeichnet, was ein Wissensgefälle zwischen dem Interviewten und den Zuhörern nahelegt. Das Thema wird mit votre expérience qui a été celle °h euh du es té O, umrissen, wobei die Fokussierung auf die Zwangsarbeit (STO, service du travail obligatoire) sogleich erweitert wird auf die Nachwirkungen des Lageraufenthalts im weiteren Leben (Z. 14–17). Die Aufgabe der Rekonstruktion von Erinnerungen, die einen weiten Lebens-Zeitraum umfassen, wird also, auch wenn sie vorher schon telefonisch besprochen wurde, am Beginn der aktuellen Gesprächssituation noch einmal ausdrücklich formuliert, bevor sich der Interviewte dann seinerseits vorstellt. Dieser Einstieg ist typisch für die Gespräche in diesem Korpus.

Die Aufgabenstellung ist so formuliert und wird auch im weiteren Verlauf so gehandhabt, dass die Erinnerungserzählungen nicht zwangsläufig aus einer chronologischen, gleichmäßig fortschreitenden narrativen Rekonstruktion bestehen. Vielmehr entwickelt die Rekonstruktion von Erinnerungen eine Eigendynamik, die nicht nur durch den Erzähler, sondern auch durch den Zuhörer oder die Zuhörerin, durch Reaktionen wie Nachfragen oder Kommentare mitbestimmt wird[17]. Insofern lassen sich die Interviews als eine Kombination aus einem faktischen Interesse und aus einem Interesse an der jeweiligen Person charakterisieren. Fragen werden zumeist offen formuliert, die Antworten sind nicht absehbar, auch weil die meisten Zeitzeug:innen kein vorgefertigtes schriftliches Datengerüst vorlegen (zur Schwierigkeit, Erinnerungen zu sammeln, vgl. Granet-Abisset 2008).

Die Herstellung ‚narrativer Ordnung‘ erweist sich somit von vornherein als ein interaktiver Prozess. Die narrative Rekonstruktion ist zugleich konversationelle Arbeit an der Erinnerung (vgl. Gülich 2012). Um aus Sicht der linguistischen Gesprächsforschung diesen Prozess genauer beschreiben zu können, fragen wir uns, welche Spuren die konversationelle Arbeit in der sprachlichen bzw. kommunikativen Darstellung hinterlässt. Woran können wir sie festmachen, woran können wir die Erinnerungsaktivität erkennen?

In den Gesprächen ist uns aufgefallen, dass die Erinnerungsaktivität an manchen Stellen im Gesprächsverlauf in Form von metadiskursiven Kommentaren explizit zum Ausdruck gebracht wird: durch Wendungen wie je me rappelle, je m’en rappelle oder je me souviens, je m’en souviens bzw. auch durch die negierten Formen je (ne) me rappelle pas oder je (ne) m’en souviens pas. Wir bezeichnen sie im Folgenden als Erinnerungsmarkierungen (vgl. Gerstenberg 2021 zu „memory work markers“). Auch auf Wissen oder Nicht-Wissen hinsichtlich erinnerter Fakten oder Erlebnisse wird in ähnlicher Weise Bezug genommen (je sais, je sais pas etc.); wir bezeichnen sie als epistemische Markierungen.

Wie solche Erinnerungsmarkierungen im Gesprächsverlauf verwendet werden, wollen wir an Beispielen aus den beiden Fallstudien aufzeigen. Wir haben aus den beiden Interviews jeweils drei Beispielsequenzen ausgewählt, drei mit „je me rappelle“ bei B. und drei mit „je me souviens“ bei L. Ausführliche und detaillierte Analysen der Sequenzen mit „je me rappelle“ in der ersten Fallstudie lassen unterschiedliche Funktionen der Erinnerungsmarkierungen erkennen, die in der zweiten Fallstudie für „je me souviens“ überprüft werden.

Fallstudie 1: Michel Antoine B. für „je me rappelle“[18]

Michel Antoine B., geboren 1921 in Lyon, Rhône-Alpes, ist einer der insgesamt 19 französischsprachigen Zwangsarbeiter:innen, die für die Erstellung des Archivs zwischen dem 11.05. und dem 04.08.2006 interviewt wurden. Das etwa dreistündige Interview[19] führte Anne-Marie Granet-Abisset (INT) am 23.06.2006; auch der Kameramann Michel Szempruch stellt manchmal Fragen und ist mitunter Adressat von B.s Ausführungen.

B. leistete den Großteil seiner Zwangsarbeit in einem Dorf zwischen Mislowitz und Auschwitz. Neben der Tätigkeit in einer Kohlegrube bestand seine Tätigkeit auch darin, Schienen und Weichen zu legen, das Gelände einzuebnen und eine Lokomotive instand zu halten.

Das Interview findet in B.s Wohnzimmer in Lyon statt. B. sitzt während des Interviews an einem Holztisch, auf den er häufig seine Arme stützt. Die Interviewerin Anne-Marie Granet-Abisset sitzt ca. in einem Abstand von 1,5 Meter von B. entfernt und direkt links neben der Kamera, sodass sie zu Beginn des Interviews vom Kameramann Michel Szempruch, der rechts sitzt, gebeten werden muss, etwas von der Kamera wegzurücken, da man ansonsten ihre Hände beim Gestikulieren sieht. Szempruch beteiligt sich hin und wieder ebenfalls am Interview. Man erkennt auf dem Video, dass B. im Unterschied zu den meisten anderen Zeitzeugen Papiere vor sich liegen hat: schriftliche Notizen, die er sich zur Vorbereitung auf das Interview gemacht hat. Während des Gesprächs richtet er seinen Blick aber nur gelegentlich darauf, manchmal zeigt er der Interviewerin etwas; er liest nicht ab, sondern formuliert frei. Er spricht flüssig und sehr lebhaft mit häufigen Hand- und Armgesten, fügt hin und wieder deutsche Wörter ein und imitiert oft Stimmen oder Redeweisen der Personen, von denen er erzählt.

Beispiel 1: B. – je me rappelle – dimanche (01:22:12–01:23:34)[20]

Im Laufe des Gesprächs fragt die Interviewerin B. nach eventueller Freizeit während des Lager-Aufenthaltes, ob man z. B. abends oder am Sonntag das Lager verlassen konnte. In seiner Antwort schildert B. zunächst die Bedingungen und übliche Sonntagsverläufe:

30 INT: et vous sortiez du du camp le soir ou vous aviez ou le diMANCHE?

31 BEJ: ben NON :-

32 eh ben le dimanche d'abord on en avait un sur euh: deux ou TROIS-

33 ça dépendait la saiSON puis ça dépendait les traVAUx-°h

34 s'il y avait mettons: du béton à couLER- °h voyez: bon

<<creaky>BEN:>-

35 on travaillait toute la: la semaine le DIMANche;

36 mais: théoriquement on avait !UN! dimanche sur deux;

37 °h alors euh- (räuspert sich)

38 oh ben non si ils descendaient à katowice manger quelques soupes ou aller au cinéMA,

39 °h moi je_suis PERsonnellement j'ai dû y aller je_sais_pas peut-être trois quatre FOIS,

40 on allait (.) de temps en temps aussi on allait à la MESSe,

41 et le !PRÊ!tre (.) c'était un polonais bien SÛR;

42 qui du reste avait eu des ennuis avec la police

43 parce qu'il fallait que le serMON- (- -)

44 soit prononcé en alleMAND et lui il éTAIT un peu- (- -)

45 FIN i il- (- - -)

46 je me rappelle (te\) la première FOIS, (2.0)

47 vous ÊTES franÇAIS? (- - -)

48 bah le gars en gros il devait être biEN voir bien ses soixante-dix soixante-quinze ANS, (1.0)

49 il avait été au GYMnasiUM- (.)

50 c’est le lyCÉE quoi,

51 puis au séminaire bien SÛR, (1.1)

52 il se met à nous réciter du !RA!CINE; (- -)

53 que nous TOUT franÇAIS qu’on ÉTAIT, (1.0)

54 <<:-)> on n’en savait PAS un MOT> bien sûr;

55 °hh alors LÀ on était je sais qu'on était deux trOIS; (- -)

56 oui. (-)

57 il nous dit veNEZ avec MOI à la maiSON; (- -)

B.s Antwort beginnt in Form iterativer narrativer Rekonstruktion sich wiederholender Situationen und Ereignisse, gekennzeichnet durch Zeitangaben wie toute la semaine, un dimanche sur deux, de temps en temps und den Gebrauch des Imparfait. Als eine sich wiederholende Sonntagsbeschäftigung kommt B. u. a. auf den Besuch der Messe zu sprechen. Dabei wird eine Person, die in dem Zusammenhang eine Rolle spielt, eingeführt: der polnische Priester. Dessen Schilderung bricht B. nach einer Wortsuche (lui il éTAIT un peu) ab (Z. 44); das syntaktisch erwartbare Adjektiv wird nicht realisiert, stattdessen versucht er zu demonstrieren, wie es sich damals zugetragen hat. B. ‚erzählt‘ also, statt zu definieren. Er zögert erneut: auf ein unvollständig realisiertes (en)FIN folgt eine Pause (Z. 45); dabei vollzieht er eine Geste, die sinngemäß als ‚wie soll ich sagen‘ gedeutet werden kann. Dann bricht er ab, setzt neu an und fokussiert, eingeleitet durch je me rappelle, ein Einzelereignis: la première FOIS. Nach einer kurzen Pause zitiert er ohne ein einleitendes verbum dicendi in direkter Rede eine Frage des Priesters (Z. 47). Danach schiebt er einige ergänzende Informationen über den Priester ein (Alter, Schulbildung) und wechselt ins szenische Präsens: il se met à nous réciter du !RA!CINE; (–). Durch die besondere Betonung des Namens ‚Racine‘ und die anschließende Pause wird diese Situation schon als erzählenswert hervorgehoben, was dann in dem anschließenden Kommentar verstärkt wird: Die Pointe liegt darin, dass die anwesenden Franzosen außerstande gewesen wären, ihren Nationaldichter Racine in dieser Weise auswendig zu zitieren.

Die Erinnerungsmarkierung je me rappelle kennzeichnet hier also den Übergang zwischen zwei Typen narrativer Rekonstruktion: der iterativen und der episodischen Rekonstruktion. Dieser Wechsel ist bei der narrativen Rekonstruktion von Erinnerungen in den untersuchten Zeitzeugen-Gesprächen häufig zu finden. Zum einen werden die typischen, wiederkehrenden Verhältnisse im Lager dargestellt, zum anderen werden besondere Episoden, einzelne Personen, denkwürdige Zeitpunkte relevant gesetzt und somit als erzählenswert, u. U. als Pointe, hervorgehoben. Man gewinnt oft den Eindruck, als tauchten diese Episoden im Prozess des Erzählens mehr oder weniger plötzlich auf. Dieser Eindruck entsteht u. a. auch dadurch, dass im lokalen Kontext von Erinnerungsmarkierungen – so wie es in unserem B.-Beispiel auch der Fall ist – typische Phänomene spontanen Sprechens wie Verzögerungen, Abbrüche, Konstruktionswechsel und Neuansätze oder auch Selbstkorrekturen, Wortwiederholungen und Reformulierungen zu beobachten sind. Sie deuten im Zusammenhang mit prosodischen Phänomenen – wie Pausen, Dehnungen, Betonungen, Wechsel der Lautstärke, des Sprechtempos – und mit dem Einsatz körperlicher Ressourcen wie Gestik und Mimik darauf hin, dass bei der narrativen Rekonstruktion von Erinnerungen Formulierungsarbeit geleistet wird, die zugleich auch als Arbeit an der Erinnerung anzusehen ist. Dies lässt sich exemplarisch an dem zitierten Beispiel gut im Einzelnen zeigen.

In Z. 41 richtet sich B. merklich auf und heftet seinen Blick nicht mehr in einen undefinierbaren Raum rechts neben ihm, sondern direkt zur Interviewerin; zugleich spricht er etwas lauter und deutlicher. Diese multimodale Fokussierung passt zur inhaltlichen Ebene, da hier in Gestalt des Priesters eine neue Person eingeführt wird, auf die sich die Aufmerksamkeit nun richten soll. Im Sinne Goffmans ist damit die neue Figur in Person des Priesters ‚auf die Bühne gesetzt‘ (Goffman 1986, 230–237).

#1 #2 #3

 40 on allait (.) de temps[#1] en temps aussi on allait à la MESSe[#2],41 (sec→5) et le !PRÊ![#3]tre (.) c'était un polonais bien SÛR;

40 on allait (.) de temps[#1] en temps aussi on allait à la MESSe[#2],41 (sec5) et le !PRÊ![#3]tre (.) c'était un polonais bien SÛR;

Zur Modalität des dramatischen Inszenierens passt, dass B. den Kugelschreiber, den er lange in seiner rechten Hand hielt, nun außerhalb des Kamerabildes legt: Nun wird nicht mehr beschrieben, sondern gespielt! Mittels der Taktstockgesten vollzieht B. – genau simultan mit et le PRÊtre – eine fokussetzende Geste (vgl. McNeill 1992).

Doch im Anschluss, in Z. 43–44, erfolgt zunächst noch ein Kontextualisierungsnachschub. Wie an den Standbildern erkennbar ist, hält B. abermals den Kugelschreiber in seiner rechten Hand und führt seine Taktstockgesten weiter:

#4 #5 #6

 42 qui du res[#4]te avait eu des ennuis avec la police[#5] 43 parce qu'il fallait que le ser[#6]MON- (- -)

42 qui du res[#4]te avait eu des ennuis avec la police[#5] 43 parce qu'il fallait que le ser[#6]MON- (- -)

Selbst in diesen beschreibenden Aktivitäten fällt die Bedeutung von Körpermetaphern auf. Gezeigt werden kann dies anhand der Schilderung des Problems, auf Deutsch zu predigen, das der Priester gemäß B.s Beschreibung hatte (Z. 44):

#7 #8 #9

 44 soit prononcé en alleMAND et lui il éTAIT un p[#7-#9]eu- (- -)

44 soit prononcé en alleMAND et lui il éTAIT un p[#7-#9]eu- (- -)

Anstelle eines syntaktisch erwartbaren Adjektivs bspw. erfolgt an dieser Stelle eine gestische Beschreibungsaktivität, bei der B. seine nach unten geöffnete rechte Hand, ausgehend vom Handgelenk, windet. Sie kann als Instabilität und, im Kontext, als Mangel an Deutschkenntnissen gedeutet werden; die Aussage bleibt dabei jedoch äußerst vage.

Eine explizite Verbalisierung erscheint nicht wichtig für den Fortgang der Geschichte bzw. für ihr Verständnis – oder eben aufgrund der Körpermetapher schließlich nicht mehr notwendig. Vor einer möglichen Fortsetzung mit ‚en difficulté‘ oder ‚embêté‘ bricht B. jedenfalls an dieser Stelle ab. Das in Z. 45 formulierte ‚fin‘ hätte als Marker einer Reparatur (enfin) eingesetzt werden können, aber nun erscheint es eher als ein thematisches Abschließen, im Sinne von ‚peu importe‘.

Zu dieser Annahme, die sich auf der lexikalischen Ebene bewegt, passt B.s körperliches Verhalten: Auch durch seine Gestik scheint B. die Beschreibung der Deutschkenntnisse des Priesters abwiegeln zu wollen, selbst nach einem erneuten Versuch.

#10 #11 #12

 45 FIN i[#10] il-[#11] (-[#12]- -)

45 FIN i[#10] il-[#11] (-[#12]- -)

In Z. 46 findet sich dann ein abrupter Wechsel sowohl auf inhaltlicher als auch auf körperlicher Ebene. B. als ursprünglicher Erzähler spielt momentweise den polnischen Priester – wohingegen die Interviewerin auf der Erzählbühne die Rolle des jungen B. zugewiesen bekommt. Initiiert wird diese theatrale Modalität durch B.s rechte Hand (‚jetzt kommt’s!‘), durch sein erneutes Vorbeugen in Richtung der Interviewerin und durch den fixen Blick, den er auf sein Gegenüber richtet.

#13 #14 #15

 46 je me rappelle (te\) la première FOIS,[#13] (2.0[#14]) 47 vous ÊTES[#15] franÇAIS? (- - -)

46 je me rappelle (te\) la première FOIS,[#13] (2.0[#14]) 47 vous ÊTES[#15] franÇAIS? (- - -)

Gerade die inszenierte Frage nach der Herkunft (Z. 47: vous ÊTES franÇAIS? (- - -)) spricht B. sehr langsam und (über-)deutlich – so, als würde er den polnischen Priester imitieren. Dieser inszenatorische Ausdruck wird dabei nicht nur im Abgleich mit der lexikalischen Ebene deutlich, sondern auch in Anbetracht der nachfolgenden Zeilen (next turn proof procedure): Bei der Beschreibung der jungen Franzosen nämlich redet er erkennbar leiser und schneller, also deutlich kontextualisierend. Ausschließlich bei Wörtern, die mit dem code switching zusammenhängen – bspw. beim deutschen Wort GYMnasiUM (Z. 49) – wechselt er seine prosodische Ausdrucksweise.

Zum Adressatenzuschnitt (recipient design), der sich durch die Veranschaulichungsverfahren und die körperliche Zugewandtheit ausdrückt, passt, dass B. in Z. 50 eine beiläufige, da schnell und leise realisierte Übersetzungsaktivität tätigt (lyCÉE) – für den Fall, dass die französischsprachige Interviewerin oder aber die späteren Rezipierenden des Interviews das deutsche Wort („Gymnasium“) nicht verstehen.

Anschließend wechselt B. erneut in ein deutlich betontes und hervorgehobenes Sprechen – der Zeitzeuge möchte offensichtlich auf ein Kuriosum aufmerksam machen – nämlich, dass der polnischsprachige Priester mit seinen auf dem Gymnasium erworbenen Französischkenntnissen in der Lage war, mit Jean Racine einen der bekanntesten französischen Autoren zu zitieren. B. nimmt dabei nicht erneut die Rolle des offensichtlich belesenen und kultivierten Priesters ein, sondern eher die eines Chores auf der Theaterbühne, d. h. er spricht stellvertretend für die ungläubigen jungen Franzosen, die durch die Fähigkeit des Priesters erstaunt und beeindruckt sind:

#16 #17 #18

 53 que nous[#16] TOUT franÇAIS[#17] qu’on ÉTAIT, (1.0[#18])

53 que nous[#16] TOUT franÇAIS[#17] qu’on ÉTAIT, (1.0[#18])

Um die Reaktion dieser Gruppe, der er ja selbst angehört, zu zeigen, schüttelt er bei der Erzählung den Kopf, lächelt leicht und faltet zwischendurch andächtig die Hände: der Erzähler verkörpert hier in leicht überzeichneter Weise die Beteiligten in der damaligen, etwas kuriosen Situation. Danach vollzieht B. einen erneuten Rollenwechsel zum kommentierenden Erzähler im Hier-und-Jetzt. In Z. 54 wird das mimisch erkennbare Lächeln auch durch die ein Lachen bereits vorbereitende oder andeutende Sprechweise deutlich (vgl. Ford/Fox 2010); der Öffnungsgrad des Mundes am Ende deutet ein Lachen an. Schließlich vollzieht B. einen Themenwechsel: Zwar ist weiterhin vom Priester die Rede, aber er erzählt nun mit sichtlichem Vergnügen, wie die französischen Zwangsarbeiter im Hause des polnischen Priesters bewirtet wurden.

Beispiel 2: B. – je me rappelle – hongrois (00:21:03–00:21:17)[21]

01 BEJ: voyez ou à la FORge-

02 y en avait un m_h°-

03 un honGROIS <<p>(je)_me_rappElle,>

04 (-)

05 °h alors LUI il a dû faire des piochONs pour-

06 (1.1)

07 pour tous les polonAis du COIN;

08 (0.5)

09 (vous_savez) il prenait un bout de_ferrAILLE, (1.0,)

10 (0.4)

11 °h qu'il forgeAit un peu en- en ROND,

Im Vorlauf zu diesem Ausschnitt schildert B., wie im Arbeitslager mit ihm als unspezialisiertem Zwangsarbeiter umgegangen wurde: Da er keinen handwerklichen Beruf erlernt hatte, wurde er nach getanen Grabungs- oder Transportarbeiten häufig in einem anderen Lager eingesetzt: on nous a envoyé aillEUrs; (–-) les françAIs; (–-) ça c’était le:; (1.5) alors là la deuxième firME,. In dem Zusammenhang kommt er auch wieder auf jüdische Häftlinge zu sprechen, von denen vorher schon die Rede gewesen war. Die Franzosen arbeiteten manchmal mit ihnen zusammen: on poussait les wagONs,= bon_vous vous étiEZ- °h des fois un juif et un françAI:s- ou le contrAIRE,. Die jüdischen Häftlinge mussten offenbar häufig den anderen Zwangsarbeitern Hilfsdienste leisten: comme les maçONs ils avaient UN juif ou dEUx pour les servIR.

So traf auch B. einmal in einem Eisenwerk mit einem jüdischen Häftling aus Ungarn zusammen. In dem oben zitierten Ausschnitt beschreibt er dann dessen handwerkliche Arbeit und nennt abschließend noch den Lohn, der in einem Stückchen Brot bestand (une boule de pain). Damit illustriert er die Situation der jüdischen Häftlinge, denen es durchweg schlechter ging als den anderen Zwangsarbeitern. Nur wenige von ihnen hatten ein Handwerk gelernt. Der Ungar war in der Beziehung eine Ausnahme und konnte daher aus seiner handwerklichen Tätigkeit einen Nutzen ziehen.

Wie im ersten Beispiel steht auch hier „je me rappelle“ am Beginn einer neuen Episode, der Begegnung mit dem Ungarn. Und auch hier wird die Aufmerksamkeit auf eine Einzelperson gelenkt, die aus einer Gruppe herausgehoben wird. B. fokussiert zunächst die Situation im Eisenwerk (à la FORge-), setzt dann zur Einführung einer Person an: y en avait un m_h°- (Z. 02), zögert und bricht ab. Nach einer kurzen Pause nimmt er die begonnene syntaktische Konstruktion mit der Wiederholung des unbestimmten Artikels wieder auf und ergänzt sie durch den Namen einer nationalen Kategorie: un honGROIS (Z. 03). Dieser Bezeichnung fügt er dann auffallend leise und undeutlich hinzu: <<p>(je)_me_rappElle,>.

Bemerkenswert ist neben der Änderung der Sprechweise auch der Wechsel der Blickrichtung: Nachdem er zunächst (Z. 01–02) nach rechts in Richtung der Interviewerin geblickt hat, wendet er bei honGROIS allmählich den Kopf nach links und senkt bei der Erinnerungsmarkierung <<p>(je)_me_rappElle,> den Blick, so als spräche er zu sich selbst. Dann richtet er nach einer kurzen Pause (Z. 04) den Blick wieder zur Interviewerin hin und nimmt mit normaler Lautstärke mit dem Diskursmarker alors und dem betonten Pronomen LUI die eingeführte Person des Ungarn wieder auf und setzt die Erzählung fort: (-)°h alors LUI il a dû faire des piochONs pour- (1.1) pour tous les polonAis du COIN;.

#19 #20 #21

 02 un#19 m_h°-	03 un honGROIS#20	<<p>(je)_me_ra#21ppElle,>

02 un#19 m_h°- 03 un honGROIS#20 <<p>(je)_me_ra#21ppElle,>

#22 #23

 05 °h alors#22 LUI	il a dû#23 faire des piochONs

05 °h alors#22 LUI il a dû#23 faire des piochONs

In #19 beginnt das Bemühen, sich zu erinnern: B. schließt die Augen und senkt den Kopf leicht nach unten links, mit noch halb geschlossenen Augen spricht er dann die wieder erinnerte Nationalität aus (#20), um dann bei gleichbleibender, der Interviewerin weiterhin abgewandter Kopfhaltung (vgl. #21) das <<p>(je)_me_rappElle,> anzuschließen. Erst danach hebt sich der ganze Körper wieder (#23) und der Blick wendet sich klar und offen an die Interviewerin. Hier wird die Erinnerungsmarkierung (je)_me_rappElle nicht genutzt, um eine neue Bewegung zu eröffnen, sondern um die Bewegungskontur des Erinnerns abzuschließen; ganz kongruent zur Bewegung des Körpers ist auch stimmlich die Erinnerungsmarkierung selbst nicht betont. Durch die prosodische Gestaltung (verminderte Lautstärke und schnelleres Sprechtempo) wird sie für die Zuhörer – anders als in Beispiel 1 – gerade nicht relevant gesetzt. Auch durch die mimisch-gestische Gestaltung (Veränderung der Blickrichtung) bildet die Erinnerungsmarkierung zusammen mit un honGROIS eine multimodale Einheit: un honGROIS <<p>(je)_me_rappElle,>, die im lokalen Kontext deutlich als solche erkennbar ist, gerahmt durch eine Verzögerung y en avait un m_h°- (Z. 02) und eine Pause (Z. 04).

Der Einsatz dieser kommunikativen Ressourcen deutet darauf hin, dass der Sprecher hier verstärkt Erinnerungsarbeit leistet: Beim Sprechen über die jüdischen Häftlinge, die bis dahin im Gespräch nur als Gruppe erwähnt worden waren, taucht hier die Erinnerung an eine ganz bestimmte Einzelperson auf: an den ungarischen Juden, mit dem B. direkten Kontakt hatte. Er führt ihn ins Gespräch ein und bestätigt sich selbst im Nachhinein, dass er sich richtig erinnert. Die Erinnerungsmarkierung fungiert sozusagen als laut gewordene Selbstvergewisserung.

Mit dem konkreten Beispiel des ungarischen Juden bestätigt B. die untergeordnete Stellung der jüdischen Arbeiter, von der er vorher schon in allgemeinerer Form gesprochen hatte. Im weiteren Gesprächsverlauf kommt er noch mehrfach auf die spezielle Gruppe der in jeder Beziehung schlechter gestellten jüdischen Häftlinge zurück. Gegen Ende des Gesprächs gewinnt die Begegnung mit dem jüdischen Mithäftling noch einmal an Bedeutung: Als die Interviewerin später nach einer besonders negativen Erinnerung an die Lager-Erfahrungen fragt („un souvenir particulièrement négatif“), antwortet B. ohne längeres Überlegen, das seien seine ersten Eindrücke von Begegnungen mit jüdischen Häftlingen und von deren brutaler Behandlung im Lager: QUAND les rayés sont arrivÉs- | °h les premières triquées que vous voyez donner à un bonhOmme, | °h alors là ça- | ah non bon vous renTREZ (.) révoltÉ- (02:28:15–02:28:26).

Die emotionale Beteiligung findet hier ihren Ausdruck in syntaktischer Fragmentierung mit Verzögerungen und mehrfachen Abbrüchen und Neuansätzen. Schon in dieser kurzen Äußerung ist deutlich erkennbar, wie schwer es auch nach 60 Jahren sein kann, „Unfassbares in Worte [zu] fassen“[22]. Im Interview betont B. einleitend, das sei am Anfang gewesen („au début“), später sei man abgestumpft („devenu abruti“); das belegt er anschließend auch durch Beispiele.

Vor der Frage nach einer besonders negativen Erinnerung hatte die Interviewerin in der Schlussphase nach einer positiven oder sogar lustigen Erinnerung („un souvenir particulièrement drôle“) gefragt, woraufhin B. lebhaft und lachend eine Anekdote von zerbrochenen Fensterscheiben erzählt. Der Kontrast zu der „negativen Erinnerung“ könnte kaum stärker sein. Solche kontrastierenden Darstellungsweisen bei der narrativen Rekonstruktion von Lager-Erinnerungen lassen sich durch das ganze Gespräch hindurch verfolgen. Auch das oben analysierte Beispiel des Racine zitierenden polnischen Priesters hat ja durchaus eine anekdotische Seite. Eine nähere Beschäftigung mit der Rolle, die lustige Episoden oder kuriose Situationen in Erinnerungserzählungen aus Zwangsarbeiter-Lagern spielen, ist hier nicht möglich; sie könnte aber vielleicht Einsichten in Verfahren der Bewältigung traumatischer Erfahrungen vermitteln.

Beispiel 3: B. – je m’en rappelle – radioscopie (01:44:39–01:45:19)[23]

03 INT: vous avez dû passer un an, (1.2) au sana;

04 BEJ: oui; (-) [a ]

05 INT: [sans dou]te

06 le le le contre coup de votre séjour en allemagne?

07 BEJ: ben oui ça c’est ce que on explique, (-)

08 par ce que je_me:- (-)

09 je sais que (.) un jour- (-)

10 ça je m'en rappelle c’était le premier mai,

11 °h ça faisait un pont de je_sais_pas

12 deux ou trois jours,

13 °hh je_me sentais fatigué; (- -)

14 comme ça là, (- - -)

15 je vais, (-) chez ma mère; (1.8)

16 puis je_ne_sais pas ce qu'on on discute, (- -)

17 <<t> ah ben mm> t’as qu’à passer chez nicolas,=

18 =nicolas c’était notre: médecin de famille,

Auch in diesem Ausschnitt verwendet B. eine Erinnerungsmarkierung nach einem Impuls der Interviewerin, der diesmal nicht in Form einer direkten Frage gegeben wird, sondern dadurch, dass sie ein mögliches Thema anspricht: den Aufenthalt in einem Sanatorium. B. bestätigt diesen Aufenthalt, setzt offenbar auch zu einer Äußerung an, während die Interviewerin noch weiterspricht und fragt, ob es sich um die Folge (le contre coup) des Aufenthalts in Deutschland handelt (Z. 06). Das bestätigt B. kurz durch ben oui und verweist auf eine allgemeine Meinung dazu: c’est ce que on explique (Z. 07), die er aber nicht weiter ausführt. Durch Schulterzucken und leichtes Kopfschütteln wird die verallgemeinernde Aussage in ihrer Relevanz eher rückgestuft – so, als übernähme er nicht die Verantwortung für diese gängige Erklärung. Er beginnt dann einen Kausalsatz (Z. 08), zögert (Dehnung, Pause), bricht ab, setzt mit einer Verstärkung durch je sais que wieder neu an (Z. 09) und markiert nun mit einem auffallend deutlich hervorgehobenen un jour sehr entschieden einen Neuansatz zur narrativen Rekonstruktion einer Episode. Lebhafte Hand- bzw. Armgestik, vor allem der erhobene Zeigefinger der rechten Hand, sind als Aufmerksamkeit erheischendes Signal zu verstehen. Nach einer kurzen Pause bricht er wieder ab und schiebt an dieser Stelle, leiser und schneller sprechend (ähnlich wie im zweiten Beispiel), eine Erinnerungsmarkierung ein: ça je m’en rappelle, die hier durch das en auch grammatisch zurückverweist auf das vorgeschlagene Thema, zugleich aber die Präzisierung des Datums einleitet und dieses damit relevant setzt. Diese Relevantsetzung wird dann verstärkt durch die Charakterisierung des 1. Mai als Brückentag, die durch eine begleitende wellenförmige Armbewegung als Metapher für die Brücke zusätzlich verdeutlicht wird. Danach setzt der Sprecher lauter und deutlicher wieder ein mit einer Bemerkung über seinen damaligen Gesundheitszustand (Z. 13) und beginnt dann – auch hier mit einem Tempuswechsel zum szenischen Präsens – die narrative Rekonstruktion des Arztbesuchs (Z. 15), der damals zu dem von der Interviewerin angesprochenen Sanatoriumsaufenthalt führte.

Die Erinnerungsmarkierung erfolgt im lokalen Kontext von Spuren der Formulierungsarbeit, hier vor allem beim Übergang vom Dialog (Frage-Antwort) zu einer längeren Erzählsequenz, deren Beginn den Sprecher vor eine organisatorische Aufgabe stellt: Er signalisiert zwar durch das oui in Z. 02 gleich im Anschluss an die Frage der Interviewerin, dass er die thematische Aufgabe übernimmt, aber wie er sie bearbeitet, muss konversationell organisiert werden. Dabei fungiert hier – anders als im ersten Beispiel – die Erinnerungsmarkierung als eine Art Schaltelement, das sowohl zurück als auch nach vorne weist. Die deutliche Relevantsetzung des Datums ist nicht nur im lokalen Kontext von Bedeutung, sondern auch in der Globalstruktur: Der sehr lange Sanatoriumsaufenthalt ist in der Tat eine Folge der extrem belastenden Bedingungen der Zwangsarbeit im Lager, deren Auswirkungen in der Interaktion mit dem Hausarzt zur Sprache kommen. Die Interviewerin hatte ja am Anfang des Gesprächs die konversationelle Aufgabe so formuliert, dass die Erinnerungen an die Zeit im Lager auch in ihrer Bedeutung für das Leben insgesamt betrachtet werden sollten: comment cette expérience euh °h euh a été euh ou a jouÉ un rôle dans votre vie;=. (s. o.). Mit der narrativen Rekonstruktion der Erinnerungen an den Sanatoriumsaufenthalt als „contrecoup“ des Aufenthalts im Arbeitslager wird diese Aufgabe eingelöst.

Die drei hier analysierten Ausschnitte aus dem Interview mit Michel Antoine B. stehen exemplarisch für die Verwendung von Erinnerungsmarkierungen im Gesprächsverlauf; sie ließen sich durch weitere ähnliche Beispiele ergänzen (im Interview mit B. findet sich diese Erinnerungsmarkierung mindestens zehnmal). Der lokale Kontext, in dem „je me rappelle“ oder „je m’en rappelle“ auftritt, ist durch Spuren verstärkter Formulierungsarbeit gekennzeichnet, also bspw. durch Verzögerungen, Abbrüche und Neuansätze, Selbstkorrekturen, Reformulierungen u. a., die zugleich auch auf Arbeit an der Erinnerung hindeuten. Im Kontext der narrativen Rekonstruktion stehen sie in Zusammenhang mit der Fokussierung einzelner Personen oder Episoden. Dabei kristallisieren sich verschiedene Funktionen heraus: Sie können vorausweisen wie in Beispiel 1 auf die Episode mit dem polnischen Priester, der Racine zitiert; oder zurückverweisen wie in Beispiel 2 auf den gerade genannten Ungarn; oder sie können als eine Art Schaltelement sowohl voraus- als auch zurückverweisen wie in Beispiel 3, wo „je m’en rappelle“ sich auf die vorangegangene Zeitbestimmung („un jour“) und auf die nachfolgende Präzisierung durch das Datum („le premier mai“) bezieht.

Dabei ist die verbale Erinnerungsmarkierung „je me rappelle“ nur ein Element einer multimodalen Einheit neben anderen; die unterschiedliche prosodische Realisierung und der Einsatz körperlicher Ressourcen (Mimik, Gestik, Blickrichtung, Körperhaltung) spielen in dem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige Rolle: Die Analyse des Interviews mit B. zeigt, dass sich durch die Einbeziehung weiterer multimodaler Elemente zwei deutlich verschiedene „kommunikative Gestalten“ (Krafft/Dausendschön-Gay 2003) unterscheiden lassen, die verschiedene Funktionen erfüllen: Mit der prosodisch hervorgehobenen und mimisch-gestisch ausgestalteten Erinnerungsmarkierung lenkt der Sprecher die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf eine spezielle Episode oder eine neu eingeführte Person (Beispiel 1); sie hat eine vorausweisende Funktion. Mit der leisen, unbetonten Sprechweise und Abwendung des Blicks von den Zuhörern wird weniger an die Aufmerksamkeit der Zuhörer appelliert als an den subjektiven Erinnerungsprozess des Erzählers, der sich beim Emergieren einer Erinnerung selbst bestimmter Details vergewissert (Beispiel 2); hier hat die Erinnerungsmarkierung typischerweise eine zurückverweisende Funktion. Die beiden Funktionen können aber auch miteinander verbunden werden (Beispiel 3); dann fungiert die Erinnerungsmarkierung als Schalt- oder Übergangselement.

Aus diesen Beobachtungen ergeben sich Perspektiven und Fragestellungen, die nun in einer weiteren Fallstudie im Hinblick auf „je me souviens“ – wenn auch nicht mit gleicher Ausführlichkeit – wieder aufgegriffen werden sollen.

Fallstudie 2: Victor L. für „je me souviens“[24]

Victor L., geboren 1921 in Le Grau-du-Roi, Languedoc-Roussillon, Frankreich, wurde wie Michel B. von Anne-Marie Granet-Abisset interviewt[25] und vom Kameramann Michel Szempruch begleitet. L., der nach dem Krieg als Zeichner und Layouter für die Zeitschrift Paris-Match gearbeitet und im Umkreis des in Frankreich sehr bekannten Sängers Georges Brassens gelebt hat, erzählt im Interview am 10.07.2006 vor allem über Zwangsarbeit bei der Eisenbahn, die er in den Jahren 1943/44 in den bayrischen Lagern bei Amberg, Hirschau und Penzberg leisten musste, bevor er während eines Urlaubs in Frankreich untertauchen und entkommen konnte.

Das Interview findet in L.s heimischem Atelier im südfranzösischen Sète statt. Anne-Marie Granet-Abisset sitzt auch hier ca. in einem Abstand von 1,5 Meter von L. entfernt und direkt links neben der Kamera, die von Michel Szempruch geführt wird. Letzterer sitzt rechts neben der Kamera und beteiligt sich hin und wieder am Gespräch.

Im Vorfeld des hier transkribierten Ausschnitts schildert Victor L. die Ereignisse, die sich im Rahmen seiner Deportation nach Amberg zur Zwangsarbeit zutrugen. Das benachbarte Nürnberg wurde zu dieser Zeit bereits bombardiert, weshalb die Zuteilungen zu den einzelnen Betrieben schon während der Anreise vollzogen wurden. L. und seine späteren Kollegen wurden daraufhin in Richtung eines anderen Zuges geschickt, wie er im Folgenden erzählt:

Beispiel 4: L. – je me souviens – presque nuit (00:20:42–00:21:05)[26]

01 LAV: ((click)) on est sorTI, (-)

02 eu ::h- (-) on nous a amenés sur une autre VOIE,

03 on a pris un autre trAIN, (-)

04 ((click)) °h et c\ alors on montait dans les comparti´ments du

trAIN,(1.0)

05 euh on est par´ti il faisait euh pe presque nUIT, (- -)

06 <<p> je me souviens OUI,>

07 °hh eu :h (-) on a roulé quOI ? =

08 =une heure une une heure ou DEUX,=

09 =je_sais pas près de deux HEURES, (.) ouAIs, (1.5)

10 et à la tombée de la nUIT on s’est arrêTÉ ; (2.0)

L. beschreibt, wie er und die mit ihm ausgewählten Zwangsarbeiter:innen sich an einem anderen Gleis einzufinden hatten, um von dort einen anderen Zug zu nehmen; bei Anbruch der Nacht sei man dann losgefahren und ‚ein zwei Stunden später‘ schließlich am Zielort angekommen. Seine Schilderung zu Selektion und Deportation ist von hoher Geordnetheit und Detaildichte geprägt: Um ebenjene Anreise zu beschreiben, gibt er sowohl genaue Ortsangaben wie sur une autre VOIE, un autre trAIN, dans les comparti’ments du trAIN als auch allgemeine Angaben zur Tages- bzw. Nachtzeit (Z. 05). Bemerkenswert sind dabei die mehrfach verwendeten syntaktisch parallelen Satzkonstruktionen, die dem abgebildeten Muster folgen:

Nominalphrase

(in der Funktion der 1. Person Plural)
Verbalphrase

(ggf. mit Hilfsverb)
Objektphrase/Präpositionalphrase
on a pris un autre trAIN,
on est parti
on a roulé
on s’est arrêTÉ
on est sorti,
on montait dans les compartiments du train

Diese parallele Strukturgestaltung erzeugt auf lexikalisch-prosodischer Ebene eine spezifische Rhythmik und somit ein Gefühl von zusätzlicher Dichtheit (vgl. Auer et al. 1999, Günthner 2006). Dieses Muster aber wird durchbrochen, sobald L. seine Erinnerungsmarkierung vollzieht (Z. 06). Bereits zuvor fällt sein zögerndes Sprechen auf, bei dem er zugleich sein initiiertes syntaktisches Projekt euh on est par’ti (Z. 05) nicht mit einer erwartbaren Präpositionalphrase vervollständigt, sondern suspendiert. Hier nennt er eine zeitliche Deixis, indem er angibt, es sei ‚beinahe Nacht‘ (presque nuit) gewesen. Diese Angabe wird anschließend mit der prosodisch klar abgehobenen (da leiser gesprochenen) Erinnerungsmarkierung je me souviens (Z. 06) authentifiziert und mit dem im selben Redezug betont hinzugefügten OUI sogar noch verifiziert. Der Zeitzeuge spricht gleichsam mit sich selbst und vergewissert sich ‚öffentlich‘ der Richtigkeit seiner Erinnerung. Die multimodale Analyse zeigt, dass der Sprecher nicht nur prosodisch, sondern auch im körperlichen Ausdruck ganz unveränderlich bleibt (vgl. #24, #25). Erst nach der Selbstvergewisserung mit je me souviens (Z. 06) wechselt die körperliche Ausdrucksgestalt (vgl. #26).

#24 #25 #26

 05–07 presque #22nUIT, <<p> je me souviens#25 OUI,> °hh #26eu :h

05–07 presque #22nUIT, <<p> je me souviens#25 OUI,> °hh #26eu :h

Ähnlich wie im dritten Beispiel von B. erfolgt die Erinnerungsthematisierung hier also nachträglich, retrospektiv und verfügt zugleich auch über prospektives Potential, da L. nach einer klaren Pause einen Neuansatz unternimmt und weitere Details zur ungefähren Fahrtdauer nennt. Die Funktionen dieser Markierung können also als rückwirkende und zugleich als vorausweisende beschrieben werden, da sie das Gesagte durch den Metakommentar bestätigen und so den ‚glaubwürdigen‘ Fortgang der narrativen Rekonstruktion ermöglichen.

Auffällig ist dabei, dass L. innerhalb der erzählten Welt nicht von sich als einzelner Person spricht, die diese Situation erlebt hat, sondern als Mitglied einer Gruppe; statt des „erzählten Ich“ gibt es hier nur ein „erzähltes Wir“ (Z. 01, 03–05, 07, 09, 10). Innerhalb der Erzählwelt jedoch – sprich: in der Interviewsituation – findet im Zuge von L.s Erinnerungs- und Wissensmarkierungen eine klare Ich-Bezogenheit statt (Z. 06, 09).

Auch in der nachfolgenden Sequenz sind die Bombardierungen um Nürnberg das Thema. Kurz zuvor erinnerte sich L., wie die Bomben nachts in der Nähe ‚seines‘ Arbeitslagers detonierten und wie die Zwangsarbeiter am nächsten Morgen ein abgestürztes Flugzeug entdeckten. Dieses wurde umgehend von einigen unter ihnen, auch von L. selbst, begutachtet, wie er beschreibt:

Beispiel 5: L. – je me souviens – munich (01:21:03–01:21:28)[27]

01 LAV: eu:h il y avait des prisonnie:rs (.) des prison\

02 là il y avait pas MAL de prisonniers russes avec nous

03 °h et les prisonniers ruSSES, (-)

04 à un mo´ment j’en avais UN qui avait

05 qui était venu nous aider là- (- -)

06 un JEUne euh (pol);

07 °h et aLORs, (.)

08 comme il (-) parlait () ni russe ni français ni riEN,

09 °h (- -) eu:hm; (1.3)

10 <<f, :-)> je me souviens qu'on étai:t à QUAtre pattes dans l'herbe là on

11 °h on essayait de PArler> mais on pou(vait) (- -)

12 il y avait un MUR entre nous hein,> (-)

13 quelques mots d'alle´MAND pénible´ment etcétéRA-

Erneut steht die Schilderung einer sich einmalig zugetragenen Begebenheit im Vordergrund der narrativen Rekonstruktion. L. führt hierbei an, dass sich insbesondere russische Mitgefangene aufmachten, um Teile des abgestürzten Flugzeugs zu bergen. Er detailliert anschließend die Anekdote weiter, indem er auf einen Zwangsarbeiter, einen wohl recht jungen Russen (Z. 06), näher eingeht. Das Besondere an ihm war dabei, dass er ni russe ni français ni riEN (Z. 08) – jedenfalls keine L. bekannte Sprache – beherrschte. So kam es zu einer merkwürdigen Situation zwischen ihm und L., an die dieser sich explizit und in Form der Erinnerungsmarkierung je me souviens (Z. 10) erinnert: Beide nämlich befanden sich nebeneinander im Gras, konnten jedoch, bis auf ein paar Brocken Deutsch, kaum ein Wort wechseln.

Form und Funktion der Erinnerungsthematisierung decken sich teils mit den oben festgestellten, sie weichen aber auch von diesen ab bzw. gehen über diese hinaus. Erneut finden sich in der unmittelbar zuvor getätigten Äußerung Spuren von verzögertem Sprechen (eu:hm, Z. 09), auf das zudem eine Pause von gut einer Sekunde folgt. Und erneut dient es dazu, das Erlebte und damit auch das ‚Zeugnis‘ durch den bestätigenden Metakommentar zu authentifizieren.

Im Gegensatz zum Beispiel 4 ist diese Erinnerungsmarkierung jedoch prosodisch abgehoben und damit ‚selbstständiger‘. Sie folgt auf eine Pause und eröffnet dann eine eigene Intonationseinheit. Bemerkenswerterweise wird diese Eröffnung insofern antizipiert (foreshadowing), als L. bereits vor der Erinnerungsmarkierung zu lächeln beginnt (#28); damit wird – eingedenk des Kontextes der Bombardierungen – überraschenderweise eine humorige Modalität eingeläutet (#28, #29).

#27 #28 #29

 08–10 ni riEN,#27	je me sou#28viens	dans #29l'herbe

08–10 ni riEN,#27 je me sou#28viens dans #29l'herbe

Auf diese Weise wird das Potential solcher Äußerungen deutlich, abgesehen von Aktivitäten epistemischer Selbstvergewisserungen zusätzlich Raum zu bieten für affektive Positionierungen und Introspektionen. Das erzählwürdige Lustige für L. bestand in der Rückschau offenbar darin, damals körperlich so nah zu dem anderen Häftling gestanden zu haben, ohne sich qua Sprache austauschen zu können. Die vorausweisende Funktion der Erinnerungsmarkierung wird hier grammatisch noch deutlicher als in Beispiel 1 von B., weil der Gegenstand der Erinnerung syntaktisch durch „que“ an die Verbform „je me souviens“ angeschlossen wird.

Im dritten und letzten Beispiel beschreibt L. auf eine Frage der Interviewerin das Gemeinschaftsleben innerhalb der Häftlingsgruppe.

Beispiel 6: L. – je me souviens – collectivité (01:25:49–01:26:14)[28]

01 INT est-ce que est-ce que c’était facile de vivre en collectivité?

02 LAV pas tellement–

03 INT est-ce que vous pouvez,

04 LAV il fallait se supporter il fallait se supporter parce que (.)

05 le eu:h ////il y en a qui veulent eu:h jouer aux cartes le soir

06 d'autres qui s'emmerdent qui ont (moins)

07 d'autres qui (xxx xxx)

08 plutôt d'autres qui ronflent

09 d'autres qui <<f>(ça) gueule dans la nuit ça;>

10 mais à un moMENT je me souviens on faisait des-

11 on faisait un trUc euh,

12 °h euh (- -) on mettAIT,

13 on avait attaché une bouTEILLE

14 <<acc, pp> je me souviens> des bouteilles de: (-)

15 de biÈre-

16 (compo) avec une ficelle,

17 composée sur le au bout du châlit comme ça ;

18 des gars qui nous emmerdaient ?

19 et l'autre bout de la ficelle on l'avait attaché aux

(pio) poignées –

20 <<f> et au bout d'un moment en se tournant,

21 il faisait dégringoler la bouteille qui tombait sur les gars du dessous (xxx xxx) ;

22 après ça hurlait de tous les côtes ouais;>

23 °h <<f> des âneries de style un peu de collégien mais enfin->

Im Vergleich zu den oben aufgeführten Gesprächsausschnitten ist hier der stark dialogische Charakter der Sequenz augenfällig: L. beantwortet kurz die Frage der Interviewerin (pas tellement–), die Stimme bleibt in der Schwebe, aber die Interviewerin setzt sogleich zu einer Nachfrage an, deren Beendigung L. jedoch nicht abwartet, sondern er behandelt sie als Aufforderung zu einer weiteren Ausführung seiner Antwort. Dies tut er dann auch sehr verallgemeinernd unter Verwendung des Präsens, indem er verschiedene typische Verhaltensweisen von Häftlingen aufführt, die in der Gemeinschaft zu ertragen sind. Darauf folgt eine Konkretisierung in Form eines Einzelfalls; das ‚Kuriosum‘ wird dabei mit dem adversativen Konnektor mais und mit der Fokussierung auf einen bestimmten Zeitpunkt à un moMENT eingeleitet, auf die eine Erinnerungsmarkierung folgt: je me souviens (Z. 10). Dabei wechselt L. in das Imparfait, womit er auf eine sich wiederholende Begebenheit verweist. Der folgende Ansatz zur narrativen Rekonstruktion dieses besonderen Ereignisses ist durch eine Serie von Abbrüchen, Neuansätzen und Selbstkorrekturen gekennzeichnet (Z. 10–13), die er dann abbricht, um erneut sehr schnell und sehr leise je me souviens einzufügen (Z. 14) und dann die abgebrochene Äußerung wiederaufzunehmen: une bouTEILLE durch des bouteilles de: (-)de biÈre. Diese zweite Erinnerungsmarkierung erfüllt dann wiederum eine oben festgestellte Funktion: Die Formulierung dient als syntaktischer Anker (vgl. Auer/Pfänder 2007), mittels derer L. dahingehend eine Detaillierung vollzieht, dass er die Flaschen, die man aufhängte, nun genauer als Bier-Flaschen beschreibt.

Die erste Erinnerungsmarkierung (Z. 10) hat vorausweisende Funktion, indem sie eine ganz bestimmte, von der vorangegangenen verallgemeinernden Beschreibung verschiedene Aktivität fokussiert (#30–32). In der narrativen Rekonstruktion wird eine exemplarische Szene mit einer deutlich auf die Interviewerin verweisende Handgeste markiert. Die zweite Erinnerungsmarkierung (Z. 14) hat eine zurück- als auch vorausweisende Funktion, die durch die Wiederaufnahme des Wortes bouteille einen Übergang zur Fortsetzung durch eine für die Geschichte notwendige Präzisierung darstellt (#33–35)[29]. In den Bildschirmfotos zeigt sich sehr deutlich, dass der Erzähler in ein und derselben Ausdruckshaltung verweilt.

#30 #31 #32

 09 gu#30eule	10 je me sou#31viens	on #32faisait des-

09 gu#30eule 10 je me sou#31viens on #32faisait des-

#33 #34 #35

 13une b#33ouTEILLE	14<<acc, pp> je me sou#34viens>	#35de: (-) 15de biÈre-

13une b#33ouTEILLE 14<<acc, pp> je me sou#34viens> #35de: (-) 15de biÈre-

Auch im Interview mit L. kommen – wie die Ausschnitte 2 und 3 exemplarisch zeigen – mehrfach lustige Begebenheiten vor, die er lächelnd oder lachend erzählt und wie im letzten Beispiel selbst als „Albernheiten“ („âneries“) qualifiziert. Sie bilden auch bei ihm einen deutlichen Kontrast zu hochdramatischen und angstbesetzten Ereignissen, die im Gespräch natürlich im Vordergrund stehen.

Ergebnisse der Fallstudien

Vergleicht man die Ergebnisse beider Fallstudien, so zeigen sich augenfällige Parallelen. Aus syntaktischer Sicht werden die verbalen Erinnerungsmarkierungen durch se rappeler und se souvenir von beiden Zeitzeugen in verschiedenen Konstruktionsformaten verwendet. Die mit Abstand häufigsten Vorkommen sind in der ersten Person je me souviens oder je me rappelle. Dabei werden diese verschiedenen Formen mit einer Ausnahme (B. benutzt einmal die Wendung „je me souviens“) nicht von denselben Sprechern verwendet, sondern diese entscheiden sich entweder für se souvenir oder für se rappeler; möglicherweise spiegeln sich hier die Gebräuche regionaler Varietäten in Frankreich wider[30]. Andere syntaktische Konstruktionen sind seltener, dazu gehören je me souviens de, je me souviens que und je m’en souviens bzw. je m’en rappelle. Alle genannten Konstruktionen können intensiviert werden durch Adverben wie toujours oder très bien. Sehr selten kommen auch Strukturen des Typs autant que je me souvienne vor (z. B. bei L.). Manchmal werden die genannten Konstruktionen in Kontrast zu einer voranstehenden verneinten Form desselben Verbums verwendet, so dass Vergessen und Erinnern zueinander in Beziehung gesetzt werden, bspw. je ne me souviens pas... mais je me souviens encore.

Auf der prosodischen Ebene ist auffällig, dass die vorgenannten syntaktischen Konstruktionen sich von der lautlichen Gestaltung der unmittelbaren Umgebung absetzen, sei es, dass sie betont und deutlich artikuliert werden (dies gilt nicht nur einleitend, sondern auch bei Einschüben), sei es, dass sie leise bis sehr leise, kaum hörbar und in der Aussprache verschliffen, d. h. sehr rasch realisiert werden[31].

Fügt man die syntaktischen und die prosodischen Befunde zusammen, so ergibt sich, dass die leisen und verschliffenen Vorkommen zumeist einen retrospektiven syntaktischen Skopus aufweisen, sich also auf unmittelbar zuvor Gesagtes beziehen, während die betonten, deutlich artikulierten Konstruktionen als Projektion auf das, was kommen soll, analysiert werden können. Während die rückbezüglichen Konstruktionen sich häufig auf ein kleineres Element wie ein Nomen oder eine Nominalphrase beziehen, haben die prospektiven Verwendungen eine größere Reichweite und können sich auf kurze Textpassagen oder lange Sätze beziehen.

Erweitert man die multimodale Analyse von der Stimmführung auf die körperlichen Bewegungen der Zeitzeugen beim Erzählen, so wird eine klare Kongruenz festzustellen sein. So wie die retrospektiven Konstruktionen noch zur Intonationseinheit davor gehören, so schließen auch die körperlichen Bewegungen die zuvor begonnene Bewegungsphrase ab. Und genau wie die prospektiven Konstruktionen eine neue Intonationseinheit eröffnen, so ist zeitgleich auch der Beginn einer neuen Bewegungseinheit zu beobachten. Alle Analysen haben gezeigt, dass die unterschiedlichen Ausdrucksebenen (insbesondere Syntax, Prosodie und Körperhaltung, Blickrichtung sowie Gestik) gemeinsam eine kommunikative Ausdrucksgestalt entstehen lassen[32].

Augenfällige Parallelen zwischen den Fallstudien ergeben sich allerdings nicht nur auf formaler Ebene. Beiden formalbeschriebenen kommunikativen Ausdrucksgestalten können jeweils feste kommunikative Funktionen in den Erinnerungserzählungen zugeschrieben werden.

Die kommunikative Funktion des prospektiven Gebrauchs von je me souviens bzw. je me rappelle liegt darin, den Rezipienten und Rezipientinnen anzuzeigen, dass nun eine episodische Szene rekonstruiert und anschaulich auserzählt wird, indem bspw. Figuren in der Erzählung durch Rede- und Bewegungsanimationen auf die Bühne des mündlichen Erzählens geholt werden. Nicht selten wird hier zugleich mit der narrativen Rekonstruktion – und mithin als konstitutiver Bestandteil dieser Rekonstruktion – auch eine affektive Positionierung vorgenommen; das Erlebte wird aus heutiger Sicht als belastend oder trotz aller widriger Umstände humorig inszeniert.

Die kommunikative Funktion von retrospektiv verwendeten Erinnerungsmarkierungen verweist auf eine anders gelagerte Positionierungsaktivität; diese ist nicht affektiv, sondern epistemisch orientiert. Dadurch, dass oft sehr genau, und gleichsam ‚unterwegs‘, in das laufende Erzählen eingeschoben wird, was ‚nicht‘, ‚nicht mehr‘ oder eben noch ‚gut‘ oder ‚ganz genau‘ erinnert wird, kann epistemische Autorität zum Ausdruck gebracht werden. Allerdings sind diese Erinnerungsmarkierungen weniger deutlich auf den oder die Gesprächspartner ausgerichtet als auf den eigenen Erinnerungsprozess des Erzählers, der sich selbst der Authentizität und/oder Genauigkeit seiner Erinnerung, die ihm vielleicht gerade beim Erzählen erst wieder eingefallen ist, vergewissert. Gleichwohl kann der Zeitzeuge bei den Rezipientinnen und Rezipienten so eine größere Glaubwürdigkeit im Erzählen des immerhin über 60 Jahre zuvor Geschehenen erreichen. Erzähler:innen der Oral History haben sich ja zum Sprechen im Rahmen von Interviews entschlossen und sich damit in gewisser Weise bereit erklärt, vor der heutigen Gesellschaft ‚Zeugnis abzulegen‘. Sie bemühen sich, dieser Aufgabe in vollem Umfang gerecht zu werden, indem sie die emergierenden Erinnerungen im laufenden Erzählprozess immer wieder überprüfen.

Zusammenfassend dienen also Erinnerungsmarkierungen in doppelter Weise dem übergeordneten kommunikativen Ziel, in (a) nachvollziehbarer, verstehbarer, ja anschaulicher Weise durch szenische Rekonstruktionen und (b) in glaubwürdiger, in trotz der langen Zeitspanne zwischen Ereignis und Erzählung keineswegs anzuzweifelnder Weise für die heutige und die kommenden Generationen Zeugnis abzulegen, indem sie ihre Erinnerungen erzählen.

Erweiterung der Untersuchungsperspektive

Die Ergebnisse der beiden Fallstudien können nun als Grundlage für weitere Untersuchungen zu Erinnerungserzählungen aus dem Zwangsarbeiter-Korpus dienen. Wir wollen zwei mögliche Erweiterungen des Blickfelds andeuten: erstens die Verwendung der beschriebenen Erinnerungsmarkierungen in weiteren Gesprächen mit französischen Zwangsarbeitern aus dem Archiv (und ggf. auch in anderen Sprachen)[33], und zweitens die Einbeziehung anderer sprachlicher Verfahren der Erinnerungsarbeit.

Zu (1): Geht man über die beiden Fallstudien hinaus, so bestätigen sich alle Befunde von je me rappelle und je me souviens durchgehend für das gesamte französische Korpus: Bei 20 untersuchten Zeitzeugenberichten (alle mit einer Länge von durchschnittlich zweieinhalb Stunden) fallen von 68 Erinnerungsmarkierungen 29 auf den prospektiven Typ zur Eröffnung einer spezifischen narrativen – oft episodischen – Rekonstruktion einer einzelnen, das zuvor allgemein Gesagte illustrierenden Erzählhandlung und 33 auf den syntaktisch und prosodisch retrospektiven Typ der Authentifizierung (epistemische Positionierung). Beim prospektiven Marker ist sehr oft zu beobachten, dass eine Erzählung bereits begonnen hat, der Erinnerungsmarker aber eine spezifische Einzelepisode als Erinnerung relevant setzt. Bei dem retrospektiven Typ fällt auf, dass durchgehend im lokalen Kontext weitere epistemische Markierungen vorkommen, insbesondere je ne sais pas oder je ne sais plus, mais ...

Zu (2): Auch die Verwendung der epistemischen Markierungen vom Typ je sais, je (ne) sais pas, die sich darauf beziehen, dass der Sprecher etwas (noch) weiß oder nicht (mehr/genau) weiß, spielen ohne Zweifel eine wichtige Rolle in der konversationellen Arbeit an der Erinnerung. Sie finden sich sehr häufig im Gespräch mit B., und zwar vor allem im Kontext von Daten und von Zahlenangaben. Bspw. in dem oben als Beispiel (1) zitierten Ausschnitt sagt B. über die Sonntagsausflüge: j’ai dû y aller je_sais_pas peut-être trois quatre FOIs,. Oder über die Gruppe der Franzosen, die der Priester mit dem Racine-Zitat beeindruckt, heißt es: °hh alors LÀ on était je sais qu’on était deux trOIS. Diese Form von Zahlenangaben, zwei oder drei Zahlen aneinander zu reihen, nutzt B. häufig. Manchmal kontrastiert er auch Nicht-Wissen und Wissen, z. B. je_sais pas les (-) ah °h les dates exactes- (-)(clears throat)) °h (-) mais je sais que enfin- nous on a été dans les premiers (...) (00:03:57). Manchmal werden genaue Angaben zu einem Datum in Verbindung mit einem besonderen Tag, z. B. einem Feiertag, präsentiert. So leitet B. in Beispiel 3 mit einer solchen Präzisierung eine Episode ein: je sais que (.) un jour- (-)ça je m’en rappelle c’était le premier mai,°h ça faisait un pont de je_sais_pas deux ou trois jours,. Damit wird eigens plausibilisiert, dass er gerade dieses Datum noch weiß.

Neben diesen lokalen Phänomenen, die das Bemühen um genaue und detaillierte Informationen erkennen lassen, sind auch komplexere Erinnerungsmarkierungen zu finden, die eine globale Funktion in der narrativen Ordnung haben, z. B. metadiskursive oder metanarrative Kommentare, die die Erinnerung an einen bestimmten Moment, eine „Szene“, als besonders deutlich erinnert hervorheben. So kündigt z. B. L. an, eine anecdote assez piquante erzählen zu wollen und fügt hinzu la scène m’est restée (00:15:17). Damit ordnet er zum einen das, was er erzählen will, einer Kategorie (anecdote) zu, zum anderen hebt er die Erinnerung an die Episode als besonders anschaulich hervor. Eine ähnliche Bemerkung macht B. gegen Ende des Interviews: Je me revois toujours avec Madame Chirat (02:40:02). Kommentare dieser Art betonen die Authentizität der Erinnerung. L. gibt an einer Stelle, als er eine sehr dramatische Episode über Flucht und Untertauchen, verbunden mit großer Angst, erzählt hat, einen expliziten Kommentar zur Authentizität: On ne peut pas inventer tout cela, il y a des moments je me demande si j’ai pas inventé (02:12:21).

Bei der narrativen Rekonstruktion von Einzelepisoden, besonders wenn bestimmte Personen dabei eine Rolle spielen, wird häufig das Stilmittel der animierten Rede, vor allem in Form der direkten Rede, verwendet, oft auch mit Stimmenimitation und/oder dem Einsatz körperlicher Ressourcen wie z. B. Mimik und Gestik. B. macht von diesem Verfahren reichlich und lebhaft Gebrauch, ein Beispiel wurde oben im Zusammenhang mit dem polnischen Priester gezeigt. In L.s ‚pikanter Anekdote‘ spielt die Äußerung eines deutschen Offiziers eine zentrale Rolle, der den Franzosen zu ihrem Schrecken zu erkennen gibt, dass er alles verstanden hatte, was sie zuvor in ihrem französischen Patois geäußert hatten (00:15:10–00:16:40). An einer anderen Stelle im Gespräch schildert L. einen deutschen Aufseher, der immer eine Uniform trug, und macht stimmlich und gestisch dessen „Heil Hitler!“ nach (00:43:20–00:44:33).

L. thematisiert mehrfach ausdrücklich, dass er etwas nicht mehr (ganz) genau weiß (j’ai du mal à préciser); dabei verweist er auch oft auf Notizen oder Dokumente, die er aufbewahrt und vorbereitet hat, die man also konsultieren könnte (j’avais noté des trucs on y reviendra si vous voulez, Band 2: 00:40:35).

Stärker als B. macht L. die Erinnerungsarbeit manchmal auch non-verbal deutlich: er schweigt, richtet den Blick nach unten, weg von der Interviewerin und zeigt so den Gesprächspartnern, dass er nachdenkt. Dabei spricht er manchmal sehr leise, wie zu sich selbst (ähnlich wie B. oben im Beispiel 2: „hongrois“), schiebt z. B. ein „oui“ ein oder einen metadiskursiven Kommentar wie „j’ai du mal à préciser“ (00:12:19–00:12:29).

Es gibt also eine Vielzahl von kommunikativen Verfahren, auf die die Zeitzeugen bei der narrativen Rekonstruktion ihrer Erinnerungen rekurrieren, um Einzelheiten wie Daten, Zahlen und andere Angaben relevant zu setzen. Gerade wenn der Interviewte konkretisiert, was er noch genau weiß, im Unterschied zu Details, die er nicht mehr oder nicht mehr genau weiß, unterstreicht er seine Glaubwürdigkeit und die Authentizität der erzählten Erinnerung. „Das Vergessen steht immer zur Seite, sprungbereit, wenn ein Mensch sich erinnern will“, schreibt Harald Weinrich im Kapitel „Auschwitz und kein Vergessen“ seines „Lethe“-Buchs. „Ein Gedächtnis, das dauern soll, muß daher täglich mit dem Vergessen kämpfen. Und um das erfolgreich tun zu können, muß man das Vergessen kennen, es in allen seinen Erscheinungsformen aufs genaueste protokollieren“ (Weinrich 1997, 233). Die verschiedenen konversationellen Verfahren, die Lager-Erzählungen als authentische Erinnerungen an das, was nicht vergessen werden darf, auszuweisen, stehen somit in engem Zusammenhang mit der Aufgabe der Zeitzeugen, für die Lager-Erfahrungen Zeugnis abzulegen.

Blick zurück (und nach vorn): Sprachliche Spuren von Erinnerungsaktivitäten

Diese Zusammenhänge wollen wir abschließend verdeutlichen, indem wir uns noch einmal vergegenwärtigen, wie wir in der vorliegenden Studie vorgegangen sind.

Um den komplexen Prozess der herausfordernden narrativen Rekonstruktion von traumatischen Erinnerungen mit dem Emergieren von Einzelheiten und Episoden und mit der fortlaufenden Arbeit an der Formulierung nachvollziehen zu können, schien es uns geraten, konkrete sprachliche Formen als Untersuchungsgegenstand zu wählen. Daher haben wir zunächst diejenigen Sequenzen in Gesprächen aus dem Zwangsarbeiter-Archiv näher angeschaut, in denen das Erinnern selbst thematisiert wird. Damit meinen wir in diesem Fall nicht Momente, in denen ausführlich darüber gesprochen würde; vielmehr konzentrierten wir uns auf diejenigen Stellen, an denen die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen den verbalen Erinnerungsmarker je me souviens oder je me rappelle verwenden.

Diese Erinnerungsmarkierungen bildeten den Ausgangspunkt für zwei Fallstudien: Wir haben exemplarisch einzelne Gesprächsausschnitte analysiert, haben die unterschiedlichen Kontexte und Realisierungsformen beschrieben und die Funktionen herausgearbeitet. Dabei wurde zum einen deutlich, dass die Analyse sich nicht auf die verbale Konstruktion der Erinnerungsmarkierung beschränken darf, sondern unter Einbeziehung prosodischer Elemente und körperlicher Ressourcen die Erinnerungsmarkierungen als multimodale Gestalten beschreiben muss. Zum anderen erwies sich zwar der unmittelbare lokale Kontext als sehr aufschlussreich für die kommunikative Funktion der Erinnerungsmarkierung, es zeigte sich aber, dass auch globale Zusammenhänge im weiteren Gesprächskontext mit einbezogen werden müssen.

Auf der Grundlage der beiden Fallstudien haben wir dann einen Blick in das Gesamtkorpus der Interviews mit französischen Zwangsarbeitern geworfen und haben das Vorkommen und die Funktionen der Erinnerungsmarkierungen je me rappelle und je me souviens bestätigt gefunden. Diese beiden häufig verwendeten Erinnerungsmarkierungen haben dann unseren Blick auch für weitere Darstellungsformen von Erinnerungsaktivitäten geschärft. Welche sprachlichen Formen und Verfahren sich bei einer solchen Erweiterung des Blickfelds noch als relevant erweisen (z. B. Elemente szenischer Darstellung), konnten wir hier nur anhand einiger Beispiele andeuten.

Die Erinnerungsmarkierungen je me rappelle und je me souviens haben uns also einen Zugang zu den Spuren von Erinnerungsaktivitäten der Zeitzeugen ermöglicht, die für die Adressat:innen (die Interviewer:innen und uns, die wir heute die Gespräche rezipieren) ja nur durch eben diese sprachlichen bzw. kommunikativen Spuren zugänglich sind. An ihnen können wir dem Prozess der Erinnerungserzählungen folgen und uns in der so eröffneten erzählten Welt orientieren. Durch die Arbeit an der Formulierung – das Zögern, das Reformulieren und Korrigieren, das Suchen nach dem passenden Ausdruck und auch das Schweigen – wird uns deutlich, wie beim Erzählen im Gesprächsprozess eine „ständige Revision“ der Erinnerungen vorgenommen wird und auch wie dann manchmal plötzlich Erinnerungen auftauchen (in der eingangs zitierten Formulierung von Lachmann (2019, 276) geradezu „explosionsartig“).

Die Erinnerungsmarkierungen, systematisch untersucht und in ihrem lokalen und globalen Kontext beschrieben, erlauben also zumindest eine Annäherung an das Phänomen des emergenten Erinnerns.

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Online erschienen: 2022-12-08
Erschienen im Druck: 2022-11-08

© 2022 Elisabeth Gülich/Stefan Pfänder, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Frontmatter
  3. Allgemein-Romanistischer Teil
  4. Chronik 2021
  5. Aufsätze und Berichte
  6. Prosodic structure revisited: the need to disentangle rhythm from intonation
  7. Strutture dell’indeterminatezza e cambiamento per elaborazione: lo sviluppo degli indefiniti di scelta libera in italiano antico
  8. Erinnerungsmarkierungen in Zeitzeugenerzählungen. Episodische Rekonstruktion und epistemische Authentifizierung in Gesprächen mit Überlebenden der NS-Zwangsarbeitslager
  9. Ahnungen an der Peripherie. Fülle und Leere in Jacques Rédas Les Ruines de Paris
  10. Herz-loser Pinocchio: Carlo Collodi und die Fiktionalisierung des italienischen nation building
  11. Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit – Antikolonialismus und Frauenrechte bei Olympe de Gouges
  12. Buchbesprechungen – Buchanzeigen
  13. Francesco Petrarca, De remediis utriusque fortune. Heilmittel gegen Glück und Unglück. Band 1: Heilmittel gegen Glück. Übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister. Herausgegeben und kommentiert von Bernhard Huss, Stuttgart, Hiersemann, 2021 (Mittellateinische Bibliothek; 8/1). LXVI+760 Seiten.
  14. Christian Rivoletti, Ariosto e l’ironia della finzione. La ricezione letteraria e figurativa dell’Orlando furioso in Francia, Germania e Italia, Venezia, Marsilio, 2014. 433 Seiten.
  15. Karin Westerwelle, Baudelaire und Paris. Flüchtige Gegenwart und Phantasmagorie. München, Wilhelm Fink Verlag, 2020. 600 pages.
  16. Ibero-Romanistischer Teil
  17. Aufsätze und Berichte
  18. Kolonialer Sprachkontakt: Spuren der indigenen Lebenswelt und der lenguas generales des historischen Paraguays im Spanischen der Jesuiten
  19. El cada silente y la distributividad a distancia en el español rural europeo
  20. The Spanish ‘present participle’: lexical elaboration of a morphosyntactic gap?
  21. „Faux comme un diamant du Canada“
  22. Narration der Resilienz – Álvar Núñez Cabeza de Vacas Naufragios (1542/1749)
  23. Buchbesprechungen – Buchanzeigen
  24. Javier Burguillo/María José Vega (Hgg.), Épica y conflicto religioso en el siglo XVI. Anglicanismo y luteranismo desde el imaginario hispánico, Woodbridge, Tamesis 2021. xii+226 Seiten.
  25. Marcus Coelen/Oliver Precht/Hanna Sohns (Hgg.), Pessoa denken. Eine Einführung. Mit Texten von und zu Fernando Pessoa, Wien, Turia + Kant, 2020. 244 Seiten.
  26. Jéromine François, La Celestina, un mito literario contemporáneo, Madrid / Frankfurt am Main, Vervuert, 2020 (Ediciones de Iberoamericana, 114). 532 páginas.
  27. Jorge García López / Danuše Franková, Martín Martínez y la Ilustración Española. Edición y estudio del «Juicio final de la Astrología», Girona, Documenta Universitaria, 2020. 266 Seiten.
  28. Janette Kranz, El periodismo literario de Leopoldo Alas, ‘Clarín’, Madrid, Fundación Universitaria Española, Col. Tesis Doctorales CUM LAUDE, Serie L (Literatura), Número 85, 2020. 319 páginas.
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