Ankunft im Museum
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Stephan Sagurna
Abstract
Annelise Kretschmer (1903–1987) zählt zu den bedeutenden deutschen Fotografinnen des 20. Jahrhunderts. Bereits während der Frühphase ihres Schaffens in der Weimarer Republik hat sie internationale Anerkennung erfahren. Ihr fotografischer Nachlass wurde über 30 Jahre von ihrer Tochter bewahrt und konnte Ende 2019 durch das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster erworben werden. Der Beitrag schildert Weg und Workflow zur Übernahme des Konvoluts in die Sammlung des Museums mit dem erklärten Ziel den Bestand zu sichern, zu bearbeiten, zu präsentieren und für zukünftige Nutzungen zugänglich zu machen. In der chronologischen Abfolge des Projektberichts werden entscheidende Arbeitsschritte, Strategien und Herausforderungen beschrieben. Große und kleine Fortschritte, Projektmeilensteine und kritische Situationen finden ebenso Berücksichtigung wie Ereignisse, die direkten und indirekten Bezug zu Leben und Werk von Annelise Kretschmer aufweisen. Als Arbeitsprotokoll bietet der Bericht Einblicke in ein fotohistorisches Erschließungs- und Präsentationsprojekt und soll Inspiration und Anleitung im Umgang mit weiteren fotohistorischen Sammlungen sein.
Abstract
Annelise Kretschmer (1903–1987) was one of the most important women photographers from Germany in the twentieth century. She received international recognition already in the early phase of her work during the Weimar Republic. Her photographic estate was maintained by her daughter for more than 30 years, and at the end of 2019 it was acquired by the LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster. This contribution describes path and workflow that brought this set of works into the museum collection with the stated goal of securing, processing, and presenting them and making them accessible for future use. In the chronological sequence of this project report, the crucial steps, strategies, and challenges are described. Large and small steps forward, milestones of the project, and critical situations are presented as well as events directly or indirectly related to the life and work of Annelise Kretschmer. As a record of this work, the report offers insights into the project of cataloguing and presenting historical photographs and is meant to be inspiration and guidance in dealing with other collections of historical photographs.
Anmerkungen
[1] Bereits mit dem ersten Satz ihres Gesprächs mit Ute Eskildsen im Jahr 1982 manifestiert Annelise Kretschmer, dass sie aus einer „unkonventionellen Kaufmannsfamilie“ stammt. Ute Eskildsen: „Interview mit Annelise Kretschmer“, abgedruckt in: Ute Eskildsen (Hg.): Annelise Kretschmer. Fotografien 1927–1937, Reihe: Beruf: Fotografin, Göttingen: Steidl 2003, S. 75.Suche in Google Scholar
[2] Ebd.Suche in Google Scholar
[3] Über die Bedeutung der fotografischen Lehrer, die den Bildstil und die fotografische Handschrift der Annelise Kretschmer maßgeblich mitgeprägt haben, findet sich im ausstellungsbegleitenden Bildband ein eigener Beitrag. Vgl. Stephan Sagurna: „Tradition und Einfluss. Annelise Kretschmer im Fokus einer fotografischen Genealogie“, in: LWL-Museum für Kunst und Kultur (Hg.): Der Augenblick. Die Fotografin Annelise Kretschmer, Ausst.-Kat. LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, 6. Mai – 14. August 2022, Köln: Wienand 2022, S. 39–49.Suche in Google Scholar
[4] Bereits 1928 nahm Annelise Kretschmer an der zweiten Internationalen kunstphotographischen Ausstellung in Graz teil. 1929 folgte die Teilnahme an der FiFo, der Internationalen Ausstellung des Deutschen Werkbunds Film und Foto in Stuttgart mit ihrer Fotografie Stühle im Regen (im Verzeichnis der Ausstellenden wird ihr Name „Anneliese Kretschmar“ geschrieben, vgl.: Gustav Stotz für den Deutschen Werkbund: Internationale Ausstellung des Deutschen Werkbundes Film und Foto. Stuttgart 1929, Ausst.-Kat. Neue Ausstellungshallen auf dem Interimtheaterplatz, Stuttgart, 18. Mai – 7. Juli 1929, Stuttgart: Deutscher Werkbund 1929, S. 65). 1930 ist sie am XXVe Salon International d’Art Photographique in Paris mit Portrait, einem eng gefassten modischen Bildnis einer jungen, introvertierten Frau in asiatischer Seidenbluse, beteiligt, vgl.: Société Française de Photographie (Hg.): XXVe Salon International d’Art Photographique de Paris 1930, Ausst.-Kat. Société Française de Photographie, Paris, 1930, Paris: Braun et Cie. 1930, S. 29.Suche in Google Scholar
[5] Im Rahmen ihres Engagements für Fotografinnen der Weimarer Republik kuratierte Ute Eskildsen bereits 1982 die Ausstellung Annelise Kretschmer, Fotografin im Museum Folkwang, Essen; 1987 Aenne Biermann, Retrospektive; 1990/1991 Lotte Jacobi, 1896–1990, Fotografien aus der Fotografischen Sammlung. 1994 folgte schließlich mit der Ausstellung Fotografieren hieß teilnehmen. Fotografinnen der Weimarer Republik im Museum Folkwang in Essen eine fotohistorische Würdigung und Bestandsaufnahme zu den Fotografinnen der Weimarer Republik. Diese Ausstellung wurde anschließend an den internationalen Ausstellungsstationen Barcelona (Fundació „la Caixa“) und New York (The Jewish Museum) präsentiert.Suche in Google Scholar
[6] Nach den Einzelausstellungen der Jahre 1962 und 1966, Die Lichtbildnerin Annelise Kretschmer. Werkstattportrait 4 und Portraits aus der Museumswelt im Museum am Ostwall in Dortmund, folgten 1982 die Retrospektive Annelise Kretschmer. Fotografin der fotografischen Sammlung im Museum Folkwang, Essen, und 2003 Annelise Kretschmer. Photographien 1925–1975 im Verborgenen Museum in Berlin. Die letzte große Schau wurde als Wanderausstellung unter dem Titel Annelise Kretschmer – Entdeckungen. Photographien 1922 bis 1975 von 2016 bis 2018 im Käthe Kollwitz Museum Köln, im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen und in der Städtischen Galerie Iserlohn präsentiert.Suche in Google Scholar
[7] Internationale ebenso wie auf die Region Westfalen bezogene Aspekte des Sammelns schlagen sich auch beim Ankauf von Werken aus den Ausstellungsexponaten der Skulptur Projekte nieder, die seit 1977 alle zehn Jahre in Kooperation mit der Stadt Münster und dem Land Nordrhein-Westfalen veranstaltet werden. Zur Geschichte des LWL-Museums für Kunst und Kultur in Münster und dessen Selbstverständnis siehe auch: https://www.lwl-museum-kunst-kultur.de/de/museum/geschichte (zuletzt eingesehen am 18.02.2022).Suche in Google Scholar
[8] Zur Geschichte des LWL-Medienzentrums für Westfalen in Münster ist im Rundbrief Fotografie bereits mehrfach berichtet worden, vgl.: Stephan Sagurna: „Von der Lichtbildstelle zum Medienzentrum“, in: Rundbrief Fotografie, Vol. 10 (2003), No. 4, N.F. 40, S. 38–40 und Volker Jakob: „Das Bildarchiv des LWL-Medienzentrums für Westfalen. Ein Ort visueller Erinnerung in der Region“, in: Rundbrief Fotografie, Vol. 14 (2007), No. 1, N.F. 53, S. 22/23.Suche in Google Scholar
[9] Zitiert aus einem Gespräch der damals bereits 78-jährigen Christiane von Königslöw mit dem Autor, das 2018 in der Städtischen Galerie Iserlohn stattfand. Auch bei den nachfolgenden Sichtungsterminen zur Nachlassübernahme benutzte die Tochter der Fotografin gerne und wiederholt die bildhafte Beschreibung eines „Zuhauses für die Fotografien der Annelise Kretschmer“.Suche in Google Scholar
[10] Namensgebend für diesen Teil des fotografischen Nachlasses von Annelise Kretschmer ist der Beitrag von Franziska Kunze zum ausstellungsbegleitenden Katalog, vgl. Franziska Kunze: „Bilder ohne Auftrag. Die privaten Familienfotografien Annelise Kretschmers“, in: LWL-Museum für Kunst und Kultur 2022 (wie Anm. 3), S. 61–76.Suche in Google Scholar
[11] Die Ausstellung war in der Städtischen Galerie Iserlohn vom 8. September bis 27. Oktober 2018 zu sehen. Zu allen Stationen der Wanderausstellung vgl. wiederum Anm. 6.Suche in Google Scholar
[12] Die Ausstellung Foto, Farbe, Form. Bildwelten der Brüder Viegener fand vom 26. Mai bis 6. Oktober 2019 im Gustav-Lübcke-Museum in Hamm statt. Der fotografische Nachlass des Josef Viegener (1899–1992) wird im Bildarchiv des LWL-Medienzentrums für Westfalen in Münster verwahrt.Suche in Google Scholar
[13] Die Straßenumbenennung erfolgte initiiert durch bürgerliches Engagement und auf Initiative der Aktivistinnen zur „feministischen Raumplanung“ in der Dortmunder Innenstadt durch Helga Steinmaier und Rosemarie Ring am 8. Oktober 2019. Beim Dortmunder U handelt es sich um ein Gebäude, das für die Dortmunder Union-Brauerei errichtet wurde und heute als Zentrum für Kunst und Kreativität genutzt wird.Suche in Google Scholar
[14] Zu Auftrag und Leitbild der LWL-Kulturabteilung siehe: https://www.lwl-kultur.de/de/lwl-kulturabteilung/strategienkonzepte/leitbild/ (zuletzt eingesehen am 26.02.2022).Suche in Google Scholar
[15] Zum Software-Entwickler Axiell und seinen Angeboten für Museen siehe: https://www.axiell.com/de/loesungen/museen/ (zuletzt eingesehen am 26.02.2022).Suche in Google Scholar
[16] Zum Angebot der Firma Image Engineering siehe: https://www.image-engineering.de/products/charts/sort-by-application/archiving (zuletzt eingesehen am 26.02.2022).Suche in Google Scholar
[17] Siehe dazu das Konzept der Expertenkommission bestehend aus Ute Eskildsen, Thomas W. Gaehtgens, Katrin Pietsch, Thomas Weski mit unterstützender Recherche von Carolin Förster: Konzept für ein Bundesinstitut für Fotografie, im Auftrag der Staatsministerin für Kultur und Medien Prof. Monika Grütters MdB, überreicht am 10. März 2020, S. 36, online abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1729476/34fd6176823b63f10f94a24976b1fb0c/2020-03-10-konzept-bundesinstitut-fotografie-data.pdf?download=1 (zuletzt eingesehen am 26.02.2022).Suche in Google Scholar
[18] LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster: „Eine große Liebe zu den Menschen. Neu im LWL-Museum für Kunst und Kultur: Nachlass der Fotografin Annelise Kretschmer“, Pressemitteilung (Münster/Dortmund), 18. Mai 2020, https://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung.php?urlID=50641 (zuletzt eingesehen am 26.02.2022).Suche in Google Scholar
[19] „Wer kannte die Fotografin Annelise Kretschmer? LWL-Museum für Kunst und Kultur sucht Zeitzeug:innen“, Pressemitteilung (Münster), 16. Juni 2021, https://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung.php?urlID=52676 (zuletzt eingesehen am 26.02.2022).Suche in Google Scholar
[20] The New Woman Behind the Camera zeigt unter der Werknummer 119 und dem Titel Young Woman ein Modeporträt aus dem Jahr 1928 von Annelise Kretschmer. Bei der Fotografie handelt es sich um eine Leihgabe aus dem Museum Folkwang, Essen. Siehe dazu Andrea Nelson für das Metropolitan Museum of Art (Hg.): The New Woman Behind the Camera, Ausst.-Kat. The Metropolitan Museum of Art, New York, 2. Juli – 3. Oktober 2021, New York: Distributed Art Press 2020, S. 123.Suche in Google Scholar
[21] „#geburtstag“ (@lwlmuseumkunstkultur), Instagram-Post, 11. Februar 2022.Suche in Google Scholar
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