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Schwierige Oberflächen

  • Hubert Locher
Veröffentlicht/Copyright: 20. September 2022
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Wie eine Fotografie wirkt, entscheidet sich an der Oberfläche. Am deutlichsten ist dies im Fall der Daguerreotypie, deren Bild nur sichtbar wird, wenn die Trägerplatte die erforderliche Spiegelglätte aufweist. Fotografische Papierabzüge sind hinsichtlich ihrer Oberflächenstruktur und -anmutung sehr unterschiedlich. Manche erscheinen matt, andere weisen einen seidigen Schimmer auf oder glänzen. Davon ist jedoch meistens wenig beziehungsweise nur im Lagerungs- und Arbeitsumfeld von Sammlung oder Archiv etwas zu sehen, denn Fotografien werden üblicherweise hinter Glas präsentiert. Zu behaupten, dass dies die ästhetische Erfahrung beeinträchtige, ist wohlfeil, denn ohne solchen Schutz vor Schmutz und Beschädigung könnten die Abzüge kaum gezeigt werden. Rahmen und Glas gehören seit jeher zum fotografischen Dispositiv in Ausstellung und Museum.

Mit dieser Situation mochte man sich im Kreis der Düsseldorfer Becher-Schüler in den 1980er Jahren nicht mehr abfinden, als es darum ging, Farbfotografie in Formaten zu produzieren, die mit denen von Gemälden in der Schausammlung eines Kunstmuseums mithalten konnten. Zu einem neuen Auftritt verhalf die Verwendung des schon seit den 1970er Jahren verfügbaren Diasec-Verfahrens, die oberseitige Verklebung von Fotografien mit einer transparenten Acrylplatte (Polymethylmethacrylat). Mit dieser Montierung schien das Problem der Schutzverglasung nachhaltig gelöst, indem das ‚Glas‘ nun mit dem Fotoprint untrennbar und abstandslos verbunden wurde. Die Präsenz solcher Werke ist bekanntlich bestechend – zugleich erscheint die Transparenz als Ureigenschaft des fotografischen Bildes in maximaler Klarheit.

Doch hier beginnt eine neue Geschichte: Acrylglas zieht Schmutz und Staub durch elektrostatische Ladung an – man muss solche Oberflächen regelmäßig ­abwischen. Was einfach klingt, ist ein Problem für jene Personen, die für die Konservierung verantwortlich sind. Das vorliegende Heft enthält einen Beitrag ­eines Teams bestehend aus Franziska ­Leidig, Nina Quabeck, Ute Henniges und Irene Brückle zu diesem Thema (S. 29–36), der geeignet ist, auch jenen die Problematik vor Augen zu führen, die sich ansonsten nur „oberflächlich“ mit der Fotografie beschäftigen. In Anbetracht der Verbreitung dieser Form der Kaschierung in der künstlerischen Fotografie seit den 1980er Jahren staunt man über die Schwierigkeiten, die schon das Abstauben solcher Oberflächen mit sich bringt, und man ist beeindruckt von der Sorgfalt, die in der Restaurierungspraxis heutigentags aufgewandt wird, um hierfür das beste Verfahren zu ermitteln (siehe dazu auch den Veranstaltungsbericht von Miyon Schultka, S. 58/59).

Ebenfalls um Oberflächenstörungen ganz anderer, künstlerischer Art, geht es in der fotografischen Arbeit von Julian Charrière (*1987), die Samuel Solazzo in der Rubrik „Ein Bild“ erläutert (S. 4–7). Nuklearer Staub vom Bikini-Atoll hat hier den schönen Schein des Inselidylls im Produktionsprozess der Fotografie gestört. Die Bildstörung bewirkt eine Verunsicherung der Betrachtung. Eine lange zurückliegende, nur scheinbar ferne, tatsächlich aber bis in unsere Tage nachwirkende Irritation der Natur wird zu einer die oberflächliche Wahrnehmung durchdringenden Erfahrung.

Wiederum können wir in diesem Heft neu zugängliche Sammlungsbestände präsentieren. Franziska Lampe beleuchtet das seit 2016 im Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) in München befindliche, nun erstmals für die Forschung zugängliche Bildarchiv des bedeutenden, in Frankfurt am Main gegründeten und seit 1863 in München ansässigen Bruckmann Verlags (S. 8–17). Die Oberflächen dieser Fotoobjekte stellen eine ganz eigene Herausforderung dar (Vgl. Titel-Abb.): Ihre mannigfaltigen Bearbeitungen und Annotationen für die Verlagsgeschichte fruchtbar zu machen, ist nur ein Ziel des jüngst begonnenen Projektes am ZI. Susanne Kähler und Ulrich Rüdel präsentieren ein interdisziplinäres Digitalisierungsprojekt zum Archiv des Theologen Gutstaf Dalman (1855–1941) an der Universität Greifswald (S. 18–28). Zwei ausführliche Ausstellungsbesprechungen mit eindrücklichen begleitenden Buchpublikationen zum Werk des Naturfotografen Fred Koch (1904–1947) in der Alfred Ehrhardt Stiftung in Berlin (Friederike Eden, S. 37–42) und von Peter Fink (1907– 1984) im Fotografie Forum Frankfurt (Henrika Schnoor, S. 43–49) komplettieren diese Ausgabe.

Dieses Heft ist das zweite, welches wir nun mit dem Deutschen Kunstverlag herausbringen können. Viele weitere mögen folgen. Durch die aufwendige Übergabe sind wir allerdings terminlich etwas aus dem Takt geraten. Wir möchten dies noch im laufenden Jahr aufholen, indem wir das nächste Heft als Doppelnummer (N.F. 115/116) planen, die Ihnen im Dezember dieses Jahres zugestellt werden soll.

Published Online: 2022-09-20
Published in Print: 2022-09-27

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Heruntergeladen am 25.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/rbf-2022-2001/html
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