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Fiskalregeln im Spannungsfeld zwischen Stabilität und Flexibilität

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Veröffentlicht/Copyright: 29. Juli 2025

 Niklas Potrafke

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 Robert Schwager
Foto: © Alciro Theodoro da Silva

Robert Schwager

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

über Fiskalregeln wie die deutsche Schuldenbremse findet eine intensive wirtschaftspolitische Debatte statt. Am 18. März 2025 beschloss der Deutsche Bundestag eine Reform der Schuldenbremse und lockerte die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben. Zudem wurde der Bund ermächtigt, ein Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur einzurichten, das ebenfalls von der Schuldenbremse ausgenommen ist.

Ausschlaggebend für diese Reform waren die sich drastisch verändernden geopolitischen Rahmenbedingungen und der Ausgang der Bundestagswahl vom 23. Februar 2025. Die von Donald Trump geführte amerikanische Regierung hat Europa den Rücken gekehrt und klargemacht, dass sich die Europäer in Zukunft nicht mehr auf den bedingungslosen militärischen Schutz der Amerikaner verlassen können. Darüber hinaus ist die parteipolitische Fragmentierung im Deutschen Bundestag weiter vorangeschritten. Im 21. Deutschen Bundestag, der am 25. März 2025 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkam, verfügen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen über keine Zwei-Drittel-Mehrheit der Sitze mehr. Eine Reform der Schuldenbremse verlangt jedoch eine solche Zwei-Drittel-Mehrheit. Ohne eine Zusammenarbeit mit der AfD oder der Linken ist somit keine Reform der deutschen Schuldenbremse möglich.

Der jüngsten Reform der Schuldenbremse war eine seit dem Spätsommer 2019 währende Debatte über die Vor- und Nachteile von Fiskalregeln vorausgegangen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 hatte die Debatte weiter belebt. Gegner von Fiskalregeln führen an, dass diese den Handlungsspielraum von Regierungen zu sehr einengen und öffentliche Investitionen verdrängen. Die gegenwärtigen Fiskalregeln gelte es deshalb zu lockern oder abzuschaffen. Befürworter von Fiskalregeln betonen, dass Politiker die Ausgabenwünsche heutiger Wähler erfüllen wollen und sich und ihre Nachfolger nicht an eine Rückführung der Staatschuld binden können. Deshalb gelte es Fiskalregeln zu erhalten.

Das vorliegende Sonderheft zu Fiskalregeln geht auf eine Initiative des Vereins für Socialpolitik zurück, thematisch fokussierte Ausgaben zu den Forschungsgebieten der Ausschüsse anzuregen. Es ist aus dem Finanzwissenschaftlichen Ausschuss heraus entstanden und enthält zehn Beiträge, deren Autorenschaft neben Mitgliedern des Ausschusses ein weites Spektrum fachlicher Ausrichtungen repräsentiert.

Ein zentrales Thema ist die Frage, ob Fiskalregeln Schulden wirksam begrenzen können und welche Auswirkungen bestimmte Formen von Regeln auf die öffentlichen Haushalte haben. So beschreiben Beate Jochimsen und Christian Raffer, wie lokale Fiskalregeln mit Haushaltsdefiziten auf nationaler Ebene in EU-Ländern korrelieren. Przemyslaw Brandt, Lukas Mair, Martin Mosler und Christoph Schaltegger zeigen, wie sich die Einführung der Schuldenbremse 2003 in der Schweiz auf die Staatsverschuldung und Budgetzusammensetzung ausgewirkt hat. Israel Garcia und Bernd Hayo untersuchen, wie sich Fiskalregeln auf die öffentlichen Budgets in spanischen Gemeinden ausgewirkt haben.

Einen weiteren Schwerpunkt des Heftes bildet die mangelnde Zukunftsorientierung der Politik, die zu übermäßiger Verschuldung, aber auch zu anderen Fehlentscheidungen führen kann. Sebastian Blesse und Justus Nover diskutieren anhand von Mikro-Daten, wie die deutsche Bevölkerung über die Schuldenbremse denkt. Sie interpretieren die Schuldenbremse als Selbstbindung der Wählerinnen und Wähler gegenüber den eigenen künftigen Ausgabenwünschen. Lukas Hack und Eckhard Janeba weisen darauf hin, dass eine Gegenwartsverzerrung der Politik auch die öffentlichen Investitionen reduziert, und zeigen, dass eine Fiskalregel wie die Schuldenbremse dies verstärkt. Thomas Brändle und Martin Larch erörtern diesen Zusammenhang aus empirischer Perspektive. Sie untersuchen, inwieweit starre oder flexible Fiskalregeln öffentliche Investitionen verdrängen.

Auch im Beitrag von Arne Heise, der Fiskalregeln aus postkeynesianischer Perspektive beschreibt, stehen öffentliche Investitionen im Zentrum. In dieser Sichtweise ist es Aufgabe der Finanzpolitik, durch öffentliche Investitionen unzureichende private Investitionen zu ergänzen. Die Fiskalregel begrenzt die Verschuldung langfristig auf das dafür notwendige Niveau. Mit der Klimaerwärmung greifen Ottmar Edenhofer, Ulrich Eydam, Maik Heinemann, Matthias Kalkuhl und Nikolaj Moretti eine weitere wichtige Folge mangelnder Zukunftsorientierung auf. Sie entwickeln eine modifizierte Investitionsregel, die den Verschuldungsspielraum erhöht, wenn mehr CO2 eingespart wird.

In zwei weiteren Beiträgen stellen die Autoren innovative politische Entscheidungsmechanismen vor, die dem Zielkonflikt zwischen Regelbindung und Flexibilität Rechnung tragen. Hans Gersbach schlägt eine schuldensensitive Mehrheitsregel für parlamentarische Entscheidungen vor, die eine umso größere Mehrheit fordert, je höher die Neuverschuldung sein soll. Carsten Hefeker und Michael Neugart argumentieren, dass Fiskalregeln in Zeiten politischer Polarisierung parteipolitisch genutzt werden. Sie schlagen deshalb vor, die Entscheidung über die Aussetzung der Schuldenregel einem politisch neutralen Fiskalrat zu übertragen.

Diese Übersicht zeigt, wie vielfältig die finanzwissenschaftliche und makroökonomische Forschung zu Fiskalregeln ist. Wir hoffen, dass die in den Beiträgen vorgetragenen Argumente und Beobachtungen Anstöße für die wissenschaftliche und politische Diskussion zur Weiterentwicklung der Fiskalregeln in Deutschland und Europa geben.

Niklas Potrafke und Robert Schwager

Gastherausgeber

Online erschienen: 2025-07-29
Erschienen im Druck: 2025-07-31

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Heruntergeladen am 21.11.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/pwp-2025-0023/html?lang=de
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