Zusammenfassung
Verfechter der Schuldenbremse bringen vor, die empirische Literatur zu den Effekten von Fiskalregeln auf öffentliche Investitionen belege keine systematischen negativen Effekte. Deshalb sei eine Reform von Art. 109 GG nicht notwendig. Dieses Argument überzeugt die Autoren nicht, gerade wenn man – wie viele Reformgegner – einen Gegenwartsbias im politischen Prozess unterstellt. Aus theoretischer Sicht, erklären Lukas Hack und Eckhard Janeba, führe ein solcher Gegenwartsbias zwingend zu ineffizient niedrigen Investitionen, selbst wenn man die Schuldengrenze auf das optimale (erstbeste) Verschuldungsniveau setze. Die bestehende empirische Literatur sei ungeeignet, das Problem der Unterinvestition relativ zur erstbesten Welt zu quantifizieren, da die erstbeste Welt ein nicht beobachtbares kontrafaktisches Szenario darstelle.
1 Öffentliche Investitionen und politischer Gegenwartsbias
Die Schuldenbremse führt zu einer Priorisierung der staatlichen Ausgaben; ein Investitionsproblem gibt es Deutschland mithin nicht. Dieses Urteil fällt das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in seinem Monatsbericht vom April 2024, in dem es schreibt: „Ein Blick in den Bundeshaushalt zeigt […] Investitionen auf Rekordniveau […]. Schon daraus wird ersichtlich, dass mit der Schuldenbremse keine Investitionsbremse einhergeht. Im Gegenteil: Sie erhöht durch die konsequente Ausgabenpriorisierung von Zukunftsinvestitionen im Sinne einer qualitativen Konsolidierung den Anteil investiver Mittel im Bundeshaushalt.“ (BMF 2024, S. 10)
Gegner einer Reform der Schuldenbremse argumentieren häufig ähnlich (vgl. zum Beispiel Feld et al. 2020). Die Schuldenbremse sei essentiell, um eine Gegenwartspräferenz der Politik einzudämmen. In diesem Aufsatz greifen wir dieses Argument auf und zeigen, dass es nicht überzeugen kann. Der Grund liegt in der Natur des Gegenwartsbias: Politiker, die konsumtive Staatsausgaben als Wahlgeschenke mit übermäßigen Schulden finanzieren, neigen auch dazu, Wahlgeschenke gegenüber Zukunftsinvestitionen zu priorisieren. Somit ist ein Gegenwartsbias sowohl für hohe Schulden als auch niedrige Investitionen ursächlich.[1] Wir illustrieren dieses Argument in einer einfachen theoriegeleiteten Beispielrechnung und zeigen, dass der Gegenwartsbias zu einer Bevorzugung von konsumtiven gegenüber investiven Staatsausgaben führt. Er impliziert somit ein Unterinvestitionsproblem.
Zu diesem Investitionsproblem stellen sich zwei Schlüsselfragen. Erstens: Wie groß ist das Investitionsproblem durch Gegenwartsbias? Und zweitens: Wird dieses Problem durch eine Defizit- oder Schuldenregel wie die Schuldenbremse verstärkt oder gemildert? Die erste Frage wird in der einschlägigen empirischen Literatur nicht beantwortet.[2] Grund dafür ist ein Identifikationsproblem, das wir anhand unseres Modellbeispiels herausarbeiten. Es ergibt sich daraus, dass das optimale Niveau der Investitionen ein nicht beobachtbares kontrafaktisches Szenario darstellt. Wäre es beobachtbar, müsste das kontrafaktische Szenario die optimalen Investitionen in einer hypothetischen Welt ohne Gegenwartsbias („erstbeste Welt“) beschreiben. Die Investitionen in der erstbesten Welt müssten dann mit den tatsächlich beobachteten Investitionen unter Gegenwartsbias verglichen werden („zweitbeste Welt“). Nur ein solcher Vergleich wäre geeignet, das Investitionsproblem zu quantifizieren.
In den existierenden empirischen Arbeiten werden stattdessen zwei Szenarien aus der zweitbesten Welt verglichen, wobei die Veränderung der Investitionen durch Einführung oder Abschaffung von Fiskalregeln im Fokus steht. Dabei belegen zahlreiche Studien, dass Fiskalregeln Verschuldung und Haushaltsdefizite verringern. Die Zahl der Studien jedoch, die auf die Veränderungen der Investitionen abstellen, ist deutlich geringer.[3] Dabei ergibt sich, dass empirisch kein klarer Zusammenhang zwischen Fiskalregeln und Investitionen besteht. In der politischen Debatte wird dieses Resultat häufig verwendet, um zu begründen, dass es kein Investitionsproblem gebe, so wie auch dem BMF-Monatsbericht (2024) zu entnehmen. Diese Interpretation ist jedoch nicht korrekt. Die Studien deuten lediglich darauf hin, dass Fiskalregeln in den untersuchten Ländern keine klare Auswirkung auf Investitionen haben. Somit beziehen sich diese Studien lediglich auf die zweite Schlüsselfrage.
Die einschlägige empirische Literatur belegt nur selten signifikant negative Effekte von Fiskalregeln auf Investitionen. In einer Vielzahl der Studien finden sich keine Effekte, die sich signifikant von Null unterscheiden. Dabei gilt allerdings, dass das Fehlen signifikanter Effekte ausdrücklich nicht erlaubt, die Existenz negativer Effekte auszuschließen. An anderer Stelle zeigen wir außerdem, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 im November 2023, das als Verschärfung der Schuldenbremse interpretiert werden kann, einen Rückgang der geplanten Investitionen verursacht hat (siehe Hack und Janeba 2025, sowie Janeba 2025). Dies zeigt sich durch einen Vergleich der Planungsdaten zum Zeitpunkt der Ersten Lesung des Bundeshaushalts im September 2023 mit denen des verabschiedeten Haushalts im Februar 2024.
Wir konzentrieren uns im Folgenden auf die Frage, ob das genannte gängige Argument zur Verteidigung der Schuldenbremse überzeugen kann. Ob und, wenn ja, wie ein erstbestes Investitionsniveau erreichbar ist, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung, da es weitere Gründe für geringe Investitionen gibt.
2 Konzeptioneller Modellrahmen
Wir betrachten einen Modellrahmen, der auf den Vorarbeiten von Janeba (2025) basiert, und arbeiten anhand einer numerischen Spezifizierung die Logik des Arguments heraus.[4] Das Modell ist bewusst einfach gehalten. Wir abstrahieren zunächst von privaten Entscheidungen sowie allgemeinen Gleichgewichtseffekten und fokussieren uns ausschließlich auf die staatliche Bereitstellung öffentlicher Güter. Danach erläutern wir, wie sich die Ergebnisse generalisieren lassen.
Nehmen wir an, die Modellökonomie existiere für zwei Perioden. In Periode 1 leben zwei Generationen, Jung und Alt, während in Periode 2 lediglich die junge Generation noch lebt. Der Staat erhält exogene Steuereinnahmen und gibt diese für konsumtive und investive öffentliche Güter aus. Die konsumtiven Staatsausgaben stiften allen lebenden Generationen Nutzen in derselben Periode. Die investiven Staatsausgaben stiften ebenfalls Nutzen, allerdings erst in der folgenden Periode.[5] Der Nutzen beider Generationen ergibt sich aus der Summe strikt konkaver Nutzenfunktionen für alle staatlichen Güter (Konsum und Investition), das heißt, die Präferenzen sind additiv-separabel. Der Staat entscheidet über die staatlichen Konsum- und Investitionsausgaben, um eine Wohlfahrtsfunktion zu maximieren.
In der erstbesten Welt gehen wir von einer utilitaristischen Wohlfahrtsfunktion aus, so dass der Staat die Summe der Nutzen beider Generationen maximiert. In der zweitbesten Welt indes gewichtet der Staat die junge Generation aufgrund seines Gegenwartsbias weniger stark. Das kann beispielsweise dadurch motiviert werden, dass die junge Generation noch kein Wahlrecht hat oder sich weniger stark an Wahlen beteiligt. In der zweitbesten Welt betrachten wir ein Basisszenario ohne Fiskalregel (Schuldenbremse) und ein Szenario mit Fiskalregel. Diese beiden Szenarien sowie das Benchmark-Szenario der erstbesten Welt präsentieren wir in Tabelle 1 auf Grundlage einer einfachen Beispielrechnung.
Für die Beispielrechnung sei ein logarithmischer Nutzen aus allen öffentlichen Gütern angenommen, keine Diskontierung, sowie ein Zinssatz von Null. In der zweitbesten Welt mit Gegenwartsbias wird der Nutzen der jungen Generation in der Wohlfahrtsfunktion nur halb gewichtet, während die alte Generation das volle Gewicht erhält. Die Fiskalregel in Zeile (3) ist auf die Kreditaufnahme in der erstbesten Welt (in Höhe von 25) gesetzt, das heißt, die Verschuldungsobergrenze in der zweitbesten Welt (mit Fiskalregel) eliminiert das Problem zu hoher Staatsausgaben in Periode 1. Das exogene Steueraufkommen in beiden Perioden ist auf jeweils 50 gesetzt. Die qualitativen Ergebnisse haben eine generellere Gültigkeit. Alle oben genannten Annahmen hinsichtlich Parameterwerten und funktionaler Form lassen sich variieren, ohne dass sich die Kernvorhersagen des Modells ändern.
Modellrechnung zur Auswirkung des Gegenwartsbias
|
|
|
Periode 1 |
Periode 2 |
||||
|
|
|
Konsum |
Investition |
Gesamtausgaben |
Investitionsquote |
Kreditaufnahme |
Konsum |
|
|
|
(a) |
(b) |
(a) + (b) |
(b)/[(a)+(b)] |
(c) |
(d) |
|
(1) |
erstbeste Welt |
50 |
25 |
75 |
33 % |
25 |
25 |
|
(2) |
zweitbeste Welt, ohne Fiskalregel |
60 |
20 |
80 |
25 % |
30 |
20 |
|
(3) |
zweitbeste Welt, mit Fiskalregel |
56,25 |
18,75 |
75 |
25 % |
25 |
25 |
Anmerkung: Die numerischen Werte basieren auf dem Modell mit zwei Perioden und zwei Generationen aus Janeba 2025. Wir unterstellen für dieses Beispiel zusätzlich logarithmischen Nutzen aus allen Gütern, keine Diskontierung und einen Zinssatz von Null. In der zweitbesten Welt mit Gegenwartsbias wird der Nutzen der jungen Generation in der Wohlfahrtsfunktion nur halb gewichtet, während die alte Generation das volle Gewicht erhält. Die Defizitregel ist auf die Kreditaufnahme in der erstbesten Welt (25) gesetzt. Das exogene Steueraufkommen in beiden Perioden ist auf jeweils 50 gesetzt.
3 Analyse des Gegenwartsbias
Zuerst vergleichen wir die zweitbeste Welt mit Gegenwartsbias, aber ohne Fiskalregel in Zeile (2) aus Tabelle 1 mit der erstbesten Welt ohne Gegenwartsbias in Zeile (1). Aus den Spalten (a) und (b) wird ersichtlich, dass der staatliche Konsum in der zweitbesten Welt in Periode 1 zu hoch ist (60 vs. 50), während die Investitionen zu niedrig ausfallen (20 vs. 25). Der Anteil der Investitionen an den Staatsausgaben in der erstbesten Welt liegt in unserem Beispiel bei rund 33 Prozent. In der zweitbesten Welt machen die Investitionen aber nur 25 Prozent der Staatsausgaben in Periode 1 aus. Folglich wird das Unterinvestitionsproblem sichtbar: das Investitionsniveau und die Investitionsquote sind ineffizient niedrig. Auch das Problem übermäßiger Verschuldung durch den Gegenwartsbias wird aus dem Modell ersichtlich. In Spalte (d) zeigen wir, dass die Verschuldung in der zweitbesten Welt ohne Fiskalregel in Zeile (2) über der optimalen Verschuldung ohne Gegenwartsbias liegt (30 vs. 25). Somit stellt eine Fiskalregel, die die Verschuldung oder das Defizit begrenzt, eine plausible Option dar, um diese Ineffizienz der zweitbesten Welt zu bekämpfen.
Deshalb betrachten wir nunmehr die Effekte der Einführung einer Fiskalregel. Unsere Fiskalregel postuliert eine maximale Verschuldung, die nicht überschritten werden darf. Wir setzen diese auf die Verschuldung der erstbesten Welt (in Höhe von 25). Somit wird das Problem einer übermäßigen Verschuldung durch Gegenwartsbias vollumfänglich gelöst. Die Ergebnisse sind in Zeile (3) von Tabelle 1 präsentiert. Zwar wird aus Spalten (a) und (b) ersichtlich, dass die Fiskalregel den überhöhten Staatskonsum senkt. Das Investitionsproblem besteht jedoch weiter und verschärft sich sogar, da die Investitionen von 20 auf 18,75 sinken.
Das Resultat, dass eine Fiskalregel die Investitionen reduziert, gilt unabhängig von den spezifischen Parameterwerten, die der Beispielrechnung zugrunde liegen: Wenn der fiskalische Spielraum durch eine bindende Fiskalregel eingeschränkt ist, dann ist es für die Regierung stets optimal, die notwendigen Ausgabenkürzungen über alle Ausgabenarten (Konsum und Investition) zu verteilen. Das Resultat fußt allein darauf, dass die Bürger strikt konkaven Nutzen aus allen öffentlichen Gütern ziehen.
Uneindeutig ist im Gegensatz dazu der Effekt einer Fiskalregel auf die Investitionsquote, gegeben durch den Anteil der Investitionen an den gesamten Staatsausgaben. Dies liegt daran, dass die Schuldenbremse sowohl den Zähler als auch den Nenner der Investitionsquote beeinflusst. Unter den Parametern, die unserer Beispielrechnung zugrunde liegen, ändert sich der Anteil der Investitionen an den gesamten Staatsausgaben in Periode 1 durch die Schuldenbremse nicht. Die Investitionsquote bleibt mit 25 Prozent ineffizient niedrig.[6]
Auch die Wohlfahrtswirkung der Fiskalregel ist aus theoretischer Sicht uneindeutig. Einerseits nähert sich der Konsum an den jeweiligen Wert der erstbesten Welt an, was sich positiv auf die Wohlfahrt auswirkt: In Periode 2 entspricht der Konsum exakt dem Wert der erstbesten Welt (in Höhe von 25), während in Periode 1 der Abstand zum erstbesten Konsum fällt (60 vs. 56,25, wobei 50 der optimale Konsum wäre). Andererseits verschärft die Fiskalregel das Unterinvestitionsproblem, was sich negativ auf die Wohlfahrt auswirkt. Während die optimalen Investitionen bei 25 liegen, fallen die Investitionen auf 18,75 (relativ zu 20 ohne Fiskalregel).
Es ist nicht eindeutig, welcher der beiden Effekte dominiert. Dies hängt insbesondere von der Krümmung der Nutzenfunktionen ab. Somit bleibt es im Allgemeinen uneindeutig, ob eine Fiskalregel, die allein die Verschuldung oder das Defizit beschränkt, zu einer Wohlfahrtserhöhung führt. In unserer Beispielrechnung dominiert jedoch der erste Effekt, so dass die Wohlfahrt steigt, verglichen mit der zweitbesten Welt ohne Fiskalregel. Im Beispiel aus Tabelle 1 wird der Wohlfahrtsverlust um etwa 36 Prozent reduziert.[7] Der Umfang der Reduktion impliziert aber auch, dass mehr als 60 Prozent des Wohlfahrtsverlusts durch Gegenwartsbias trotz Fiskalregel bestehen bleiben. Dieser Wohlfahrtsverlust ist allein auf die ineffiziente Allokation der Steuereinnahmen auf Konsum und Investition in Periode 1 zurückzuführen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Problem des Gegenwartsbias nicht vollumfänglich durch eine Fiskalregel (wie die Schuldenbremse) zu lösen ist, welche die Kreditaufnahme oder das Defizit beschränkt. Das Problem der Unterinvestition bleibt auch bei einer optimal gesetzten Schuldengrenze oder -bremse bestehen. Vielmehr wird das Problem sogar verschärft, sofern die Investitionen (und nicht die Investitionsquote) die relevante Zielgröße darstellen.
4 Generalisierung des Modellrahmens
Unser Modellrahmen ist bewusst einfach gehalten, damit sich das Kernargument herausarbeiten lässt. Die qualitativen Ergebnisse lassen sich jedoch in mehreren Dimensionen generalisieren.
Zunächst betrachten wir potenzielle allgemeine Gleichgewichtseffekte. Im präsentierten Modell ist der Zinssatz exogen. Unter Berücksichtigung allgemeiner Gleichgewichtseffekte ist davon auszugehen, dass der Zinssatz mit dem Verschuldungsniveau steigt. Dies würde die quantitativen Effekte abfedern, die qualitativen Resultate jedoch nicht verändern. Das lässt sich am Beispiel der Einführung einer Fiskalregel illustrieren. Diese senkt das Verschuldungsniveau und somit würde die Zinslast tendenziell fallen, relativ zu unserer Beispielrechnung mit konstanten Zinsen. Deshalb wird der fiskalische Spielraum in Periode 2 weniger stark eingeschränkt. Somit liegt der Konsum in Periode 2 näher am erstbesten Niveau. Gleichzeitig verzerrt der Gegenwartsbias weiterhin die Zusammensetzung der Staatsausgaben in Periode 1 hin zu konsumtiven Ausgaben.
Eine andere Erweiterung des Modells berücksichtigt die privaten Entscheidungen der Haushalte explizit. Dazu nehmen wir an, dass die Präferenzen additiv-separabel sind, um so die Entscheidungen des Staates hinsichtlich öffentlicher Güter von den Entscheidungen der Haushalte über privaten Konsum und Arbeitsangebot zu separieren. Die Menschen ziehen also zusätzlichen strikt konkaven Nutzen durch den Konsum eines privaten Guts und erfahren ein Arbeitsleid, das strikt konvex in der Höhe des Arbeitsangebots steigt. Die Haushalte fällen ihre optimalen Arbeitsangebots- und Konsumentscheidungen im Einklang mit ihrer jeweiligen Budgetbedingung. Gemäß dieser entspricht das verfügbare Einkommen dem Arbeitseinkommen abzüglich eines festen Pro-Kopf-Steuerbetrags, der an den Staat fließt. Wir gehen davon aus, dass der Staat die Steuereinnahmen weiter als exogen hinnimmt. Die additiv-separablen Präferenzen implizieren, dass die individuellen Entscheidungen unabhängig von den staatlichen sind. Somit bleiben unsere Ergebnisse von dieser Erweiterung unberührt.
Zusätzlich kann das Gleichgewicht mit Markträumung am Gütermarkt in den Blick genommen werden. Man nehme an, dass die Unternehmen mit einer linearen Produktionsfunktion durch den Einsatz von Arbeit produzieren und dass alle Märkte effizient sind. Eine Einheit des jeweiligen Guts ergibt dann entweder eine Einheit des privaten Konsums, des öffentlichen Konsums oder der öffentlichen Investitionen. Der Gütermarkt wird aufgrund der privaten Budgetrestriktionen stets geräumt (Walras-Gesetz) und unsere Resultate hinsichtlich der Bereitstellung öffentlicher Güter bleiben unverändert.
Als letzte zusätzliche Erweiterung erörtern wir den Fall, dass die öffentlichen Investitionen auch die totale Faktorproduktivität der privaten Unternehmen erhöhen, beispielsweise da die öffentliche Infrastruktur komplementär zu den privaten Produktionsfaktoren ist. Dies würde die Wohlfahrtsgewinne schmälern, die sich durch eine Fiskalregel ergeben könnten. Da die Fiskalregel die öffentlichen Investitionen reduziert, nimmt auch die Produktivität der privaten Wirtschaft in Periode 2 ab. Das wirkt sich negativ auf den Nutzen aus, den das Individuum infolge seiner privaten Konsum- und Arbeitsangebotsentscheidungen erfährt.
Auch die Einführung privater Investitionen ändert dieses Ergebnis nicht. Dafür gehen wir davon aus, dass die privaten Haushalte in Periode 1 einen Anteil ihres Einkommens verwenden können, um in den Kapitalstock in Periode 2 zu investieren. Die Unternehmen produzieren dann mit Arbeit und Kapital unter der Annahme konstanter Skalenerträge. Die Einführung einer Fiskalregel führt nun auch zu einem Rückgang der privaten Investitionen in den Kapitalstock, da die Reduktion der öffentlichen Investitionen die totale Faktorproduktivität schmälert.
5 Bezug zur empirischen Literatur
Unser Modellrahmen ist nützlich, um die einschlägige empirische Literatur zu interpretieren (vgl. zum Beispiel Blesse et al. 2023). In einer Welt mit Gegenwartsbias ist Variation lediglich in Fiskalregeln, nicht aber im Gegenwartsbias beobachtbar. Deshalb nehmen empirische Studien typischerweise Variation in Fiskalregeln in den Blick. Solche Studien sind aber ungeeignet, um das Unterinvestitionsproblem relativ zur erstbesten Welt zu erfassen. Stattdessen wird auf den Zusammenhang von Investitionen und Fiskalregeln abgestellt. In unserem Modell ist der Effekt einer Fiskalregel auf die Höhe der Investitionen in Tabelle 1, Spalte (b) klar negativ.[8] Dieses Resultat gilt unabhängig von den exakten Werten der gewählten Parameter und der angenommenen Nutzenfunktion. Es folgt allein daraus, dass alle Generationen strikt konkaven Nutzen aus allen öffentlichen Gütern ziehen.
Diese eindeutige theoretische Vorhersage lässt sich mit der einschlägigen empirischen Literatur vergleichen. Blesse et al. (2023) untersuchen dafür 18 Forschungsaufsätze, deren Autoren die Auswirkung auf die gesamten öffentlichen Investitionen schätzen. Insgesamt ergibt sich in vier Aufsätzen ein signifikant negativer Effekt von Fiskalregeln auf die Investitionen, so wie es aus theoretischer Perspektive zu erwarten ist. In weiteren 12 Aufsätzen finden sich keine signifikanten Effekte auf die Investitionen. Es folgt, dass diese Studien keine Evidenz gegen einen negativen Effekt auf die Investitionen liefern. Somit sind die Ergebnisse aus 16 der 18 Studien konsistent mit unseren modellbasierten Vorhersagen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei Vorliegen eines Gegenwartsbias die Hypothese eines negativen Effekts von Fiskalregeln auf Investitionen nur wenige Annahmen erfordert, die aus theoretischer Perspektive unkontrovers sein dürften. Gleichzeitig liefert eine systematische Zusammenfassung der empirischen Literatur keine Evidenz, die es erlauben würde, unsere Hypothese beziehungsweise unsere Modellvorhersage zu verwerfen.
6 Fiskalregeln und Gegenwartsbias: Schlussfolgerungen
Wir haben uns hier mit einem gängigen Argument zur Verteidigung der Schuldenbremse auseinandergesetzt. Aus unserer Analyse folgt nicht unmittelbar, dass die Schuldenbremse reformiert oder abgeschafft werden muss, oder dass es überhaupt möglich ist, das Investitionsniveau der erstbesten Welt zu erreichen. Es gibt verschiedene Gründe, warum öffentliche Investitionen geringer als wünschenswert ausfallen, unter anderem weil Mittel wegen Problemen der Investitionsplanung nicht abgerufen werden können oder weil Engpässe in der Bauwirtschaft bestehen.
Eine goldene Regel, in Verbindung mit einer institutionellen Ausgestaltung zur Vorbeugung von Missbrauch, zielt auf die Behebung des Unterinvestitionsproblems und eine Annäherung an das erstbeste Niveau (Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 2023). Ob dies realistisch ist, kann in diesem Artikel nicht geklärt werden. Uns geht es hier nur darum, ein vielleicht auf ersten Blick plausibles, aber konzeptionell nicht überzeugendes Argument zur Verteidigung der Schuldenbremse zu widerlegen. Gerade weil die Befürworter der Schuldenbremse unter Hinweis auf den Gegenwartsbias im politischen Entscheidungsprozess für eine Begrenzung der Verschuldung werben, sollten sie auch anerkennen, dass es ein Unterinvestitionsproblem gibt.
Literaturverzeichnis
Bergmann, T. und N. Moretti (2025), Trading deficits for investment: Optimal deficit rules for present-biased governments, CEPA Discussion Paper 85.Suche in Google Scholar
Blesse, S., F. Dorn und M. Lay (2023), Do fiscal rules undermine public investments? A review of empirical evidence, SSRN Working Paper 4439420.10.2139/ssrn.4439420Suche in Google Scholar
BMF – Bundesministerium der Finanzen (2024): Schuldenbremse – Mythos und Realität, Monatsbericht April.Suche in Google Scholar
Dur, R. A. J., B. D. Peletier und O. H. Swank (1997), The effect of fiscal rules on public investment if budget deficits are politically motivated, unveröffentlichtes Manuskript.Suche in Google Scholar
Feld, L., W. Reuter und M. Yeter (2020), Öffentliche Investitionen: Die Schuldenbremse ist nicht das Problem, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 20(4), S. 292–303.10.1515/pwp-2020-0002Suche in Google Scholar
Hack L. und E. Janeba (2025), Auswirkungen des Verfassungsgerichtsurteils auf die öffentlichen Investitionen, Wirtschaftsdienst 105(5), S. 349–53.10.2478/wd-2025-0090Suche in Google Scholar
Heinemann, F., M. D. Moessinger und M. Yeter (2018), Do fiscal rules constrain fiscal policy? A meta-regression-analysis, European Journal of Political Economy 51, S. 69–92.10.1016/j.ejpoleco.2017.03.008Suche in Google Scholar
Janeba, E. (2025), The effect of fiscal rules on public investment: Theory and Application to the German Debt Brake, unveröffentlichtes Manuskript.Suche in Google Scholar
Potrafke, N. (2025), The economic consequences of fiscal rules, Journal of International Money and Finance 153(C), 103286.10.1016/j.jimonfin.2025.103286Suche in Google Scholar
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2023), Finanzierung von Staatsaufgaben: Herausforderungen und Empfehlungen für eine nachhaltige Finanzpolitik, Gutachten, online verfügbar unter https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Ministerium/Veroeffentlichung-Wissenschaftlicher-Beirat/gutachten-wissenschaftlicher-beirat-finanzierung-von-staatsaufgaben.html.Suche in Google Scholar
© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
Artikel in diesem Heft
- Frontmatter
- Editorial
- Fiskalregeln im Spannungsfeld zwischen Stabilität und Flexibilität
- Beiträge aus der Forschung zur Wirtschaftspolitik
- Die Wirkung lokaler Fiskalregeln in der EU
- Die Schweizer Schuldenbremse: empirische Effekte auf Schuldenquote und Ausgabekategorien
- Wirken Fiskalregeln kontextspezifisch? Evidenz für Gemeinden in Spanien
- Zustimmung oder Skepsis? Einstellungen der Bevölkerung zur Schuldenbremse in Deutschland über die Zeit
- Ist die Schuldenbremse eine Investitionsbremse?
- Bremsen Fiskalregeln öffentliche Investitionen aus?
- Fiskalpolitische Regeln in postkeynesianischer Perspektive
- Rechtfertigt Klimapolitik eine Erhöhung der Verschuldung? Plädoyer für eine grün-goldene Regel
- Schuldensensitive Mehrheitsregeln als Schuldenbremse
- Fiskalpolitische Regeln und politische Polarisierung
Artikel in diesem Heft
- Frontmatter
- Editorial
- Fiskalregeln im Spannungsfeld zwischen Stabilität und Flexibilität
- Beiträge aus der Forschung zur Wirtschaftspolitik
- Die Wirkung lokaler Fiskalregeln in der EU
- Die Schweizer Schuldenbremse: empirische Effekte auf Schuldenquote und Ausgabekategorien
- Wirken Fiskalregeln kontextspezifisch? Evidenz für Gemeinden in Spanien
- Zustimmung oder Skepsis? Einstellungen der Bevölkerung zur Schuldenbremse in Deutschland über die Zeit
- Ist die Schuldenbremse eine Investitionsbremse?
- Bremsen Fiskalregeln öffentliche Investitionen aus?
- Fiskalpolitische Regeln in postkeynesianischer Perspektive
- Rechtfertigt Klimapolitik eine Erhöhung der Verschuldung? Plädoyer für eine grün-goldene Regel
- Schuldensensitive Mehrheitsregeln als Schuldenbremse
- Fiskalpolitische Regeln und politische Polarisierung