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Neue Ansätze zur Analyse von Axon-Oligodendrozyten Kommunikation in vivo

  • Tim Czopka

    Tim Czopka (*1980) studierte Biologie an der Ruhr-Universität Bochum, wo er auch 2009 in Neurowissenschaften mit summa cum laude promovierte. Nach einem anschließenden fünfjährigen Auslandsaufenthalt an der University of Edinburgh (2010-2014) leitet er seit 2015 eine Emmy-Noether -Nachwuchsgruppe an der Technischen Universität München. Die Arbeit seiner Forschergruppe wird zurzeit durch das Emmy-Noether -Programm der DFG, den Munich Cluster of Systems Neurology (SyNergy) und durch einen Starting Grant des European Research Councils (ERC-StG) finanziert.

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    and Franziska Auer

    Franziska Auer (*1991) studierte Pharmaceutical Sciences an der Ludwig-Maximilians- Universität (LMU) München und ist seit 2015 Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Tim Czopka. Sie ist Mitglied im LMU – Graduiertenprogramm der Graduate School of Systemic Neurosciences (GSN) und Stipendiatin der Gertrud-Reemtsma Stiftung der Max-Planck-Gesellschaft.

Published/Copyright: November 23, 2017
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Zusammenfassung

Für das Verständnis von Struktur und Funktion unseres Nervensystems ist es wichtig zu verstehen, wie sich dessen Zellen koordinieren, um ein funktionelles Organ zu bilden und aufrechtzuerhalten. Neurone und Oligodendrozyten stellen im Zentralnervensystem ein besonderes Duo dar – Oligodendrozyten myelinisieren Axone, indem sie diese eng umwickeln. Diese Interaktion reguliert Reizleitungsgeschwindigkeiten zwischen Neuronen und unterstützt axonales Überleben. Trotz dieser Bedeutung gibt es große Lücken in unserem Verständnis von Bildung, Remodellierung und Regeneration myelinisierter Axone. Zebrafische sind wegen ihrer Eignung für Lebendzellmikroskopie und genetische Manipulationen ein zunehmend populärer Modellorganismus. Hier geben wir eine Übersicht über dieses Forschungsfeld, zeigen, wie mit Zebrafischen Mechanismen der Myelinisierung erforscht wurden, und wie offene Fragen zur Kontrolle von Axon-Oligodendrozyten Interaktionen für Nervensystemfunktion in Zukunft untersucht werden können.

Einleitung

Unser Zentralnervensystem (ZNS) besteht aus Milliarden von Zellen, die in einem faszinierenden Zusammenspiel kontinuierlich miteinander kommunizieren und so ein funktionierendes Organ bilden. Die einzelnen Neurone (Nervenzellen) sind dazu über zum Teil lange Fortsätze (Axone) miteinander verbunden, über welche sie kommunizieren. So fügen sie sich zu einem gigantischen Netzwerk zusammen, um Information zu verarbeiten. Es ist immer noch weitgehend unverstanden, wie sich Neurone in unserem Gehirn vernetzen. Ein dabei nicht außer Acht zu lassender Faktor ist die Geschwindigkeit und die zeitliche Feinabstimmung, mit welcher Signale zwischen Neuronen ausgetauscht werden.

Als weiße Substanz unseres Gehirns bezeichnet man die Regionen, in denen Axone Informationen zwischen den verschiedenen Hirnregionen austauschen (die graue Substanz bezeichnet die Bereiche, in denen die Zellkörper der Neurone sitzen). Diese Faserbahnregionen erscheinen weiß, da die meisten Axone mit einer fettigen Substanz umhüllt sind, dem Myelin. Myelin ist eine evolutionäre Anpassung von Wirbeltieren, welche der elektrischen Isolation von Axonen dient, und eine schnelle und energiesparende Reizweiterleitung ermöglicht. Die Entwicklung eines komplexen Nervensystems mit seiner großen Zellzahl wurde dadurch wahrscheinlich überhaupt erst möglich gemacht. Myelin wird im ZNS von speziellen Gliazellen, den Oligodendrozyten, produziert. Genetische Defekte (zum Beispiel Leukodystrophien), die den Aufbau oder Erhalt myelinisierender Oligodendrozyten stören, führen zu motorischer sowie kognitiver Fehlentwicklung. Ähnlich führen degenerative Myelinerkrankungen zu senso-motorischen Störungen, bis hin zur Lähmung, wie es bei Multipler Sklerose der Fall ist, einer Autoimmunerkrankung, in der Myelin selektiv zerstört wird. Darüber hinaus gibt es zunehmend Erkenntnisse, die darauf hinweisen, dass dynamische Myelinisierung sogar in die Regulation von Lernvorgängen involviert ist, und dass myelinisierende Gliazellen zusätzliche Rollen bei der Aufrechterhaltung von Nervensystemfunktion spielen, die abseits ihrer Rolle als elektrischer Isolator liegen.

In diesem Artikel möchten wir eine Übersicht über dieses Forschungsfeld geben und dabei den Schwerpunkt darauf legen, zu zeigen, wie man fundamentale mechanistische Erkenntnisse über das Zusammenspiel von Axonen und umgebenden Oligodendrozyten mithilfe moderner Methoden am Zebrafisch als Modellorganismus untersuchen kann.

Myelinisierung von Axonen – mehr als ein statischer Isolator

Architektur myelinisierter Axone

Der Begriff Myelin für die Umhüllung von Axonen geht auf den Pathologen Rudolf Virchow im Jahr 1854 zurück. Die Beschreibung von Oligodendrozyten als zelluläre Quelle von Myelin geschah aber erst 1922 durch Pio Del Rio-Hortega. Seitdem ist durch ultrastrukturelle, molekulare und physiologische Untersuchungen die Architektur myelinisierter Axone recht gut verstanden (Abb. 1). Jeder Oligodendrozyt bildet Dutzende Myelinsegmente (Internodien), von denen jedes einzelne aus einer dicht gepackten, flächigen Zellmembran besteht, die wiederholt um das Axon gewickelt ist. Die Myelinisierung des gesamten Axons erfolgt dadurch, dass verschiedene Oligodendrozyten jeweils einzelne Internodien konsekutiv entlang der Länge des Axons aneinanderreihen. Zwischen jedem einzelnen Internodium entsteht so eine nicht myelinisierte Lücke, der Ranvier’sche Schnürring, wo sich spannungsabhängige Na+-Ionenkanäle konzentrieren, die für die Reizleitung im Axon wichtig sind. So entsteht die charakteristische Struktur myelinisierter Axone (Abb. 1). Durch die dicht gepackte Myelinmembran ist das Axon von der Umgebung elektrisch isoliert. Daraus resultiert ein erhöhter Membranwiderstand, wodurch das Axon über eine längere Strecke bei geringerem Spannungsabfall depolarisiert wird. Das hat zur Folge, dass die Axonmembran mit den an Ranvier‘schen Schnürringen konzentrierten Na+-Kanälen auch in vielfach größerer Entfernung als bei unmyelinisierten Axonen noch genügend depolarisiert wird, um ein neues Aktionspotenzial auszulösen. So scheint das Aktionspotenzial von einem Schnürring zum Nächsten zu „springen“. Myelinisierung ermöglicht Leitungsgeschwindigkeiten von bis zu 100m/s, wobei diese u. a. von der Dicke und der Länge der Myelinschichten abhängen.

Abb. 1:  Zelluläre Architektur myelinisierter Axone im Zentralnervensystem A Schemadarstellung eines myelinisierten Axons (magenta), eines myelinisierenden Oligodendrozyten (grün), und einer Oligodendrozyten-Vorläuferzelle (blau). B Schemadarstellung eines myelinisierten Axons im Querschnitt. C Vergleich von kontinuierlicher (oben) und saltatorischer (unten) Reizweiterleitung. Im Gegensatz zur kontinuierlichen Reizweiterleitung werden bei der saltatorischen Reizweiterleitung lediglich an den Ranvier‘schen Schnürringen Aktionspotenziale generiert. D Schemadarstellung eines myelinisierten Axons im Längsschnitt um den Ranvier’schen Schnürring.
Abb. 1:

Zelluläre Architektur myelinisierter Axone im Zentralnervensystem A Schemadarstellung eines myelinisierten Axons (magenta), eines myelinisierenden Oligodendrozyten (grün), und einer Oligodendrozyten-Vorläuferzelle (blau). B Schemadarstellung eines myelinisierten Axons im Querschnitt. C Vergleich von kontinuierlicher (oben) und saltatorischer (unten) Reizweiterleitung. Im Gegensatz zur kontinuierlichen Reizweiterleitung werden bei der saltatorischen Reizweiterleitung lediglich an den Ranvier‘schen Schnürringen Aktionspotenziale generiert. D Schemadarstellung eines myelinisierten Axons im Längsschnitt um den Ranvier’schen Schnürring.

Adaptive Myelinisierung zur Regulation von Nervensystemfunktion

Mathematisch ist es möglich, die optimalen Parameter für möglichst schnelle Reizweiterleitung zu bestimmen, die von der Dicke des Axons, des Myelins, und der Distanz zwischen zwei Ranvier’schen Schnürringen abhängen. In der Natur weichen Myelinisierungsmuster aber zum Teil erheblich von rechnerisch optimalen Parametern ab, um einen zeitlich präzise koordinierten Informationsfluss zu erreichen. Ein gut studiertes Beispiel hierfür ist das auditorische System der Mongolischen Wüstenrennmaus, in dem das zeitlich präzise Ankommen von akustischen Signalen im auditorischen Hirnstamm durch die Variierung der Internodienlänge reguliert ist (Ford et al., 2015). Dieses Beispiel verdeutlicht, wie Myelinisierungsmuster für die Regulation von axonaler Funktion genutzt werden können.

Neben solchen hochspezifischen Mustern sind kürzlich komplett atypische Formen der Myelinisierung beschrieben worden. So zeigen Pyramidenneurone im Mauskortex oft nur eine partielle Myelinisierung mit langen unmyelinisierten Abschnitten (Tomassy et al., 2014). Was solche Muster für die Funktion des Axons bedeuten, ist derzeit noch völlig unklar. Es ist aber in diesem Zusammenhang interessant festzuhalten, dass variable Myelinisierung bei Mechanismen des Lernens eine Rolle spielt. So verursacht das Erlernen einer neuen motorischen Fähigkeit, wie zum Beispiel Jonglieren, beim Menschen Veränderungen in der weißen Substanz. Auch können Mäuse keine komplexen Motortests lernen, wenn die Bildung neuen Myelins genetisch blockiert wurde (McKenzie et al., 2014). Zusammen weist dies darauf hin, dass aktive Kommunikation zwischen Axon und umgebenden Oligodendrozyten ein zusätzliches regulatorisches Element höherer Nervensystemfunktion ist.

Unterstützung axonalen Überlebens

Das Ermöglichen schneller Reizweiterleitung ist nicht die einzige Aufgabe myelinisierender Zellen. Durch die enge zelluläre Interaktion des Axons mit den umgebenden Oligodendrozyten ist es nicht nur elektrisch isoliert, sondern auch von anderen umgebenden Zellen abgeschirmt, wie zum Beispiel Astrozyten, über welche Neurone mit Blutgefäßen verbunden sind. Neurone können sehr lange Axone haben, sodass der zugehörige Zellkörper (bei großen Wirbeltieren) zum Teil über einen Meter entfernt liegt. Um den hohen Energiebedarf für die Generierung von Aktionspotenzialen lokal bedienen zu können, versorgen myelinisierende Oligodendrozyten Axone mit Metaboliten aus dem Glykolysestoffwechsel (Saab et al., 2013). Damit sichern sie auch das langfristige Überleben von Axonen. In der Tat scheint es so, dass eine fehlende oder gestörte metabolische Unterstützung durch Oligodendrozyten zu axonaler Degeneration bei verschiedenen Erkrankungen beiträgt, zum Beispiel, wenn demyelinisierte Axone bei MS nicht remyelinisiert werden.

Der aktuelle Stand der Wissenschaft zeigt, wie wichtig myelinisierende Oligodendrozyten als Unterstützer und Modulatoren axonaler Funktion sind. Aber was reguliert, wenn ein Axon nach welchem Muster myelinisiert wird? Wie plastisch sind diese Vorgänge, und was sind die Ursachen für deren Deregulierung in Krankheitsprozessen? Hier gibt es noch große Wissenslücken bezüglich grundlegender Fragen, die die Kommunikation zwischen diesen zwei Zelltypen betreffen.

Da die Interaktionen zwischen Axon und Oligodendrozyt sowohl eine Zell-intrinsische, als auch -extrinsische regulatorische Komponente haben, ist es wichtig, diese unter möglichst physiologischen Bedingungen in vivo zu untersuchen. Myelinisierung ist entwicklungsbiologisch ein relativ spätes Ereignis, welches sich über lange Zeiträume hinziehen kann. Das macht es in vielen Tiermodellen technisch schwierig, die Dynamik zellulärer Interaktionen und deren genetische Kontrolle zu untersuchen. Zebrafische stellen einen Modellorganismus dar, mit dem man diese technischen Limitationen zum Teil überwinden kann, wie wir es in der zweiten Hälfte dieses Artikels vorstellen möchten.

Ein kleiner (Zebra-)Fisch mit großem Nutzen für die Neurowissenschaften

Zebrafische werden mittlerweile in fast allen Feldern der biomedizinischen Forschung eingesetzt. Der Grund für ihre zunehmende Beliebtheit als Modellorganismen ist zum einen, dass Zebrafische als Wirbeltiere eine Vielzahl an Genen und grundsätzlichen Funktionen mit höheren Wirbeltieren teilen, und daher viele Erkenntnisse übertragbar sind. Gleichzeitig weisen sie eine enorm schnelle Embryonalentwicklung außerhalb des Muttertieres auf. Innerhalb von nur fünf Tagen entwickelt sich aus einem befruchteten Ei ein selbständiger Organismus, der nur wenige Millimeter groß ist (Abb. 2). Darüber hinaus sind Zebrafische relativ einfach zu halten und produzieren viele Nachkommen. Deshalb wurden sie anfangs insbesondere in Mutagenese Screens eingesetzt, um Genfunktionen zu identifizieren, die phänotypischen Veränderungen zugrunde liegen.

Auch für die Neurowissenschaften stellen junge Zebrafische einen hervorragenden Modellorganismus dar. So haben sie ein relativ „simples“ Nervensystem, das aber schon in larvalen Stadien durchaus komplexe Verhaltensweisen wie die Beutejagt steuert. Das beinhaltet die Integration sensorischer Information sowie die Generierung eines entsprechenden Bewegungsmusters. Weiterhin sind Zebrafische leicht genetisch zu manipulieren. Befruchtete Eier können problemlos mit genetischen Konstrukten injiziert werden, um ein gewünschtes Gen zu exprimieren, oder dessen Funktion zu verändern. Aufgrund der optischen Transparenz junger Zebrafische kann ohne operativen Aufwand das gesamte ZNS beobachtet werden, sodass man neurowissenschaftliche Fragen vom Gen bis zum Verhalten am intakten Organismus untersuchen kann.

Abb. 2:  Zebrafisch als in vivo Modellorganismus zur Untersuchung von Axon-Oligodendrozyten Interaktionen A Entwicklungstadien eines Zebrafisches vom befruchteten Ei zum adulten Tier. B Zebrafisch -Transgenese zur Visualisierung verschiedener Zelltypen im ZNS. Zelltypspezifische, genregulatorische Elemente werden genutzt, um eine Vielzahl von Proteinen zu exprimieren. Durch Mikroinjektion solcher Expressionskonstrukte in befruchtete Eier können Einzelzellen von, zum Beispiel, Oligodendrozyten-Vorläufern (gelb), myelinisierenden Oligodendrozyten (grün) und Neuronen (rot) fluoreszent markiert und untersucht werden. C Auskreuzen injizierter Tiere mit Wildtypen führt bei Keimbahntransmission des Transgenese-Konstrukts zur einer volltransgenen Linie in der F1-Generation, in welcher dann alle Zellen eines Zelltyps markiert sind.
Abb. 2:

Zebrafisch als in vivoModellorganismus zur Untersuchung von Axon-Oligodendrozyten Interaktionen A Entwicklungstadien eines Zebrafisches vom befruchteten Ei zum adulten Tier. B Zebrafisch -Transgenese zur Visualisierung verschiedener Zelltypen im ZNS. Zelltypspezifische, genregulatorische Elemente werden genutzt, um eine Vielzahl von Proteinen zu exprimieren. Durch Mikroinjektion solcher Expressionskonstrukte in befruchtete Eier können Einzelzellen von, zum Beispiel, Oligodendrozyten-Vorläufern (gelb), myelinisierenden Oligodendrozyten (grün) und Neuronen (rot) fluoreszent markiert und untersucht werden. C Auskreuzen injizierter Tiere mit Wildtypen führt bei Keimbahntransmission des Transgenese-Konstrukts zur einer volltransgenen Linie in der F1-Generation, in welcher dann alle Zellen eines Zelltyps markiert sind.

Visualisierung zellulärer Dynamik durch in vivo Mikroskopie von fluoreszierenden Reportern

Die geringe Größe und die optische Transparenz machen junge Zebrafische zu einem hervorragenden Modell für in vivo Lichtmikroskopie. Kontinuierliche technologische Fortschritte ermöglichen, bis an die Auflösungsgrenzen klassischer Lichtmikroskopie in das Innere des Nervensystems zu blicken. Da dies problemlos in lebenden Zebrafischen geschehen kann, ist es möglich, Zellen im selben Tier zu verschiedenen Zeitpunkten abzubilden, um so Informationen über strukturelle Veränderungen zu erhalten (siehe Exkurs für eine Übersicht relevanter Mikroskopaufbauten, Abb. 3). Um Subtypen von Neuronen und Gliazellen im lebenden Zebrafisch darzustellen, werden diese häufig durch sogenannte transgene Reporter markiert. Ein typisches Transgen besteht aus einer regulativen Gensequenz, welche die Expression eines Reporterproteins steuert (Abb. 2). Letzteres können fluoreszierende Proteine sein, wie das grün fluoreszierende Protein GFP und dessen Varianten, die in verschiedenen Farben des sichtbaren Spektrums fluoreszieren. Es können so aber auch andere, zum Beispiel mutante Proteine exprimiert werden, um Zellfunktionen zu manipulieren. Durch Injektion von Transgenkonstrukten in Zebrafischeier können so individuelle Zellen im entwickelnden Organismus mit verschiedenen Farbkombinationen dargestellt und untersucht werden. Wenn ein Transgen in Zellen der Keimbahn integriert wird, wird dieses später bei Fortpflanzung der Adulten an die Folgegeneration weitergegeben, wodurch ein komplett transgener Organismus entsteht, in dem zum Beispiel alle Zellen eines Zelltyps markiert sind (Abb. 2). So wurden von uns und anderen in der Vergangenheit eine Reihe transgener Reagenzien entwickelt, um mit verschiedenen genregulatorischen Sequenzen fluoreszierende Proteine zu exprimieren, und so spezifisch Oligodendrozyten, deren Vorläuferzellen, sowie myelinisierte Axone zu visualisieren [siehe (Czopka, 2016) für eine detaillierte Übersicht publizierter Linien, die Oligodendrozytenbiologie im Zebrafisch untersuchen]. Durch in vivo Mikroskopie im Zebrafisch konnten wir so zum Beispiel dazu beitragen, die lange ungelöste Frage zu beantworten, wie genau Oligodendrozyten Myelin bilden. Obwohl die Struktur von Myelin seit Jahrzehnten bekannt ist, blieben die zellulären Grundlagen der Myelinmorphogenese völlig unbekannt. Im Zebrafisch konnten wir die Initiierung einzelner Internodien untersuchen und dadurch zeigen, dass jede neue Myelinschicht in der Mitte des zukünftigen Internodiums zugefügt wird, von wo aus sie anschließend lateral expandiert und das mehrschichtige Internodium bildet (Snaidero et al., 2014). Dabei handelte es sich um die ersten Demonstrationen der Myelinmorphogenese in vivo. Dies ist ein gutes Beispiel, um zu verdeutlichen, wie Lebendzellmikroskopie im Zebrafisch – zusammen mit genetischen und ultrastrukturellen Arbeiten – helfen kann, grundsätzliche biologische Mechanismen aufzuklären.

Abb. 3:  Prinzipielle Aufbauten häufig genutzter Mikroskopsysteme für Lebendzellmikroskopie
Abb. 3:

Prinzipielle Aufbauten häufig genutzter Mikroskopsysteme für Lebendzellmikroskopie

Woher kommt neues Myelin?

ZNS-Axone können über einen langen Zeitraum der Entwicklung eines Organismus myelinisiert werden, beim Menschen in einigen Gehirnregionen bis ins vierte Lebensjahrzehnt. Gleichzeitig kann jeder einzelne Oligodendrozyt eine Vielzahl von Internodien generieren, deren genaue Zahl kann durch axonale Parameter reguliert werden. Elegante in vivo Mikroskopiestudien im Zebrafisch haben bereits gezeigt, dass Oligodendrozyten Vorläuferzellen ihre Zellfortsätze kontinuierlich und hochdynamisch verändern (Kirby et al., 2006). Wann aber ein einzelner Oligodendrozyt seine Zielaxone zur Myelinisierung festlegt, war lange Zeit unverstanden. So wäre es durchaus plausibel, dass einzelne Oligodendrozyten lebenslang plastisch bleiben und damit die Aktivität der Axone, die sie myelinisieren, je nach Bedarf dynamisch regulieren. Um diese Möglichkeit zu testen, haben wir hochauflösende Zeitraffer- und Langzeitaufnahmen von Oligodendrozyten im Zebrafisch gemacht. Dadurch konnten wir zeigen, dass jeder einzelne Oligodendrozyt seine maximale Zahl an generierten Myelinsegmenten in einem kurzen Zeitfenster von nur wenigen Stunden festlegt (Abb. 4) (Czopka et al., 2013). Danach verlieren myelinisierende Oligodendrozyten die Möglichkeit, neue Internodien zu formen.

Die Existenz eines kurzen Zeitfensters zur Myelingenerierung für jede einzelne Zelle bedeutet unter anderem, dass neues Myelin nur von neu differenzierenden Oligodendrozyten-Vorläuferzellen kommen kann. Diese repräsentieren mit ca. 5 % aller Zellen (in der Maus) einen substanziellen Anteil. Welche Rolle(n) diese Zellen aber genau spielen, ist noch nicht klar. Oligodendrozyten-Vorläuferzellen sind auch die zelluläre Quelle bei der Regenerierung von geschädigtem Myelin. Remyelinisierung ist einer der wenigen regenerativen Prozesse in unserem ZNS, trotzdem funktioniert sie oft schlechter als die primäre Myelinisierung. Das manifestiert sich auch in Erkrankungen wie Multipler Sklerose, wo Remyelinisierung mit zunehmender Krankheitsdauer letztendlich oft ganz ausbleibt. Wenn es die gleichen Oligodendrozyten-Vorläuferzellen sind, die Axone myelinisieren und remyelinisieren, warum ist Remyelinisierung dann weniger effizient? Auf diese Frage wird es wahrscheinlich keine einfache Antwort geben, insbesondere, weil Krankheitsbilder oft multifaktorielle Ursachen und Einflüsse haben. Allerdings es ist möglich, Aspekte solcher Fragen auch im Zebrafischmodell zu testen, um Verständnis grundsätzlicher zellulärer Verhaltensweisen und deren molekularer Kontrolle zu erhalten.

Abb. 4:  Erkenntnisse und offene Fragen zur Regulierung der Bildung und Aufrechterhaltung myelinisierter Axone
Abb. 4:

Erkenntnisse und offene Fragen zur Regulierung der Bildung und Aufrechterhaltung myelinisierter Axone

Ausblick

Oligodendrozyten spielen vielfältige Rollen im Nervensystem. Diese reichen von der elektrischen Isolierung und Regulation der Reizweiterleitungsgeschwindigkeit, über metabolische Unterstützung von Axonen, bis hin zur Beteiligung bei Lernen und Gedächtnisbildung. Wir beginnen erst, die Bedeutung und die Regulation dieser Funktionen genauer zu verstehen. Was genau steuert, ob ein Axon myelinisiert wird, ist immer noch unklar. Gibt es einen alleinigen Mechanismus oder existieren mehrere parallele Signalkaskaden, von denen verschiedene Kombinationen zu aktivieren ausreichend ist, um Myelinisierung zu initiieren? Gerade mit Blick auf variable Myelinisierung ist die Existenz eines kombinatorischen Codes nicht unwahrscheinlich. Darüber hinaus ist es nicht nur wichtig, zu verstehen ob, sondern auch, wie ein Axon myelinisiert wird. Welche Faktoren regulieren Myelinisierungsmuster? Wie plastisch können sich diese verändern? Und welche Auswirkungen haben diese zellulären Vorgänge auf die Funktion unseres Nervensystems?

Zebrafische eignen sich hervorragend, um Antworten zu all diesen Fragen beizutragen. Zellmarkierung mit fluoreszierenden Reportern im lebenden Organismus ermöglichen longitudinale Studien einzelner Zellen, diese zu manipulieren, um Prinzipien zellulären Verhaltens herauszuarbeiten. Durch die fortschreitende Entwicklung von Reagenzien zur Manipulation zellulärer Physiologie, biomolekularer Sensoren, sowie immer besser werdender Lichtmikroskopie, können nicht nur zelluläre Bewegungen mit nie da gewesener Auflösung untersucht werden, sondern auch die dynamische Kommunikation innerhalb und zwischen Zellen. Solche Untersuchungen müssen nicht auf Axone und Oligodendrozyten beschränkt bleiben, sondern können genauso Astrozyten, Immunzellen, und die Vaskulatur mit einbeziehen – Forschungsbereiche, die bereits aktiv im Zebrafisch bearbeitet werden [siehe zum Beispiel folgende Übersichtsarbeiten (Gore et al., 2012; Sieger und Peri, 2013)]. Solche Arbeiten werden helfen, ein tieferes Verständnis davon zu bekommen, wie Zellen einander koordinieren, beeinflussen, und damit Struktur und Funktion unseres ZNS steuern.

Exkurs: in vivo Mikroskopie

Um biologische Prozesse zu verstehen, ist es wichtig, diese in ihrem natürlichen zellulären Umfeld (in vivo) zu beobachten. Dies liefert wertvolle Informationen über die zeitliche Dimension zellulärer Prozesse, insbesondere der Dynamik zellulärer Interaktionen. Gleichzeitig gibt es bei der Lebendzell-in vivo-Mikroskopie Limitationen, die den Experimentator vor diverse Hürden stellen.

  1. Tiefenunschärfe von Informationen außerhalb der Fokusebene

  2. Optische Aberrationen

  3. Toxizität von Licht

Verschiedene Mikroskopiesysteme versuchen, diese Hürden auf unterschiedliche Art zu überwinden. Wir wollen die derzeit gebräuchlichsten Prinzipien in diesem Zusammenhang vorstellen.

Um Tiefenunschärfe (a) auszublenden, stellen die dargestellten Systeme auf verschiedene Art „optische Schnitte“ durch das Gewebe her.

Konfokales Laserscanning Mikroskop (Abb. 3, links).Das Anregungslicht wird durch eine Lochblende im Strahlengang zur Probe auf einen Punkt fokussiert. Bei der Detektion des emittierten Lichts wird durch eine weitere Lochblende im Strahlengang zum Detektor lediglich das Licht aus dem Volumen der Anregungsebene durchgelassen. Der Strahlengang des emittierten Lichts ober- und unterhalb der Fokusebene wird an der Lochblende blockiert. Um ein mehrdimensionales Bild zu erhalten, wird die Probe in der Fokusebene in der x- und y-Achse (für 3-dimensionale Aufnahmen auch in der z-Achse) Punkt für Punkt abgescannt.

Spinning Disk Konfokalmikroskop (Abb. 3, zweites von links). Hier werden, anders als beim punktscannenden Konfokalmikroskop, viele Lochblenden auf einer Lochblendenscheibe genutzt, welche über die Probe rotieren. Dadurch erfolgt die gleichzeitige Anregung und Detektion vieler Bildpunkte, die mit einer Kamera aufgenommen werden. Dies ermöglicht eine sehr schnelle Bildaufnahme.

2-Photonen Mikroskop (Abb. 3, zweites von rechts). Hier geschieht die Anregung des fluoreszierenden Moleküls ausschließlich in der Fokusebene. Die Fluoreszenzanregung erfolgt durch die gleichzeitige Absorption zweier Photonen einer höheren Wellenlänge, wenn diese in Summe die gleiche Energie wie bei konventioneller Anregung haben (2-Photonen -Effekt).

Lightsheet Mikroskop (Abb. 3, rechts). Bei diesem System wird durch spezielle Linsen ein dünnes Lichtblatt geformt, welches gleichzeitig die gesamte Fokusebene anregt. Die Detektion erfolgt orthogonal zur Illuminationsachse.

Optische Aberrationen (b) im Gewebe hängen direkt mit der Wellenlänge des zur Anregung und Detektion genutzten Lichts zusammen. Es gilt: Je langwelliger das Licht, desto geringer ist die Streuung, und desto tiefer dringt es in Gewebe ein. Daher ermöglicht Anregung mit Infrarotlicht bei einem 2-Photonen Mikroskop Bildaufnahmen in erheblich tieferen Gewebeschichten als bei Anregung mit sichtbarem Licht.

Für Phototoxizität (c) gilt: Je kurzwelliger das Anregungslicht, desto energiereicher und damit toxischer. Das langwellige Licht beim 2-Photonen Mikroskop schont die Probe, aber auch kurze Anregungszeit und schnelle Detektion mit sichtbarem Licht, wie es beim Lightsheet und dem Spinning Disk Mikroskop der Fall ist, ermöglichen probenschonende Aufnahmen.

Letztlich hat auch die Wahl des Modellorganismus großen Einfluss auf die zu erreichende räumliche und zeitliche Auflösung. Junge Zebrafische sind klein und fast durchsichtig, sodass Tiefenpenetranz und Aberrationen hier ein wesentlich kleineres Problem darstellen als es bei größeren Organismen der Fall ist.

About the authors

Tim Czopka

Tim Czopka (*1980) studierte Biologie an der Ruhr-Universität Bochum, wo er auch 2009 in Neurowissenschaften mit summa cum laude promovierte. Nach einem anschließenden fünfjährigen Auslandsaufenthalt an der University of Edinburgh (2010-2014) leitet er seit 2015 eine Emmy-Noether -Nachwuchsgruppe an der Technischen Universität München. Die Arbeit seiner Forschergruppe wird zurzeit durch das Emmy-Noether -Programm der DFG, den Munich Cluster of Systems Neurology (SyNergy) und durch einen Starting Grant des European Research Councils (ERC-StG) finanziert.

Franziska Auer

Franziska Auer (*1991) studierte Pharmaceutical Sciences an der Ludwig-Maximilians- Universität (LMU) München und ist seit 2015 Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Tim Czopka. Sie ist Mitglied im LMU – Graduiertenprogramm der Graduate School of Systemic Neurosciences (GSN) und Stipendiatin der Gertrud-Reemtsma Stiftung der Max-Planck-Gesellschaft.

Literatur

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Snaidero, N., Möbius, W., Czopka, T., Hekking, L.H.P., Mathisen, C., Verkleij, D., Goebbels, S., Edgar, J., Merkler, D., Lyons, D.A., et al. (2014). Myelin Membrane Wrapping of CNS Axons by PI(3,4,5)P3-Dependent Polarized Growth at the Inner Tongue. Cell 156, 277–290.10.1016/j.cell.2013.11.044Search in Google Scholar PubMed PubMed Central

Tomassy, G.S., Berger, D.R., Chen, H.H., Kasthuri, N., Hayworth, K.J., Vercelli, A., Seung, H.S., Lichtman, J.W. and Arlotta, P. (2014). Distinct Profiles of Myelin Distribution Along Single Axons of Pyramidal Neurons in the Neocortex. Science 344, 319–324.10.1126/science.1249766Search in Google Scholar PubMed PubMed Central


Anmerkung

Übersetzung der englischen Version des Artikels online verfügbar unter https://doi.org/10.1515/nf-2017-A010


Published Online: 2017-11-23
Published in Print: 2017-11-27

© 2017 by De Gruyter

Downloaded on 24.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/nf-2017-0010/html
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