Personalien
Prof. Dr. sc. Georg Schmoll
5.6.1924 – 31.7.2021

Nach einem sehr langen und überreichen Leben mit vielen Höhen und Tiefen ist einer der bekanntesten (ost)deutschen Informationswissenschaftler verstorben. Als Sohn eines frühzeitig verstorbenen jüdischen Kaufmanns lebte er seit 1931 mit seiner Mutter in Görlitz. Dann kamen die Nürnberger Rassengesetze! 1938 musste er die Mittelschule verlassen und durfte keine Lehre beginnen. Für unentgeltliche Arbeit bei Bauern und in einer Maschinenfabrik war er noch würdig genug. Über den wohl schlimmsten Eingriff in sein Leben hat er selbst seinen jahrzehntelangen Kollegen und Freunden nur wenig berichtet. 1944/45 musste er Zwangsarbeit unter Tage in einem stillgelegten Bergwerk bei Longwy (Frankreich) für eine geplante V2-Produktion leisten. Dieses Außenlager von Auschwitz war wohl Volkswagen zugeordnet. Die französische Resistance konnte die geplante Sprengung mit den Zwangsarbeitern noch verhindern.
Nach 1945 arbeitete er in leitender Funktion in der Verwaltung des Görlitzer Krankenhauses, in einer Zeit der vielfältigsten Mangelwirtschaft. Ein „normales“ Leben begann mit der Hochschulreifeprüfung an der damaligen Vorstudienanstalt. 1946 bis 1950 folgte ein Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität Leipzig und der Humboldt-Universität zu Berlin. Verschiedene Arbeitsstellen am ZIID, der Zentralen Leitung für gesellschaftswissenschaftliche Information und Dokumentation bei der Akademie der Wissenschaften der DDR, mündeten 1972 in seine Tätigkeit als Hochschullehrer am Institut für Bibliothekswissenschaft und wissenschaftliche Information, Bereich Informations- und Dokumentationswissenschaft ein. Bereits in dieser Zeit erschien eine grundlegende Arbeit von Georg Schmoll zur Terminologie: Die Dissertation „Wortschatz und Begriffsbildung der Information und Dokumentation“ (Jena 1966), die in die Publikation „Wortschatz [und Technik] der Information und Dokumentation“ (1967 u. ö.) mündete, neben Arbeiten wie „Methodik des Recherchierens und Recherchemittel“ (1967), „Informationsrecherche und Informationsverbreitung“ (1976, mit Wolfgang Hübner), „Informationsmittel in Kombinaten“ (1981, mit Hans-Jürgen Manecke) u.v. a. Im Zuge der Lehrtätigkeit für das Fernstudium lernte er auch seine Frau Brigitte kennen. Nach der Emeritierung von Prof. Koblitz 1978 wurde er Bereichsleiter, beide Funktionen übte er bis zu seiner Emeritierung im September 1989 aus. In diese Zeit fiel auch die Ernennung zum Professor.
Als international gefragter wissenschaftlicher Berater arbeitete Georg Schmoll bis 1989 in verschiedenen Gremien mit, etwa in der FID–Internationale Vereinigung für Dokumentation, dem ICSSID–Internationales Komitee der sozialwissenschaftlichen Information und Dokumentation der UNESCO oder im Wissenschaftlichen Rat des Internationalen Zentrums für wissenschaftlich-technische Information in Moskau. Zweimal übte er auch kurzzeitige Lehrtätigkeiten im Partnerinstitut an der Universität Havanna in Kuba aus.
Vielfältige Lehrveranstaltungen in allen Studienformen des Bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Studiums, über 85 Publikationen, Lehrbriefe, Zeitschriftenartikel sind Ergebnisse dieser arbeits- und diskussionsintensiven Jahrzehnte.
Schwierig aus dieser Vielzahl heraus zu heben, Habilitation 1977. „Erhöhung der Wirksamkeit allgemein verbreiteter Informationsmittel: Ein Beitrag zur Entwicklung der Information und Dokumentation in der DDR“. Notwendig die Benennung als Mitherausgeber und Autor sowohl am „Handbuch der Information und Dokumentation“, Leipzig 1977 als auch dem „Lexikon der Information und Dokumentation“, Leipzig 1984. Es waren auch international viel beachtete Leistungen. Die zweite druckfertige Auflage des Lexikons war zum Zeitpunkt der Wende fertig gestellt und ihre Veröffentlichung im Saur-Verlag vorgesehen; dazu kam es jedoch nicht.
Sofort im Jahr 1990 hielt Georg Schmoll zusammen mit Steffen Rückl auf dem Dokumentartag der DGD in Fulda den grundlegenden Vortrag über „Konvergenzen und Divergenzen der deutsch-deutschen Fachterminologie auf dem Gebiet der Information und Dokumentation“. Diese zentralen Arbeitsbereiche – wie schon die Arbeit von 1967 „Wortschatz der Information und Dokumentation“ – machten es auch geradezu selbstverständlich, dass es sofort Ende 1989 zu einer Zusammenarbeit insbesondere mit dem DGD-KTS (Komitee für Terminologie und Sprachfragen) kam. „Schorsch“ Schmoll, der seit Januar 1991 bis zuletzt auch Mitglied der DGD/DGI war, wirkte von da an durchgehend an der Erstellung des Manuskripts der „Terminologie der Information und Dokumentation (TID)“ mit, das 1998 abgeschlossen und 2006 in der DGI-Reihe „Informationswissenschaft“ veröffentlicht wurde. Auch nach seiner Übersiedlung nach Rostock bestand weiterhin freundschaftlicher persönlicher Kontakt.
Mit Professor Schmoll verlieren wir auch einen der letzten Akteure des Aufbaus nicht nur der Informations- und Dokumentationswissenschaft, sondern auch -praxis der DDR und darüber hinaus der RGW-Länder.
Die Verschlimmerung seiner Leiden in den letzten Monaten, die in diesem hohen Alter wohl naturgegeben sind, sollte es seiner Familie, dem Freundeskreis und nicht zuletzt den ehemaligen Studenten und Kollegen leichter machen, von ihm Abschied zu nehmen.
Dr. sc. Jürgen FreytagDipl.-Soz. Axel Ermert
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Frontmatter
- Akademische Integrität
- Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis reloaded und die Rolle von Bibliotheken bei der Wahrung wissenschaftlicher Berufsethik
- Portale und Suchmaschinen
- Finden ohne Suchen: Automatische Benachrichtigungen über relevante wissenschaftliche Publikationen mit regelbasierter KI
- Informationsrecht
- Informationsfreiheit für alle – Dokumente, die darauf warten, veröffentlicht zu werden
- Berufsbild
- 20 Jahre FaMI
- Inhaltliche Erschließung
- Automatisiertes klinisches Codieren
- Computer- und Informationsethik
- Data Ethics Frameworks
- Bibliothek
- Die Rolle der Bibliotheken bei der Medienkompetenzentwicklung
- Tagungsbericht
- Hybride Lehre in der Informationswissenschaft – Konzepte und Best Practices für Post-pandemische Lehrformate
- „Indexing Unlimited“
- „Get Your Indexing Shot in the Arm“
- Personalien
- Leserbrief
- Vorsicht, Paradoxon!
- Informationen
- Buchbesprechung
- Organisation und Projektmanagement. Fallstudien, Klausuren, Übungen und Lösungen
- Geschäftsrelevante Informationen. Eine Handlungsanleitung zur risikoorientierten Bewertung von Aufzeichnungen nach ISO/TR 21946 Appraisal for managing records
- Aus der DGI
- Nachrichten
- Terminkalender 2021/2022
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Frontmatter
- Akademische Integrität
- Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis reloaded und die Rolle von Bibliotheken bei der Wahrung wissenschaftlicher Berufsethik
- Portale und Suchmaschinen
- Finden ohne Suchen: Automatische Benachrichtigungen über relevante wissenschaftliche Publikationen mit regelbasierter KI
- Informationsrecht
- Informationsfreiheit für alle – Dokumente, die darauf warten, veröffentlicht zu werden
- Berufsbild
- 20 Jahre FaMI
- Inhaltliche Erschließung
- Automatisiertes klinisches Codieren
- Computer- und Informationsethik
- Data Ethics Frameworks
- Bibliothek
- Die Rolle der Bibliotheken bei der Medienkompetenzentwicklung
- Tagungsbericht
- Hybride Lehre in der Informationswissenschaft – Konzepte und Best Practices für Post-pandemische Lehrformate
- „Indexing Unlimited“
- „Get Your Indexing Shot in the Arm“
- Personalien
- Leserbrief
- Vorsicht, Paradoxon!
- Informationen
- Buchbesprechung
- Organisation und Projektmanagement. Fallstudien, Klausuren, Übungen und Lösungen
- Geschäftsrelevante Informationen. Eine Handlungsanleitung zur risikoorientierten Bewertung von Aufzeichnungen nach ISO/TR 21946 Appraisal for managing records
- Aus der DGI
- Nachrichten
- Terminkalender 2021/2022