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Mehr- und vielsprachige berufliche Kommunikation – ein Modell

  • Thorsten Roelcke

    studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Heidelberg, wo er 1988 promoviert und 1993 habilitiert wurde. Nach verschiedenen Tätigkeiten an den Universitäten Heidelberg und Freiburg, an denen er jeweils zum außerplanmäßigen Professor ernannt wurde, sowie am Kolleg St. Blasien folgte er 2008 dem Ruf auf eine Professur für deutsche Sprache und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Seit 2014 ist er Professor für Deutsch als Fremdsprache mit den Schwerpunkten Linguistik und Didaktik von Fachsprachen und interkulturelle Kommunikation an der Technischen Universität Berlin. Hier ist er Leiter des Fachgebiets „Deutsch als Fremdsprache“, Verantwortlicher für den Masterstudiengang „Deutsch als Fremd- und Fachsprache“ und Wissenschaftlicher Leiter der „Zentraleinrichtung Moderne Sprachen“ (ZEMS). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Fachkommunikation, Deutsch als Fremdsprache sowie Sprachwandel und Sprachgeschichte des Deutschen.

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Veröffentlicht/Copyright: 6. Dezember 2022
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Zusammenfassung

Auf der Grundlage eines allgemeinen Modells beruflicher Kommunikation, das sich von Konzepten beruflicher Sprache abhebt, wird ein neues Modell entwickelt, das deren Mehr- und Vielsprachigkeit konsequent integriert. Dabei werden sowohl verschiedene Einzelsprachen wie etwa Deutsch, Englisch oder Chinesisch als auch beruflich einschlägige Varietäten wie Alltags- und Bildungssprache sowie verschiedene Fachsprachen in einzelnen Berufen oder beruflichen Kontexten sowie die entsprechenden Kompetenzen der in diesen Berufen oder Kontexten tätigen Personen berücksichtigt. Eine solche Modellierung besteht nicht allein in einer exhaustiven und detaillierten Erfassung von vielsprachiger beruflicher Kommunikation für sich, sondern erlaubt auch zahlreiche Anwendungen in den Bereichen Sprachplanung, Sprachpolitik und Sprachdidaktik.

Abstract

Based on a general model of professional communication which is distinct from concepts of professional language a new model is developed which consistently integrates its multilingualism. This takes into account various individual languages such as German, English or Chinese as well as professionally relevant varieties such as everyday and educational language including various technical languages in individual professions or professional contexts as well as the corresponding competencies of the people working in these professions or contexts. Such a model not only provides an exhaustive and detailed coverage of plurilingual professional communication for itself, but also allows numerous applications in the fields of language planning, language policy and language didactics.

1 Vorbemerkungen

Berufssprache und berufliche Kommunikation sind wiederholt Gegenstand konzeptioneller wie terminologischer Auseinandersetzung in Sprachwissenschaft und -didaktik (vgl. zur Gesamtübersicht Coray/Duchêne 2017 a; 2017b). Diese Auseinandersetzung weist mindestens drei Schwerpunkte auf:

  1. Bestimmung und Abgrenzung beider Konzepte bzw. Termini;

  2. Modellierung eines Konzepts beruflicher Kommunikation;

  3. Viel- und Mehrsprachigkeit beruflicher Kommunikation.

Unter Rückbezug auf die Diskussion, die zur Herausbildung von Modellen beruflicher Kommunikation geführt hat, werden in dem vorliegenden Beitrag zunächst Ergänzungen zu dem bestehenden Modell von Roelcke (2017; 2020) vorgenommen, um dessen Eignung zur Erfassung von beruflicher Kommunikation zu verbessern; in einem zweiten Schritt werden daraufhin berufliche Mehrsprachigkeit (von einzelnen Personen) und berufliche Vielsprachigkeit (in kommunikativen Gemeinschaften) in das erweiterte Modell integriert (zur Unterscheidung von Viel- und Mehrsprachigkeit vgl. Roelcke 2022).

2 Berufssprache und berufliche Kommunikation

Berufssprache wird im Allgemeinen zwischen Allgemeinsprache und Fachsprache (Braunert 2000; 2014) oder zwischen Allgemeinsprache sowie Bildungs- und Fachsprache (Efing 2014; 2017) angesiedelt. Obwohl eine solche Verortung ein Konzept von Berufssprache als einer eigenen Varietät oder einem eigenen Register voraussetzt, wird dabei letztlich so etwas wie ein Kontinuum angenommen, in dessen Rahmen die Berufssprache „Elemente aller anderen Register/Varietäten“ (Efing 2014: 432) umfasst (Zusammenstellungen dieser und weiterer Bestimmungen werden zuletzt von Sander 2021, Gogolin 2020: 11–58 und Niederhaus 2022: 31–43 erörtert). Eine solche Bestimmung ist in mindestens zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen werden damit keine eigenen Besonderheiten von Berufssprache gegenüber allgemein- und fachsprachlichen Registern angesetzt, sondern lediglich eine wie auch immer geartete Selektion und Kombination aus deren Merkmalen. Zum anderen wird damit die fachsprachliche Vielfalt, die auch und gerade das moderne Berufsleben auszeichnet (vgl. Roelcke 2017), nicht hinreichend berücksichtigt, sondern wird auf einen fachsprachlichen Bereich als solchen reduziert.

Angesichts solcher Probleme scheint es sinnvoll, berufliche Kommunikation anstelle von Berufssprache als Terminus zu verwenden; eine erste, hinsichtlich sprachlicher Komplexität offene Annäherung stellen hier auch Bezeichnungen wie Deutsch für den Beruf (Hufnagl et al. 2011; Niederhaus 2022), Sprache im Beruf (Zeitschrift seit 2018) oder Language in the Workplace (Marra 2013; Vine 2020) dar. Ein bekanntes Modell beruflicher Kommunikation, das auch in einer graphischen Repräsentation vorliegt, stammt von Dannerer (2008: 23). In diesem Modell werden zwei „Sprecher“ unterschieden, die sich in einer bestimmten „Situation beruflicher/fachlicher Kommunikation“ befinden, die ihrerseits von einem „institutionelle[n]“ und einem „kulturelle[n] Kontext“ gerahmt werden. Der Vorteil dieses Modells besteht darin, dass hier bereits zwischen „beruflicher/fachlicher Kommunikation“ einerseits und dem „Fach[-]/Berufssprachwissen“ und dem „Sprachwissen“ der beiden Sprecher andererseits unterschieden wird. Sein Nachteil ist indessen in einer nur groben Erfassung von Wissen um und Wissen über fachliche bzw. berufliche Sprache zu sehen, die letztlich keine differenzierte Erfassung der sprachlichen Komplexität im Berufsleben zulässt. Vor diesem Hintergrund greift das Modell zu kurz und bedarf einer weiteren Differenzierung.

3 Modell beruflicher Kommunikation

Ein in dieser Hinsicht differenziertes Modell liegt mit dem Modell beruflicher Kommunikation von Roelcke (2017: 159; 2020: 7) vor. Es basiert auf dem Modell fachlicher Kommunikation (Roelcke 42020 [1999]: 12), in dem eine monologische oder eine dialogische Produktion und Rezeption von fachlichen Texten in einem gemeinsamen sprachlichen Kotext und einem nichtsprachlichen Kontext des oder der Produzenten und Rezipienten auf der Grundlage eines gemeinsamen sprachlichen Systems erfasst wird. In dem Modell beruflicher Kommunikation selbst wird der Bereich der einzelnen Zeichensysteme des Produzenten und des Rezipienten sowie deren gemeinsame Überlappung aufgegeben und durch den Ansatz mehrerer verschiedener Varietäten bzw. Register ersetzt. Hierzu zählen die Allgemein- und die Bildungssprache sowie mehrere verschiedene Fachsprachen – etwa der Mechanik, der Elektronik oder der Verwaltung (vgl. Abb. 1).

Im Zuge einer Überarbeitung des bereits vorliegenden Modells fachlicher Kommunikation erfährt auch dieses Modell beruflicher Kommunikation eine Neufassung. Diese Neufassung enthält im Wesentlichen die folgenden Elemente (vgl. Abb. 2): Neben einem berufsbezogenen sprachlichen Text und einem entsprechenden Kotext (hier gelb bzw. hellgelb unterlegt) und einem nichtsprachlichen Kontext im Allgemeinen (nicht farblich unterlegt) wird ein Kontext im Besonderen (rot) angenommen, welcher der fachlichen und beruflichen Spezialisierung der betreffenden Personen entspricht. Im Weiteren wird nicht allein zwischen dem Produzenten und dem Rezipienten berufsbezogener Texte unterschieden (blau), sondern es wird jeweils auch von der Möglichkeit weiterer Personen ausgegan

Abb. 1 
					Modell beruflicher Kommunikation (Roelcke 2017, 159; 2020, 7)
Abb. 1

Modell beruflicher Kommunikation (Roelcke 2017, 159; 2020, 7)

gen, die an der Kommunikation beteiligt sind (hellblau); damit können Mehrfachadressierung und verwandte Phänomene gegenüber dem vorangehenden Modell ausdrücklich Berücksichtigung finden. Der Bereich einzelner fachlicher und nichtfachlicher Varietäten bzw. Register (grün) wird um ein schriftliches oder mündliches (oder elektronisches) Medium der Kommunikation (hellgrün) ergänzt, um den Besonderheiten verschiedener Zeichensysteme und ihrer Verwendung in einzelnen Texten gerecht zu werden.

Abb. 2 
					Modell beruflicher Kommunikation (Roelcke in Bearb.)
Abb. 2

Modell beruflicher Kommunikation (Roelcke in Bearb.)

Berufliche Kommunikation ist hiernach zu verstehen als eine semiotische Interaktion zwischen jeweils einem oder mehreren Produzenten und Rezipienten mit sprachlichen (wie auch nichtsprachlichen bzw. semiotischen) Zeichen aus einer oder mehreren fachlichen oder nichtfachlichen Varietäten über ein oder mehrere Medien, wobei diese Varietäten ihrerseits durch die Kommunikation geprägt werden. Diese Interaktion erfolgt in Texten, die auf einen gemeinsamen sprachlichen bzw. semiotischen Kotext zurückgreifen und dabei in einem gemeinsamen nichtsprachlichen bzw. nichtsemiotischen Kontext stehen und durch ihre Spezialisierung einen fachlichen bzw. beruflichen Kontext schaffen, der seinerseits einen Anlass für die betreffende Kommunikation darstellt. – Ein gutes (im Folgenden mit Blick auf einen Einzelfall konstruiertes) Beispiel hierfür bildet eine ophthalmologische Praxis: Hier werden unter Ärztinnen und Ärzten sowie deren Patientinnen und Patienten aus medizinischem oder anderem Anlass Texte gesprochen oder geschrieben, die jeweils dem alltags- oder bildungssprachlichen Bereich bzw. wissenschaftlichen Fachsprachen der Medizin oder der Optik oder anderen Fachsprachen aus der Verwaltung oder der Elektronischen Datenverarbeitung zuzuschreiben sind. Dabei schaffen die professionelle Expertise der Ärztinnen und Ärzte sowie die individuelle Expertise der Patientinnen und Patienten jeweils einen ganz spezifischen Ko- und Kontext, der von ausgesprochen hoher Komplexität ist und entsprechend hohe Anforderungen an deren Kommunikation und deren Voraussetzungen wie Grundlagen stellt (zur Kommunikation im Bereich der Medizin im Allgemeinen vgl. Busch/Spranz-Fogasy 2015).

4 Mehr- und Vielsprachigkeit im Beruf

Das Beispiel der Kommunikation innerhalb einer ophthalmologischen Praxis lässt deutlich werden, dass im beruflichen Kontext nicht eine, sondern mehrere sprachliche und insbesondere fachsprachliche Varietäten verwendet und von den beteiligten Personen sprachliche und insbesondere fachsprachliche Kompetenzen verlangt werden, die diesen entsprechen. Im Weiteren ist zu berücksichtigen, dass im beruflichen Kontext oft nicht eine Einzelsprache allein verwendet, sondern auf mehrere Einzelsprachen zurückgegriffen wird. – In dem gegebenen Beispiel wären dies neben dem Deutschen etwa das Englische als Wissenschaftssprache in internationalen Publikationen und andere Sprachen, deren Gebrauch durch Migration bedingt ist. Weitere Beispiele finden sich etwa mit Blick auf deutsche Ausbildungsverordnungen, die diverse fach- und fremdsprachliche Anforderungen formulieren (vgl. Roelcke 2017), oder Institutionen der Europäischen Union, in denen Englisch, Französisch und Deutsch als Arbeitssprachen im politischen oder juristischen Zusammenhang Verwendung finden (vgl. etwa Luttermann 2017).

Hiernach können nun vier Bereiche beruflicher Kommunikation unterschieden werden (wobei sich Vielsprachigkeit auf kommunikative Gemeinschaften und Mehrsprachigkeit auf einzelne Personen sowie innere auf sprachliche Varietäten und äußere auf einzelne Sprachen beziehen):

  1. Innere Vielsprachigkeit beruflicher Kommunikation: Verwendung von mehreren sprachlichen, insbesondere fachsprachlichen Varietäten innerhalb eines Berufs bzw. eines beruflichen Kontexts.

  2. Äußere Vielsprachigkeit beruflicher Kommunikation: Verwendung von mehreren einzelnen Sprachen, darunter ggf. auch einer Lingua franca, innerhalb eines Berufs bzw. eines beruflichen Kontexts.

  3. Innere Mehrsprachigkeit beruflicher Kommunikation: Kompetenz einer im Beruf bzw. im beruflichen Kontext tätigen Person im Hinblick auf mehrere sprachliche, insbesondere fachsprachliche Varietäten.

  4. Äußere Mehrsprachigkeit beruflicher Kommunikation: Kompetenz einer im Beruf bzw. im beruflichen Kontext tätigen Person im Hinblick auf mehrere einzelne Sprachen, darunter ggf. auch eine Lingua franca, innerhalb eines Berufs bzw. eines beruflichen Kontexts.

Die innere und äußere Vielsprachigkeit beruflicher Kommunikation lässt sich im Rahmen einer Matrix fassen, bei der in der Horizontalen verschiedene Varietäten und in der Vertikalen verschiedene Einzelsprachen abgetragen sind (vgl. Abb. 3). In den einzelnen Feldern wird vermerkt, welche Varietäten welcher Sprachen innerhalb eines Berufs oder eines beruflichen Kontexts Verwendung finden. Hierbei muss indessen beachtet werden, dass bestimmte Varietäten in verschiedenen Sprachen strukturell nicht deckungsgleich sind, sodass das Modell hier lediglich eine Annäherung darstellt (dies gilt nicht allein für die Allgemein- und Bildungssprache, sondern auch für verschiedene Fachsprachen). – Im Falle der ophthalmologischen Praxis könnten dies die Einzelsprachen Deutsch und Englisch für alle Varietäten sowie Türkisch und Italienisch für die Allgemein- und Bildungssprache, nicht aber für die fachlichen Varietäten sein (vgl. in Abb. 3 die exemplarischen Eintragungen in grüner Schrift).

Entsprechendes gilt für die Erfassung innerer und äußerer Mehrsprachigkeit von Personen, die in einem Beruf oder beruflichen Kontext tätig sind: Hier erscheinen einzelsprachliche Kompetenzen in der Vertikalen und Kompetenzen im Bereich einzelner Varietäten in der Horizontalen (vgl. Abb. 4). In den Feldern der Matrix sind die entsprechenden erst-, zweit- und fremdsprachlichen Kompetenzen auf den verschiedenen Kompetenzniveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) einzutragen. – In dem Beispiel könnten einer ophthalmologischen Fachärztin Sprachkompetenzen in nahezu allen Varietäten im Türkischen (Erstsprache), Deutschen (Fremdsprache auf Niveau C2 des Gemeinsamen

Abb. 3 
					Äußere und innere Vielsprachigkeit beruflicher Kommunikation (vgl. Roelcke 2022); Beispiel in grüner Schrift – vgl. Text
Abb. 3

Äußere und innere Vielsprachigkeit beruflicher Kommunikation (vgl. Roelcke 2022); Beispiel in grüner Schrift – vgl. Text

Europäischen Referenzrahmens, GER) und Englischen (Fremdsprache C1), jedoch geringere Kompetenzen in der Fachsprache der Elektronischen Datenverarbeitung und kaum Kompetenzen im Italienischen unterstellt werden (vgl. in Abb. 4 die exemplarischen Eintragungen in blauer Schrift), den Angestellten hingegen vielleicht eine deutsche und englische sowie darüber hinaus eine türkische oder italienische Sprachkompetenz im Allgemeinen sowie verschiedene fachsprachliche Kompetenzen im Besonderen. An dieser Stelle wird deutlich, dass es einer weiteren Diskussion bzw. neuen Fassung von GER-Niveaus hinsichtlich fach- und berufssprachlicher Kompetenzen bedarf, die hier jedoch nicht geführt werden kann.

Abb. 4 
					Äußere und innere Mehrsprachigkeit beruflicher Kommunikation (vgl. Roelcke 2022); L1 = Erstsprache, ASK = Allgemeine Sprachkompetenz, AFK = Allgemeine Fachsprachen-kompetenz, FSK = (Spezielle) Fachsprachenkompetenz; SK = Sprachkompetenz; Beispiel in blauer Schrift – vgl. Text
Abb. 4

Äußere und innere Mehrsprachigkeit beruflicher Kommunikation (vgl. Roelcke 2022); L1 = Erstsprache, ASK = Allgemeine Sprachkompetenz, AFK = Allgemeine Fachsprachen-kompetenz, FSK = (Spezielle) Fachsprachenkompetenz; SK = Sprachkompetenz; Beispiel in blauer Schrift – vgl. Text

5 Modell mehr- und vielsprachiger Berufskommunikation

Ein angemessenes Modell beruflicher Kommunikation hat sowohl innere und äußere Viel- als auch Mehrsprachigkeit zu berücksichtigen (vgl. Abb. 5). Die Berücksichtigung von Vielsprachigkeit im Beruf in dem Modell beruflicher Kommunikation erfolgt in diesem Falle dadurch, dass der Bereich einzelner fachlicher und nichtfachlicher Varietäten bzw. Register durch die Matrix der äußeren und inneren Vielsprachigkeit beruflicher Kommunikation ersetzt wird, sodass nun nicht allein die einzelsprachlichen Varietäten der Allgemein- und der Bildungssprache sowie der verschiedenen Fachsprachen, sondern auch mehrere Einzelsprachen selbst erscheinen (grün unterlegt). Die Mehrsprachigkeit berufstätiger Personen wird analog hierzu erfasst, indem diesen jeweils eine (aus darstellungstechnischen Gründen vereinfachte) Matrix der äußeren und inneren Mehrsprachigkeit zugeordnet wird, sodass deren allgemeine Sprachkompetenz und allgemeine Fachsprachenkompetenz sowie verschiedene spezielle fachsprachliche Kompetenzen berücksichtigt werden (blau unterlegt).

Abb. 5 
					Modell viel- und mehrsprachiger Berufskommunikation (Roelcke in Bearb.); ES = Einzelsprache, AS = Allgemeinsprache, BS = Bildungssprache, FS = Fachsprache
Abb. 5

Modell viel- und mehrsprachiger Berufskommunikation (Roelcke in Bearb.); ES = Einzelsprache, AS = Allgemeinsprache, BS = Bildungssprache, FS = Fachsprache

Der Vorteil dieses Modells (Abb. 5) gegenüber dem allgemeinen Modell beruflicher Kommunikation (Abb. 2) besteht nun darin, dass sowohl die Konstellationen aus einzelnen Sprachen und einzelsprachlichen Varietäten, die in bestimmten Berufen oder beruflichen Kontexten erscheinen, als auch die auf einzelne Sprachen und deren Varietäten bezogenen Kompetenzen der an der beruflichen Kommunikation beteiligten Personen ausdrücklich verzeichnet werden. Im Vergleich zu deren Erfassung innerhalb einer einfachen Matrix von Vielsprachigkeit (Abb. 3) und einer solchen von Mehrsprachigkeit (Abb. 4) zeichnet sich das Modell (Abb. 5) durch eine explizite Verbindung zwischen den beruflich relevanten Sprachen und Varietäten sowie den Personen aus, die innerhalb eines Berufs bzw. beruflichen Kontexts anhand von beruflichen Texten kommunizieren und dabei in einem gemeinsamen beruflichen Ko- und Kontext stehen. Damit wird letztlich eine zugleich exhaustive wie auch detaillierte Erfassung von Mehr- und Vielsprachigkeit beruflicher Kommunikation erreicht.

6 Fazit

Der Ansatz eines Konzepts beruflicher Kommunikation bei Ablehnung eines solchen von Berufssprache ermöglicht es, die komplexen Verhältnisse von Berufskommunikation angemessen zu erfassen. Dies gilt insbesondere auch für die Berücksichtigung der Allgemein- und der Bildungssprache sowie der verschiedenen fachsprachlichen Varietäten, die im Rahmen beruflicher Kommunikation verwendet werden. In einem entsprechenden Modell beruflicher Kommunikation kann darüber hinaus auch die weit verbreitete Mehr- und Vielsprachigkeit beruflicher Kommunikation erfasst werden, indem eine Matrix äußerer und innerer Vielsprachigkeit in den Bereich der entsprechenden einzelsprachlichen Varietäten integriert und jeweils eine Matrix äußerer und innerer Mehrsprachigkeit den im beruflichen Kontext kommunizierenden Personen zugeordnet wird.

Eine solches theoretisches Modell dient nicht allein der exhaustiven wie detaillierten Erfassung von Mehr- und Vielsprachigkeit beruflicher Kommunikation als solcher. Sie ist darüber hinaus als konzeptionelle Grundlage künftig auch für verschiedenartige Anwendungsbereiche von erheblicher praktischer Bedeutung und sollte auch und gerade in der empirischen Forschung Berücksichtigung finden (vgl. unter anderem Auer/Wei 2009; Efing/Kiefer 2018; Gogolin et al. 2020; Gretsch/Wulff 2022; Roelcke 2013): Dies gilt zum einen für die Erfassung von beruflicher Mehr- und Vielsprachigkeit in einzelnen Ländern und Regionen sowie Institutionen und Unternehmen, um entsprechende Maßnahmen im Bereich von Sprachplanung und Sprachenpolitik zu ergreifen, so zum Beispiel im Falle von einzelnen Stadtteilen oder Krankenhäusern von Metropolen wie Berlin, wo neben dem Deutschen als Erst- und Fremdsprache und dem Englischen als internationaler Lingua franca zahlreiche weitere Sprachen aus dem osteuropäischen, asiatischen, afrikanischen und amerikanischen Raum im Berufsleben Verwendung finden. Zum anderen kann mit der Erfassung von Mehr- und Vielsprachigkeit beruflicher Kommunikation auf verschiedenartige didaktische Erfordernisse reagiert werden, indem allgemein-, bildungs- und fachsprachliche Erwerbsprozesse auf die spezifischen Bedürfnisse einzelner Personen oder ganzer Gruppen in Alltag und Beruf hin ausgerichtet und gestaltet werden; dies gilt nicht allein für den Bereich von Schulen und Hochschulen, sondern auch für denjenigen öffentlicher Institutionen oder wirtschaftlicher Unternehmen.

About the author

Prof. Dr. Thorsten Roelcke

studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Heidelberg, wo er 1988 promoviert und 1993 habilitiert wurde. Nach verschiedenen Tätigkeiten an den Universitäten Heidelberg und Freiburg, an denen er jeweils zum außerplanmäßigen Professor ernannt wurde, sowie am Kolleg St. Blasien folgte er 2008 dem Ruf auf eine Professur für deutsche Sprache und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Seit 2014 ist er Professor für Deutsch als Fremdsprache mit den Schwerpunkten Linguistik und Didaktik von Fachsprachen und interkulturelle Kommunikation an der Technischen Universität Berlin. Hier ist er Leiter des Fachgebiets „Deutsch als Fremdsprache“, Verantwortlicher für den Masterstudiengang „Deutsch als Fremd- und Fachsprache“ und Wissenschaftlicher Leiter der „Zentraleinrichtung Moderne Sprachen“ (ZEMS). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Fachkommunikation, Deutsch als Fremdsprache sowie Sprachwandel und Sprachgeschichte des Deutschen.

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Published Online: 2022-12-06
Published in Print: 2022-11-24

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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