In aktuellen Diskussionen – sowohl im politischen, medialen wie wissenschaftlichen Feld – wird mit dem Begriff der Alternativmedien regelmäßig auf eine Publikationstätigkeit von Akteur*innen aus dem rechtsextremen bzw. verschwörungsideologischen Spektrum Bezug genommen. Auch in diesen Kreisen wird der Begriff selbstbewusst verwendet und in den Gegensatz zu Mainstream-Medien – oder zugespitzt – der Lügen-Presse gestellt. Ursprünglich jedoch war der Begriff Alternativmedien in den späten 1960er Jahren für Zeitschriftenprojekte entstanden, die in enger Verbindung zu den (neuen) sozialen Bewegungen partizipative Strukturen und emanzipative Zielsetzungen verfolgten. Die Projekte sollten – so unterschiedlich sie auch thematisch, räumlich, gestalterisch und temporär aufgestellt waren – eine unzensierte Plattform für Themen sein, die in den etablierten privaten Medien, aber auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach Ansicht der Produzent*innen keinen Platz fanden oder inhaltlich verzerrt dargestellt wurden. In den Alternativmedien wurden insbesondere antikapitalistische, feministische, anti-Atomkraftnutzung und antimilitaristische Positionen sichtbar, auch eine unzureichende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit wurde vielfach beklagt.
Die entsprechenden Projekte sind heute entweder eingestellt, kommerzialisiert (Stadtzeitungen) oder professionalisiert (die tageszeitung), wenn sie auf eine inzwischen jahrzehntelange Erscheinungsgeschichte zurückblicken. Gleichwohl gibt es auch aus dem linken Milieu immer wieder neue Gründungen und Projekte zur Herstellung einer Gegenöffentlichkeit.
Das Schwerpunktthema dieser Ausgabe will der skizzierten Entwicklung insofern Rechnung tragen, als diese empirisch wie theoretisch bestimmt werden soll. Hierzu gehören etwa die Veränderungen von Öffentlichkeit und Mediensystemen, das Auftreten handlungsfähiger Akteur*innen von rechtsaußen sowie die Entwicklung einer rhizomatischen Medienlandschaft rechtsaußen. Zugleich soll deutlich werden, dass es auch für emanzipative Zielsetzungen und Politiken weiterhin Medienangebote jenseits des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der großen Verlagshäuser gibt. Für diese Angebote wird etwa der Begriff transformative media vorgeschlagen, während für die rechten Medienangebote von defensiven Medien gesprochen wird.
Zu den Beiträgen dieser Ausgabe
Der erste Beitrag von Tanja Thomas „Was ist heute noch (Gegen)Öffentlichkeit?“ nimmt die aktuelle Kontroverse um die Berufung und dann Absetzung von Thilo Mischke als Moderator des Kulturmagazins ttt Anfang 2025 zum Anlass, über die Möglichkeiten zivilgesellschaftliche Akteur*innen und deren Interventionen gegen(über) etablierten Medien nachzudenken und richtet dann den analytischen Blick auf die Entwicklung der Konzeptualisierung von Öffentlichkeit, Gegenöffentlichkeit und Gegenöffentlichkeiten im Kontext der drei Metaprozesse: Veränderung sozial-räumlichen Referenzrahmen jenseits nationalstaatlicher Verfasstheiten, zunehmende Kommodifizierung und Oligopolbildung sowie die ambivalenten Folgen der Digitalisierung. Versteht man Gegenöffentlichkeit dabei auch als Selbstverständigungs- und Brückenfunktion, so sei insbesondere bei den an Bedeutung gewinnenden rechtsextremen Medienangeboten und den dort angebotenen Wissensbeständen auf den Stellenwert von Gefährdungsnarrativen zu achten. Abschließend finden sich Impulse, Initiativen zu stärken, die den Handlungsspielraum für demokratische Gegen-Öffentlichkeiten insbesondere in digitalen Räumen stärken.
Im Beitrag von Sandra Jeppesen und der Media Action Research Group „Transformative Medien: alternative Medien rutschen von links nach rechts“ markieren die Autor*innen zunächst die Charakteristika transformativer Medien, die in Opposition zu globalen gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen wie Krieg, geschlechtsspezifische Gewalt, kolonialen Rassismus und Völkermord stünden und darauf aus sind, Gleichheit im Hier und Jetzt zu erreichen und Praktiken der Fürsorge in Bewegungen für soziale Gerechtigkeit zu integrieren. Demgegenüber seien die rechten Medien der Alt-Right-Bewegung repressiv und regressiv, da sie mit autoritären Populismen verbunden seien und emanzipatorische Bewegungen und Positionen bekämpfen. Im Detail veranschaulichen die Autor*innen drei Formen der Aneignung, die seitens der regressiven Medien praktiziert werden, um politische Geländegewinne zu erzielen.
Eine andere Lesart findet sich im Beitrag von Matthias Kast „Alternativmedientheorie im Wandel. Rechtsgerichtete Medienphänomene als Ausdruck publizistischer Gegenöffentlichkeit“. Er ruft die enge Verbindung von alternativen Medien mit sozialen Bewegungen in Erinnerung, die auch mit dem Begriff der radikalen Medien zum Ausdruck gebracht wurde, skizziert jedoch zugleich die große Bandbreite alternativer Medien, zu denen er auch die Bürgermedien rechnet, die von und für eher überschaubare Gemeinschaften produzieren. Die damit aufgerufene Bedeutung des Publikums in Konzeptionen von Gegenöffentlichkeit wird nicht zuletzt deshalb betont, weil mit der Nutzung der Alternativmedien auch identitätsstiftende Aspekte verbunden sind. Dass mit dem Erstarken rechter Bewegungen und Parteien der Begriff Alternativmedien nun auch auf deren Medienangebote angewendet wird, hält Matthias Kast unter Verweis auf die in der wissenschaftlichen Literatur anzutreffenden Kriterien für nachvollziehbar. Zugleich verweist er auf die jüngere Diskussion, die etwa eine Differenzierung in systemfeindlich und polarisierend sowie irrelevant und nicht-systemfeindlich vorschlägt.
Dass die systematische analytische Beschäftigung mit Medien der populistischen und extremen Rechten zwingend notwendig ist, verdeutlicht Fabian Virchow in seinem Beitrag „Hass-Rede-Freiheit“. Er markiertt einleitend knapp die Bandbreite der Forschung, die es inzwischen insbesondere zu den entsprechenden medialen Angeboten in digitalen Öffentlichkeiten gibt. Im Fokus stehen die Perspektiven der populistischen und extremen Rechten auf die aktuellen Medienangebote und -strukturen, deren Selbstzuschreibung von Glaubwürdigkeit als Alternative, die medienpolitischen Entscheidungen, sofern die Machtmittel dazu verfügbar sind, sowie die kommunikative Arena dieses politischen Spektrums. Im Unterschied zu vielen Jahrzehnten, in denen die Vielfalt der extrem rechten Medien die Großpartei ersetzte, findet sich aktuell eine Situation, in der es mit der AfD die Großpartei gibt, der sich zahlreiche Medien zuordnen und die ihre Reichweite mittels der digitalen Plattformen multipliziert.
Der Beitrag von Dominik Hammer „Welche Rolle spielen alternative Medien in Radikalisierungsprozessen?“ diskutiert angesichts der in den letzten Jahren zu beobachtenden Vervielfältigung verschwörungsideologischer und rechter bis rechtsextremer Medienangebote die Frage nach deren radikalisierendem Potential. Dabei rücken insbesondere zwei Faktoren in den Fokus der Betrachtung: die massive Zunahme der Verbreitung von fake news und Misinformation beeinflusst die politische Meinungsbildung negativ und trage zur gesellschaftlichen Polarisierung massiv bei. Darüber hinaus setzten die rechten Medien stark auf emotionalisierende Kommunikation, so dass – etwa bei rechten Influencer*innen – eine enge und tendenziell exklusive Bindung zwischen Medium und Publikum entstehe, so dass dieses anderen und ggfs. gemäßigten Deutungen nicht mehr offen gegenüberstehe.
Dass es auch gegenwärtig eine Kultur emanzipativer Medienangebote gibt, lässt sich dem Beitrag von Stine Eckert „Intersektional vernetzt, solidarisch, kreativ: Feministische Medienstrategien“ detailliert entnehmen. Im Beitrag wird auf ein Verständnis von Feminismus rekurriert, das die soziale Konstruktion von Geschlecht ernst nimmt, intersektionale Verschränkungen einbezieht und die entsprechend vermachteten gesellschaftlichen Strukturen thematisiert. In einem breiten Zugriff wird anhand zahlreicher Beispiele – insbesondere aus den USA – verdeutlicht, wie vielfältig und kraftvoll auch heute noch feministische Stimmen in Medien ganz unterschiedlicher Gestaltungsform sind. Nicht zuletzt die digitalen Aktivitäten des feministisch vernetzten Aktivismus – wie etwa Hashtag-Aktivismus oder Hacktivismus – stehen dabei für die Verschränkung von Online- und Offlineöffentlichkeiten, die ihre Wandelbarkeit und Kontinuität in starkem Maße kollektiv resilient zum Ausdruck bringen wie zugleich bereitstellen. Illustrative Beispiele verdeutlichen den Stellenwert von Humor, die Bedeutung von Intersektionalität und die Kreativität bei der Finanzierung feministischen Medienhandelns.
Den Blick zurück auf die 1970er und 1980er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland richtet Jan Bönkost in seinem Beitrag „Instandbesetzer der Rundfunkfreiheit“. Basierend auf einem Forschungsprojekt werden Selbstverständnis und Rundfunkpraktiken der Freien Radios und der Piratensender vorgestellt, die sich in enger Verbindung zu emanzipatorischen sozialen Bewegungen und Protestzyklen sahen und in zahlreichen Städten, aber auch bei der Besetzung in Gorleben eine hörbare Rolle spielten und eine Zeitlang das Medienangebot jenseits öffentlich-rechtlicher und privatwirtschaftlicher Betreiber erweiterten.
Wie Hate Speech in digitalen Öffentlichkeiten wirksam begegnet werden kann, wird noch immer kontrovers diskutiert und praktisch erprobt. Marcel Jaspert und Mona Gusinde stellen im Beitrag „Vom Deplatforming zum Replatforming“ Ergebnisse eines Projektes vor, das sich damit befasst, welche Strategien und Vorgehensweisen extrem rechte Influencer*innen entwickeln, um trotz mancher Restriktionen, denen sie sich durch Plattformpolitiken ausgesetzt sehen, weiterhin digitale Raumnahme betreiben zu können. Dabei verdeutlicht die Forschung, dass auch der Grad der rechtsextremen Mobilisierung maßgeblich von der Plattformpolitik abhängig ist.
Fabian Deus und Friedemann Vogel stellen in ihrem Text „Neue Rechte, linke Sprache?“ ausgewählte Ergebnisse eines Forschungsprojektes vor, das unter Verwendung einer computergestützten Diskursanalyse große Datenmengen der Social-Media-Plattform twitter/X danach untersucht hat, welche gruppenspezifischen Sprachgebräuche und Argumentationsmuster seitens der extremen Rechten in den Kampf um Deutungshoheit eingebracht werden. Die Analyse verdeutlicht die Zentralität der Kommunikationsstrategien ‚Provokation‘, ‚Selbstverharmlosung‘ und ‚Verzahnung‘, erlaubt aber auch Vorschläge für kommunikative Reaktionsmöglichkeiten.
Unter dem Titel „Graphic Liberation“ stellt Fabian Virchow die in Kanada erscheinende Zeitschrift Signal vor. Deren Herausgeber sehen sich eng verbunden mit linken Bewegungen und emanzipatorischem Protestgeschehen und stellen sowohl historische als auch gegenwärtige graphische und visuelle Interventionen vor, seien es Plakate, Wandmalereien, Buchcover, Anstecker oder Plattencover.
Die Rubriken
In der Rubrik IPB beobachtet stellt das Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung regelmäßig Analysen aus der eigenen Forschungsarbeit vor. Larissa Meier und Priska Daphi berichten über die zersplitterte Protestlandschaft nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
In der Rubrik Pulsschlag stellen Lilian Mauthofer und Jannis Julien Grimm die Kontroverse um Palästina-Solidarität an deutschen Hochschulen vor.
In der Literatur-Rubrik dieser Ausgabe werden drei aktuelle Veröffentlichungen besprochen. Den Auftakt macht Hans Jonas Gunzelmann mit einer Rezension von „The Rise of the Masses: Spontaneous Mobilization and Contentious Politics“. In dem Buch geht Benjamin Abrams der Frage nach, wie sich Massenmobilisierungen erklären lassen, in denen vorwiegend Menschen ohne vorherige Verbindungen zu Bewegungsorganisationen oder -netzwerken protestieren. Die von ihm vorgeschlagene „Affinität-Konvergenz-Theorie“ versucht dabei, individuelle Haltungen und Neigungen mit begünstigten Kontextbedingungen zu kombinieren. Obgleich sich der rote Faden des Buches bisweilen angesichts der Kleinteiligkeit und Vielzahl von Erklärungsfaktoren verliere, „leistet das Buch einen entscheidenden Beitrag zur Protest- und Bewegungsforschung“, so der Rezensent.
Gisela Mackenroth nimmt den Band „Gemeinschaft als urbane Praxis“ von Talja Blokland in den Blick. Hierbei handelt es sich um die deutsche Übersetzung eines englischsprachigen Buches, in dem Blokland ihre langjährigen ethnographischen Studien zu Nachbarschaften in urbanen Räumen zu einer Theorie der Gemeinschaft bündelt – und damit laut Mackenroth Interessierte aus Sozialforschung und politischer Praxis einlädt, „vorschnelle Annahmen zur (Un-)Möglichkeit von Gemeinschaft zu hinterfragen“.
Abgerundet wird die Rubrik mit einer Rezension von Sophie Uhl zu Tareq Sydiqs Buch „Die neue Protestkultur“. Dieser an eine breitere Öffentlichkeit gerichtete Band liefere laut der Rezensentin eine gute, leicht verständliche Einführung in die Protestforschung anhand von unterschiedlichen aktuellen Protesten weltweit. Dennoch fällt ihr Fazit gemischt aus, da dem Buch „ein sehr bürgerlich-privilegiertes Verständnis“ von Protest anhafte.
In der ergänzenden Rubrik FJSB online Plus finden sich folgende Beiträge: Valentin Ihßen analysiert die Geschichte der wichtigen Plattform Campact anlässlich deren 20. Geburtstag (herzlichen Glückwunsch!). Gerrit Weitzel, Sebastian Kurtenbach und Andreas Zick stellen eine ethnographische Analyse zur Bedeutung des Raumes für antiisraelische Proteste in Neukölln vor. Karl-Heinz Reuband untersucht den Stellenwert der Ortsgröße für politische Proteste am Beispiel Sachsens. Achim Brunnengräber und sein Team stellen die Debatte um eine Beschleunigung bei der Errichtung eines atomaren Endlagers vor und setzen damit eine Diskussion fort, die im Forschungsjournal schon seit Monaten intensiv geführt wird. Ole Klem, Marco Dohle und Lasse Scheipers stellen eine Tagebuchstudie zu politischem Konsum im Alltag vor.
Fabian Virchow, Düsseldorf
und
Ansgar Klein, Berlin
© 2025 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Artikel in diesem Heft
- Frontmatter
- Editorial
- Gegenöffentlichkeit und Alternativmedien
- Themenschwerpunkt: Gegenöffentlichkeit und Alternativmedien
- Was ist heute noch (Gegen)Öffentlichkeit?
- Intersektional vernetzt, solidarisch, kreativ: Feministische Medienstrategien
- Transformative Medien: Alternative Medien rutschen von links nach rechts
- Hass-Rede-Freiheit – Medienhandeln der populistischen und extremen Rechten
- Alternativmedientheorie im Wandel
- Welche Rolle spielen alternative Medien in Radikalisierungsprozessen?
- „Instandbesetzer der Rundfunkfreiheit“
- Vom Deplatforming zum Replatforming
- Neue Rechte, linke Sprache?
- Graphic Liberation oder: 15 Jahre SIGNAL
- IPB beobachtet
- Konflikte um Frieden
- Pulsschlag
- Zwischen Wissenschaftsfreiheit und Palästina-Solidarität
- Literatur
- Wie Massen mobilisiert werden
- Von der flüchtigen Begegnung zur Gemeinschaft – Impulse für Organizing in der Stadt
- Protestforschung für Einsteiger*innen
Artikel in diesem Heft
- Frontmatter
- Editorial
- Gegenöffentlichkeit und Alternativmedien
- Themenschwerpunkt: Gegenöffentlichkeit und Alternativmedien
- Was ist heute noch (Gegen)Öffentlichkeit?
- Intersektional vernetzt, solidarisch, kreativ: Feministische Medienstrategien
- Transformative Medien: Alternative Medien rutschen von links nach rechts
- Hass-Rede-Freiheit – Medienhandeln der populistischen und extremen Rechten
- Alternativmedientheorie im Wandel
- Welche Rolle spielen alternative Medien in Radikalisierungsprozessen?
- „Instandbesetzer der Rundfunkfreiheit“
- Vom Deplatforming zum Replatforming
- Neue Rechte, linke Sprache?
- Graphic Liberation oder: 15 Jahre SIGNAL
- IPB beobachtet
- Konflikte um Frieden
- Pulsschlag
- Zwischen Wissenschaftsfreiheit und Palästina-Solidarität
- Literatur
- Wie Massen mobilisiert werden
- Von der flüchtigen Begegnung zur Gemeinschaft – Impulse für Organizing in der Stadt
- Protestforschung für Einsteiger*innen