Die sogenannten Krawallnächte als Conjuncture: Wie gewaltvolle Ausschreitungen diskursiv ent- und repolitisiert werden
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Laura Kotzur
Laura Kotzur ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Nachwuchsgruppe „Transnational Conflicts“ am Institut für interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung der Freien Universität Berlin und forscht zutransitional justice undtransformative justice in den ehemaligen Metropolen des Kolonialismus.
Zusammenfassung
Ausschreitungen und Gewalt im urbanen Raum stellen immer wieder Projektionsflächen für diskursive Eskalationen und politische Deutungshoheiten dar. Sie können mit Stuart Hall als Conjunctures verstanden werden, in denen situative Ereignisse und medial-diskursive Deutungskämpfe in ein größeres Aushandlungsgefüge eingebettet werden. Durch die Analyse von hegemonialen und oppositionellen Lesarten der Ereignisse eröffnet sich dieser umkämpfte Raum. Im Folgenden soll dieser exemplarisch an den sogenannten Krawallnächten in Stuttgart und Frankfurt im Sommer 2020 diskursanalytisch nachgezeichnet werden. Es zeigt sich, dass die oppositionelle Lesart die versicherheitlichenden und rassifizierenden/kulturalisierenden Lesarten des hegemonialen Narrativs herausfordert und repolitisiert. Welcher Strategien sich beide Lesarten bedienen, soll in diesem Artikel dargestellt werden.
Abstract
Unrest and violence in urban space repeatedly represent projection surfaces for discursive escalations and political interpretive dominances. With Stuart Hall, they can be understood as conjunctures in which situational events and media-discursive interpretive struggles are embedded in a larger negotiation structure. The analysis of hegemonic and oppositional codes of events opens up this contested space. In the following, the so-called Krawallnächte in Stuttgart and Frankfurt in the summer of 2020 will be used as an example to trace this space through conjunctural analysis. It becomes apparent that the oppositional reading challenges and repoliticizes the securitizing and racializing/culturalizing strategies of the hegemonic narrative. The strategies that both codes use are presented in this article.
About the author
Laura Kotzur ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Nachwuchsgruppe „Transnational Conflicts“ am Institut für interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung der Freien Universität Berlin und forscht zu transitional justice und transformative justice in den ehemaligen Metropolen des Kolonialismus.
Literatur
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© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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