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IT-Organisation in Hochschulen und ihren Bibliotheken

  • Peter Kostädt

    Universität Potsdam, Chief Information Officer (CIO), Am Neuen Palais 10, D-14469 Potsdam

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Published/Copyright: July 6, 2022

Zusammenfassung

Die große Bedeutung der Informationstechnologie für die Wissenschaftsdisziplinen und die zentralen Infrastruktureinrichtungen der Hochschulen steht heutzutage außer Frage. Der Beitrag liefert einen historischen Überblick über die Einführung und Weiterentwicklung der IT in deutschen Hochschulen von den 1950er-Jahren bis heute, wobei der Fokus auf den Bibliotheken und Rechenzentren liegt. Es zeigt sich, dass die verschiedenen Phasen der Technologieentwicklung zu heterogenen IT-Organisationsstrukturen in den Hochschulen geführt haben. DFG und HRK empfehlen daher seit 20 Jahren die Klärung der Verantwortlichkeiten im Rahmen einer IT-Governance sowie die Implementierung eines CIO-Modells. Wie verschiedene Studien zeigen, ist die Umsetzung in der deutschen Hochschullandschaft bislang jedoch nur in Teilen gelungen. Die Herausforderung an vielen Hochschulen besteht nach wie vor darin, die IT-Organisation aus ihrer reaktiven Rolle zu befreien und zu einem aktiven Treiber der digitalen Transformation umzubauen.

Abstract

The great importance of information technology for scientific disciplines and central infrastructure units of universities is beyond question. The article provides a historical overview of the beginnings and further development of IT in German universities since the 1950s, with a special focus on libraries and data centers. It appears that different phases of technology development have led to heterogeneous organizational IT structures within universities. In the last 20 years, DFG and HRK are therefore recommending a clarification of responsibilities within IT governance and an implementation of a CIO model. As various studies are showing, this has so far only partially succeeded. Nowadays, the challenge for many universities is still to libertate the IT organization from its reactive role and move it to an active driver for digital transformation.

1 Einführung und Entwicklung der IT an deutschen Hochschulen

Die Entwicklung der IT-Organisation in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen seit den 1950er-Jahren ist eng verknüpft mit der technischen Evolution im Bereich der Hardware und Rechnernetze und der damit einhergehenden Weiterentwicklung der IT-Konzepte und -Architekturen. In der Literatur ist in diesem Zusammenhang vielfach von einem Computing-Paradigmenwechsel die Rede, der von der Großrechner-Phase über mehre Zwischenschritte bis zur Cloud-Computing-Phase reicht.[1] Auch in den deutschen Hochschulen und ihren Bibliotheken haben die unterschiedlichen Phasen zu einem Aufbau und kontinuierlichem Ausbau der IT-Organisation geführt.

1.1 Großrechenanlagen

Bereits Anfang der 1950er-Jahre wurden an einzelnen Hochschulinstituten in Darmstadt, Dresden, Göttingen und München selbstentwickelte Röhrenrechner in Betrieb genommen.[2] Die Verfügbarkeit industriell gefertigter Großrechner (Mainframes) und die Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ab 1952 führten schnell zu einer Verbreitung des wissenschaftlichen Rechnens.[3] Ab 1956 wurden an den Universitäten die ersten Rechenzentren für Forschung und Lehre gegründet, zunächst an den Technischen Hochschulen in Aachen, Berlin und München. Die 1962 von der Kultusministerkonferenz beschlossenen „Grundsätze für die Errichtung und den Betrieb von Hochschulrechenzentren“ förderten in den 1960er-Jahren an vielen Standorten die Beschaffung eines Großrechners sowie begleitend die Gründung eines Rechenzentrums als zentrale Einrichtung. Die Personalausstattung war knapp bemessen, so verfügte beispielsweise das 1963 gegründete Marburger Hochschulrechenzentrum anfänglich über einen Mathematiker, einen Techniker und eine Schreibkraft.[4]Von 1963 bis 1975 wuchs die Belegschaft auf 28 Personen an, so dass erstmalig eine Abteilungsstruktur eingeführt wurde. Gleichzeitig wurde 1973 in Marburg eine hauptamtliche Leitung bestellt, nachdem das Rechenzentrum in den Jahren zuvor ausschließlich von Professoren im Nebenamt geleitet worden war.[5]

In den 1960er-Jahren erkannten auch die ersten Universitätsbibliotheken in Deutschland das große Potential der automatisierten Datenverarbeitung. Vorreiter waren die Bibliotheken der neugegründeten Hochschulen in Bochum, Bielefeld, Konstanz und Regensburg, in denen die Literaturbestände mittels Lochkarten oder -streifen in maschinenlesbarer Form erfasst wurden. Parallel dazu wurden ab 1963 in Berlin und Bochum erste Verfahren zur rechnergestützte Ausleihverbuchung entwickelt, die auf einer Batch-Verarbeitung der gesammelten Transaktionen eines Tages beruhten.[6] Auch in einigen „alten“ Universitäten mit oftmals großen zweischichtigen Bibliothekssystem wurden in den 1970er-Jahren ähnliche Verfahren entwickelt. Die Bibliotheken traten dabei zunächst als Mitnutzer der Rechenanlagen ihrer Hochschulrechenzentren auf, lediglich die Universitätsbibliothek Bochum verfügte bereits ab 1964 über eine eigene Siemens-Anlage.[7] Dadurch kam es an vielen Standorten zu Kapazitätsengpässen (in personeller und technischer Hinsicht), welche den Aufbau eigenständiger Abteilungen für die „Automatisierte Datenverarbeitung“ (ADV) in den Bibliotheken sowie in der Folge auch die Gründung der regionalen Verbundzentralen als Planungs- und Dienstleistungseinrichtungen für die Hochschulbibliotheken maßgeblich befördert haben. So heißt es beispielsweise in den im Januar 1974 verabschiedeten „Empfehlungen für den Einsatz der Datenverarbeitung in den Hochschulbibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen“:

„Bei einer Zusammenarbeit zwischen Bibliothek und Hochschulrechenzentrum ist eine Aufgabenteilung zweckmäßig:

– Systembezogene Programmierung muß durch Personal erfolgen, das gründliche Kenntnisse des Betriebssystems in der Anlage hat, in aller Regel also durch Angehörige des Rechenzentrums.

– Anwendernahe Programmierung sollte durch Personal geleistet werden, das gründliche Kenntnisse der bibliothekarischen Arbeitsabläufe besitzt, in der Regel also durch bibliothekarische Fachkräfte.

Die Zusammenarbeit zwischen Bibliothek und Rechenzentrum sollte organisatorisch in der Bibliothek durch ein eigenes ADV-Referat, im Rechenzentrum durch ein Referat, das für die Daueraufgaben der Bibliothek zuständig ist, abgesichert sein.“[8]

1.2 Kleincomputer

Mit der zunehmenden Verbreitung der sog. Kleincomputer oder Minirechner, die nicht mehr ganze Räume, sondern „nur“ noch größere Schränke ausfüllten, begannen sich die Rechenkapazitätsprobleme in den Hochschulen zu lösen. Die Verbundzentralen und ADV-Referate in den Bibliotheken wurden nach und nach mit eigener Hardware ausgestattet – ein Trend, der durch die Entwicklung der Mikroprozessoren und die Verfügbarkeit von immer kleineren und kostengünstigeren Servern, Workstations und PCs ab den 1980er-Jahren nicht mehr aufzuhalten war. An vielen Hochschulen entstanden während dieser Phase heterogene IT-Landschaften und ‑Organisationsstrukturen in den zentralen Bereichen (Rechenzentrum, Bibliothek, Verwaltung) sowie auch dezentral in den Fakultäten und Fachbereichen, die sich vor allem in größeren Universitäten bis heute gehalten haben.

1.3 PC-Netze

Ab Mitte der 1980er-Jahre widmeten sich die personell angewachsenen ADV-Referate in den Bibliotheken dem Aufbau von bibliothekseigenen PC-Netzen. Die Universitätsbibliothek Bielefeld zählte hierbei zu den Pionieren:

„Ziel der Gesamtentwicklung ist es, daß sämtliche EDV-Dienstleistungen der Bibliothek von allen EDV-Arbeitsplätzen innerhalb der Universität in Anspruch genommen werden können. Darüber hinaus soll der Zugriff auf den Katalog, auf Ausleih- und Buchbestelldaten sowie auf Zeitschriftenheftnachweise auch von bibliotheksexternen Stellen über die üblichen Kommunikationsnetze möglich sein.“[9]

Die sog. Local Area Networks (LANs) hatten anfänglich eine Reichweite von wenigen Kilometern und erlaubten gleichzeitige Zugriffe von mehreren PCs auf CD-ROM-Datenbanken und -Kataloge, die z. B. in Bielefeld auf einem Novell-Access-Server gehostet wurden. Auch das Bochumer Ausleih- und Verbuchungs-System (BABSY) wurde Ende der 1980er-Jahre auf eine solche Client-Server-Architektur umgestellt:

„Das Bibliotheksnetz mit den Buchungsplätzen, den Clients, war durch ein Lichtwellenleiterkabel mit dem Rechenzentrum verbunden, wo die datenhaltenden File-Server des Bibliothekssystems standen. Mit der Verbindung zum Rechenzentrum war die Möglichkeit geschaffen, ein damals bereits geplantes universitäres LAN mit dem Bibliotheksnetz zu verbinden, um dann die über das Bibliothekssystem bereitgestellten Informationsdienste wie beispielsweise der damals in Planung befindliche elektronische Online-Katalog (OPAC) universitätsweit anbieten zu können.“[10]

Für die sog. Datenfernübertragung (DFÜ) führte die Deutsche Bundespost 1980 das Kommunikationsnetz Datex-P ein, das auch über das Telefonnetz erreichbar war und über viele Jahre den Online-Datenaustausch zwischen den „dummen Katalogisierungsterminals“ und den großrechnerbasierten Verbunddatenbanken regelte. In den USA verbreitete sich zu dieser Zeit bereits das auf dem Transmission Control Protocol (TCP) basierende Internet.

1.4 Internet und World Wide Web

Mit der Freigabe und Kommerzialisierung der ab den 1960er-Jahren entwickelten Internet-Technologie und der zeitgleichen Entwicklung des World Wide Web (WWW) ab 1990 begann die umfassende globale Vernetzung der Wirtschafts-, Wissenschafts- und Lebensbereiche. Auch in den Hochschulen und ihren Bibliotheken ist seitdem ein starker Anstieg verschiedenster digitaler Dienste zu verzeichnen. Der fortlaufende Wandel, der gemeinhin als Digitale Transformation bezeichnet wird, umfasst dabei nicht nur die kontinuierliche Erneuerung und Ausweitung der IT-Infrastrukturen durch immer leistungsfähigere Systeme und Technologien, sondern auch die Einführung neuer Prozesse, die Vermittlung digitaler Kompetenzen und die Ausweitung der Servicestrukturen. Spätestens mit dem Aufkommen des Cloud Computings[11] stehen hierbei stets auch die Fragen nach den personellen und finanziellen Ressourcen im Vordergrund, die gemeinsam mit datenschutzrechtlichen und strategischen Überlegungen zu einer Make-or-Buy-Entscheidung führen.

2 IT-Organisation im Wandel der Zeit

Über die personelle und organisatorische Entwicklung der Rechenzentren und IT-Abteilungen in den Hochschulen existieren keine systematischen Untersuchungen, die den gesamten Zeitraum von den 1960er-Jahren bis heute abdecken. Die folgenden Aussagen basieren daher in weiten Teilen auf der Aggregation von Einzelfalldarstellungen[12] sowie auf persönlichen Beobachtungen.

2.1 Wachstumsphase und Schatten-IT

In den ersten Jahrzehnten nach Einführung der Großrechner wuchs die personelle Ausstattung der Rechenzentren und ADV-Referate in den Bibliotheken stark an. Das IT-Personal, insbesondere in den leitenden Positionen, war fachlich in allen Fragestellungen eingebunden und führte neue Entwicklungen proaktiv ein.[13] Der Innovationsgeist in der IT ist erfreulicherweise bis heute erhalten geblieben. Mit dem Aufkommen der PCs und der zunehmenden Verbreitung kommerzieller Software setzte jedoch ein Wandel ein: Die begrenzte finanzielle Ausstattung der Hochschulen ließ kein unbegrenztes Wachstum der zentralen IT-Bereiche zu. Es entwickelte sich die sog. Schatten-IT, die autonome Beschaffung und Entwicklung sowie der eigenständige Betrieb von Informationssystemen durch einzelne Personen oder Fachbereiche ohne die Einbindung der zentralen IT.[14]

Die Rechenzentren und IT-Referate in den Bibliotheken gerieten dadurch zunehmend unter Druck, zumal sie auch weiterhin mit wachsenden Anforderungen zu kämpfen hatten. Effizienzüberlegungen und Optimierungsmaßnahmen bestimmten große Teile des Tagesgeschäfts. Die zentrale IT entwickelte sich an vielen Hochschulen vom Innovationstreiber zum reaktiven Dienstleister, der zunehmend als Nadelöhr bei der Einführung neuer Dienste empfunden wurde. Auch die großen Nachteile der Schatten-IT wurden mit den Jahren immer deutlicher: Betreuungsprobleme nach personellen Wechseln, Datenschutz- und Sicherheitsrisiken sowie extrem hohe Kosten durch Wildwuchs und Einzelbeschaffungen. So kamen beispielsweise die NRW-Rechenzentren im Jahr 1993 zu folgendem Ergebnis:

„Etwa 80 % der DV-Ausgaben an den Hochschulen werden dezentral (außerhalb des Rechenzentrums) getätigt. Für die Betreuung der dezentralen Rechner wird ein hoher (versteckter) Personalaufwand getrieben, der durch sinnvolle Aufgabenverteilung zwischen Fachbereichen und Hochschulrechenzentrum insgesamt deutlich verringert werden könnte.“[15]

2.2 Kooperation

Die Hochschulen reagierten unterschiedlich auf diesen Trend. Während kleinere (Fach)Hochschulen ohne eigene Mainframe-Vergangenheit die Zentralisierung ihrer IT anstrebten (oder eine Dezentralisierung gar nicht erst zuließen), verfolgten die Rechenzentren und Universitätsbibliotheken der größeren Hochschulen in mehreren Anläufen den Kooperationsgedanken. Aus dem Blickwinkel der Rechenzentren stellt sich dies in der Rückschau folgendermaßen dar:

„Im Februar 1990 sammelte eine ALWR-Arbeitsgruppe Aufgaben, um die mögliche Zusammenarbeit der beiden zentralen Einrichtungen abermals in Gang zu setzen, nachdem vor 1990 viele Jahre kooperativ geschwiegen worden war. Ganz am Anbeginn der IT-Zeit war das schon einmal anders gewesen. An vielen Orten hatten Rechenzentren einst Software für Bibliotheken erstellt, z. B. zur Ausleihe von Literatur. Jetzt freilich befassten sich in eigentlich umgekehrter Zuständigkeit Bibliotheken mit technischen Aspekten der Informationsverarbeitung und Rechenzentren mit inhaltlichen der Informationsversorgung. Es wurde also dringend, das Gemeinsame zu beleben, organisatorisch zu unterstützen und die Zuständigkeiten zu ordnen.“[16]

Mit der 1991 gegründeten Arbeitsgemeinschaft der Medieneinrichtungen an Hochschulen (AMH) kam noch ein weiterer Player hinzu. Nach mehreren Treffen und Thesenpapieren wurde 1999 die Deutsche Initiative für Netzwerkinformation (DINI) durch die drei Verbände der Medieneinrichtungen (AMH), Bibliotheken (dbv) und Rechenzentren (ZKI) gegründet. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass es sich bei der Gründung von DINI um eine Bottom-up-Initiative handelte. Das Gros der Hochschulleitungen wurde erst ab den 2000er-Jahren für die Probleme im Bereich ihrer IT-Organisation sensibilisiert

2.3 Integriertes Informationsmanagement mit CIO

Im Jahr 2001 leiteten zwei Empfehlungen des Wissenschaftsrats und der DFG eine neue Ära ein:

„Der Wissenschaftsrat hält es für notwendig, daß die Hochschulen fächerübergreifend ihre Aktivitäten im Bereich der „Neuen Medien“ und der allgemeinen Informationsversorgung stärker koordinieren und einer längerfristigen strategischen Planung unterziehen. Er hält es daher für geboten, daß die Hochschulen ein professionelles und auf die lokalen Bedingungen und Bedürfnisse abgestimmtes Informationsmanagement in den Hochschulen als Einheit aufbauen, das aus der Sicht der Studierenden und Lehrenden alle integrierten Dienstleistungen anbietet. Deshalb ist aus funktionaler und finanzieller Sicht das Informationsmanagement für die jeweilige Hochschule auch als organisatorische Einheit sinnvoll. So sind in den Hochschulgesetzen einiger Länder bei der Informationsversorgung und -vermittlung an Hochschulen nicht mehr dezidiert die Bibliothek, das Medienzentrum und das Rechenzentrum genannt, sondern es wird auf ein Informationsmanagement verwiesen, um dessen reale Organisation in die Autonomie der jeweiligen Hochschule zu stellen.“[17]

Der Wissenschaftsrat spricht sich hier also deutlich für eine organisatorische Zusammenlegung von Bibliothek, Rechen- und Medienzentrum aus, wohingegen die Empfehlungen der Kommission für Rechenanlagen der DFG aus dem gleichen Jahr weiterhin auf ein „verteiltes kooperatives Versorgungskonzept“ abzielten, allerdings mit stärkerer Koordinierung:

„Es wird [...] den Hochschulleitungen empfohlen, einen Generalverantwortlichen für Information und Kommunikation (CIO, Chief Information Officer) in der Hochschulleitung oder einen geeigneten Lenkungsausschuss mit entsprechenden Entscheidungskompetenzen mit der Koordinierung aller IuK-Aufgaben zu betrauen. Dieser ist für die technische, organisatorische und nutzungsrechtliche Integration bzw. Koordination verschiedener IuK-Bereiche, z. B. Fakultäten, Rechenzentrum, Bibliothek, Medienzentrum und Verwaltung zuständig.“[18]

Das Konzept des Integrierten Informationsmanagements mit einer klaren Zuweisung der Gesamtverantwortung (CIO-Funktion) und einer direkten Anbindung an die Hochschulleitung wurde 2012 von der HRK aufgegriffen[19] und in den Folgejahren von der DFG mehrfach fortgeschrieben.[20] Laut den DFG-Empfehlungen von 2010 und 2016 lassen sich in der praktischen Umsetzung vier Modelle an den Hochschulen unterscheiden:

  1. Strategische*r CIO mit Leitungsfunktion, z. B. Vizepräsident*in oder Kanzler*in.

  2. Strategische*r CIO mit Stabsfunktion, z. B. Hochschullehrer*in oder IT-Manager*in im Präsidialstab.

  3. Operative*r CIO: Leiter*in einer zentralen Informationsinfrastruktureinrichtung.

  4. Kollektives CIO-Gremium: Lenkungsausschuss mit zwei bis drei Personen, der über unmittelbare Entscheidungsbefugnisse verfügt.

Dazu wurde 2016 weiterhin ausgeführt:

„Jede dieser CIO-Umsetzungsvarianten hat Vor- und Nachteile. Es hängt von den Gegebenheiten an den Hochschulen und insbesondere auch von den handelnden Personen ab, welche Umsetzung die am besten geeignete ist. Als wichtig wird eine strategische und koordinierende Planung erachtet, die eng angebunden zur Hochschulleitung erfolgt, um eine strategische IT-Entwicklung mit der Hochschulstrategie abzustimmen und in der Hochschule umsetzen zu können.“[21]

2010 wurde an dieser Stelle statt der „strategischen und koordinierenden Planungsrolle“ noch die „unmittelbare Richtlinien- und Entscheidungskompetenz“[22] gefordert. CIOs mit übergreifenden Entscheidungsbefugnissen hatten sich jedoch in der Praxis an den Hochschulen seit 2001 kaum durchgesetzt.

2.4 Umsetzung der CIO-Modelle

Die Hochschulen taten sich mit der in der Privatwirtschaft bereits stark verbreiteten CIO-Rolle insgesamt schwer, wie eine vom ZKI initiierte Studie zu Umsetzung und Ausgestaltung der CIO-Modelle 2014 zeigte:

„Zusammenfassend kann die Studie festhalten, dass mindestens 14 % (56 von 391) der deutschen Hochschulen eine CIO-Struktur etabliert haben oder aktuell umsetzen und diese auch nach außen sichtbar als solche bezeichnen.“

Darüber hinaus wurde festgestellt, dass

„nur 16 der 28 untersuchten CIO-Modelle unmittelbar einem der vier Vorschläge der Kommission für IT-Infrastruktur der DFG entsprechen. In den übrigen 12 Fällen wurden Mischmodelle gewählt, die besser zur lokalen Situation passen. [...] Von einem Erfolg der Diskussionen um die Notwendigkeit einer professionellen IT-Governance an Hochschulen kann angesichts der Ergebnisse der vorliegenden Studie nicht gesprochen werden.“[23]

In den Jahren 2015–2017 folgten noch weitere CIO-Studien, die 2018 noch einmal zusammenfassend analysiert wurden. Dabei konnte ein Anstieg der CIO-Umsetzung festgestellt werden:

„Knapp ein Viertel aller Hochschulen besitzt oder besaß eine organisatorische Struktur, die entsprechende Aufgaben an eine [CIO-]Rolle bindet. [...] Die gewählten CIO-Formen sind heterogen und keines der Modelle dominiert. Zudem ist kein klares Muster bei den Veränderungen erkennbar. Die Formen lassen sich zu knapp 90 % den von der DFG in 2010 definierte Kategorien zuordnen. Nur wenige extreme Mischformen von Rollen passen nicht ins Raster.“[24]

Auffallend ist, dass die CIO-Umsetzung zwischen den verschiedenen Hochschultypen stark variiert. Von den 111 Universitäten hatten 47 % ein CIO-Modell umgesetzt, von den 230 Fachhochschulen nur 14 % und von den 58 Kunst- und Musikhochschulen 19 %. Dies mag darin begründet sein, dass an den kleineren und jüngeren Hochschulen historisch bedingt weniger Probleme mit dezentraler IT existieren, so dass bislang keine größere Notwendigkeit für die Implementierung einer CIO-Rolle gesehen wurde.

3 Abschließende Bemerkungen

Die Implementierung einer stringenten IT-Governance soll die Hochschulen dazu befähigen, Dopplungen im Bereich ihrer IT-Dienstleistungsinfrastrukturen abzubauen und ihre IT-Organisationen optimal auszurichten. Hierbei dürfen jedoch nicht mehr nur reine Effizienzüberlegungen im Vordergrund stehen. Wie ein vergleichender Blick in den privatwirtschaftlichen Sektor zeigt,[25] sollte es vielmehr darum gehen, die IT-Organisation von ihrer bisherigen reaktiven Rolle zu befreien und wieder zu einem agilen Treiber der technologischen Innovationen umzubauen. Dazu muss die IT-Organisation neu gedacht werden. Sie muss in stärkerem Maße als bisher die Fachabteilungen[26] einbeziehen, die mit ihrem Prozesswissen die Digitale Transformation in ihren Bereichen aktiv vorantreiben müssen. Das Rechenzentrum und die zentralen IT-Abteilungen aus Bibliothek und Verwaltung arbeiten dabei Hand in Hand, stellen moderne Infrastruktur und Basisdienste zur Verfügung, administrieren und optimieren die übergreifenden Anwendungsdienste und stellen darüber hinaus die Rahmenbedingungen hinsichtlich der Informationssicherheit und des Datenschutzes sicher. Die IT breitet sich auf diese Weise in der gesamten Hochschule aus, in der gemischte agile Teams unter Federführung der bzw. des CIO die Entwicklung digitaler Dienste verantworten und auch die nachgelagerte Anwendungsbetreuung und Weiterentwicklung übernehmen. Das weitere Tempo der digitalen Transformation der Hochschulen wird somit vor allem vom Erfolg der organisatorischen Transformation abhängen, und von der Geschwindigkeit des Aufbaus digitaler Kompetenzen in den Fachabteilungen.

Über den Autor / die Autorin

Peter Kostädt

Universität Potsdam, Chief Information Officer (CIO), Am Neuen Palais 10, D-14469 Potsdam

Literaturverzeichnis

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Online erschienen: 2022-07-06
Erschienen im Druck: 2022-07-31

© 2022 Peter Kostädt, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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