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Trends bei Bibliotheksfilialen

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Veröffentlicht/Copyright: 17. Juni 2015

Zusammenfassung

Rahmenbedingungen, unter denen Bibliotheksfilialen profiliert werden müssen, werden umrissen (demografischer Wandel, lebenslanges Lernen, zunehmende Mobilität, Digitalisierung). Trends bei Bibliotheksfilialen international und schwerpunktmäßig in Deutschland werden dargelegt (Konzentration auf weniger Standorte, Profilbildung mit innovativen Dienstleistungen, Bürgerbeteiligung, übergemeindliche Organisation und Trägerschaft). Erfolgsfaktoren für Bibliotheksfilialen werden als Checkliste präsentiert.

Abstract

Framework conditions for public library branches role setting are outlined (demographic change, lifelong learning, increasing mobility, and digitization). Trends concerning library branches are explained, international and with a focus on Germany (concentration and less locations, role setting by innovative services, volunteering, and intercommunal organization). Success factors for library branches as a checklist are presented.

1 Einleitung

Vor dem Hintergrund von Sparzwängen und kommunalpolitischen Entscheidungen, die sich auf punktuelle Eindrücke stützen, wurden in den vergangenen rund 15 Jahren weit mehr Filialen Öffentlicher Bibliotheken in Deutschland geschlossen als neue eröffnet. Die Zahl der Standorte der hauptamtlich geleiteten Öffentlichen Bibliotheken nahm von 3 693 im Jahr 1999 auf 3 224 im Jahr 2012 ab (–13 %).[1] Zugleich entstand eine Fachdiskussion um Erfordernis, Profilierung und Legitimationsstrategien von Bibliotheksfilialen, die teilweise diesen Rückgang als Krise begriff, teilweise ausländische Erfahrungen innovativer Filialkonzepte reflektierte.

Dieser Beitrag umreißt erst Rahmenbedingungen, unter denen Bibliotheksfilialen profiliert werden müssen, breitet dann Trends aus, die sich für Bibliotheksfilialen international und mit einem Schwerpunkt in Deutschland beobachten lassen und fasst schließlich im Sinn einer Checkliste Erfolgsfaktoren für Bibliotheksfilialen zusammen.

Über Bibliotheksfilialen wurden bis in die 1990er-Jahre in der Fachliteratur praktisch ausschließlich Aussagen darüber getroffen, wie dicht das Filialnetz sein soll.[2] Es soll so dicht sein, dass kein Bürger weiter als 15 Minuten von der nächsten Filiale entfernt wohnt, wie das Gutachten der KGSt (heutiger Vollname: Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement) aus dem Jahr 1973 forderte. In ihrem Planungs-, Forderungs- und Selbstverständnispapier Bibliotheken ʹ93 (1994)[4] beschränkten sich die bibliothekarischen Verbände auf die blassere Forderung, dass die Öffentlichen Bibliotheken für alle Bürger leicht erreichbar sein sollen. Dagegen kehrte man im aktuellen Strategiepapier 21 gute Gründe für gute Bibliotheken der bibliothekarischen Verbände[5] zu einer quantitativen Aussage zurück: Die Entfernung zu einem Bibliotheksstandort beträgt für mindestens 75 % der Bevölkerung einer Stadt weniger als 2 Kilometer. Die Public Library Service Standards aus dem Jahr 2008[6] des britischen Department for Culture, Media and Sport – es sollte die Leitlinien der Regierung auf diesen Gebieten umsetzen – enthält u. a. Maßstäbe für die Dichte des Filialnetzes. Beispielsweise sollen in ländlichen Gebieten 85 % der Haushalte nicht weiter als 2 Meilen = 3,2 Kilometer von der nächsten stationären Bibliothek entfernt wohnen, in geschlossenen Siedlungsgebieten 100 %. Sie waren offenbar Vorbild für die jüngere deutsche Forderung. Auf dem Hintergrund des Bedeutungszuwachses von Bibliotheken als Lernzentren gewinnt die Standortfrage an Gewicht.[7]

Erst spät beschäftigten sich die Praktiker konzeptionell mit der Frage, wie Bibliotheksfilialen über die Standorte hinaus profiliert sein sollen. Im Projekt Bibliotheksfilialen der Bertelsmann-Stiftung 1998–2003[8] wurden folgende Profile am Beispiel der Stadtbücherei Bochum und der Städtischen Bibliotheken Dresden entwickelt und erprobt[9]:

  1. Nachbarschaftsfilialen, ein Konzept, das man auch als populäres Medienzentrum bezeichnen könnte,

  2. Themenbibliotheken, ein Konzept, bei dem die Filiale sich thematisch oder nach Zielgruppen spezialisiert, z. B. Familienbibliothek, Reisebibliothek oder „Junge Kunden“.

2 Rahmenbedingungen für Filialnetze

Die Rahmenbedingungen für Filialnetze sollen folgendermaßen umrissen werden:

2.1 Abnehmende Bevölkerungszahl

Deutschland schrumpft. Die Bevölkerungszahl nimmt infolge der gesunkenen und weiter sinkenden Geburtenrate ab. Die Migration kann diesen Schwund nur abschwächen, nicht ausgleichen oder übertreffen.[10] Seit 2003 geht die Bevölkerungszahl zurück. 2008 lebten in Deutschland 82 Mio. Einwohner, 2013 80,5 Mio. Einwohner. 2060 werden es nach den Prognosen des Statistischen Bundesamtes 65 bis 70 Mio. Einwohner sein. Es gibt allerdings auch wachsende Ballungsräume, nämlich die wirtschaftlich prosperierenden Regionen, beispielsweise die Großräume Stuttgart oder Reutlingen. In anderen Gebieten, vor allem in den meisten ostdeutschen Städten, ist die Bevölkerungszahl seit den 1990er-Jahren gesunken und wird deutlich weiter sinken.

2.2 Die Bevölkerung wird älter

Das steigende Durchschnittsalter der Bevölkerung und der wachsende Anteil älterer Menschen, wo immer die Altersgrenze gezogen wird, sind die Kernphänomene des demografischen Wandels. 2060 werden voraussichtlich doppelt so viele 70-Jährige leben, wie Kinder auf die Welt kommen. Die Frage ist, welches Bibliotheksbenutzungsverhalten die heute 20- und 30-Jährigen in ihre betagten Jahre mitnehmen werden. Einiges deutet darauf hin, dass sie in stärkerem Maß als die heute 70- und 80-Jährigen fit und mobil sein werden und ihre höhere Bibliotheksaffinität ins Alter mitnehmen werden, wenn auch wohl in abgeschwächter Form. Vor allem aber wird die Zielgruppe der Älteren künftig noch stärker inhomogen sein als diese Zielgruppe bereits heute ist. Für die Zielgruppe der Hochbetagten werden barrierefreie Zugänge wichtiger.

2.3 Die Bevölkerung wird heterogener

Die Bevölkerung wird bunter im Sinn eines wachsenden Anteils von Migranten und Einwohnern mit Migrationshintergrund, die sich zwar ganz überwiegend mehr oder minder integrieren, aber dennoch kulturelle Merkmale der Herkunftsländer oder der Herkunftsländer ihrer Eltern und Großeltern teilweise beibehalten, vom Speisezettel über Erziehungsstile bis zu Festen und Feiern und zum Besuch des Gotteshauses. Ein noch stärkerer Trend zur Heterogenität betrifft die Diversifikation der Lebensstile und Lebenslagen. Einkommens- und Bildungsunterschiede nehmen zu. Und Lebensstile im Sinn von Freizeitinteressen, Werthaltungen, Konsumgewohnheiten differenzieren sich. Oft wird das Modell der Sinus-Milieus verwendet, um eine Differenzierung nach Lebenslagen und Lebensstilen zu beschreiben. Auch für die Bestimmung von Zielgruppen in Öffentlichen Bibliotheken wurde dieses Modell eingesetzt.[11] Für den Bereich der Mediennutzung im Kontext von sozialen Milieus ist die MedienNutzerTypologie besser geeignet als der Sinus-Ansatz, weil sie bei der Gruppenbildung Mediennutzung stärker und differenzierter berücksichtigt. Sie unterschied 1998 neun soziale Milieus. Die Clusteranalyse auf Basis der Befragung von 4 000 Personen im Jahr 2007 unterschied dagegen zehn soziale Milieus, weil ein Milieu der Analyse 1998 zu inhomogen geworden war und in zwei Milieus zerlegt wurde. Sehr verknappt sollen diese zehn Milieus hier umrissen werden (Tab. 1).

Tab. 1:

Milieus der MedienNutzerTypologie 2007

Milieu, Anteil an der BevölkerungSchwer­punkt der Alters­gruppenAnteil der OnlinerBildungPrägnante mediale InteressenPrägnante Freizeitaktivitäten, -werte
Junge Wilde 13 %14–2998 %20 % AbiturComedy, Musik, amerikanische Serien, ErotikMode, Spaß haben, Abenteuer erleben, Spontaneität
Zielstrebige Trendsetter 8 %14–3996 %49 % Abitur oder StudiumComedy, Politik, ZeitkritikSport, Museum, interessante Menschen kennen lernen, geistig beweglich bleiben
Unauffällige 13 %30–5981 %78 % ohne AbiturRegionale Information, SpannungFreizeit mit der Familie
Berufsorientierte 14 %30–5987 %38 % AbiturMusical, Politik, Veranstaltungs-tippsSport, Lesen, Satire
Aktiv Familienorientierte 11 %30–5975 %75 % ohne AbiturWeltmusik, Verbraucher-information, SpannungDo-it-yourself, Vereine, Ernährung, geistig beweglich bleiben
Moderne Kulturorientierte 8 %40–6974 %47 % AbiturPolitik, Wirtschaft, Bildung, WissenschaftFreizeit mit der Familie, Gartenarbeit, Lesen, Kontakte pflegen
Häusliche 10 %50 +35 %69 % HauptschuleSchlager, regionale InformationGartenarbeit, Illustrierte lesen, Partnerschaft
Vielseitig Interessierte 6 %50 +28 %60 % HauptschuleSchlager, Weltmusik, TV-MovieGartenarbeit, vielseitige Freizeitwerte außer Abenteuer
Kulturorientierte Traditionelle 7 %60 +40 %54 % HauptschuleKlassik, Politik, neue dt. SerienGartenarbeit, Bücher lesen, Kirchenkonzert, geistig beweglich bleiben
Zurückgezogene 10 %60 +21 %83 % HauptschuleSchlager, dt. FernsehserienGesundheit, Ernährung

Wie bei den Sinus-Milieus hat man für die MedienNutzerTypen ein auch für die Marktforschung durch Bibliotheken handhabbares Frageset aus nur vier Fragen mit 30 Items entwickelt.[12]

2.4 Lebenslanges Lernen wird wichtiger

Schon immer haben Menschen ihr Leben lang gelernt; in der Vergangenheit stand nach Abschluss der formalen Bildungs- und Ausbildungsphase das Lernen in non-formalen und informellen Lernkontexten im Vordergrund oder stellte den einzigen Modus dar. Immer häufiger und für immer mehr Zeitgenossen wird das normal, was für einige Berufsgruppen wie z. B. Ärzte oder Wissenschaftler bereits Tradition hat: das formale Lernen auch in höheren Lebensaltern. Der beschleunigte wirtschaftlich-technische Wandel erfordert auch in Berufen mit geringen dispositiven oder ganz ohne dispositive Aufgaben häufige Fortbildungen. Die kürzer gewordenen Arbeitszeiten und der gestiegene Lebensstandard erlauben vielen Menschen, herausfordernden Freizeitbeschäftigungen nachzugehen, die Kompetenzerwerb verlangen, von der Gestaltung des japanisch inspirierten Vorgartens bis zu multimedialen Präsentationen der jüngsten Urlaubserlebnisse. Die Volkshochschulen und ein wachsender kommerzieller Bildungsmarkt reagieren auf diese Nachfragen, die Öffentlichen Bibliotheken versuchen zögerlich sich zu beteiligen.

2.5 Zunehmende Mobilität

Das Deutsche Mobilitätspanel[13] stellt seit 1976 eine zunehmende Mobilität der Bevölkerung fest. Wichtige Messgrößen sind der kontinuierliche Anstieg bei

  1. der Anzahl der PKWs pro Einwohner,

  2. den zurückgelegten Wegen pro Tag und Einwohner einschließlich öffentlicher Nahverkehr und Fahrrad.

Damit dies für die Bibliotheken wirksam werden kann, müssen allerdings die Öffnungszeiten auf die für die Berufs- und Schulpendler relevanten Zeitfenster abgestimmt sein.

Den folgenden wichtigen Aspekt berücksichtigt das Deutsche Mobilitätspanel jedoch nicht. In kleinräumiger Hinsicht hat die Mobilität der Bevölkerung dank technischer Hilfsmittel wie Rampen, Aufzüge, Rolltreppen, Rollatoren oder Shopping-Trolleys zugenommen und nimmt weiter zu. Ferner spielen die verbesserte Gesundheit und gesteigerte körperliche Leistungsfähigkeit dank des medizinischen Fortschritts sowie die Öffnung der Gesellschaft für beeinträchtigte Menschen eine Rolle.

2.6 Digitalisierung

Die traditionelle Publikationskette lässt sich folgendermaßen umreißen: Der Schöpfer eines Werks, z. B. eine Buchautorin (Kreationsstufe), übergibt dieses Werk einem Verlag (Produktionsstufe), der daraus durch Bearbeitungen wie Lektorierung, Layouten, Herstellung, Druck ein marktfähiges Produkt macht. Dieses wird über den Buchhandel (Distributionsstufe) an die Endkunden vertrieben (Konsumstufe); ggf. treten auf der Distributionsstufe Bibliotheken als Mittler zwischen Buchhandel und Endnutzern auf.

Das Internet erlaubt Disintermediation (Abb. 1): Kettenglieder in der Publikationskette werden übersprungen.

Abb. 1: Publikationskette und Disintermediation
Abb. 1:

Publikationskette und Disintermediation

Bibliotheken können im Kontext der Disintermediation eine aktive Rolle einnehmen, die sich durch Stichwörter wie Entlastung der Urheber von administrativen Aufgaben, Qualitätssicherung, Verbesserung der Sichtbarkeit im Web u. a. m. beschreiben lässt.[14] Es scheint, dass Öffentliche Bibliotheken gegenüber Plattformen wie YouTube oder Instagram sowie den zahllosen Blogs kaum eine Chance haben, im Kontext der Disintermediation eine aktive Rolle in populären Publikationsketten zu gewinnen. Ein Blick in die Blogs, die Öffentliche Bibliotheken betreiben, ist schon hinsichtlich des Umfangs der Beteiligung sehr ernüchternd. Eine Praxis wie die der Tacoma Public Library (Washington, USA), die über eine Million Fotos des lokalen Alltags seit dem 19. Jahrhundert gesammelt hat und auf ihrer Website veröffentlicht, scheint für Deutschland schwer vorstellbar.

Zur Disintermediation gehört auch, dass sie die Verlage, wo diese noch ihre Rolle spielen, instand setzt, die weitere Verwertungskette vollständig zu steuern. Im Ergebnis kommen die Öffentlichen Bibliotheken an nennenswerte Anteile der Inhalte, die sie gerne als Netzpublikation lizenzieren würden, nicht heran. Die New York Public Library bekommt nur in sieben von zehn Fällen die Netzlizenz.[15] In Deutschland gilt das für vermutlich die Hälfte der für die Öffentlichen Bibliotheken interessanten elektronischen Bücher sowie bisher für alle Spielfilme zum Download. Im Ergebnis sind Abo-Modelle bei Aggregatoren wie sofortwelten.de oder maxdome.de zwar in der Größenordnung um etwa den Faktor zehn teurer als die übliche Jahresgebühr in Öffentlichen Bibliotheken, aber offenbar ist die Zahlungsbereitschaft vorhanden, und derartige Angebote sind um weit mehr als den Faktor zehn attraktiver, wenn man als Maßstab den Umfang des Angebots und seine tatsächliche Verfügbarkeit ansieht. Netzpublikationen stellen ortsfeste Bibliotheken grundsätzlich in Frage.

2.7 Schlussfolgerungen

Offensichtlich ergeben sich aus diesen Rahmenbedingungen einander widerstreitende Schlussfolgerungen für Bibliotheksfilialen.

  1. Einerseits sinkt der Bedarf an Bibliotheksfilialen, weil eine alternde Bevölkerung eine wahrscheinlich abnehmende Bibliotheksaffinität hat und weil eine mobiler werdende Bevölkerung auch weniger nah am Wohnort anzutreffende Bibliotheken gut erreichen kann. Vor allem stellen über das Internet erreichbare Medieninhalte ein räumliches Bibliotheksnetz prinzipiell in Frage.

  2. Andererseits erfordern die zunehmende Heterogenität der Bevölkerung und der Impuls des lebenslangen Lernens mit seinem Verlangen nach sozialen Begegnungsorten eine größere Zahl von Bibliotheksfilialen, die zudem ganz unterschiedlichen Charakter tragen, differente Möblierungs-, Raum-, Medien- und Dienstleistungsprofile verkörpern und auf verschiedene Zielgruppen ausgerichtet sein sollen.

Diese Schlussfolgerungen schließen sich jedoch nicht aus; es kommt auf ein abgestimmtes Miteinander verschiedener Angebotsformen an.

3 Trends

Hier sollen unter markanten Überschriften Entwicklungen verdeutlicht werden.

3.1 Konzentration

In vielen deutschen Städten wurde die Zahl der Standorte seit den 1990er-Jahren deutlich reduziert. Dagegen wurden die Entleihungen gesteigert: von 4,5 Mio. auf 5,6 Mio. Der Grund für diese Entwicklung ist, dass mit der Aufgabe von Standorten zugleich eine beträchtliche Attraktivitätssteigerung der verbliebenen bzw. der neu dazugekommenen Standorte verbunden war. Die Attraktivitätssteigerung bezieht sich auf Lage der Standorte, auf Möblierung, Öffnungszeiten, Medienangebot und Dienstleistungen.

Extreme Beispiele für eine Konzentration der Standorte sind die Stadtbibliotheken in

  1. Dülmen (Nordrhein-Westfalen), von deren 18 Standorten 1999 im Jahr 2012 noch genau einer übrig war,

  2. Deggendorf (Bayern), die von 11 Standorten 1999 auf ebenfalls einen Standort reduziert wurden,

  3. 220 weiteren Orten, in denen die Zahl der Standorte von 2 bis 10 im Jahr 1999 auf einen einzigen im Jahr 2012 zurückgeführt wurde,

  4. München (von 47 auf 37 Filialen reduziert),

  5. Hamburg (49, 36),

  6. Frankfurt am Main (23, 20).

Dem stehen freilich Städte gegenüber – fast durchweg kleine Orte –, in denen die Zahl der Filialen zugenommen hat, z. B. Gardelegen (von einem auf sechs Standorte gewachsen), Niederkassel (von einem auf fünf), Bernau bei Berlin (von einem auf vier), Wolfsburg (von elf auf zwölf). Insgesamt wuchs die Zahl der Standorte in 140 Orten.

In Dänemark wurden seit 1988 über die Hälfte der Standorte der Öffentlichen Bibliotheken geschlossen.[16] Dabei spielte die Verwaltungsreform des Jahres 2007 eine bedeutende Rolle, die die Zahl der Gemeinden von 271 auf 98 reduzierte und viele Filialen wegfallen ließ. Gleichwohl wurde das Ergebnis der Umstrukturierung positiv evaluiert.[17]

Das dänische und das Dresdener Beispiel zeigen, dass eine Konzentration der Standorte per se keine negativen Auswirkungen auf Erreichbarkeit, Attraktivität, Benutzung haben muss. Vielmehr muss man die Strukturen, Wege, Verkehrsanbindungen im Einzelnen betrachten. Wenige attraktive, leistungsfähige Standorte in einem Stadtgebiet sind attraktiver als ein dichtes Netz zu kleiner Standorte mit einem veralteten Angebot.

Anders ist die Lage im ländlichen Raum mit ungünstigen Verkehrsanbindungen und in Gemeinden, die durch die Gemeindegebietsreform der 1970er-Jahre aus einer mehr oder minder großen Zahl verstreut liegender kleiner Siedlungen und Dörfer entstanden sind und seitdem kein geschlossenes Siedlungsgebiet, womöglich nicht einmal einen Zentralort mit Gravitationskraft entwickelt haben. Hier kann man mit der Planung von Bibliotheksstandorten die Versäumnisse der Regional- und kommunalen Planung kaum ausgleichen. Als Beispiel soll Taunusstein in Hessen dienen.[18] Die größte Stadt im Rheingau-Taunus-Kreis hat 29 000 Einwohner, die in 10 verstreut liegenden Ortsteilen auf 67 Quadratkilometern leben. Hier wurde das für derartige Strukturen entwickelte Konzept einer Fahrbibliothek realisiert.

3.2 Profilbildung

1998 betonte ich, dass das Profil einer Bibliothek aus der Ausrichtung auf Zielgruppen abgeleitet werden müsse und dass sich die einzelne Bibliothek dem Zwang zur verstärkten Profilbildung ausgesetzt sehe.[19] Zehn Jahre später griff Meinhard Motzko[20] mit seiner Polemik gegen die „Lebenslüge“ der Bibliothekare diesen Gedanken auf und forderte wiederum die Abkehr von der „Bibliothek für alle“ und die strategische Ausrichtung der Bibliotheken auf je klar umrissene Zielgruppen. Mit einigen Impressionen soll aktuelle Praxis beleuchtet werden.

  1. Die Vancouver Public Library setzt seit 2008 auf die Kommunikationskanäle, auf denen ihre Benutzer ohnehin anzutreffen waren: Facebook und später Twitter.[21]

  2. Die Stadtbibliothek in Split, Kroatien, veranstaltet in ihrer Filiale Spinut Workshops für Kinder mit Lese-Rechtschreibstörung.[22]

  3. Die Edmonton Public Library, Kanada, praktiziert in ihren 17 Filialen seit 2004 fließende Bestände, d. h., die zurückgegebenen Medieneinheiten bleiben in der Filiale, in der sie zurückgegeben wurden.[23]

  4. Für die Öffentlichen Bibliotheken in Dänemark gilt, dass sie trotz seit 1988 halbierter Zahl der Standorte ein klares und weithin wahrgenommenes Profil als Knotenpunkte des öffentlichen Lebens gewonnen haben.[24]

  5. In Neuseeland sind es vor allem die Zweigstellen, die örtlich eine Marketingpraxis entwickeln.[25]

  6. In der Filialbibliothek Brackwede in Bielefeld wurde nachgewiesen, dass über mehrere Jahre laufende Maßnahmen der Leseförderung positive Effekte auf Lesekompetenz, Leseneigung und Lesemotivation haben.[26] Aber es kommt maßgeblich auf die kontinuierliche Kooperation mit Schulen an.

  7. Die Zweigstelle Bocklemünd der Stadtbibliothek Köln[27] wird von Auszubildenden, die hierbei aus der Zentralbibliothek angeleitet werden, für die Zielgruppen Kinder und junge Eltern betrieben.

  8. Ebenfalls in Köln haben sich einzelne Zweigstellen auf Angebote wie spielerisches Lernen (Köln-Kalk mit Gaming-Zone und einer Spieletestergruppe aus Jugendlichen unter medienpädagogischer Anleitung) oder einen Generationentreffpunkt (Köln-Neubrück) spezialisiert. Einige Zweigstellen haben „Alpha-Studios“ mit PCs als Zugang zu Sprachkursen und Leichtlesemedien eingerichtet.

  9. Die spektakulärste Profilbildung Öffentlicher Bibliotheken betrifft den Verzicht auf physische Medien, also den Schritt, der als Aufbau digitaler Bibliotheken bei den Wissenschaftlichen Bibliotheken bereits vielerorts gut etabliert ist. Als erste Öffentliche Bibliothek, die diesen Weg 2013 ging, gilt die digitale Bibliothek des Bexar County.[28] Dieser Landkreis im Bundesstaat Texas hat sein Verwaltungsgebäude in San Antonio, und dort öffnete die BiblioTech, ein Name, der auf das spanische Wort für Bibliothek (biblioteca) anspielt. Nun stehen in der physischen Filiale 48 stationäre Computer und 200 E-Book-Reader zur Verfügung. Die Martin Luther King Jr. Memorial Library in Washington, D.C., räumte ebenfalls im Jahr 2013 die Regale leer und präsentiert sich als „Digital Commons“ – eine Mischung aus Computerlabor, Designcenter und Leselounge.

  10. Bei aller Profilbildung erleichtern einheitliche Öffnungszeiten in einem Bibliothekssystem die Orientierung, wie es die Münchner Stadtbibliothek für ihre Zweigstellen praktiziert.

3.3 Selbstbedienung

Seit vielen Jahren haben Hochschulbibliotheken in Deutschland bis spät in die Nacht, teilweise auch sonntags geöffnet. Hinter dieser Entwicklung hinkten die Öffentlichen Bibliotheken hinterher. Gleichwohl ist hier seit einigen Jahren Bewegung zu verzeichnen.

  1. Verbreitet sind inzwischen Rückgabeautomaten. Vereinzelt hat man Rückgabeautomaten auch räumlich getrennt vom Bibliothekszugang an hoch frequentierten Orten wie Bahnhöfen aufgestellt oder überlegt diese Option, z. B. in Wien. Aus Sicht der Nutzer ist dies nach umfassenden Öffnungszeiten ein dringendes Desiderat.[29]

  2. Die Public Library in Pittsburg, Kalifornien, stellt auf Metro-Stationen Automaten auf, an denen Bücher ausgeliehen und wieder zurückgegeben werden können.[30] Auch in Madrid[31] und in Köln praktiziert man dies (LibroExpress).

  3. Die Bücherhallen Hamburg[32] planten im Jahr 2011 Bibliocontainer, weitgehend transparent gestaltete Medienausleihstellen, die keine Aufenthaltsmöglichkeiten bieten und für die Selbstverbuchung rund um die Uhr ausgelegt sind.

  4. Die Hamburger Planung hätte sich auf die Praxis der Stadtbibliothek Köln[33] beziehen können, die seit 2009 nach einem Muster aus Lissabon im Stadtpark einen transparenten lichtgrünen Kubus aus Fichtenholz und Glas aufstellt und mit Buchgeschenken füllt (minibib). Die Benutzer können ohne Verbuchung ausleihen und werden gebeten, das Leihgut nach 14 Tagen zurückzustellen. Betreut wird diese Vertrauensbibliothek, die sich auf ältere Vorbilder aus dem Buchhandel und den Kirchen berufen könnte, von Freiwilligen. Eine weitere minibib richtete die Stadtbibliothek Köln in einem früheren Wasserturm ein.

  5. Umstritten in Dänemark ist die Praxis der Selbstbedienungsbibliotheken. Sie sind mit der Plastikkarte für die Sozialversicherung, die jeder dänische Bürger hat, rund um die Uhr zugänglich und setzen eine Videoüberwachung ein. Zum Teil gingen allerdings die Ausleihen deutlich zurück. Gleichwohl erklären die dänischen Bibliothekspraktiker, dass eine Selbstbedienungsbibliothek besser als eine Filialschließung ist.[34]

  6. Dem Ansatz der Selbstbedienungsbibliothek steht jedoch der Bedarf nach Beratung entgegen. An der Edmonton Public Library, Kanada, bezieht sich ein Drittel der Kontakte zwischen Personal und Benutzer auf Unterstützung an den Internet-PCs sowie beim Ausdrucken von Dokumenten.[35] Allerdings nimmt nur etwa ein Viertel der Benutzer Öffentlicher Bibliotheken die Beratung des Personals in Anspruch.

3.4 Kombinationen

Ein weiterer Trend bezieht sich auf ungewöhnliche Kooperationen und Kombinationen, die teils von Bibliotheksfilialen, teils von Bibliotheken ohne Filialen praktiziert werden.

  1. In Deutschland sind einige wenige Öffentliche Bibliotheken räumlich oder organisatorisch mit Wissenschaftlichen Bibliotheken kombiniert. Die Stadtbibliothek Lingen hat die Chance genutzt, sich zur Stadt- und Hochschulbibliothek zu erweitern, als der Bibliotheksleiter erfuhr, dass die Hochschule in Osnabrück einen Standort in Lingen plant. Die Hochschule stellte der Stadtbibliothek eine Personalstelle und Erwerbungsmittel zur Verfügung und bekam auf diese Weise kostengünstig und ohne eigene Räume ein leistungsfähiges Bibliotheksangebot an ihrem Standort in Lingen. Als die Hochschulbibliothek 2012 eigene, größere Räume in Lingen bezog, wurde die Zusammenarbeit beendet. Die Hochschul- und Kreisbibliothek Bonn-Rhein-Sieg besteht seit 1999 und wird vom Rhein-Sieg-Kreis und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg getragen. Sie ist die Kombination einer Fachhochschulbibliothek mit einer Öffentlichen Bibliothek eines Landkreises mit zwei Standorten in Sankt Augustin und Rheinbach. Die Hochschul- und Kreisbibliothek unterstützt die weiteren Öffentlichen Bibliotheken im Landkreis durch Dienstleistungen wie Fernleihe und Fortbildungsveranstaltungen.

  2. Vergleichbare Modelle bestehen vereinzelt auch in den USA, wo man u. a. an der Harris County Public Library, Texas, mit dem Lone Star College eine gemeinsame Filiale in Tomball betreibt.[36]

  3. In Helsinki, Finnland, richteten die Universität Helsinki und die Stadtbibliothek Helsinki eine gemeinsame Bibliotheksfiliale ein. Die Räume werden, was Bestände und Veranstaltungen angeht, gemeinsam bespielt, während die Bibliotheksinformationssysteme und Benutzerausweise getrennt blieben.[37]

  4. Das Modell einer Schulbibliothek als Zweigstelle der Öffentlichen Bibliothek oder in Partnerschaft mit einer Öffentlichen Bibliothek bzw. ihrer schulbibliothekarischen Beratungsstelle ist fast in Vergessenheit geraten, obwohl es in Deutschland[38] und international[39] oft praktiziert wird.

  5. Die Unterbringung von Öffentlicher Bibliothek und Volkshochschule im selben Gebäude oder in unmittelbarer Nachbarschaft hat eine lange Tradition. Markante Beispiele aus den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sind das Kulturzentrum in Ludwigsburg bei Stuttgart, eröffnet 1969, der Münchner Gasteig, der im Gebäude von 1984 neben Stadtbibliothek und Volkshochschule die Hochschule für Musik und Theater sowie die Münchner Philharmoniker beherbergt, oder der 2007 errichtete Wissensturm in Linz, in dem Stadtbibliothek und Volkshochschule untergebracht sind. All dies bleiben jedoch additive Konzepte. Eine wirklich integrative Lösung habe ich 2001 skizziert[40]: Das gemeinsame Gebäude der Volkshochschule und Bibliothek entfaltet sich als mehrflügelige Anlage um einen überdachten, natürlich belichteten Innenhof, zu dem sich breite Galeriegeschosse öffnen. Diese sind Medienaufstellorte und Angebotsflächen für vernetzte Multimedia-Stationen, Nutzerarbeitsplätze, Leseplätze. Die Galerien führen zu den Lernräumen, die sich entlang der Außenhaut des Gebäudes entwickeln. Die Lernräume werden von Kursgruppen und von individuellen Lernern benutzt. An den Beratungsplätzen kann das Publikum ebenso Auskünfte über individuell geeignete Medien wie über empfehlenswerte Lernsettings und Kurse bekommen und Kursbelegungen anmelden.

  6. Die Londoner „Idea Stores“ sind eine Kombination aus Bibliotheksfiliale, Lernzentrum, das aus deutscher Sicht eher mit Volkshochschule assoziiert werden mag, und Bistro, untergebracht in einer neu entwickelten, transparenten Architektur mit offenen Formen und verschiebbaren Wänden.[41]

  7. In New York entwickelte Nathaniel Hill ein Konzept der „Library Outpost“: Auf wenigen Quadratmetern in Einkaufszentren oder an Verkehrsknotenpunkten präsentiert sich eine Bibliotheksfiliale sozusagen als Appetizer: keine physischen Medienbestände, aber Service, ein kostenloser W-LAN-Zugang, Aufenthaltsqualität und Zugang zur digitalen Bibliothek.

  8. In Madrid[42] errichtete die Öffentliche Bibliothek nach einem Vorbild in Santiago de Chile sehr kleine Bibliotheksfilialen auf zwölf Metro-Stationen. Gebührenfreie Neuanmeldungen sollen neue Benutzer locken, die auch gleich aus einem kleinen physischen Bestand ausleihen können.

  9. Die Stockholmer Metro-Bibliotheken stellen Tragetaschen bereit, die bereits mit zwei korrespondierenden Belletristik-Titeln befüllt sind; so schafft man die Ausleihe, ohne den Anschlusszug zu versäumen.[43]

  10. Auch in einem Stadtteil von Wrocław, Polen, experimentierte man mit einer kleinen, temporären Filiale auf einem Bahnhof[44], ebenso in Buenos Aires[45].

  11. In Hvidovre, einem Vorort von Kopenhagen, errichtete die Öffentliche Bibliothek auf einer Metro-Station eine Filiale[46], die nur als Medienausleih- und Rückgabestelle fungiert und nur zur Rush-Hour geöffnet ist.

  12. Die Kombination aus Öffentlicher Bibliothek und Bürgeramt in Dänemark, bei der das Bibliothekspersonal Beratungs- und Dienstleistungsaufgaben über bibliothekarische Aufgaben hinaus wahrnimmt, hat sich etabliert.[47]

  13. In Frechen bei Köln bezog die Stadtbibliothek erst die Bibliothek des Stadtarchivs, dann die Schulmediothek und schließlich die beiden katholischen Öffentlichen Bibliotheken am Ort in ihr Bibliotheksinformationssystem ein. Alle diese Einrichtungen präsentieren sich nun für die Benutzer im OPAC als Filialen der Stadtbibliothek, wahren dabei ihre rechtliche und organisatorische Eigenständigkeit und bedienen zwei Stadtteile, in denen nie kommunale Bibliotheksfilialen bestanden.[48]

  14. In einer Kopenhagener Bibliotheksfiliale eröffnete die Kochschule Glad Mad (glückliche Mahlzeit) ein Café, das von Behinderten betrieben wird.[49]

  15. Umgekehrt wurde in Riedbach (Bayern, 1 800 Einwohner in 5 Dörfern) eine Außenstelle der kommunalen Bibliothek im genossenschaftlich getragenen Dorfladen (Grundversorgung mit Lebensmitteln, Reinigungs- und Reparaturannahme, Postdienste, kleines Café u. a. m.) eingerichtet. Ein ehrenamtlicher Bücherpate kümmert sich um den regelmäßigen Austausch des Medienangebots mit dem Bestand der kommunalen Bibliothek.[50] Im Dorfladen in Ginseldorf (Ortsteil von Marburg, Hessen, mit 820 Einwohnern) hat die Kinderbibliothek, eingerichtet als EU-Projekt, keine Anbindung an die Stadtbücherei.

3.5 Bürgerbeteiligung

Fälschlich wurde die Bürgerbeteiligung in den bibliothekarischen Verbänden vor allem aus einem gewerkschaftlichen Blickwinkel erörtert, der den Ersatz bezahlter durch unbezahlte Arbeit argwöhnte. Tatsächlich geht es vor allem um Bürgerbeteiligung als lobbyistische Vernetzung und als Schaffung von sozialem Kapital[51], freilich auch um die Akquise zusätzlicher Arbeitskapazität für Aufgaben, die ohne dieses Engagement nicht oder nicht mehr leistbar sind. Hierfür wurden Regeln bis hin zu Fragen der Unfallversicherung formuliert.[52]

  1. Ein Beispiel für eine breite Bürgerbeteiligung, um Filialen in dünn besiedelten Gegenden halten zu können, stellen die Halifax Public Libraries dar.[53] Sie sind für rund 400 000 Einwohner in städtischen und ländlichen Siedlungsgebieten zuständig. Die Freiwilligen engagieren sich bei Aktivitäten wie Leseförderung für Kinder und Erwachsene, Englischunterricht und Medienlieferdiensten.

  2. Bürgerbeteiligung mit Web-2.0-Technologien spielt sich auch im Internet ab. Die Vancouver Public Library bindet seit 2008 Bürger mit Facebook und Delicious in den Aufbau ihrer virtuellen Filiale ein.[54]

  3. Der Erfolg der Bibliotheksfilialen in New York hängt, wie Britta Schmedemann[55] als Librarian in Residence beobachtete, ganz maßgeblich von der sozialen Vernetzung im bürgerschaftlichen und institutionellen Umfeld der Bibliotheksstandorte ab.

  4. Von den zehn Zweigstellen der Stadtbibliothek Reutlingen[56] wird ein Teil durch Freiwillige betrieben. Für die Zweigstellen insgesamt und für jeden einzelnen Standort liegt ein Konzept vor, das über Bestandsprofil, Zielgruppen, Dienstleistungsprofil, Kommunikation, Personaleinsatz und Ziele Auskunft gibt. Ein abgestuftes System von Besprechungen in Teams sowie zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten leistet Kommunikation und fixiert Ziele.

3.6 Übergemeindliche Organisation: Filialen statt Klitschen

Den Gedanken, dass die Öffentlichen Bibliotheken aus der kommunalen Vereinzelung in kleinräumigen Strukturen heraustreten sollen und grundsätzlich als Filialnetze in Gebieten mit mehreren Hunderttausend Einwohnern organisiert werden sollen, haben Bibliothekare in Deutschland zuerst 1966 formuliert.[57] Im Vorläufer der späteren Planungspapiere, die diesen Gedanken nicht wieder aufgriffen, forderten die Autoren, Gemeinden, Landkreise und Kommunalverbände sollten sich zu Bücherei-Körperschaften[58] zusammenschließen und die Büchereisysteme unter hauptamtlicher Leitung gemeinsam finanzieren. Erst wieder die Bibliothekskonferenz des Landes Sachsen-Anhalt griff diesen Gedanken auf.[59] Am Beispiel eines fiktiven Landkreises soll gezeigt werden, wie dies geschehen kann (Tab. 2). Im Ergebnis entstehen durch den Zusammenschluss folgende Vorteile:

  1. Die Öffnungsstunden der 7 beteiligten Bibliotheken (ohne ihre kleinen Filialen) können überall, insgesamt um 9 % von 156 auf 172 Wochenstunden gesteigert werden.

  2. Die Erwerbungetats können überall deutlich erhöht werden, insgesamt um 140 % von 190 400 Euro auf 408 000 Euro im Jahr. Diese Erhöhung des Erwerbungsetats kann nur durch umfassenden Fremdleistungseinsatz bewältigt werden. Zugleich sinkt in der Folge der Personalbedarf für Backoffice-Aufgaben. Diese Mittel sind die Quelle der Etatausweitung.

  3. An keinem Standort führt ein Personalausfall vor Ort wegen Krankheit oder Urlaub zu Schließungen, weil ein Gemeinde übergreifender Ausgleich geschaffen wird. Das Personal wird Gemeinde übergreifend flexibel eingesetzt, wenn es erforderlich ist.

  4. Die Kosten für alle unverändert fortgeführten Standorte bleiben, was die Räume und die Betriebskosten angeht, bei den beteiligten Gemeinden. Lediglich das Personal und die Erwerbungsmittel bilden einen gemeinsamen Pool. Er bleibt mit einem Gesamtvolumen von 1,5 Mio. Euro unverändert.

Tab. 2:

Übergemeindliche Organisation Öffentlicher Bibliotheken

Landkreis in NiedersachsenIST bei vorhandener OrganisationMÖGLICH bei optimaler Organisation
1234567891011
ÖB/HEinwohnerErwerbungsetat EuroPersonalstellenPersonalkosten EuroÖffnungsstunden pro WocheBesetzte Plätze während Öffnung incl. FilialenPersonal + Erwerbung EuroÖffnungsstundenErwerbungsetat EuroPersonal + Erwerbung Euro
Stadtbibl. Kreisstadt70 000118 00018,891 005 40040,0051 123 40044252 857Die Öffnungszeiten der Filialen bleiben unverändert
Samtgemeindebibliothek15 00020 0004,90101 08122,003121 0812442 857
Gemeindebücherei A13 00010 0000,8031 93422,501,541 9342521 429
Stadtbücherei B13 00012 0001,1960 38317,00272 3831925 714
Gemeindebücherei C10 00022 0001,65101 58818,004123 5882047 143
Gemeindebücherei D8 0004 0000,6023 20020,50127 200238 571
Gemeindebücherei E7 0004 4000,8829 07416,00133 474189 429
Summen136 000190 40029,001 352 6601561 543 060172408 0001 543 060

4 Erfolgsfaktoren für Bibliotheksfilialen

Man kann bezweifeln, ob für Bibliotheksfilialen andere Erfolgsfaktoren als für Zentralbibliotheken gelten. Vor allem sind Bibliotheksfilialen so verschieden, dass eine Verallgemeinerung kaum möglich ist. Dennoch sollen einige Faktoren angesprochen werden, die als Checkliste verstanden werden können:

  1. Hat der Standort eine Perspektive? Hier geht es um Fragen nach:

    1. Stadtplanung,

    2. Besiedlung, Neubauten, Bevölkerungsaustausch, Gentrifizierung,

    3. Verkehrsanbindung,

    4. Bibliotheksgebäude, ggf. Entwicklung der Miete, Sanierungskosten,

    5. Finanzierung des Standorts, d. h. vor allem der Räume.

  1. Hat die Filiale eine potenzielle Nutzerschaft bzw. ein ausreichendes Einzugsgebiet, um eine lohnende Nachfrage bedienen zu können? Eine quantitative Untergrenze kann man nicht allgemein angeben (nach Einwohnerzahlen etwa), denn je nach Zielgruppe können einige wenige Hundert potenzielle Benutzer – beispielsweise Oberschüler – eine stärkere Nachfrage erzeugen als einige Tausend potenzielle Benutzer mit geringer Bibliotheksaffinität. Und die Nachfrage hängt auch vom Profil des Angebots ab. Da das Angebot von der öffentlichen Hand finanziert wird und nicht direkt von den Kunden, wird die Nachfrage implizit oder explizit politisch bewertet. Manche Kommunalpolitiker, die den Haushaltsplan beschließen, akzeptieren eine kleine Nutzerschaft bzw. eine begrenzte Nachfrage, wenn sie politisch positiv bewertet ist, beispielsweise eine überschaubare Schülerzahl, die die Bibliothek benutzt, oder wenn die Filiale in Konzepte des Kiezmanagements, der Stadtentwicklung, der sozialen Befriedung usw. eingebunden ist. Andere Kommunalpolitiker setzen auf die Abstimmung mit den Füßen und wollen hohe Besucherzahlen im Sinn einer Breitenwirkung der verausgabten Steuermittel sehen, damit sie sich für die erforderliche Finanzierung einsetzen. Aber was sind hohe Besucherzahlen? Es kommt also auch darauf an, dass die Bibliothek selbst die Entscheider mit angemessenen Vergleichsdaten versorgt.

  2. Hat die Filiale ein Profil, das für die potenziellen Zielgruppen attraktiv ist? Beispiele für unattraktive Profile können sein:

    1. ein verkleinertes Abbild der Zentralbibliothek, das mangels Erwerbungsmitteln als veraltet wahrgenommen wird,

    2. ein Medienprofil, das nicht dem Niveau, den inhaltlichen Interessen, hinsichtlich der bevorzugten Medientypen usw. den grundsätzlich bibliotheksaffinen Zielgruppen entspricht,

    3. ein Dienstleistungsprofil, das keine ausreichende Akzeptanz findet, z. B. Autorenlesungen mit literarischen Texten, wenn die Zielgruppe keinen Zugang zu Literatur findet,

    4. eine Möblierung und eine Aufenthaltsqualität, die als veraltet oder im Niveau als zu hoch oder zu niedrig usw. wahrgenommen werden.

Damit sind implizit wichtige Aspekte der Angebotsprofilierung angesprochen. Ein weiterer Aspekt sind die Partner, mit denen die Bibliotheksfiliale kooperiert: Bürger, die sich freiwillig engagieren, Bildungseinrichtungen oder kommerzielle Partner, für die die Nähe zur Filiale eine Aufwertung darstellen könnte.

Online erschienen: 2015-6-17
Erschienen im Druck: 2015-6-22

© 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston

Heruntergeladen am 19.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bfp-2015-0020/html
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