Zusammenfassung
Die USA und Deutschland haben seit langer Zeit eine besondere Verbindung, und dies gilt auch für das Bibliotheks‐ und Informationswesen. Angeregt durch den unmittelbaren Anlass dieses Bandes, geht der Beitrag der Frage der wechselseitigen Befruchtungen und Entlehnungen nach und beschreibt kursorisch – festgemacht an den Themenschwerpunkten Standards und Formate, Akteure und Formen des Austauschs sowie der digitalen Bestandserhaltung – die Geschichte dieser Beziehung.
Abstract
The United States of America and Germany have a long-lasting special connection and this is also true for the library and information science. Inspired by the direct motivation for this publication the question of mutual stimulation and exchange should be raised here as a cursory description of this relation – fastened to the topics of standards and formats, actors and forms of exchange and digital preservation.
1 Vorbemerkung
Für das deutsche Bibliotheks- und Informationswesen ist der Blick in die USA schon seit langer Zeit ein wichtiger Orientierungspunkt, wenn es um neue Systeme, Konzepte oder Services geht. Einige wesentliche Komponenten der aktuellen Informationsinfrastruktur sind als direkte Übernahme entsprechender Dienste in den USA zu verstehen. Allerdings hat sich das Verhältnis beider Nationen im Lauf der Jahrzehnte verändert: In den 1980er-Jahren finanzierte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Reisen in die USA, um Anregungen für weitere Entwicklungsschritte bei der Informationsinfrastruktur zu gewinnen und die Übernahme von Ideen zu befördern. Heute dagegen ist das Verhältnis von partnerschaftlichem Austausch und Kooperationen in einem deutlich erweiterten Themenspektrum gekennzeichnet. Das ist nicht zuletzt das Verdienst einiger Personen, die diesen Austausch intensiv befruchtet haben und befruchten – so auch Michael Seadle, der den unmittelbaren Anlass dieser Publikation darstellt. Einigen Aspekten dieser Entwicklung geht der vorliegende Beitrag nach, durchaus im Bewusstsein, dass der personelle Anlass dieses Bandes eng von eben dieser lebendigen Beziehung zwischen den USA und Deutschland geprägt ist und diese maßgeblich mitträgt – in diesem Sinn also auch eine Danksagung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Aspekten der Informationsinfrastruktur.
2 Einleitung
Das deutsche Bibliothekswesen hat im 20. Jahrhundert heftige Brüche erlebt und Neuanfänge vollzogen – und in verschiedenen Themenfeldern spielten die USA jeweils eine bedeutsame Rolle. Als etwa in der Zeit der Weimarer Republik im Öffentlichen Bibliothekswesen ein heftiger Richtungsstreit tobte, gingen der Blick und die Suche nach Anknüpfungsmustern verstärkt in die USA.[1] Schon vorher gab es vielfältige Kontakte zwischen den beiden Ländern, oft traten amerikanische Privatleute und Universitäten als Käufer (und Retter) ganzer Sammlungen in Erscheinung und integrierten sie in die Angebote ihrer aufstrebenden Bibliotheken[2]; das Konzept des deutschen Fachreferenten entspricht dem des Subject Librarian.[3] Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten die USA den entscheidenden Orientierungspunkt für die Ausrichtung und Ausgestaltung bibliothekarischer Services im westlichen Deutschland: Herrschte nach dem Zusammenbruch Nazi-Deutschlands, der auch im Bibliothekswesen als massiver Einschnitt erlebt wurde, zunächst Orientierungslosigkeit, vermittelten die USA schon bald praktische und theoretische Anschauung zum Beispiel durch die Amerikahäuser und entsprechende bibliothekarische Angebote, aber auch durch die Vermittlung von Studienreisen für Öffentliche Bibliothekare, die in gewisser Hinsicht an Debatten der zwanziger Jahre anknüpften.[4] Dieser Austausch reichte soweit, dass Bibliothekskonzepte in dem in dieser Frage besonders traditionell geprägten deutschen Bibliothekswesen möglich wurden, die die Spartendifferenzierung zwischen öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken aufgaben.[5] Sichtbar wurden diese Konzepte auch im Bereich des Bibliotheksbaus und der darauf bezogenen Ausgestaltung von Benutzungsdiensten.
Der Aufschwung der Hochschulen in den 1960er- und 1970er-Jahren zog auch den Bedarf für einen vermehrten Ausbau der Informationsstruktur im wissenschaftlichen Umfeld nach sich: Hier waren es wiederum die Vorbilder amerikanischer Campusuniversitäten und -bibliotheken, die in Deutschland adaptiert wurden – unter Beibehaltung einiger spezifischer Besonderheiten wie der Weiterführung zweischichtiger Systeme in älteren Gründungen. Einen Schwerpunkt bildeten dabei systemtechnische Fragen, also die Nutzung der Informationstechnik im Bibliotheksbereich.
In einigen zentralen Bereichen bibliothekarischen Arbeitens – insbesondere den Bereichen, die die Berufsausbildung und die Alltagspraxis im Innenwirken des bibliothekarischen Selbstbilds prägten – also der Katalogisierung und den entsprechenden Regelwerken dagegen – wurde die deutsche Tradition bis in die 1990er-Jahre hinein fortgeführt.
Nach diesen eher kursorischen Bemerkungen sollen drei Themenfelder der jüngeren Vergangenheit, also die 1990er- und 2000er-Jahre etwas eingehender betrachtet werden.
3 Standards und Formate
Regelwerksarbeit im deutschsprachigen Raum und seit 1973 das eigenständige Austauschformat MAB[6] waren die Bedingungen, unter denen die Datenverarbeitung im deutschen Bibliothekswesen von den ersten Anfängen in den späteren 1960er-Jahren bis Ende der 1990er-Jahre stattfand. Die sich intensivierende Diskussion um die Frage einer Erneuerung des Regelwerks und Überlegungen insbesondere in den Gremien der DFG zur Aufgabe der internationalen Isolierung verschob die Perspektive auf die Frage, ob die Zeit für eine Ausrichtung an international gültigen Standards vorwiegend aus dem angloamerikanischen Raum „reif“ sei. Natürlich hatte sich der deutsche Sprachraum auch schon früher und maßgeblich an der internationalen Standardisierungsarbeit im Rahmen der IFLA beteiligt, aber dieser Richtungswechsel kam für die deutschsprachige Öffentlichkeit zunächst doch überraschend. Auch Entwicklungen in anderen Ländern wie beispielsweise der deutschsprachigen Schweiz, die sich schon früher dazu entschieden hatte, auf AACR2 und MARC 21 zu setzen, wurden vorerst als kaum vergleichbar angesehen.[7]
Im Dezember 2001 kam es zum wegweisenden Grundsatzbeschluss im Standardisierungsausschuss, dem nach Abwicklung des Deutschen Bibliotheksinstituts (DBI) an der Deutschen Nationalbibliothek (damals noch unter dem Namen Die Deutsche Bibliothek) neu formierten Gremium für Regelwerksfragen im deutschen Sprachraum: Die Weiter- oder Neuentwicklung der RAK wurde zurückgestellt, der Übergang auf internationale Regelwerke und Formate beschlossen und einleitende Maßnahmen, insbesondere eine Untersuchung der (betriebswirtschaftlichen) Folgen eines Umstiegs, wurden beauftragt.[8]
Dieser Zweischritt, also die Verknüpfung der Regelwerksdiskussion mit der Frage des Austauschformats für die bibliographischen Metadaten, wurde in den folgenden Jahren immer wieder kontrovers diskutiert. Als sich abzeichnete, dass die Nachfolgearbeiten für die AACR2 sich zu einer grundsätzlichen Neukonzipierung des Regelwerks mit einem deutlich erweiterten Anspruch weiterentwickelten, der von Anfang an international ausgerichtet war, entkoppelten sich schon wegen des langfristigen Zeitplans für die Regelwerksentwicklung die beiden Themen ‚Formatumstieg‘ und ‚Regelwerk‘ zusehends voneinander. Gleichzeitig wurde der Handlungsbedarf im Bereich des Austauschformates drängender.
Im MAB-Ausschuss, dem Gremium für Pflege und Weiterentwicklung des von der Deutschen Nationalbibliothek betreuten MAB2-Formates, wurden ein Umstieg und seine Konsequenzen für den Datentausch zwischen Bibliotheken und Verbundsystemen auf der Folie der Ergebnisse des Umstiegsprojekts intensiv diskutiert. Die Überlegungen gingen dann in die Entscheidung der AG Verbundsysteme im Dezember 2004 ein. Die gemeinsame Festlegung und Empfehlung, die MAB-Entwicklung nicht fortzuführen, wurde vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch wegen der mangelnden bzw. nur mit erheblichem Aufwand erreichbaren Zukunftsfähigkeit von MAB2 getroffen. MAB2 war an einem Punkt angelangt, wo ohne durchgreifende Veränderungen des Formats und vor allem seiner internen Struktur eine Weiterführung nur mit einem erheblichen Aufwand sowohl bei der Format(neu)konzipierung als auch bei der Implementierung möglich gewesen wäre. Außerdem war absehbar, dass die Umsetzung von notwendigen Grundprinzipien wie die konsequente Verwendung wiederholbarer Kategorien und die Einführung von Subfield-Strukturen im Ergebnis nah am bereits vorhandenen MARC-21-Format liegen.[9]
Nachdem der Standardisierungsausschuss diesen von der AG Verbundsysteme vorgetragenen Vorstellungen zur weiteren Formatentwicklung im deutschen Sprachraum und den damit verbundenen Vorgehensvorschlägen in seiner Sitzung am 15.12.2004 zugestimmt hatte[10], begann die Expertengruppe (EG) Datenformate im Februar 2005 mit der konkreten Vorbereitung des Umstiegs. Das Ergebnis dieser Arbeiten der Folgejahre ist auf formattechnischer Ebene dokumentiert.[11]
Die EG Datenformate, wie sie sich nun bald neu benannte, setzte an den Ausgangspunkt für die Umstellungsarbeiten die Erstellung einer verbindlichen Konkordanz zwischen den Formaten, ferner die systematische Zusammenstellung von Bereinigungsbedarf und Klärungen insbesondere auch von Sonderentwicklungen in einzelnen Verbundsystemen. So eröffnete sich die Chance, von der anstehenden Umstellung schnell zu profitieren. Von Anfang an formulierte die Gruppe auch das Ziel, spezifische Sachverhalte in die internationale Standardisierungsarbeit von MARC 21 einzubringen und dazu eine eigene anwenderspezifische Formatschicht einzuführen, in der spezielle Sachverhalte ohne Relevanz für die internationale Anwendergemeinschaft verortet werden sollten. Dazu seien „MAB2 und MARC 21 einer umfassenden Analyse zu unterziehen“ und „sowohl die Übereinstimmungen als auch die Unstimmigkeiten in inhaltlicher und formattechnischer Hinsicht“ zu benennen.[12] Die Chancen und Risiken des Umstiegs wurden intensiv diskutiert; die Ausgangssituation, die Motive und die Restriktionen des MAB2-Formats wurden benannt. Aber auch die Mängel und Begrenztheiten des MARC-21-Formats wurden betrachtet.[13] Vor allem wurden als wesentlich erkannte Merkmale der vorhandenen Datenstrukturen, die in den Datentausch eingingen, also die Verknüpfungsstrukturen, die granulare Abbildung bei mehrbändigen Werken, aber auch andere differenziert abbildbare Sachverhalte als Probleme identifiziert und als Kernelemente des Umstiegs weiter bearbeitet. Allen Beteiligten war klar, dass zunächst die Wissensbasis zum Format erheblich verbreitert werden musste. Dies sollte durch die Einladung eines „externen Referenten aus der internationalen MARC-21-Community für einen Workshop der Expertengruppe Datenformate“ erfolgen.[14] Auf dieser Basis und weiterer Kontakte entstand dann ausgehend von der Konkordanz das „Programm“ für die Einführung von MARC 21, die Anreicherung des MARC-21Formats und die Ausbildung der Anwenderebene für regionale oder domänenspezifische Anforderungen im Sinne einer Ergänzung des MARC-21-Formats für die deutschsprachige Bibliotheksszene. Auf der anderen Seite entschied sich die Gruppe konsequent gegen die Übernahme von eingeführten, aber nie in Nutzung gekommenen Features des MAB2-Formats.
Diese Aktivitäten waren nur durch eine intensive Austausch- und Kooperationsphase mit den amerikanischen Kollegen möglich. Neben der initialen Durchführung von Workshops mit Kollegen aus der Library of Congress (LoC), die Grundlagenwissen zu MARC 21 vermittelten und – noch wesentlicher – in die Gepflogenheiten der Formatentwicklung einführten, ging es auch darum, den Kontakt zur LoC und den anderen maßgeblich an der Standardisierungsarbeit für MARC 21 beteiligten Einrichtungen herzustellen und vor allem Personen aufzubauen, die als Mittelsleute agieren konnten und Vertrauen genossen. Gleichzeitig bestand immer wieder neuer Beratungsbedarf bei Entscheidungen, wie bestimmte Sachverhalte im MARC-21-Format abzubilden seien. Im Zuge der Zusammenarbeit wurde auch für die anglo-amerikanischen Kollegen immer deutlicher, dass die deutschsprachige Standardisierungsarbeit sich nun in die internationale Community integrieren und an der laufenden Weiterentwicklung von MARC 21 unmittelbar mitwirken würde.
Kontakte zwischen Mitgliedern der Expertengruppe und den transatlantischen Partnern fanden neben den genannten Workshops auch über direkte Besuche anlässlich der zweimal jährlich stattfindenden Kongresse der American Library Association[15] statt, zu der immer wieder Kollegengruppen reisten, um dort die Verfahren und Abläufe der Arbeit im Standardisierungsgremium MARBI (Machine-Readable Bibliographic Information) Committee in unmittelbarer Anschauung kennenzulernen, an Vortreffen teilzunehmen und selbst an den Neuerungen im Format mitzuwirken. Von diesem regelmäßigen Austausch, auch jenseits der offiziellen Gremienarbeit, profitiert auch die Mitarbeit an BIBFRAME, der Initiative der LoC für einen neuen, Linked Data basierten Ansatz, der über die bisherigen Anforderungen an ein bibliothekarisches Austauschformat deutlich hinausreicht und vermutlich die heutigen Austauschstrukturen vollumfänglich aufnehmen und in einen größeren Kooperationsrahmen führen wird.[16]
Aus der Rückschau heraus betrachtet gelang es, viele grundlegende neue Aspekte in den MARC-21-Standard einzubringen. Die deutschsprachige Community sitzt seit 2009 offiziell mit am Tisch, nun im Nachfolgegremium von MARBI, dem MARC Advisory Committee (MAC).[17] Alle Beteiligten haben erfahren, dass ihre Stimme zählt und ernstgenommen wird, angekoppelt an das Gremium EG Datenformate. Die Absicht, die deutschsprachige Bibliotheksszene an die internationale Entwicklung heranzuführen und zu einem vollwertigen Mitglied werden zu lassen, hat sich über eine bloße Übernahme der anderswo entwickelten Standards zu einem partnerschaftlichen, international geprägten Miteinander weiterentwickelt.[18] Inzwischen wird diese Stimme gehört und wahrgenommen; das Linked Data Engagement der DNB und anderer deutscher und europäischer Bibliotheken ist ein gutes Beispiel für den hohen Stellenwert als Partner und Ideengeber insbesondere im Bereich der Normdaten.
Der technische Formatumstieg selbst wurde in vielen abgestimmten Teilschritten vollzogen. In den folgenden Jahren bis 2008/2009 wurde dieser Umstieg für das Austauschformat an den verschiedenen Schnittstellen der Verbundsysteme und auch der Herstellersysteme für das lokale Bibliotheksmanagement vollzogen.
4 Akteure und Formen des Austauschs
Zusammenarbeit ergibt sich vor allem aus dem persönlichen Miteinander von handelnden Personen. Als die USA nach 1945 im Rahmen ihres re-education Programms direkt erfahrbare Präsenzen des amerikanischen Bibliothekswesens in Deutschland schuf, hatten sie auch den persönlichen Austausch im Blick: Großzügige Programme ermöglichten es deutschen Bibliothekaren, die USA zu bereisen und in unmittelbarer Anschauung Anregungen für den Ausbau der heimatlichen Infrastruktur mitzunehmen.[19]
Die schon zitierten Bibliotheks- oder Studienreisen sind eine dieser Errungenschaften. Als es zum Beispiel um den Aufbau der heutigen Verbundsystemlandschaft ging, also um die Frage, wie Bibliotheken mittels Informationstechnik gemeinsam unter Nachnutzung von Daten katalogisieren können, bildeten USA-Reisen einen wichtigen Impulsgeber.[20] Dieser Weg, durch eine Studienreise einen Überblick über Stand und Leistungsfähigkeit des Bibliothekswesens zu erhalten, hat insbesondere von deutscher Seite eine lange zurückreichende Tradition. Schon 1912 reiste eine Gruppe im Auftrag des zuständigen Ministeriums (Ministerium der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten) in die USA, um Anregungen für den Neubau der Königlich-Preußischen Bibliothek unter den Linden zu gewinnen.[21] Dabei wurden durchaus auch Defizite des amerikanischen Bibliothekswesens im Vergleich zum deutschen gesehen; es beeindruckte die Orientierung an zentral festgelegten Standards. Umgekehrt spielte Deutschland für amerikanische Bibliotheksreisende zwar im 19. Jahrhundert eine große Rolle, die USA werden aber in Deutschland erst zum Ende des Jahrhunderts verstärkt wahrgenommen.[22] In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts spielt Deutschland für das US-amerikanische Bibliothekswesen eine immer geringere Rolle, und wenn berichtet wird, dann oft kritisch bis negativ.[23] Dies lässt sich durchaus als Beleg für das gewachsene Selbstbewusstsein des US-amerikanischen Bibliothekswesens im zwanzigsten Jahrhundert verstehen, das die Sicht bis heute prägt. Dies drückt sich in der Erkenntnis oder auch Haltung aus, dass von deutschen Bibliotheken insbesondere im Bereich von Services oder Bibliotheksorganisation schlicht nicht viel zu lernen sei.[24]
Dennoch gibt es einen intensiven Austausch und auch eine Reihe von Organisationen, die unter Beteiligung amerikanischer Bibliothekare an einem intensiven Austausch arbeiten. Eine dieser Formationen ist die GNARP, die German-North American Resources Partnership oder zu Deutsch die D-NABG: Deutsch-Nordamerikanische Bibliotheksgemeinschaft, die seit 1992 besteht.[25] Gefördert u. a. von der Mellon Foundation, spielte zunächst der Bestandsaufbau für deutsche Ressourcen in Nordamerika eine wichtige Rolle, aber auch der Transfer von Technologie, vor allem gedacht als Weg aus den USA nach Deutschland. Heute spielt der Austausch über die Library Exchange Working Group eine größere Rolle.[26] Die GNARP hält regelmäßig Treffen in Deutschland anlässlich der Deutschen Bibliothekartage ab, oft unter persönlicher Beteiligung von M. Seadle und anderen Bibliothekaren aus den USA.[27] Und es ist sicher kein Zufall, wenn zum Start des Projekts zur Internationalisierung von Formaten und Regelwerken ein Aufsatz eines GNARP-Mitglieds zur amerikanischen Praxis erschien.[28]
5 Digital Preservation
Ein Beispiel im Kontext der internationalen Kooperation und speziell des Verhältnisses der deutschen und amerikanischen Partner zueinander stellt die Sicherung der Langzeitverfügbarkeit digitaler Objekte bzw. der Digital Preservation dar. Das Thema wird im umfassenden Sinn in den 1990er-Jahren zuerst in Europa sichtbar; in den USA überwog die Diskussion um die sichere Speicherung von Daten. Auch wenn der noch heute maßgebliche Basisstandard, OAIS[29], über die nationale amerikanische Standardisierungsorganisation NISO entstand, war seine Erarbeitung von Beginn an von der Mitwirkung einer internationalen Gemeinschaft geprägt. Konkrete Umsetzungsschritte mit expliziter Anbindung an den OAIS-Standard beginnen dann in Europa. Deutsche Aktivitäten begriffen sich immer auch als Teil der europäischen Initiativen. Auch die internationale Beschäftigung mit der Thematik und der fachliche Konferenzaustausch waren zunächst eine europäisch-asiatische Kooperation. Das Bild änderte sich jedoch schnell und bald stellten die US-Amerikaner einen nennenswerten Anteil der Teilnehmer solcher Konferenzen – sie zeigten und zeigen großes Interesse an den Entwicklungen in anderen Ländern.[30] Heute ist das Thema grundsätzlich international mit wechselseitigen Befruchtungen und Initiativen. In den USA wird mittlerweile eine breit gefächerte fachliche Diskussion geführt, deren Bezugnahme auf die internationale Entwicklung allerdings abnimmt.
Ein anschauliches Beispiel für die Zusammenarbeit deutscher und amerikanischer Experten ist die LOCKSS-Initiative (Lots of Copies Keep Stuff Safe), die inzwischen auch in Deutschland mit LOCKSS-Boxen präsent ist.[31] Auch die Variante CLOCKSS („C“ für Closed) als besonders abgeschirmte Version ist durch die Initiative der Humboldt-Universität Berlin inzwischen in Deutschland etabliert. Die LOCKSS-Initiative besteht aus einigen hundert Bibliotheken und über 500 Verlegern, die gemeinsam eine Allianz bilden mit dem Ziel der mehrfach redundanten Speicherung von wissenschaftlichen Publikationen. Technisch wird ein peer-to-peer-Netzwerk zu Grunde gelegt, das aus möglichst einfachen und günstigen (und für sich genommen nicht besonders gegen Ausfälle gesicherten) IT-Komponenten besteht. Seit seiner Produktivsetzung 2004 wird das System in Schritten weiter ausgebaut, die Teilnehmer unterhalten sogenannte LOCKSS-Boxen, die sich wechselseitig insbesondere bei Fehlern synchronisieren. In der Regel sind es Verlagsinhalte, die so mehrfach redundant gespeichert werden. Bereits ab 2004 unternahm die LoC Anstrengungen, die Technologie nach Deutschland zu bringen und auf dieser Basis einen Schriftentausch für originär digitale Objekte zu starten. In wiederholten Treffen, stark getrieben durch den unvergessenen Don Panzera (LoC) gelang schließlich der Aufbau des Netzwerks, an dem verschiedene große Einrichtungen in Deutschland unter Führung der Humboldt-Universität mitwirken.
Einen inhaltlich-fachlichen Schub sowohl in der persönlichen Arbeitsbeziehung als auch in der Etablierung neuer Features erfuhr LOCKSS durch das DFG-Projekt LUKII (LOCKSS und KOPAL Infrastruktur und Interoperabilität).[32] Ziel von LUKII in seiner Laufzeit 2010–2012 war es, in Deutschland eine Infrastruktur für die kostengünstige digitale Langzeitarchivierung aufzubauen. Darüber hinaus sollte die Interoperabilität der beiden bestehenden Systeme LOCKSS und KOPAL/koLibRI, der Langzeitarchivlösung der Deutschen Nationalbibliothek, evaluiert werden, um die Vorteile der günstigen Datensicherungslösung von LOCKSS und das Migrationsmanagement aus KOPAL/koLibRI zu kombinieren.
Gerade dieses Projekt intensivierte den Austausch insbesondere zwischen amerikanischen und deutschen Entwicklern, angetrieben auch durch den seit 2006 in Deutschland lehrenden Michael Seadle.[33] Es ist sicherlich kein Zufall, dass LOCKSS nun auch in dem DFG-Projekt „Nationales Hosting elektronischer Ressourcen“ eine herausragende Rolle spielt.[34]
Die genannten Beispiele zeigen ausschnitthaft, wie intensiv und ernsthaft auf einem neueren Aktionsfeld der Informationsinfrastruktur zwischen amerikanischen und deutschen Kollegen zusammengearbeitet werden kann, gleichzeitig aber auch, wie abhängig solche Kooperationen von persönlichen Kontakten und Antreibern sind.
6 Resümee und Ausblick
Viele Jahrzehnte über waren die Vereinigten Staaten der zentrale Bezugspunkt bei der Orientierung und Ausrichtung, wenn deutsche Bibliothekare insbesondere im Bereich von Technologien den Anschluss an die unbestrittene Führungsnation suchten. Inzwischen hat sich das Verhältnis aber insgesamt von einer vergleichsweise unreflektierten Übernahme von Systemen und Organisationsmustern zu einem deutlich differenzierteren und partnerschaftlicheren Verhältnis gewandelt. Das schließt nicht aus, dass gewisse Grundmuster bestehen bleiben. So ist die Rezeptionsbereitschaft der US-Amerikaner für ausländische Aktivitäten immer noch deutlich geringer ausgeprägt als zum Beispiel die der Deutschen. Für Deutschland sind die USA noch immer ein wichtiger Orientierungspunkt, wo sich global bedeutsame Entwicklungen und Dienste konzentrieren. Allerdings ist der Umgang mit diesen Ausprägungen deutlich emanzipierter, wovon beide Seiten profitieren.
Wenn Partner zusammen agieren, bleibt es nicht aus, dass sie sich vergleichen. Und es ist unverkennbar, dass das Selbstbewusstsein der amerikanischen Kollegen stark ausgeprägt ist und umgekehrt deutsche Kollegen eher skeptisch sind, was die eigene Leistungsfähigkeit angeht.[35] Dennoch ist über einen längeren Zeitraum offensichtlich, dass das Interesse und die Bereitschaft der amerikanischen Seite an einer Beobachtung der internationalen Entwicklungen bereits seit dem Zweiten Weltkrieg insgesamt kontinuierlich zunehmen.[36] Es liegt nahe, dies als einen langlaufenden Prozess zu verstehen, der auch mit einer gewissen Verunsicherung über die eigene Position in der Welt zu tun hat.[37] Dennoch ist unverkennbar, dass noch heute konstituierende Merkmale der Informationsinfrastruktur aus den USA stammen. Aus der Perspektive des deutschen Bibliothekswesens lässt sich umgekehrt – neben den vielfältig empfangenen Impulsen – festhalten, dass die Anbindung an die wesentlichen Abläufe und Entwicklungen des internationalen Bibliothekswesens erkennbar auch dabei hilft, die internationale Wahrnehmung des deutschen Bibliothekswesens zu befördern.
© 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston
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