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Die Geschichte der Privatbibliothek Kaiser Franz’ I. von Österreich 1784–1835

Ein Forschungsbericht
  • Thomas Huber-Frischeis EMAIL logo , Nina Knieling and Rainer Valenta
Published/Copyright: November 26, 2014

Zusammenfassung

Im Rahmen eines Projekts des Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung wird die Geschichte der Privatbibliothek Kaiser Franz’ I. von Österreich aufgearbeitet, deren Bestände sich in der historischen Aufstellung noch heute in der Österreichischen Nationalbibliothek befinden. Der vorliegende Artikel gibt über Forschungsschwerpunkte und bisher vorliegende Projektergebnisse Auskunft.

Abstract

A research project financed by the Austrian Science Fund is dedicated to the history of the private library of Emperor Franz I which has been conserved so far within its historical locations as part of the Austrian National Library. The following article will give an overview on the objectives and results of this investigation.

1 Einleitung

Im Jahr 1921 wurde die Habsburg-Lothringische Familien-Fideikommissbibliothek Bestandteil der Österreichischen Nationalbibliothek. Die Geschichte dieser einzigartigen Sammlung geht bis in die 80-er Jahre des 18. Jahrhunderts zurück, als der spätere Kaiser Franz II./I., damals noch Erzherzog, beschloss, eine private Bücher- und Kupferstichsammlung anzulegen. Nachdem er seine Privatbibliothek 1835 testamentarisch zum Familien-Fideikommiss erklärt hatte, wurde sie zum Auffangbecken für die persönlichen Bücherbestände zahlreicher weiterer Mitglieder der Dynastie. Ein vom Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziertes Projekt (P22774) mit dem Titel „Die Privatbibliothek Kaiser Franz’ I. von Österreich 1784–1835“ stellte sich zur Aufgabe, die erste Phase der Sammlungsgeschichte mit all ihren kulturellen, sozialen und politischen Bezügen bis zum Jahr 1835 anhand von Quellenmaterial aufzuarbeiten. Der Zeitraum bis 1923 wird in einem Folgeprojekt behandelt, das 2014 startet. Die folgende Zusammenfassung gibt einen Überblick über die Ziele, Arbeitsschritte und Ergebnisse der bereits abgeschlossenen Forschungsphase.

2 Die Rekonstruktion der Privatbibliothek

2.1 Die Zeit bis 1806

Einen Forschungsschwerpunkt der Projektarbeit stellt ein Beitrag zur historischen Leserforschung in Form der Rekonstruktion von Buchakquisitionen des Erzherzogs und späteren Kaisers Franz II. für seine Privatbibliothek dar. Aufgrund der im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv lückenlos überlieferten Buchhändler- und Buchbinderechnungen der kaiserlichen Privatkasse für den Zeitraum 1784–1806 konnte eine quantitative und qualitative Auswertung der Daten vorgenommen werden,[1] welche klar zuordenbare Phasen erkennen lässt: einerseits die im Jahr 1784 beginnende Phase der Erziehung in Wien, in der die Lehrer und Erzieher des Erzherzogs auch als Rechnungsempfänger auftreten; andererseits ist die Zeit der alleinigen Sammlungstätigkeit des Erzherzogs ab dem Jahr 1788 nachvollziehbar, in der sich anhand des persönlichen Sammelinteresses bereits klar definierte Sammlungsschwerpunkte herausbilden. Diese Entwicklung setzt sich besonders ab 1792 fort, da Massenankäufe zu den Themenbereichen ‚Schöne Literatur‘, ‚Geschichte‘ und ‚Geographie‘ aber auch zu den Naturwissenschaften, im Besonderen botanische Fortsetzungswerke, getätigt werden.

Bereits für die Zeit der Erziehung des Erzherzogs erschließt sich der beachtliche Einfluss von aufgeklärtem Gedankengut bzw. die erstaunliche Aktualität der Werke – ein Funktionsanspruch also, der dem bibliophilen Interesse an seltenen und preziösen Werken entgegenstand. In dieser Tradition standen die Sammlungsbestände der Wiener Hofbibliothek. Diese hatte in den 1720er-Jahren einen eigenen barocken Bibliotheksbau erhalten und unterscheidet sich abgesehen vom Umfang der Sammlung nicht nur in Bezug auf die repräsentative räumliche Verortung und die Finanzierung durch eine festgesetzte Bibliotheksdotation. Auch die Verwaltung der Bibliothek durch Beamte und die Funktion als Gebrauchsbibliothek stellen wesentliche Unterscheidungsmerkmale dar.[2]

Als Hauptbezugsquelle der Druckschriften für die Privatbibliothek ist der Wiener Buchhandel maßgeblich vertreten. In den 1790ern erfolgt dann eine punktuelle Ausweitung des Bezugsradius in Form von regelmäßigen Buchankäufen beispielsweise bei den Buchhandlungen Fontaine in Mannheim bzw. Wirsing in Nürnberg.

Zur Entstehungsgeschichte der Privatbibliothek konnte ein anschaulicher Vergleich mit der Privatbibliothek der Großherzöge in Florenz hergestellt werden, für die ebenfalls Rechnungen zu Buchankäufen im Staatsarchiv in Florenz ans Licht befördert wurden, die den Kommunikationskanal von Großherzog Pietro Leopoldo, dem Vater und späteren Kaiser Leopold II., über die Gesandtschaft in Paris belegen.[3]

2.2 Die Zeit von 1806–1835

In der Phase von 1806 bis zum Tod Franz’ I. im Jahr 1835 wird die Privatbibliothek immer stärker zur Institution. Dies manifestiert sich nicht zuletzt in der Ernennung Peter Thomas Youngs zum ersten Bibliothekar der Sammlung. Neben den wie bisher gepflogenen umfangreichen Bucherwerbungen an rezenter Literatur bei den großen Wiener Buchhändlern – ab 1806 in erster Linie bei Schaumburg, Schalbacher und Artaria & Comp. – sowie bei Artaria & Fontaine in Mannheim sind es vor allem Ankäufe geschlossener Sammlungen sowie die Teilnahme an Buchauktionen bedeutender bürgerlicher Privatbibliotheken, die die großen Zuwächse in diesem Zeitraum darstellen.[4] Mit diesen hauptsächlich antiquarischen Werken wurde nicht zuletzt auch versucht, den Buchbestand zu den bevorzugten Interessensgebieten des Kaisers zu ergänzen und gleichzeitig unterrepräsentierte Wissenschaftsdisziplinen in der kaiserlichen Privatbibliothek zu erweitern.

An Zuwächsen in Form von geschlossenen Sammlungen ist die Kaiser Franz I. 1809 von seiner Tante Erzherzogin Maria Elisabeth durch Erbschaft zugefallene, aus 2 174 Werken der ‚schönen Literatur‘ bestehende Bibliothek zu nennen, weiter die 1819 erkaufte Büchersammlung (5 827 juridisch-politische Werke) des Peter Anton Freiherrn von Frank, die 621 Bände umfassende Inkunabelsammlung des Ferdinand von Ulm 1824 und nicht zuletzt die physiognomische Studiensammlung des Johann Caspar Lavater 1828, die jedoch weder der Buch- noch der Porträtsammlung der Privatbibliothek zuzurechnen ist, sondern bis heute eine eigene Entität bildet und als einer der wenigen Bestände bisher wissenschaftlich erforscht wurde.[5]

Während die Erwerbungsumstände dieser Sammlungen detailliert analysiert und aufgrund von fundiertem Aktenstudium in einigen Fällen lückenlos rekonstruiert werden konnten, ließen sich die Akquisitionen auf dem Weg der Versteigerungen oftmals lediglich durch die in der Privatbibliothek vorhandenen Auktionskataloge und den darin befindlichen Auswahl-Anstreichungen nachvollziehen. So konnte die Teilnahme an den Auktionen der Privatbibliotheken des Franz Freiherrn von Prandau (1811), Johann Melchior von Birkenstock (1812), jene der Grafen Apponyi (1818), des Fürsten Prosper von Sinzendorf (1823), des Königs Maximilian I. von Bayern (1826) und der Grafen Auersperg (1834) nicht nur nachgewiesen, sondern der jeweilige gesamte Erwerb detailliert rekonstruiert werden. Aufgrund der Auswertung des systematischen Kataloges, die ebenfalls im Rahmen der Projektarbeit erfolgte, ist es möglich, die erworbenen Werke wissenschaftlichen Disziplinen zuzuordnen und so die bevorzugten Interessensgebiete des Kaisers bei der Auswahl der anzukaufenden Werke nachzuweisen. Darüber hinaus lässt eine Analyse jener Werke, die in den Auktionskatalogen zwar angemerkt, später aber anscheinend nicht erworben werden konnten, Rückschlüsse auf allgemein begehrte Themengebiete dieser Zeitepoche zu.

2.3 Analyse des Bibliotheksbestandes

Aufgrund einer eingehenden Analyse der Kataloge war es möglich, den Buchbestand der Privatbibliothek zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten zu rekonstruieren. Aufgrund der guten Quellenlage für die Frühzeit der Bibliothek konnten 540 Buchankäufe bis in das Jahr 1791 erschlossen werden.

Bei den Recherchen wurde ein Schätzkatalog aus dem Jahr 1807 (9 405 Titel) entdeckt, welcher in einzigartiger Weise den Bibliotheksbestand und seinen zeitgenössischen Wert darstellt, wie er sich kurz nach der Einstellung des Bibliothekars Peter Thomas Young präsentierte.

Eine statistische Auswertung des systematischen Katalogs, dessen Anfertigung 1827 abgeschlossen werden konnte, zeigt die Verteilung des Buchbestands der Privatbibliothek nach dem damaligen wissenschaftlichen Klassifikationsschema. Die Bestandserhebung aus dem Todesjahr des Monarchen 1835 (25 344 Titel) markiert den Abschluss seiner Sammeltätigkeit, die mit der testamentarischen Verfügung zur Umwandlung der Privatbibliothek in einen Fideikommiss endet.

2.4 Die Räumlichkeiten der Privatbibliothek

Zu Lage und Aussehen der ursprünglichen (heute nicht mehr erhaltenen) Räumlichkeiten der Bibliothek wurden systematisch Architekturpläne, alte Fotos und Ansichten sowie historische Beschreibungen gesammelt.[6] Hier ergab sich ein Synergieeffekt, da einer der Projektmitarbeiter (Rainer Valenta) zuvor bei einem Forschungsprojekt zur „Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg“ (FWF-Projekt P18199) beteiligt und somit mit dem architekturhistorischen Kontext gut vertraut war. Die Bibliothek war in den ersten Jahren im Kabinett des Appartements für Erzherzog Franz aufgestellt, die Erbauung des eigentlichen Bibliothekslokals konnte aufgrund von Archivfunden in die Jahre 1795/96 datiert werden – rund zehn Jahre früher als bisher angenommen. Die Erweiterungen dieser Räumlichkeiten in den Jahren 1812 und 1834, die wegen des permanenten Anwachsens der Sammlung notwendig waren, wurden aufgrund von Akten und Plänen dokumentiert. Schließlich erfolgte eine Würdigung der kaiserlichen Privatbibliothek im Rahmen der Geschichte des Bibliotheksbaus und speziell der in Wien erhaltenen bzw. rekonstruieren Privatbibliotheken in der Epoche des Klassizismus.[7]

3 Die Privatbibliothek als Wissens- und Erinnerungsraum

3.1 Die Kataloge der Privatbibliothek

Interessante Ergebnisse erbrachte die Analyse des umfangreichen Bestands an handschriftlichen Bandkatalogen, wobei die Chronologie der Entstehung, die Frage der benutzten fachspezifischen Referenzwerke und die konzeptuellen Änderungen im Zuge der Genese im Wesentlichen geklärt werden konnten. Zusammenfassend stellt sich die Lage nach gegenwärtigem Erkenntnisstand – grob vereinfacht – wie folgt dar:

Im Jahr 1807 versah Bibliothekar Peter Thomas Young sämtliche Werke mit einer sogenannten unveränderlichen Bibliothekszahl und ordnete sie (physisch) nach allgemeinen Fachgruppen. Daraufhin begann er einen alphabetischen Katalog und ein Standortsrepertorium anzulegen, in denen die Konkordanz zwischen den Werktiteln durch ebendiese Zahl hergestellt war – eine Erschließungsmethode, die Young von Kaysers 1790 erschienener, konziser Anleitung zur Ordnung und Katalogisierung einer Bibliothek übernommen hat.[8]

Die erste Arbeit zur Erstellung eines systematischen Kataloges, ein Klassifikationsschema, datiert ebenfalls aus dem Jahr 1807 und orientiert sich in seiner Gliederung nach Disziplinen und deren feiner hierarchischer Auffächerung an der Systematik einer in den Jahren zwischen 1793 und 1800 erschienenen Universalbibliographie.[9] Die Metamorphosen, die das Klassifikationsschema bei einer Überarbeitung von 1811 bis hin zur definitiven Niederschrift des systematischen Kataloges in den Jahren 1821 bis 1827 durchgemacht hat, wurden im Zuge des Projekts dokumentiert, wobei auf den Einfluss zeittypischer Phänomene (beispielsweise der Französischen Revolution oder der Philosophie Kants) auf die Gliederung einzelner Disziplinen Rücksicht genommen wurde.

Schließlich existiert aus der Feder Youngs ein Inkunabelkatalog in zwei Fassungen aus den Jahren 1810 und 1812, die mit ihren sehr ausführlichen bibliographischen Angaben viele der Vorzüge von Ludwig Hains ab 1826 erschienenem Verzeichnis der Wiegendrucke bereits vorwergnehmen.[10]

3.2 Der Kaiser und seine Bibliothek

Das Quellenmaterial führte zu der Erkenntnis, dass die Privatbibliothek Franz’ I. vor allem in den ersten Jahren ihres Bestehens als Handbibliothek bezeichnet werden kann. Im weiteren Verlauf wird ihr institutioneller und repräsentativer Charakter nicht zuletzt durch die Anstellung eines eigenen Bibliothekars und durch vermehrten Ankauf von Prachtexemplaren und Rara immer stärker hervorgestrichen.[11] Dennoch ist zu konstatieren, dass sich der Kaiser auch nach Einstellung des Bibliothekars alle Entscheidungen bezüglich Erwerb, Annahme von Offerten und Personalangelegenheiten vorbehielt.

Das Archiv der Fideikommissbibliothek, die diesbezüglich primäre Quelle für die Erkenntnisse der Forschungstätigkeit, lieferte neben der inneren Geschichte der Bibliothek auch essentielle Information über die Kommunikationskanäle des Kaisers zu seinen Beratern und gab Aufschluss über gezielte Förderung österreichischer Autoren, Verleger, Kupferstecher und Maler, um hier nur einige Beispiele zu nennen.[12]

4 Die kaiserliche Privatbibliothek im Vergleich mit anderen Sammlungen

Eine Forschungsreise nach Höxter/Corvey zur Fürstlichen Bibliothek der Herzöge von Ratibor und Corvey ermöglichte den direkten Vergleich dieser Privatbibliothek mit den Erkenntnissen unserer Forschung. Aufgrund eines sehr aufschlussreichen Austauschs mit dem wissenschaftlichen Leiter dieser Bibliothek und Forschungsbeauftragten der Universität Paderborn, Dr. Günter Tiggesbäumker, war es möglich, Fragen zu Bestandsgeschichte, Sammlungsumfang, inhaltlichen Schwerpunkten, Katalogisierungsmaßnahmen etc. zu erörtern und durch gezielte Analyse der für uns wichtigen Thematiken die Überschneidungen und Unterschiede zur kaiserlichen Privatbibliothek Franz’ I. herauszuarbeiten. Als Gemeinsamkeiten sind vor allem der repräsentative Charakter der Sammlung, der grundlegende Bestandsaufbau im selben Zeitraum, der ähnliche Umfang, die Finanzierung durch die Apanage des Herrschers sowie die Tatsache, dass Landgraf Viktor Amadeus von Hessen-Rotenburg als privater fürstlicher Sammler auftrat, zu nennen. Grundlegend unterscheidet sich die Sammlung von jener des österreichischen Kaisers durch die inhaltliche Zusammensetzung, da die Bibliothek zu einem Großteil aus Romanliteratur des 18. und frühen 19. Jahrhunderts besteht, und der in etwa gleichmäßigen sprachlichen Verteilung der Werke auf deutsch-, englisch- und französischsprachige Literatur, nach denen auch entsprechende Kataloge angefertigt wurden. Im Gegensatz zur kaiserlichen Privatbibliothek, wo bereits 1806 ein eigener Bibliothekar seinen Dienst antrat, wurde die Bibliothek in Corvey bis zum Lebensende ihres Gründers 1834 von diesem selbst verwaltet und erfuhr erst 1860 mit der Einstellung des Dichters August Heinrich Hoffmann von Fallersleben als Bibliothekar eine Renaissance und bedeutende Zuwächse an Werken anderer Fachgebiete.[13]

Eine weitere Forschungsreise erfolgte nach London, um einen Vergleich mit der King’s Library of George III anzustellen. Diese fürstliche Privatbibliothek wurde wegen der ähnlichen Entstehungszeit, des Umfangs und der Stellung des Besitzers ausgewählt.[14] Bemerkenswert ist, dass König Georg IV. diese Sammlung bereits 1823 dem britischen Volk übergab. Die Bestände der Privatbibliothek Franz I. hingegen wurden erst nach dem Ende der Monarchie der Österreichischen Nationalbibliothek inkorporiert.

5 Sammlungsgut im Kontext – Bezüge zu Geschichte, Politik und Gesellschaft

Der Versuch, den Aufbau, die Inhalte und die Nutzung der Sammlung mit politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen der damaligen Zeit in Beziehung zu setzen, wurde anhand ausgewählter Themen und Bestandsanalysen unternommen.

Dazu gehörte zunächst die Erhebung jenes Bestands an Schriften zur Französischen Revolution, die während des Zeitraums ihres Andauerns (also vor 1800) erworben wurden, und die ikonographische Analyse eines Bestands an großformatigen englischen Schabkunstblättern, die die Ereignisse in Frankreich, vor allem aber das Schicksal der königlichen Familie darstellen. Darüber hinaus wurde der Einfluss der Französischen Revolution auf verschiedene Fachgebiete (Geschichte, Geographie, Politik) in der Weise aufgezeigt, dass die Masse des durch die politisch-gesellschaftlichen Umstürze direkt oder indirekt bedingten Schrifttums im systematischen Katalog nachgewiesen und im Hinblick auf seine Auswirkung auf die klassifikatorische Untergliederung dieser Disziplinen analysiert wurde.

Ganz gut ließ sich auch die Rezeption der medialen Eruptionen während der Befreiungskriege[15] durch den Kaiser anhand von massierten Ankäufen von (deutschen und französischen) Flugschriften und Karikaturen in den Jahren 1813–1816 dokumentieren. Die Untersuchung der Verarbeitung der politischen Broschürenliteratur innerhalb der Klasse Politica im systematischen Katalog zeigte zudem, wie die Themenfelder „Revolution“, „Verfassung“ und „politisches Gleichgewicht“ hier in den Fokus der Aufmerksamkeit traten. Anhand der im Archiv der Fideikommissbibliothek enthaltenen Korrespondenz konnte außerdem der Gebrauch von Landkarten durch den Kaiser während der Befreiungskriege zu militärisch-strategischen Zwecken einerseits, sowie als materielle Grundlage für Verhandlungen über die Neuordnung Europas andererseits dargestellt werden.

Zum Wiener Kongress hat sich in den Grafikbeständen der Fideikommissbibliothek eine Reihe von Festdarstellungen des Malers Johann Nepomuk Hoechle erhalten, die bisher kaum bekannt waren und im Rahmen des Projekts zum ersten Mal im Hinblick auf ihre medialen und inhaltlichen Aspekte durch die Gegenüberstellung mit schriftlichen Quellen analysiert wurden. Ein aus der Sammlung stammendes Manuskript eines Wiener Beamten zum gleichen Thema[16], das in zwei Fassungen existiert, wurde hinsichtlich der Abänderung und Streichung unliebsamer Textpassagen untersucht, die nach Auskunft von Akten im Archiv der Fideikommissbibliothek vom Staatskanzler Metternich gefordert wurde.

Schließlich widmete sich das Projekt im vorliegenden Zusammenhang noch mehreren Gruppen von Handzeichnungen und Druckgrafiken, die man dem Konzept „Vaterländische Kunst“ zuordnen kann, wie es von Autoren wie Matthäus von Collin und Joseph Freiherr von Hormayr ideologisch begründet und praktisch propagiert wurde.[17] Dabei geht es sowohl um Szenen aus der österreichischen, vorwiegend dynastisch begründeten Geschichte als auch um zeitgenössische Themen wie etwa Episoden aus dem Leben des Kaisers Franz oder das Engagement der Bevölkerung im Kampf gegen die Franzosen. Die inhaltliche Analyse der Bilder sollte zeigen, mit welchen formalen und inhaltlichen Mitteln die Künstler das neuartige Paradigma umzusetzen versuchten. Gleichzeitig erlaubte es die vergleichsweise gute Aktenlage im Archiv der Fideikommissbibliothek, das Wechselspiel zwischen ihren (vorwiegend ökonomischen) Interessen und der Rolle des Kaisers als Protektor nachzuzeichnen, der – weit entfernt davon, die patriotische Euphorie zu teilen – dennoch eine moderate Förderungspolitik betrieb.

6 Die Dissemination der Forschungsergebnisse

Vielfältige Ergebnisse der dreijährigen Forschungstätigkeit werden dem wissenschaftlichen Publikum über die Homepage des Projekts zugänglich gemacht.[18] Darüber hinaus sind wir durch die Kooperation mit zwei anderen FWF-Projekten mit Schwerpunkt zum Wiener Kongress auf der Homepage dieses Projektverbundes vertreten.[19] Die von uns erstellten, ausführlichen Regesten zum Archivmaterial der Privatbibliothek für die Zeit bis 1835 stehen über das Bibliothekssystem der Österreichischen Nationalbibliothek in Form von etwa 2.000 Datensätzen der Öffentlichkeit zur Verfügung.[20]

Erste Forschungsergebnisse konnten bereits in Form eines Werkstattberichts[21] veröffentlicht werden, weitere Gelegenheit dazu hatten wir im Rahmen des vom Projektverbund Wiener Kongress organisierten Workshops „Politische Kultur und internationale Beziehungen im Umfeld des Wiener Kongresses. Stand und Perspektiven der Forschung“ (24. bis 25.03.2011) sowie der zusammen mit dem Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften ausgerichteten Tagung mit den Beiträgen unserer internationalen Kooperationspartner zum Thema „Fürstenbibliotheken der Spätaufklärung und des Vormärz. Historische Rekonstruktionen, kulturelle und politische Kontextualisierungen“ (08. bis 09.11.2012). Verschriftlichungen einiger Tagungsbeiträge von 2012 sind ebenfalls über die Projekthomepage abrufbar. Beide Veranstaltungen fanden in den historischen Räumlichkeiten der Bibliothek statt. Aufgrund der engen Zusammenarbeit mit anderen Fachkollegen zur Thematik rund um den Wiener Kongress werden sich sowohl der Leiter des Projekts, Dr. Hans Petschar, als auch der Projektmitarbeiter Mag. Rainer Valenta im Rahmen der geplanten Aktivitäten in den Jubiläumsjahren 2014/15 mit ihrer Fachkompetenz einbringen können.

Ein weiterer eindrucksvoller und spannender Synergieeffekt ergab sich durch die Mitarbeit des ganzen Projektteams an der Konzeption und Auswahl der Objekte aus dem Bestand der Privatbibliothek für die Jahresausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek 2011 im Prunksaal mit dem Titel „Altösterreich. Menschen, Länder und Völker in der Habsburgermonarchie“.[22] Wiederentdeckte Sammlungsbestände, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nie im Rahmen einer Ausstellung präsentiert worden waren, konnten nicht zuletzt auch aufgrund der bis dahin geleisteten Projektarbeit als mögliche Schauobjekte vorgeschlagen werden. Die Ausstellung spannte den Bogen von den ersten bildlichen Darstellungen und Beschreibungen des Kaisertums Österreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis zu dem von Kronprinz Rudolf initiierten Projekt der populärwissenschaftlichen Enzyklopädie „Österreich-Ungarn in Wort und Bild“. Damit wurde ein wertvoller Beitrag geleistet, die Entwicklung der Monarchie im langen 19. Jahrhundert mit all ihren Kontinuitäten und Brüchen einem interessierten Publikum näher zu bringen.

Auf Grundlage des Forschungsprojekts sind drei Dissertationen im Entstehen, wovon zwei analog zum Projekttitel die Geschichte der Privatbibliothek von 1784–1835 eingehend beleuchten,[23] während eine dritte visuelle Medien zur Zeit des Wiener Kongresses behandelt.[24] Ein Auszug aller drei Arbeiten wird in Form einer wissenschaftlichen Publikation anlässlich des Projektabschlusses veröffentlicht, die nicht nur die Beantwortung der im Projektantrag definierten Forschungsfragen behandeln, sondern darüber hinaus auch jene zahlreichen unerwarteten Erkenntnisse enthalten wird, die im Laufe der Projektarbeit zusätzlich gewonnen werden konnten. Die im Rahmen dieses Forschungsberichts lediglich angedeuteten Ergebnisse werden darin ausführlich behandelt.

Online erschienen: 2014-11-26
Erschienen im Druck: 2014-12-19

© 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License.

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