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Digitale Landeskunde für Sachsen. Programme und Projekte an der SLUB Dresden

  • Julia Meyer

    Dr. Julia Meyer

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    und Martin Munke

    Martin Munke

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Veröffentlicht/Copyright: 4. Januar 2018
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Zusammenfassung

Als Landes- und Staatsbibliothek kommt der SLUB Dresden eine koordinierende Rolle in der Digitalisierung des kulturellen Erbes in Sachsen zu. Der Beitrag skizziert die laufenden Aktivitäten auf diesem Feld und zeigt die unterschiedlichen Bereiche auf, in denen digitale Methoden die landes- und regionalkundliche Forschung bereichern können.

Abstract

As a state and national library, the Saxon State and University Library Dresden (SLUB Dresden) plays a co-ordinating role in the digitisation of the cultural heritage in Saxony. The report describes the current activities in this field and shows the different areas in which digital methods can enrich regional studies research.

1 Einführung

Im Prozess des Wandels von der Papier- zur digitalen Bibliothek bildet die Retrodigitalisierung einen wichtigen Baustein zur zunehmenden digitalen Vernetzung unterschiedlichster Informationsangebote für die Wissenschaft und die interessierte Öffentlichkeit – weg von der reinen „räumliche[n] Zusammenstellung von gesammelten Materialien“, hin zu „Kontextualisierungen von Digitalisaten, die Beziehungen zu anderen Autoren, Werken, Orten etc. herstellen“[1] Jenseits der textuellen (oder grafischen) Informationen eines einzelnen konkreten Objektes, die durch die Digitalisierung ortsunabhängig zugänglich gemacht werden, lassen sich viel leichter Bezüge zu in Form und Inhalt vergleichbaren Objekten herstellen. Dies geschieht u. a. über die Verwendung von Normdaten, die Autoren, Werke und Orte eindeutig identifizierbar machen. Um eine solche Zusammenführung von Informationen bemühen sich viele Akteure auf nationaler wie auf regionaler Ebene. Angesichts der föderalen Strukturen hat sich in Deutschland ein weit verzweigtes Netz aus Bibliotheken, Archiven und Museen dem Erhalt und der Erhöhung der Sichtbarkeit der kulturellen Überlieferung gerade in den Bundesländern und den (Teil-)Regionen verschrieben.[2]

Als klassische Landesbibliothek sammelt und archiviert die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) umfassend Veröffentlichungen über Sachsen. Sie versteht sich als ein wichtiger Dienstleister für (professionelle und ehrenamtliche) Forschungstätigkeiten auf dem Gebiet der Geschichte, Kultur und Landeskunde im Sinne einer interdisziplinären Regionalforschung.[3] Ein wichtiges Ergebnis ist die „Sächsische Bibliografie online“ als zentrales Nachweisinstrument für Publikationen nahezu aller Medientypen über Sachsen, die über eine Systematik auf Basis der Regensburger Verbundklassifikation (RVK) und über normierte Schlagworte sachlich erschlossen werden.[4] Die Mitarbeiter der Bibliografie wirken damit am beständigen Ausbau der Normdatensätze in der Gemeinsamen Normdatei (GND) mit.

In ihrer Rolle als Staatsbibliothek erfüllt die SLUB zudem wichtige Koordinierungs- und Dienstleistungsfunktionen für die Bibliotheken im Freistaat Sachsen, nicht zuletzt im Bereich der Digitalisierung. Deren Auswirkung zeigt sich an der gegenläufigen Entwicklung der Zahlen für Downloads und Entleihungen in den vergangenen Jahren. Die Zahl der Downloads elektronischer Volltexte stieg zwischen 2013 und 2016 von rund 3.490.000 auf 6.160.000, die Seitenaufrufe in den Digitalen Sammlungen von etwa 2.290.000 auf 3.20.000 und der Gesamtbestand der Dokumente auf dem sächsischen Dokumentenserver Qucosa von 12.700 auf 21.400. Die Zahl der Entleihungen physischer Medien ging im gleichen Zeitraum dagegen von annährend 2.100.000 auf 1.600.00 zurück.[5]

Schon früh begann die SLUB, landes- und regionalkundlich relevante Quellen zu digitalisieren. Zunächst stellte sie zentrale wissenschaftliche Zeitschriften online und frei zugänglich zur Verfügung, darunter das „(Neue) Archiv für sächsische Geschichte“[6], die „Dresdner Hefte“[7] – mit einer durchschnittlichen Auflage von 3.500 Exemplaren eine der erfolgreichsten regionalgeschichtlichen Publikationen Deutschlands[8] – oder die „Mitteilungen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz“ aus dem Bereich der Heimatzeitschriften mit wissenschaftlichem Anspruch[9]. Die „Saxonica“ in den Digitalen Sammlungen der Bibliothek zählen momentan[10] mit knapp 19.000 Titeln in annähernd 40.000 Bänden als die umfassendste Kollektion im digitalen Bestand der SLUB.

Durch die Einrichtung des „Landesdigitalisierungsprogramms für Wissenschaft und Kultur des Freistaates Sachsen“ (LDP) wirkt die SLUB mit ihrer Expertise inzwischen landesweit strukturbildend und koordinierend.[11] Neben der Lizenzierung digitaler Medien sowie der digitalen Langzeitarchivierung bildet die Programmlinie zur Retrodigitalisierung von wertvollem Schrift- und Kulturgut in Sachsen einen zentralen Baustein des LDP, den es mit seinen Implikationen als landeskundliches Serviceangebot im Folgenden näher vorzustellen gilt.[12] Anschließend sollen die Mehrwerte skizziert werden, die Erschließung und Kontextualisierung von Digitalisaten für die landeskundliche Forschung in Sachsen jenseits der reinen Retrodigitalisierung erbringen.[13]

2 Das Landesdigitalisierungsprogramm für Wissenschaft und Kultur des Freistaates Sachsen

Das sächsische Landesdigitalisierungsprogramm läuft mittlerweile in der zweiten Förderperiode (2017/18).[14] Ziel des Programms ist ein möglichst umfassender Online-Zugang zu Informationen und Objekten der kulturellen und wissenschaftlichen Überlieferung des Freistaates für Zwecke der Lehre und Forschung sowie für die breite Öffentlichkeit – koordiniert durch die SLUB mit ihrer Geschäftsstelle für das LDP. Institutionen, die erst wenig Erfahrung mit der Digitalisierung haben, konnten bereits im ersten Programmabschnitt 2015/16 von der Infrastruktur der Landes- und Staatsbibliothek profitieren. Für die Umsetzung der Digitalisierungsprojekte entwickelte die SLUB standardisierte Workflows, die die Partner sicher vom ersten bis zum letzten Meilenstein durch das Projekt führen: von der Aufbereitung der Metadaten über die Strukturierung bis hin zur Online-Präsentation. Verbindliche Arbeitsanweisungen mit fixierten technischen Parametern sichern die hohen Qualitätsanforderungen für die Bildästhetik und Langzeitarchivierung. Alle Arbeitsschritte lassen sich mit der quelloffenen Software Kitodo realisieren.[15] Da die SLUB maßgeblich an der Entwicklung dieser Software-Suite beteiligt ist, kann sie bei gleichzeitiger Standardisierung dennoch flexibel auf neue Anforderungen reagieren.

In der ersten Förderperiode wurden bereits zahlreiche Projekte erfolgreich abgeschlossen,[16] so dass inzwischen bedeutsames Schrift- und Kulturgut aus ganz Sachsen von Plauen bis Leipzig, von Zwickau bis Bautzen und von Dresden bis Görlitz digitalisiert und für alle frei zugänglich vorliegt. Neben den vier sächsischen Hochschulbibliotheken in Chemnitz, Freiberg, Dresden und Leipzig nahmen weitere wissenschaftliche und öffentliche Bibliotheken und Archive, auch in kommunaler Trägerschaft, am Programm teil. Handschriften, wissenschaftliche Nachlässe, fotografische Dokumente, landesgeschichtliche Sammlungen, historische Zeitungen und Zeitschriften, Musikalien und Filme zählen zu dem breiten Angebot an Materialien, die die kulturelle Vielfalt und Wirtschaftsgeschichte des Landes Sachsen belegen und die innerhalb der letzten zwei Jahre in die digitale Präsentation überführt werden konnten. Erreicht wurden dabei mehr als 2 Millionen digitale Images, mehr als 12.000 neue digitale Objekte in den Verzeichnissen und fast 700.000 Dateien im Langzeitarchiv.

In der Fortführung des Programms 2017/18 strebt Sachsen eine Ausweitung sowohl des Teilnehmerkreises als auch der erfassten Medientypen an.[17] Neben der Massendigitalisierung an Universitätsbibliotheken werden nun verstärkt besondere Sammlungen im Rahmen der sogenannten Boutiquedigitalisierung und als dritter Medientyp historische Regionalzeitungen ins Auge gefasst. Zum Schutz des fragilen Materials dienen die archivierten Mikrofilme historischer Zeitungen als Vorlage für die Digitalisierung. Um ein möglichst breites politisches Spektrum aller Zeitungen abzubilden, sollen der bereits digitalisierte „Freiheitskampf“ (NSDAP)[18] und die Dresdner Volkszeitung (SPD) um die überparteilichen Dresdner Neuesten Nachrichten, die Arbeiterstimme (KPD) und die Sächsische Volkszeitung (katholisch) ergänzt werden. Dadurch eröffnet sich zunächst die Möglichkeit einer breitangelegten vergleichenden Analyse der historischen Dresdner Presselandschaft, die später um die Zeitungen weiterer Städte und Regionen in Sachsen erweitert werden soll.

3 Von der Retrodigitalisierung zur digitalen Landeskunde – Mehrwerte durch Erschließung und Kontextualisierung

3.1 Recherchemöglichkeiten für serielle Quellen

Die skizzierten Ansätze der Digitalisierung allein bieten schon zahlreiche Mehrwerte, beispielsweise für die Zugänglichkeit und die Popularisierung der Bestände sowie für die Bestandserhaltung der Originale. Darüber hinaus ergeben sich jedoch weiterführende Anwendungen, die die Nutzbarkeit der digitalen Objekte und ihre Relevanz im landeskundlichen Kontext erhöhen. Von besonderem Interesse erscheint hier die Digitalisierung serieller Quellen. Sie ermöglichen die Untersuchung bestimmter Phänomene im historischen Längsschnitt, etwa zur Einwohnerentwicklung oder zur Wirtschaftsleistung eines bestimmten Raumes. Zugleich lassen sie sich in digitalen Forschungsumgebungen um einiges einfacher auswerten…

Zu den am meisten nachgefragten Angeboten der SLUB zählt das Portal „Historische Adressbücher“[19]. Adressbücher sind wertvolle Quellen für die regionale Geschichte und für die private Familienforschung, zumal wenn man direkt in den unterschiedlichen Ausgaben über einen längeren Zeitraum hinweg recherchieren kann. Dies ermöglicht das Portal, das auf einem langfristigen Digitalisierungsprojekt beruht. Angesichts hoher Nutzernachfragen, dem fragilen Zustand der Originale und dem fehlenden Komfort bei der Nutzung der Mikroverfilmung wurde bereits 2007 in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Dresden, den Städtischen Bibliotheken Dresden und dem Stadtmuseum Dresden zunächst mit der Digitalisierung von ca. 130 Dresdner Adressbüchern (etwa 200.000 Seiten) bis zum Erscheinungsjahr 1945 begonnen. Dieser Korpus bildete den Grundstock für das Ende 2012 freigeschaltete Adressbuchportal. Er wird seitdem kontinuierlich ergänzt und ermöglicht aktuell die seitengenaue Recherche nach Straßen und Personennamen von 120 sächsischen Städten und Gemeinden. Zudem lassen sich Informationen etwa aus den Behörden- oder Gewerbeverzeichnissen abrufen. Neben Beständen der SLUB und anderer sächsischer Bibliotheken können auch im Privatbesitz befindliche, bisher nicht erfasste Adressbücher digitalisiert und in die Datenbank einpflegt werden. Weiterhin erfolgt eine Verknüpfung mit den digitalen Karten- und Bildbeständen der SLUB.

Bereits 2008 wurde nach einem Gemeinschaftsprojekt von SLUB und Sächsischen Landtag das Portal „Historische Protokolle des sächsischen Landtages“ freigeschaltet.[20] Die Ursprünge der Parlamentsprotokolle in Sachsen reichen bis weit in vorkonstitutionelle Zeit, von den Versammlungen der Landstände des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit über die Verhandlungen des Zweikammerparlaments im Königreich Sachsen (1833 bis 1918) bis zu den Landtagen des Freistaates Sachsen in der Weimarer Republik (1919 bis 1933) sowie des Landes Sachsen in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR (1946 bis 1952). Ihre Fortsetzung fand diese parlamentarische Tradition mit der Wiederbegründung des Freistaates Sachsen im Jahr 1990. Seit 2007 digitalisiert die SLUB die gedruckten Parlamentsprotokolle aus dem eigenen Bestand und dem des Hauptstaatsarchives Dresden. Die Dokumente wurden mit einer Volltextsuche – der komplette Text der Protokollbände wurde digital erfasst und damit durchsuchbar gemacht – und weiteren Erschließungsmaßnahmen zur Kontextualisierung ausgestattet. So erfasst eine Personendatenbank 2.013 Parlamentarier sowie 42 Stenografen, die im Zeitraum von 1833 bis 1933 bzw. 1946 bis 1952 im Sächsischen Landtag saßen bzw. für diesen tätig waren. Sie verknüpft mit den jeweiligen Redebeiträgen und personengeschichtlichen Quellen. Eine Anreicherung um GND-Normdaten ist momentan in Vorbereitung, ebenso wie eine Ergänzung des Portals um die historischen Landtagsakten, die in der Kollektion „Sächsische Landtagsprotokolle“ der Digitalen Sammlungen der SLUB bereits teilweise abrufbar sind.[21]

Neben diesen bestehenden und kontinuierlich wachsenden Angeboten sind in den vergangenen Jahren eine Reihe weiterer Anwendungen von hoher landeskundlicher Relevanz entwickelt und veröffentlicht worden.

3.2 Georeferenzierung historischer Kartenbestände

Zu den wichtigsten Quellen für eine historische Landeskunde zählen historische Karten, deren Zugänglichkeit aufgrund großer Formate und fragiler Zustände jedoch häufig eingeschränkt ist. Um den Zugriff auf diese viel nachgefragten Bestände zu erleichtern, wurden in der SLUB zwischen Ende 2005 und 2008 zunächst etwa 2.000 historische Karten und Ansichten digitalisiert, katalogisiert, sachlich erschlossen und im „Kartenforum“ der Deutschen Fotothek präsentiert.[22] Zur Schließung von Überlieferungslücken ergänzten Bestände anderer Bibliotheken das Korpus, etwa die 367 so genannten Meilenblätter der sächsischen Landesaufnahme von 1780 bis 1806 aus dem Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin. Von 2009 bis 2011 wurde dieser Grundbestand mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) um weitere 12.000 Karten und Ansichten in hoher Auflösung ergänzt. Gegenwärtig sind rund 28.300 der wichtigsten kartographischen Quellen insbesondere zur Geschichte und Landeskunde Sachsens aus den Sammlungen der beteiligten Partner – hauptsächlich Dresdener Einrichtungen, aber auch weitere sächsische und deutsche Bibliotheken wie die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften in Görlitz oder die Ratsschulbibliothek Zwickau – online verfügbar.[23]

Eine Weiterentwicklung dieses Angebots stellt das „Virtuelle Kartenforum 2.0“ dar. Ebenfalls mit DFG-Förderung und in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Geodäsie und Geoinformatik der Universität Rostock entwickelte die SLUB von 2013 bis 2015 eine Webanwendung, die die Georeferenzierung – also die Zuweisung raumbezogener Informationen zu einem Datensatz – der darin erfassten, mittlerweile fast 9.000 Karten ermöglicht. Dies geschah unter Beteiligung interessierter Nutzer als ein moderiertes, Ende 2017 abgeschlossenes Crowd Sourcing-Projekt, das bis Ende 2017 abgeschlossen werden konnte. Hieraus ergeben sich eine Reihe von Anwendungsmöglichkeiten zur Beantwortung von Fragestellungen, die räumliche und zeitliche Veränderungen bestimmter Phänomene zueinander in Beziehung setzen – etwa zur Entwicklung von Siedlungsstrukturen oder dem Ausbau des Verkehrsnetzes in Sachsen und darüber hinaus. So ist es möglich, Karten aus verschiedenen Epochen und mit unterschiedlichen Maßstäben digital übereinander zu legen und zu vergleichen. Die unterschiedlichen Typen von Karten wie Stadt- und Festungspläne, Messtischblätter, Meilenblätter und geologische Karten ermöglichen die Kombination unterschiedlichster Informationsquellen, ergänzt um eine 3D-Darstellung. Jenseits der historischen Forschung durch Fachwissenschaftler und interessierte Laien sind auch Nutzungen etwa bei Recherchen im Bereich der Denkmalpflege oder, mit Blick auf die erfassten historischen Hochwasserkarten, des Hochwasserschutzes denkbar.[24]

3.3 Digitalisierung und kontextualisierende Erschließung einer NS-Tageszeitung

Neben Vorhaben mit epochenübergreifendem Inhalt widmet sich die SLUB im landeskundlichen Bereich verstärkt denjenigen Projekten, die auf einen begrenzten Zeitraum fokussieren. Für die historische Forschung zur NS-Diktatur besteht in Sachsen eine schwierige Quellenlage infolge der erheblichen Kriegszerstörungen, der wegen des raschen Vormarsches der Roten Armee bei Kriegsende nicht mehr ausgeführten Evakuierung von Akten und der systematischen Vernichtung von Aktenbeständen. Presseorgane wie die NS-Tageszeitung „Der Freiheitskampf“, die als offizielles Organ der NSDAP im Gau Sachsen vom 1. August 1930 bis zum 8. Mai 1945 fast täglich erschien, eignen sich zur Kompensation der Defizite, die sich aus den Aktenverlusten ergeben.[25]

Zwar ist die Auswertung von Zeitungen wichtig für die Forschung zum Nationalsozialismus,[26] die Informationsflut aber nur schwer zu ordnen. Aufgrund dessen konzipierte das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) eine Datenbank, um den etwa 66.000 Seiten umfassenden Quellenbestand der NSDAP-Tageszeitung tiefer zu erschließen. Diese Datenbank erleichtert die Recherche in dem außerordentlich umfangreichen Bestand, den die SLUB im Rahmen des DFG-Pilotprojekts zur Zeitungsdigitalisierung in Deutschland digitalisiert hat.[27] Zwischen 2012 und 2015 war die Massendigitalisierung von rund 450.000 verfilmten Zeitungsseiten der Schwerpunkt der SLUB, wobei neben dem „Freiheitskampf“ weitere regionale Blätter wie die „Sächsische Arbeiterzeitung“ und die „Dresdner Abend-Zeitung“ bearbeitet wurden, letztere vom Original.[28]

Für die Digitalisierung des „Freiheitskampfs“ griff die SLUB auf den kompletten Bestand im eigenen Haus sowie im Stadtarchiv Dresden zurück. Beide Institutionen hatten die in ihren Archiven erhalten gebliebenen Teilbestände der NS-Tageszeitung bereits in den 1990er Jahren zusammengeführt und auf Mikrofilmen archiviert. Mehrere Lücken im Gesamtbestand konnten durch Regionalausgaben des Stadtarchivs Freiberg geschlossen werden. Ergänzungen im kleineren Umfang erfolgten aus den Staatsbibliotheken in Berlin und München, so dass das 15 Jahrgänge umfassende Konvolut des „Freiheitskampfes“ bis auf wenige fehlende Ausgaben annähernd vollständig zur Verfügung stand.

In Kooperation zwischen der SLUB und dem HAIT erfolgte im Januar 2017 zunächst eine für die Jahrgänge 1930 bis 1934 eingeschränkte Freischaltung der Datenbank, die eine gezielte strukturierte Suche nach historischen Ereignissen und Sachinformationen, nach Personen, Orten und Propagandainhalten ermöglicht .[29] An jeweils einem Arbeitsplatz in der SLUB und in der Bibliothek des HAIT können Forscher in der Datenbank recherchieren und unmittelbar auf die digitalisierten Bestände des „Freiheitskampfes“ zugreifen, also sich die Digitalisate der in der Datenbank erfassten einzelnen Artikel anzeigen lassen.[30] Hingegen erlaubt die Recherche auf der Internetseite des HAIT diesen direkten Zugriff auf die Digitalisate nicht.[31] Es besteht jedoch die Absicht, nach endgültiger Klärung juristischer Fragen den gesamten digitalisierten Bestand „Freiheitskampf“ durch die SLUB im Internet frei zugänglich zur Verfügung zu stellen. Weitere Entwicklungsmöglichkeiten sind eine Volltexterkennung mit OCR-Verfahren mit der dann gegebenen Option, das bislang qualitativ angelegte Projekt um eine quantitative Dimension zu erweitern, also den gesamten digitalisierten Bestand etwa danach zu durchsuchen, ab welchem Zeitpunkt und mit welcher Häufigkeit bestimmter Begriffe der NS-Ideologie in den Artikeln auftauchen und damit die allmähliche Durchsetzung der ideologischen Vorgaben in die Alltagssprache zu verfolgen. Eine Erweiterung der Funktionalitäten der Datenbank böte zudem die Anreicherung der Personendaten – die v. a. Personen jenseits der Führungsebene der NS-„Bewegung“ umfassen – mit Normdaten auf Basis der GND, um Verknüpfung zu übergeordneten biografischen Datenbanken herstellen zu können.

Neben der wissenschaftlichen Nutzung für die Aufarbeitung der NS-Geschichte in Sachsen kann die Datenbank zudem zur politischen und kulturellen Bildung beitragen. Anhand der verschiedenen Jahrgänge des „Freiheitskampfes“ lässt sich die historische Entwicklung nachvollziehen, wie sich eine Diktatur im regionalen Raum etabliert. Dabei wären entweder der historische Längsschnitt über den gesamten Zeitraum des Erscheinens hinweg, oder stattdessen einzelne konkrete Ereignisse bzw. Phasen zu analysieren. Hier bieten sich Anknüpfungspunkte etwa für den Schulunterricht, um jenseits der „großen Linien“ wie der fortschreitenden Aushöhlung der formal weiterbestehenden Weimarer Verfassung oder der schrittweisen Diskriminierung v. a. der jüdischen Bevölkerung durch Gesetze und Verordnungen die konkrete Umsetzung von Rassen- und Repressionspolitik in Sachsen sichtbar zu machen.

3.4 Präsentationsmöglichkeiten unikaler Materialien

Ein anderes digitales Angebot der SLUB reicht weiter zurück in die Geschichte und greift die vielzitierte Selbstwahrnehmung von Sachsen als „Mutterland der Reformation“ auf, die seit Anfang 2016 in der virtuellen Ausstellung „95 Autographe der Reformationszeit“[32] zu sehen sind.[33] Bis zum Reformationsjubiläum im Oktober 2017 wurde über den Zeitraum eines Jahres in jeder Woche eine Handschrift – Briefe, Widmungen, Manuskripte, Randbemerkungen u. ä. – im Bild veröffentlicht und ausführlich kommentiert. Die 1556 im Dresdner Schloss gegründete kurfürstliche Bibliothek als Vorgängereinrichtung der SLUB sammelte von Anfang an in großem Umfang Zeugnisse des Wirkens von Martin Luther, darunter mehr als 2000 reformatorische Flugschriften. Nachdem die UNESCO Luthers Handschrift seiner Vorlesungen über die Psalmen aus den Jahren 1513 bis 1516 als ein Schlüsseldokument der Reformation in das Weltdokumentenerbe aufnahm, weitete nun die Präsentation eines größeren Konvoluts den Blick über die Person Luthers hinaus, da die SLUB die Vielfalt der überlieferten Reformationsautographe auch außerhalb des engeren Zirkels um Luther demonstrierte. Hier fanden sich in der Arbeit am Projekt, an dem fast 50 Fachwissenschaftler v. a. aus Sachsen, aber u. a. auch aus Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt beteiligt waren, einige neue Erkenntnisse. So entdeckten die Bearbeiter z. B. eine der Forschung bisher unbekannte Widmung Philipp Melanchthons[34] und konnten erstmals den ursprünglichen Besitzer der sogenannten Dresdener Reformatorenbibel namentlich nachweisen: den Wittenberger Schmied Hans Reichknecht.[35]

Die wissenschaftliche Erschließung der Autographen stand nicht im Vordergrund, da diese bereits in den einschlägigen Katalogen, Editionen und Datenbanken erfolgt ist. So führt jeder Kommentar entsprechend Editionen der Quelle auf (falls vorhanden), verlinkt auf das Katalogisat mit weiteren Literaturangaben zur Datenbank Kalliope als dem zentralen Nachweisinstrument und verweist auf das Digitalisat in den Digitalen Sammlungen der SLUB. Stattdessen sollten vielmehr die unikalen Bestände einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht und zugleich ein Beitrag zum Reformationsjubiläum geleistet werden. Diesem Zweck diente auch der parallele Zweitabdruck ausgewählter Exponate und Kommentare in der Tageszeitung „Dresdner Neueste Nachrichten“. Eine „klassische“ Ausstellung präsentiert seit Ende Oktober und noch bis zum 24. Januar 2018 unter dem Titel „Wie Luthers Worte fliegen lernten. Handschriften und Flugschriften der Reformation“ eine Auswahl der im Internet gezeigten Objekte, ergänzt um Materialien aus dem Druckschriftenbestand der SLUB. Die Begleitpublikation[36] ergänzt das Zusammenspiel von Onlineportal und Ausstellung im Buchmuseum der SLUB, so dass sich jede Zielgruppe gemäß ihrer jeweils präferierten medialen Präsentationangesprochen fühlt.

4 Ausblick

Die Vielzahl der Beispiele zeigt schließlich, wie digitale Materialien und Instrumente die landes- und regionalkundliche Forschung bereichern. Wichtig bleibt, jenseits der reinen Retrodigitalisierung weiterführende Angebote zu schaffen, die eine tiefere Recherche in der Beständen ermöglichen und Anknüpfungspunkte zu anderen Onlineangeboten bieten: zu eigenen Verzeichnissystemen wie der eingangs genannten „Sächsischen Bibliografie online“, zu anderen fachlich ausgerichteten Portalen in der Region wie den vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) betriebenen Datenbanken „Sächsische Biografie“ und „Historisches Ortsverzeichnis online“[37], aber auch zu übergeordneten Repositorien wie der „Deutschen Digitalen Bibliothek“ oder dem europäischen Pendant „Europeana“.[38] Dazu werden die an der SLUB produzierten Digitalisate unter einer möglichst freien Lizenz angeboten.[39] Geschah dies bisher innerhalb der Digitalen Sammlungen der SLUB, so präsentiert das neue Portal „sachsen.digital“[40] seit September 2017 die im LDP produzierten Digitalisate unabhängig vom Corporate Design der SLUB als der koordinierenden Instanz. Ergänzt wird das neue LDP-Portal ab Ende 2017 von der ebenfalls neu konzipierten und erstellten Portalseite „Saxorum“,[41] die über die Präsentation hinaus weitere landes- und regionalkundlichen Angebote verknüpft und übergreifende Recherchen ermöglicht. Dafür werden auch die über den Dokumentenserver Qucosa erfolgenden kontinuierlichen Zweitveröffentlichungen aktueller Forschungsliteratur zur sächsischen Geschichte[42] herangezogen – ein weiterer Baustein auf dem Weg zu einer vernetzten digitalen Bibliothek des kulturellen Erbes in Sachsen.

About the authors

Julia Meyer

Dr. Julia Meyer

Martin Munke

Martin Munke

Published Online: 2018-01-04
Published in Print: 2018-12-27

© 2018 by De Gruyter

Heruntergeladen am 26.10.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bd-2018-0015/html
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