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Das ist kein Spaß. Über Rolle und Funktion von Bibliotheken im Social Web

  • Katrin Schuster

    Katrin Schuster

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Published/Copyright: January 4, 2018
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Zusammenfassung

Die digitale Transformation verändert Kommunikationsstrukturen, auch und gerade im öffentlichen Raum. Darauf müssen Bibliotheken reagieren: Sie müssen die Chancen, die sich ihnen im Social Web bieten, begreifen und für sich nutzen, indem sie die notwendigen Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Engagement in den sozialen Netzwerken schaffen. Als Beispiele aus der Praxis werden verschiedene Initiativen der Münchner Stadtbibliothek im Social Web vorgestellt.

Abstract

The digital transformation changes communication structures, especially in the public space. Libraries have to react to this: they have to understand and use the chances offered by the social web by creating the necessary structural conditions for a successful presence in the social networks. As practical examples, different initiatives of the Munich City Library in the social web are presented.

Längst ist abzusehen, dass die digitale Transformation ähnlich radikale Folgen für Individuum und Gesellschaft zeitigen wird wie der Buchdruck. Die Öffentlichkeit äußert sich täglich vielfältiger und vielstimmiger, und oft hat man den Eindruck, sie zerfalle in spezialisierte, agile Interessengruppen. Für nicht wenige Menschen stellt diese Entwicklung eine Quelle von Angst und Ärger dar. In Kommentarspalten und sozialen Netzwerken formiert sich eine Gegenöffentlichkeit, die den Frust über mangelnde Partizipation in teils aggressiven Akten gegenüber Eliten und Minderheiten ausagiert.

Bibliotheken können und dürfen diese Entwicklung nicht ignorieren. Vielmehr sollten sie ihr Augenmerk auf die vielen Chancen richten, die das Social Web ihnen bietet. Schließlich sind Bibliotheken längst genau das, wovon Facebook et. al. auch weiterhin nur träumen können. Nämlich: höchst integrative und vor allem unkommerzielle Content-Managerinnen für die unterschiedlichsten Menschen, die eigenverantwortlich ihre Filterblase und ihren Beziehungsstatus definieren. Und genau das müssen sie auch im Social Web sein. Nicht weil das alle so machen oder weil man das eben so macht. Sondern weil es ihre genuine Aufgabe ist, einen demokratischen und niedrigschwelligen Zugang zu Information, Bildung, Gesellschaft und Kultur bereitzustellen, zu sichern und zu fördern. Gerade in Zeiten, in denen die Beziehungen zwischen Minder- und Mehrheiten sowie zwischen Institution und Gesellschaft neu justiert werden (müssen) und die Konzepte von Individuum, Öffentlichkeit und Gemeinschaft einen radikalen Wandel erleben, ist das wichtiger denn je – auch und gerade im digitalen Raum, in dem ein Gutteil dieser durchweg grundlegenden Verschiebungen verhandelt wird.

1 Kommunikation im digitalen Raum

Der Druck, in sozialen Netzwerken präsent zu sein, steigt tatsächlich stetig: Mindestens die Facebook-Fanpage gehört heutzutage zweifellos zur Standardausstattung der Öffentlichkeitsarbeit. Allein, man sollte es keinesfalls als Bürde oder Ohnmachtszustand empfinden, wenn man die Menschen dort abholt, wo sie sind, statt wie bisher zu warten, dass sie den ersten Schritt – in die Bibliothek, zum Computer oder zum Telefon – tun. Den Dialog zu suchen und zu führen an einem Ort, der nicht in den eigenen Hoheitsbereich fällt und deshalb auch nicht den eigenen Regeln und Vorgaben über Dos, Dont’s und Hierarchien gehorcht, gehört zu den spannendsten Erfahrungen, die man als Bibliothek machen kann. An einem quasi-öffentlichen Ort wie Facebook oder Twitter, der (wenigstens theoretisch) für jede und jeden zugänglich ist und wo keinerlei Schwellenangst vorhanden ist, wird umstandsloser und privater kommuniziert, als es einer öffentlichen Institution offiziell möglich oder auch erlaubt ist. Vielfach ähneln die Dialoge – rhetorisch, orthografisch und inhaltlich – zwar jenen, die am Servicetelefon oder an der Infotheke vor Ort geführt werden; doch es wird klar als zeitgemäßerer Service wahrgenommen, dass manche Dinge schneller via Facebook geklärt werden können. Womit für öffentliche Bibliotheken, die für ihren Kundendienst nicht gerade berühmt sind, bereits viel gewonnen wäre.

Viel wichtiger als die niedrigschwellige Ansprechbarkeit der Bibliothek in sozialen Netzwerken ist allerdings die Umkehrung dieser Kommunikation: dass die Bibliothek ihre Nutzerinnen und Nutzer mehr oder weniger direkt kontaktieren kann. Weder die Mitarbeiterin an der Hotline noch der Mitarbeiter an der Theke wird je das Gegenüber spontan über die Usability der Webseite, seine Lesegewohnheiten oder gar persönliche Buchtipps befragen. In den sozialen Netzwerken ist genau das möglich und sogar gewünscht – nicht nur von den Betreibern, die freilich jede Form der Interaktion gutheißen, weil sie ihr Geschäftsmodell bestätigt; sondern auch von der Community, die sich dort aufhält, um mitzureden und teilzuhaben und sich einzubringen. Menschen treten sozialen Netzwerken bei, um gehört und wahrgenommen zu werden, und wer von ihnen sich die Zeit nimmt, einen Kommentar oder eine Nachricht zu formulieren, hat üblicherweise auch etwas zu sagen. Jede Antwort, auch die kritischste, ist es wert gelesen zu werden, egal, wie speziell oder eigenwillig sie klingen mag. Das Gefühl für die diverse Gemeinschaft der Nutzerinnen und Nutzer – jenseits aller Ausleihstatistiken und Besucherzahlen – verbessert ein solches Zuhören in jedem Fall.

Den Dialog über die Bibliothek und deren Aufgabe wie Möglichkeiten jenseits der eigenen vier Wände zu suchen und zu führen, hat einen weiteren unschlagbaren Vorteil: In digitalen Kommunikationsräumen wie Blogs oder sozialen Netzwerken erreicht man auch diejenigen, die Bibliotheken gar nicht erst nutzen und folglich im institutionellen Rahmen nicht oder nur schwerlich angesprochen werden könnten. Im Social Web kann man sie, mehr oder weniger unverhohlen, einfach fragen, warum sie das nicht tun. Einige der Gründe, wie etwa zu eingeschränkte Öffnungszeiten, werden einem bekannt vorkommen – umso besser, wenn sie ein weiteres Mal benannt und womöglich von vielen Menschen öffentlich geteilt werden, weil jede einzelne dieser Äußerung dem nächsten Stadtratsantrag auf Erweiterung der Öffnungszeiten nur mehr Gewicht verleiht. Andere Gründe für die Nicht-Nutzung von Bibliotheken kann man wiederum schnell widerlegen, meist schon bevor sie überhaupt genannt werden: Noch immer wissen viele Menschen nicht, was eine Bibliothek heute alles ist und kann – auf Blogs und in sozialen Netzwerken lassen sich die zahlreichen Klischees und Vorurteile leicht entkräften, angefangen mit Beiträgen über Neuheiten im Bestand bis hin zu Berichten über digitale Services. Womit bereits erste Ideen für Social-Media-Inhalte formuliert wären … Und selbst wenn aus den Nicht-NutzerInnen nicht sogleich NutzerInnen werden, tragen sie ihre neu erworbenen Kenntnisse über die Bibliothek von heute doch weiter: Sie sharen es, um´s auf Digitalisch zu sagen, in ihrer realen und digitalen Community – und zwar authentischer und glaubwürdiger, als es einer Institution heutzutage je möglich wäre.

Wer den ersten Schritt aus seiner eigenen bibliothekarischen Filterblase hinaus in die offenen und weitläufigen digitalen Räume gewagt hat, der wird bald auf Grenzen stoßen, seien diese nun juristischer oder diskursiver Natur. An ersteren – etwa dem Recht auf Privatsphäre – kann und sollte eine Bibliothek ohnehin nichts ändern wollen. An letzteren aber kann man hervorragend rütteln, sie vielleicht sogar niederreißen, etwa mithilfe so genannter Influencer, d. h. Menschen, die durch ihre Beiträge auf Blogs oder in sozialen Netzwerken Einfluss auf eine große Zahl an Fans oder Followern haben. Influencer fungieren im Social Web als Türöffner: Sie schaffen Zugänge zu Communities und Filterblasen. Und sie verfügen üblicherweise über ein reiches Wissen über digitale Tendenzen, Tools und Strukturen, das man nicht ignorieren darf, wenn man sich Gedanken über die Bibliothek der Zukunft macht.

2 Rahmenbedingungen: Menschen und Strategien

2.1 Social-Media-ManagerInnen

Die verschiedenen Netzwerke im Social Web zeichnen sich nicht zuletzt dadurch aus, dass sie die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Leben verwischen. Jeder Social-Media-Manager, jede Social-Media-Managerin steht immer auch als Person für die Netz-Aktivitäten der Institution ein und umgekehrt; auf Barcamps und Konferenzen zum Thema treffen nicht Einrichtungen, sondern Menschen aufeinander, und auf die berufliche Vernetzung folgt üblicherweise schnell die private und vice versa. Daraus ergeben sich eine Reihe von Anforderungen: Die Position sollte von Personen besetzt werden, die sich souverän im Social Web bewegen und die gut vernetzt sind oder es bald sein werden, und zwar am besten möglichst vielfältig, das heißt nicht nur innerhalb der bibliothekarischen Filterblase. Die Bereitschaft, notfalls – und dazu wird es früher oder später definitiv kommen – auch außerhalb der offiziellen Arbeitszeiten aktiv zu werden, muss vorhanden sein und von der Führung respektiert werden. Auch sollten weder PraktikantInnen noch externe Dienstleister mit dem Engagement im Social Web betraut werden: Ersteren fehlt es vielleicht nicht an Kreativität, aber doch an Erfahrung und Professionalität sowohl in der institutionellen als auch in der digitalen Kommunikation. Letzteren mangelt es weder am Einen noch am Anderen, dafür aber an der Einbindung in die Strukturen des Unternehmens, wodurch Kommunikationswege unnötig verlängert werden und die unverzichtbare Identifikation mit dem Leitbild der Institution deutlich erschwert ist.

Da das Social Web von Spontaneität und Tempo lebt und keine Führungskraft je die Zeit haben wird, die verschiedenen Kanäle zu verfolgen, die Entwicklung zu analysieren und die Community ausreichend gut kennen zu lernen, lässt sich das beste Verhältnis von Direktion und Social-Media-ManagerIn in einen einfachen Satz fassen: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.

2.2 Strategie

Unerlässlich für Institutionen, die im Social Web präsent sein wollen, ist eine – am besten schriftlich formulierte – Strategie. Den idealen Ausgangspunkt dafür stellen folgende Fragen dar: Wer oder was sind wir? Wie übersetzen wir uns ins Social Web? Und was wollen wir da eigentlich? Das mag auf den ersten Blick simpel klingen, kann sich aber als Denkaufgabe entpuppen, die bis ins Mark der Bibliothek dringt. Deshalb sollte man sich vor dem Aufsetzen einer Facebookseite oder eines Twitterkanals damit beschäftigen. Spätestens aber jetzt: sofort. Denn das Fehlen eines digitalen Leitbilds kann fatale Folgen haben, die sich vielleicht nicht in Fan- oder Followerzahlen niederschlagen, aber in einem markanten Vertrauensverlust. Nicht selten werden dem Willen zum Erfolg vermeintlich unverrückbare Gewissheiten des bibliothekarischen Selbstverständnisses geopfert. Die Zurschaustellung ‚dummer‘ Fragen von NutzerInnen, nationalistische Untertöne, niedliche Stofftiere, banale Personalisierungen und sinnfreie Mitmachaktionen gehören vielfach zum Standardrepertoire von Bibliotheken im Social Web. Ganz gleich, ob das aus falsch verstandener Anpassung an die Logik der Unterhaltungsalgorithmen oder aus profaner Einfallslosigkeit geschieht: Die Missachtung des geschützten Raums der Bibliothek, die Beförderung von Ausschlussverfahren, der infantile Kuschelkurs sowie die rein symbolische Partizipationspolitik stehen Bibliotheken denkbar schlecht zu Gesicht, sowohl analog als auch digital. Um zu verhindern, dass die zentrale Botschaft – die Antworten auf die oben genannten Fragen – zwischen schnellen Pointen und Teddybären verschüttgeht, sollte man sich eines Redaktionsplans bedienen, der nicht nur Themen und Ideen strukturiert, sondern im besten Fall auch generiert.

Kaum weniger strategisch entscheidend ist das Verständnis der einzelnen Netzwerke, auf denen man aktiv werden will. „Social Media“ wird gerne als Sammelbegriff verwendet, und freilich geschieht das nicht zu Unrecht, da sie wesentliche Merkmale eint. Allein, wer auf mehreren Plattformen professionell agieren will, muss vor allem ein präzises Verständnis für die Differenzen haben. Während etwa Facebook seine Inhalte mithilfe von Algorithmen strukturiert, hält Twitter weiterhin an der chronologischen Ordnung fest; während Facebook und Twitter das Teilen – das Sharen und Retweeten – für das ein hohes Gut halten, bietet Instagram diese Funktion gar nicht erst an; während Twitter sich als schlechthin die Plattform für Schlagwort-basierte Kommunikation etabliert hat, ist es Facebook noch immer nicht gelungen, eine halbwegs taugliche Suchfunktion bereit zu stellen. Und so weiter und so fort: Jedes einzelne dieser Netzwerke verlangt nach einer spezifischen Strategie, die Mechanismen wie Strukturen berücksichtigt, ohne sie als gottgegeben hinzunehmen. Allen gemein ist allerdings: Ohne Community-Management – will sagen: ohne eine partizipative Strategie – wird man dort auf Dauer keinen Erfolg haben. Social Networks sind, wie der Name schon sagt, Netzwerke und deshalb keine Orte, an dem man mit Einbahnstraßen-Kommunikation viel erreichen wird.

2.3 MitarbeiterInnen

Zu den Fans und Followern von Bibliotheken im Social Web gehören nicht nur deren Nutzerinnen und Nutzer, sondern meist auch deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Daraus können sich, gerade in populären niedrigschwelligen Netzwerken, wie etwa Facebook eines ist, die unterschiedlichsten Komplikationen ergeben. Unangemessene Referenzen auf Interna, persönliche Ansprachen der Social-Media-ManagerInnen und negative Äußerungen über einzelne Beiträge oder den Arbeitgeber im allgemeinen sind bekannte Folgen der systematisch diffusen Grenzziehung zwischen privater und öffentlicher Kommunikation. Umso wichtiger, dass Regeln implementiert werden, deren allgemeine Gültigkeit anerkannt ist und deren Verletzung nicht weniger schwer wiegt als ähnliche Vergehen. Social-Media-Guidelines dürfen jedoch nicht nur Verbote formulieren, sondern müssen vielmehr die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Engagement unterstützen und ihnen mit Rat zur Seite stehen. Erfahrungsgemäß wird es selten dazu kommen, dass Maßregelungen nötig werden: Angestellte von Bibliotheken zeichnen sich nicht nur durch ein hohes Maß an Medienkompetenz aus, sondern identifizieren sich üblicherweise mehr als andere mit den Zielen und dem Leitbild ihres Arbeitgebers.

Auch bei der Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – die sich im Social Web ohnehin nicht verhindern lässt – überwiegen mithin die Chancen die Risiken, weshalb eine Bibliothek gut daran tut, diese Partizipation konsequent und nachhaltig zu fördern, sowohl durch Weiterbildungsangebote als auch durch die aktive Einbindung in Social-Web-Aktivitäten. Eine derartige Teilhabe stärkt Gemeinschaftsgefühle, sorgt für Vielfalt in der Online-Kommunikation und verbessert nicht zuletzt die Social-Media-Skills der ArbeitnehmerInnen. Und nichts kann wichtiger sein als das, denn – ob man es nun will oder nicht – die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind als BotschafterInnen und KorrespondentInnen im Social Web unverzichtbar. Sie sind dank ihrer Kenntnisse, ihrer Zugänge zu den unterschiedlichsten Filterblasen und ihres hohen Grads an Identifikation die besten Influencer, die man sich wünschen kann.

3 Die digitale Kommunikation der Münchner Stadtbibliothek

3.1 Strategie

Nach der Besetzung einer Social-Media-Stelle im Januar 2015 wurde im Frühjahr 2016 erstmalig eine Strategie für die digitale Kommunikation der Münchner Stadtbibliothek vorgestellt. Basierend auf der Vision 2020 der Münchner Stadtbibliothek wurden drei strategische Ziele formuliert:

  1. Bekanntheit der Marke steigern

  2. Wir verbessern quantitativ wie qualitativ die Webpräsenz der Münchner Stadtbibliothek.

  3. Community aufbauen

  4. Wir steigern die Interaktion und die Kommunikation mit unseren digitalen Nutzerinnen und Nutzern.

  5. Themen setzen

  6. Wir machen unsere Themen – Inklusion, Solidarität, Bildung, Kultur, Aufenthaltsqualität, Informationskompetenz, Innovation – zum Thema.

Fünf wichtige und große Schritte zur Umsetzung dieser Strategie sind bereits getan: Im Frühjahr 2016 wurde der Twitter-Kanal der Münchner Stadtbibliothek aufgesetzt, im Mai 2016 ging das Blog der Münchner Stadtbibliothek online, im November 2016 startete der Instagramkanal der Münchner Stadtbibliothek seine Reise durch die Institution, im August 2017 wurde die Facebook-Seite der Münchner Stadtbibliothek auf eine Parent-Child-Struktur umgestellt, im November 2017 wurden schließlich die Social-Media-Guidelines vorgestellt. Dass die Angebote zur Partizipation dem zugehörigen Regelwerk vorausgingen, hat sich nicht als Nachteil erwiesen, im Gegenteil: Da zum Zeitpunkt der Einführung der Guidelines bereits eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eigene Erfahrungen mit dem Auftreten als Institution im Social Web gesammelt hatte, war der Bedarf an Leitlinien nur offensichtlicher geworden. Dass jede Interaktion mit den Social-Media-Kanälen der Münchner Stadtbibliothek auch während der Arbeitszeit erlaubt und erwünscht ist, mag ebenfalls zur Akzeptanz beigetragen haben.

3.2 Twitter (Stand November 2017: 1.500 Follower)

Entsprechend den Strukturen dieses Netzwerkes – Aktualität, Hashtags, Barrierefreiheit – dient der Twitter-Kanal der Münchner Stadtbibliothek weniger der B2C-Kommunikation mit Nutzerinnen und Nutzern (natürlich ohne diese deshalb abzulehnen), sondern vor allem der B2B-Vernetzung mit Akteurinnen und Akteuren mit ähnlichen gesellschaftspolitischen Aufgaben und Zielen, darunter nicht nur nationale und internationale Bibliotheken, sondern auch Influencer und Vordenker in Sachen Inklusion, digitaler Transformation oder Openness (Open Democracy, Open Access u. ä.).

Die Einbindung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurde im Fall von Twitter nicht selbst initiiert, sondern verdankt sich dem Engagement von mehreren BibliothekarInnen und des BIB-Verbands: Seit April 2017 treffen sich an jedem ersten Montag im Monat, von 20.00 bis 21.00 Uhr, Menschen auf Twitter, um über ein bibliotheksspezifisches Thema zu diskutieren. Der Hashtag #bibchatde gibt der Unternehmung nicht nur den Titel, sondern strukturiert auch die Kommunikation; moderiert wird die Debatte im Wechsel von je zwei BibliothekarInnen, darunter auch eine Münchner Kollegin, die immer wieder den schmalen Grat zwischen persönlicher Meinung und institutioneller Haltung zu meistern hat.

3.3 Blog (2017: 4.500 Klicks/Monat)

Das Blog der Münchner Stadtbibliothek wurde im Mai 2016 installiert, um auch unabhängig von kommerziellen Plattformen eigene Inhalte und Themen zu setzen, der Institution ein Gesicht – oder besser: viele Gesichter – zu geben sowie Aktualität, Vielfalt und Kompetenz zu beweisen. Der Aufruf mitzumachen erging an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Münchner Stadtbibliothek. In verschiedenen Rubriken geben die Bloggerinnen und Blogger der Münchner Stadtbibliothek seither Empfehlungen für Bücher, Filme, Musik und Spiele; sie beantworten die unterschiedlichsten Fragen über Themen, Services und Programme; sie denken über ihre Rolle und Funktion in ihrem Beruf nach. Die Redaktion bemüht sich sowohl um eine abteilungsübergreifende Zusammensetzung als auch um lokale Vielfalt. Die Autorinnen und Autoren sind ReferentInnen, StadtteilbibliothekarInnen, FaMIs oder technische Angestellte, sie kommen aus Sendling oder aus der Maxvorstadt, aus der zentralen Bibliothek Am Gasteig oder aus einer Krankenhausbibliothek. Mit der Teilnahme an Blogparaden, so genannten Listicles („Acht Gründe, warum Bibliotheken so beliebt sind“) sowie How-to-Beiträgen und Produkttests setzt der Blog eigene Themen und erschließt sich neue Filterblasen und Zielgruppen.

3.4 Instagram (Stand November 2017: 1.650 Abonnenten)

Wie bei Twitter richtet sich auch die Instagram-Strategie nach den Strukturen dieses Netzwerks: Instagram ist ein überaus mobiles – bis vor kurzem war eine aktive Teilnahme nur mit Smartphone oder Tablet möglich – und kreatives – schöne Bilder bzw. die intelligente Kombination aus Text und Bild bringen Aufmerksamkeit – Netzwerk. Diese Ausrichtung hat die Münchner Stadtbibliothek beim Wort genommen und den Instagram-Kanal auf Reisen durch die Institution geschickt, um all ihre Vielfalt und Mobilität zu präsentieren. Seit November 2016 übernimmt alle vier Wochen ein anderer Mitarbeiter, eine andere Mitarbeiterin oder auch ein kleines Team die Verantwortung für den Kanal und gibt Einblicke in immer wieder unterschiedliche Arbeitsbereiche. Learning by doing: Als Schulungstool ist Instagram, das wegen seiner unpolitischen Ausrichtung und vor allem wegen der erschwerten Sharing-Bedingungen, die Shitstorms quasi verunmöglichen, hervorragend geeignet.

3.5 Facebook (Stand November 2017: 7.200 Fans)

Facebook ist das populärste, aber auch komplexeste Netzwerk im Social Web. Dass man als Institution auf eine Fanpage verpflichtet wird, erschwert die Kommunikation auf Augenhöhe. Hinzukommen die Algorithmen, deren Funktionsweise nur erahnt werden kann und die zudem täglich reprogrammiert werden, so dass die Fehleranfälligkeit in etwa demselben Rhythmus steigt. Abgesehen davon zeichnet sich Facebook durch zwei zentrale Merkmale aus: Schon am Anfang dieses Netzwerks steht die Bildung von Communities, und das stellt auch weiterhin eines der wichtigsten Momente dar; während Twitter durch die Rede von den „Followern“ die Interaktion nicht als Geste der Empathie oder realen Bekanntschaft kennzeichnet, kennt Facebook nur „Fans“ und „Freunde“. Zum anderen integriert Facebook zuverlässig alle medialen Formen der Gegenwart, aktuell etwa Live-Streamings oder 360-Grad-Aufnahmen.

Die Münchner Stadtbibliothek präsentiert sich auf Facebook folglich als multimediale und lokale Gemeinschaft mit deutlichem Akzent auf Medienkompetenz-Themen in all ihren Spielarten, angefangen vom Lesen bis hin zur digitalen Bildung. In regelmäßigen Abständen stiftet sie mit Umfragen, Shares interessanter Beiträge, Links (vor allem zum eigenen Blog), Mitmachaktionen (#MeinOrtImNetz) und mit der Reihe „Welches Buch …?“ („Welches Buch liest Du gerade?“, „Welches Buch hat Dir in Deiner Kindheit Angst gemacht?“) die Diskussion über Literatur und Medien an.

Die Einbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschah erstmals bei der Aktion „Lesen verbindet“ im Rahmen der Internationalen Wochen gegen den Rassismus. Der Slogan „Lesen verbindet“ wurde in viele verschiedene Sprachen auf kleine Plakate gedruckt, mit denen in der Hand Kolleginnen und Kollegen porträtiert wurden. Diese Fotoserie gehört zu den erfolgreichsten Beiträgen der Facebook-Seite der Münchner Stadtbibliothek.

Im Juli 2017 begann schließlich die Umstellung auf eine Parent-Child-Struktur: Da eine einzige Fanpage wenig geeignet ist, um die Münchner Stadtbibliothek als lokales Netzwerk inklusive der unterschiedlichen Programme und Öffnungszeiten angemessen darzustellen, wurden über 20 Seiten neu aufgesetzt und als Standorte der Markenseite zugeordnet. Nach intensiven Schulungen sowohl technischen als auch strategischen Inhalts betreiben nun alle Stadtteilbibliotheken sowie die zentrale Stadtbibliothek Am Gasteig, die Monacensia im Hildebrandhaus, die Juristische Bibliothek im Rathaus und die Kinder- und Jugendbibliothek Am Gasteig ihre eigene Facebook-Seite auf eigene Verantwortung, mit eigenen Tonalitäten und Inhalten. Die Institution präsentiert sich im digitalen Raum so vielfältig, aktuell, zeitgemäß und ansprechbar wie nie zuvor.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Bibliotheken können im digitalen Raum das Mitmachen und das Mitreden anstiften, unterstützen und strukturieren und damit wenigstens einen Teil des Versprechens des digitalen Wandels einlösen. Indem sie im Social Web Partizipation, Teilhabe und Repräsentation ermöglichen, können sie versuchen, die eingangs skizzierten Entwicklungen zu ihrem eigenen Besten zu nutzen.

Wer diese große Chance wahrnimmt, muss sich auf kaum weniger große Änderungen gefasst machen, denn mit dem Verlust der Hoheit über die Kommunikation geht eine Neudefinition der Rolle und Funktion von Öffentlichkeit und damit auch von Öffentlichkeitsarbeit einher. Es genügt nicht mehr, Sender von frohen Botschaften zu sein – man muss auch die schlechten Botschaften empfangen, vernehmen und darauf reagieren. Behauptungen der eigenen Relevanz oder Vorbildlichkeit können jederzeit kritisch in Augenschein genommen werden und müssen dieser Überprüfung jederzeit standhalten oder im Zweifel individuell vermittelt werden. Da die digitale Transformation nicht nur Teilhabe ermöglicht, sondern zugleich auch verhindert – man denke an die so genannten „digital immigrants“, die teilweise richtiggehende Furcht vor dem Internet und insbesondere vor sozialen Netzwerken empfinden –, müssen Social-Web-Aktivitäten idealerweise von einer entsprechenden Programmarbeit sekundiert werden.

Selbstredend zeitigt auch der tendenziell dezentralisierende Ausbau von internen partizipativen Strukturen Folgen, und zwar für die gesamte Institution als solche. Jenseits der hierarchischen etablieren sich neue Kommunikationswege, die oftmals quer zu der bekannten Abteilungslogik liegen; Verantwortlichkeiten und Aufgabengebiete müssen teilweise neu sortiert werden; die Differenzierung zwischen Vor-Ort- und digitalen NutzerInnen wird schrittweise nivelliert werden. Mit der Notwendigkeit eines entsprechenden Change Managements muss man sich deshalb frühzeitig auseinandersetzen.

About the author

Katrin Schuster

Katrin Schuster

Published Online: 2018-01-04
Published in Print: 2018-12-27

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Downloaded on 26.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bd-2018-0014/html?lang=en
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