„Prozeduralisierung“ und Corporate Governance – Innerbetriebliche Entscheidungsvorbereitung und Prozessüberwachung als Gegenstände gesellschaftsrechtlicher Regulierung – Entwicklungslinien und Perspektiven
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Jens-Hinrich Binder
Abstract
I. Einführung
Die Reformdiskussion im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht konzentriert sich derzeit vor allem auf die teils innersystematisch, teils rechtsvergleichend angestrebte Optimierung des geltenden Rechts unter Regelungsziel- und Ergebnisgesichtspunkten. Verhältnismäßig wenig ausgelotet ist indes die Frage nach der Regelungstechnik, dem „wie“ der Regulierung der Finanzverfassung und Kompetenzordnung. Eine derartige Analyse, die auf Erkenntnisse zu rechtlichen und rechtstatsächlichen Funktionsvoraussetzungen und Funktionsweisen gerichtet wäre, ist zwar jüngst aus der Perspektive der funktionalen Rechtsvergleichung nochmals angemahnt worden, hat aber im deutschsprachigen Schrifttum nach wie vor wenig Verbreitung gefunden. Neuere Entwicklungen lenken den Blick insoweit auf eine Reihe innovativer prozedural orientierter Vorschriften, die stärker als tradiertes Organisationsrecht, aber auch als die tradierten Formen von Verhaltensvorschriften für Gesellschafter und Geschäftsleiter nicht punktuell an der Infrastruktur von Gesellschaften oder den erwünschten oder unerwünschten Ergebnissen von Verhaltensweisen, sondern an Entscheidungs- und Entscheidungsfindungsprozessen ansetzen. Prominente Beispiele bieten die Anforderungen an das Zustandekommen unternehmerischer Entscheidungen des Vorstands einer Aktiengesellschaft, die durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Aktienrechts (UMAG) in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifiziert worden sind, sowie die mit der Umsetzung der Basel II-Standards nochmals erweiterten Anforderungen an das Risikomanagement. Der vorliegende Beitrag will untersuchen, wie sich dieser zunächst kursorische Befund in das Gesamtsystem gesellschaftsrechtlicher Regulierung einordnet. Gegenstand der Abhandlung ist die grundsätzliche Frage, ob verfahrensbezogene – „prozedurale“ – Normen einem selbständigen Typus zugeordnet werden können, der sich im Hinblick auf Funktion und Zielvorgaben, auf die tatbestandliche Ausgestaltung sowie hinsichtlich der Normdurchsetzung (und damit auch der Effektivität) von tradierten Formen der Regulierung durch zwingendes Recht unterscheidet. Dabei ergeben sich ungeachtet aller systematisch bedingten Unterschiede aufschlussreiche Parallelen zur verwaltungsrechtlichen Diskussion um die Reform und Substitution klassischer Regulierungsinstrumente der Eingriffsverwaltung durch prozedurale Regulierungsinstrumente.
© Walter de Gruyter
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