Home Zivilgesellschaftliche Bildungsakteure als Kooperationspartner vor Ort
Article Publicly Available

Zivilgesellschaftliche Bildungsakteure als Kooperationspartner vor Ort

  • Sara Sohrabi

    Sara Sohrabi ist Geisteswissenschaftlerin und wissenschaftliche Referentin beim Verein Stiftungen für Bildung e.V. Kontakt: sara.sohrabi@stiftungen-bildung.de

    and Sabine Süß

    Sabine Süß ist Vorstand des Trägervereins Stiftungen für Bildung e.V. und Leiterin der Koordinierungsstelle des Netzwerkes Stiftungen und Bildung. Kontakt: sabine.suess@stiftungen-bildung.de;

Published/Copyright: November 9, 2024
Become an author with De Gruyter Brill

Zusammenfassung

Zivilgesellschaftliches Engagement findet dort statt, wo Kinder, Jugendliche und Erwachsene leben. Deshalb fällt dem kommunalen Raum und der kommunalen Bildungssteuerung eine besondere Bedeutung zu, wenn das Potential des zivilgesellschaftlichen Bildungsengagements ausgeschöpft werden will. Dieser Beitrag nimmt die Perspektive und die Erkenntnisse der zivilgesellschaftlichen Bildungsakteure vor Ort in den Blick. Basierend auf Fokusgruppeninterviews mit zivilgesellschaftlich Engagierten werden die Motive, Bedingungen und Gelingensfaktoren für Kooperationen vor Ort aufgeschlüsselt. Dabei wird der Sozialraum als der Gestaltungsraum betrachtet und Kooperation als Strukturmerkmal des Engagements verstanden, an das sich für die Entwicklung kommunaler Bildungslandschaften wirkungsvoll anknüpfen lässt.

Abstract

Civic action takes place where children, young people and adults live. This is why local space and local education governance are of particular importance when it comes to fully unlocking the potential of civic action in lifelong education. This article provides the perspective and insights of local civic education stakeholders. Based on focus group interviews with these civic players committed to lifelong education, the paper analyses motives, conditions and success factors for local cooperation. In doing so, the social space is viewed as scope and cooperation is understood as a key structural feature of civic engagement that can be effectively utilized for the development of local educational landscapes.

1 Wandel durch Vielfalt

Die Engagementlandschaft ist heute vielfältiger als je zuvor. Dies zeigt sich besonders im Engagement für ganzheitliche Bildung. Zivilgesellschaftliche Organisationen, Initiativen und engagierte Einzelpersonen handeln und wirken in einer großen Vielfalt und -zahl im Sinne lebenslangen Lernens (siehe dazu insbesondere die Beiträge von Priemer et al. und Rößler-Prokhorenko et al. in diesem Heft). Sie tragen so auch zu einem Wandel der Zivilgesellschaft bei, der durch „innere Pluralisierung“ und „äußere Entgrenzung“ gekennzeichnet ist (vgl. Grande 2023: 11).

Die veränderten Engagementbedingungen, aber auch das Verständnis und die Formen von Bildung, die sich exemplarisch im Querschnitt aller Beiträge in diesem Themenheft zur Beschreibung der gesellschaftlichen Bildungslage erkennen lassen, weisen eine „mehrfache Erweiterung“ (siehe Grande in diesem Heft) dessen auf, was bislang im Zusammenhang von Bildung und Zivilgesellschaft diskutiert wird: Neben der Erweiterung des Bildungsbegriffs und des Verständnisses von Zivilgesellschaft als eine vielschichtige Gruppe, die sich in sehr unterschiedlichen Formen engagiert, lässt sich in Bezug auf das Lebenslange Lernen (als Entgrenzung der Reduktion von Bildung auf die formale Bildung) auch eine räumliche Erweiterung feststellen: Über den (Lern-)Raum von Schulen hinaus werden (Lern)Räume im lokalen Sozialraum im Rahmen kommunaler Bildungslandschaften erweitert (siehe hierzu den Pulsschlag von Süß in diesem Heft).

Der Begriff des Sozialraums setzt einen lokalen Beziehungs- und Handlungsraum in den Fokus der Betrachtung von Bildungsengagement (vgl. Brüschweiler/Falkenreck 2019: 419 ff). Eine solche Betrachtung will sich dezidiert mit dem Netz von Akteur:innen befassen, die sich in ihrem Engagement in der Nachbarschaft formeller Bildungseinrichtungen wie einer Schule, nah an den Bedürfnissen und den realen Situationen der Nachbarschaft bewegen und zu ihrem Wohl handeln. Dieser Raum zeichnet sich durch unterschiedliche Beziehungen von Bildungsorganisationen und Bildungsengagierten aus: unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen als Zielgruppen des Engagements; Schulen, Verwaltung und Wirtschaft; sowie freiwillige Bildungsengagierte und Bildungsorganisationen. Diesem Raum widmet sich das Bildungsengagement vor Ort im alltäglichen Handeln.

Zu Recht werden dem Engagement vor Ort eine besondere Agilität, eine Innovationskraft und die Eigenschaft eines „Seismograph(en)“ (Röbke 2024: 49) für gesellschaftliche Belange zugesprochen. Alle diese Charakteristika stehen für Stärken der Zivilgesellschaft. Diese Eigenschaften legen es nahe, dass der Zivilgesellschaft bei der Bewältigung gesellschaftlicher Problemlagen und Aufgaben eine Schlüsselfunktion zukommt (Grande 2023: 12). So bietet sie einen besonderen Zugang zur Bürgerschaft vor Ort, in die lokalen Räume. Sie bietet zu spezifischen Gemeinschaften oder auch zu solchen Communities einen Zutritt, zu denen Verwaltung und große Organisationen keinen direkten Zugang finden, auch weil diese und andere Gruppen noch nicht Vertretung oder nähere Aufmerksamkeit erfahren. Die Engagierten sondieren und reagieren auf den konkreten Bedarf vor Ort und fungieren als wichtige Intermediäre (Grande 2023: 13). Alle diese Eigenschaften machen die vielfältige Gruppe der Bildungsengagierten zu Verbündeten für die Belange einer erfolgreichen Bildung.

Vor diesem Hintergrund geht der vorliegende Beitrag der Frage nach, wie ungenutztes Potential, das wir neben dem bereits vorhandenen Engagement vermuten, zur Entfaltung gebracht werden kann. Denn das Potential der Bildungsengagierten, so unsere These, liegt nicht nur in der Tatsache, dass sie durch alle gesellschaftlichen Handlungsfelder hinweg Angebote und bildungsrelevante Maßnahmen bereitstellen und mit 19 Millionen Bildungsengagierten an sich schon eine zahlenmäßig große Gruppe von Akteuren im Bildungssystem darstellen. Das ungehobene Potential der Zivilgesellschaft besteht darin, das Engagement qualitativ nutzbar zu machen, indem die zivilgesellschaftlichen Engagierten in gesteuerte Bildungsprozesse gleichberechtigt und partnerschaftlich (auf Augenhöhe) integriert werden.

2 Transdisziplinäre Konfiguration, Dialogrunden und Kooperation

Aufgrund der bereits in diesem Themenheft an vielen Stellen erörterten Lücken der Schnittstellen von Bildungs- und Zivilgesellschaftsforschung kommt dem hier beschriebenen Vorgehen ein explorativer Charakter zu. In Form einer qualitativen Vertiefung zu den quantitativen Studien, die in den Beiträgen Priemer et al. und Rößler-Prokhorenko et al. vorgelegt werden, soll ein Beitrag zu einer systematischen Erfassung des vielfältigen Engagements für Bildung in der Zivilgesellschaft geleistet werden. Der Zugriff einer Forschung, die einen solch weitgefassten Gegenstand mit umfassenden gesellschaftlichen Implikationen untersuchen will, muss sich selbst auch in einer erweiternden Art und Weise organisieren und eine disziplinäre Engführung aufbrechen. Das Forschungsprojekt Zivilgesellschaft und Bildung. Bürgerschaftliches Engagement in kommunalen Bildungslandschaften setzt deshalb im Sinne der Tragweite und Komplexität des beschriebenen Gegenstandes das transdisziplinäre Wissenschaftsprinzip um (für einen Überblick siehe Bergmann et al. 2010: 52 ff). So soll die Rolle der Zivilgesellschaft im Bildungsbereich auch empirisch in einer differenzierten Art und Weise betrachtet werden. Neben dem Austausch zu Befunden aus den jeweiligen empirischen Erfassungen mit einer Expert:innenrunde aus zivilgesellschaftlichen Bildungs:akteurinnen, die die oben bezeichnete Pluralität vertritt, wurde die Methode einer Dialogrunde mit Fokusgruppengesprächen für die qualitative Erfassung des Wissens vor Ort ausgewählt. Mit Bezug auf das Engagementpotential vor Ort haben wir auch Hindernisse für zivilgesellschaftliches Engagement im Bildungsbereich aus der Diskussion abgeleitet. Eine beispielhafte Interpretation von Abschnitten aus sechs von 16 Gruppengesprächen kann im Folgenden eine differenziertere Perspektive auf die oben erläuterten Zusammenhänge ermöglichen.

Bei der überwiegenden Mehrheit der teilnehmenden Personen in den Dialogrunden handelte es sich um oft mehrfach engagierte Personen. Ihr Engagement kann unterschiedlichen Formen zugeordnet werden. Rund die Hälfte der 97 Personen, die bislang an elf von 16 Fokusgruppeninterviews teilgenommen haben, waren als hauptamtliche Mitarbeiter:innen von Bildungsorganisationen vertreten, darunter in sieben Fällen von einer (fördernden) Stiftung. Der daneben hohe Anteil freiwillig engagierter Menschen ermöglicht den Zugriff auf ein breiteres Spektrum von Perspektiven auf das Handlungsfeld Bildungsengagement, das mit Bezug auf den Stellenwert und die Implikationen von Kooperationen innerhalb des Bildungsengagements diskutiert wurde. So lässt sich die Gruppe der freiwillig Engagierten in den Dialogrunden in drei Teilgruppen unterscheiden. Solche, die freiwillig ein Vereinsamt ausüben; solche, die ihr Engagement mit Anbindung an eine kirchliche Gemeinde, einen Sozialverband oder einen Mentoring- oder Lesepatenverein oder andere Organisationen ausüben; und dann Engagierte, die sich ganz unabhängig von Organisationen, aber in Kooperation mit diesen, für die Förderung gesellschaftlicher Teilhabe von Einzelpersonen (Kinder, Jugendliche und Erwachsene) oder Gruppen einbringen.

An den im Folgenden für die Betrachtungen herangezogenen sechs Fokusgruppengesprächen, die in den Bundesländern Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen und Sachsen-Anhalt stattfanden, haben insgesamt 59 Personen teilgenommen. Eine Auswertung der impliziten und expliziten Aussagen über Erfahrungswerte und Vorstellungen zum Thema der Kooperation legen viele Informationen über die Handlungsweisen der Akteur:innen offen. Darüber hinaus kann auch erfahren werden, wie verschiedene Gruppen vor Ort wahrgenommen werden und welche Beziehungen in diesem Raum existieren und wie funktionieren.

Die Aussagen über die Kooperationen des Engagements vor Ort ermöglichen einen Einblick in reale Engagementsituationen. Exemplarisch kann daran aufgezeigt werden, was für eine systematische Zusammenarbeit auf kommunaler Bildungsebene noch erforderlich ist, wie aus Sicht der Engagierten Kooperationen vor Ort funktionieren und was sie erfordern, um im Sinne aller erfolgreich zu sein.

3 Kooperatives Denken, Handeln und Arbeiten

Mit dem Begriff der Kooperation werden üblicherweise dauerhafte und verbindliche Formen der sozialen Interaktion jenseits von Hierarchie und Markt bezeichnet (vgl. Ostrom 2022). Die Eigenschaften dauerhaft und verbindlich sind auch weit auszulegen: dauerhaft im Gegensatz zu einmalig oder unvermittelt punktuell und verbindlich im Sinne eines Einvernehmens und Vertrauens über die Absicht des anderen (vgl. Bons et al. 2022: 349–350). Eine Auswertung der impliziten und expliziten Aussagen über Erfahrungswerte und Vorstellungen zum Thema der Kooperation in den Dialogrunden legen viele Informationen über die Handlungsweisen der Akteur:innen offen. Darüber hinaus kann auch erfahren werden, wie verschiedene Gruppen vor Ort wahrgenommen werden, welche Netzwerke und Kooperationen in diesem Raum existieren und in welcher Weise funktionieren.

3.1 Vielfältige Partnerschaften und Motivation für Kooperationen

In sehr positiv belegter Weise berichten alle Gruppen in ihren Ausführungen über ihre Erfahrungen in lokalen Netzwerken mit anderen zivilgesellschaftlichen Partner:innen. „Das Netzwerk“ oder auch unser „Miteinander in X“, wobei meist ein Stadtteil oder Quartier benannt wurde, das als große solidarische und vielschichtige (Werte-)Gemeinschaft charakterisiert wurde. Dieses Netzwerk wird zudem als Ermöglichungspool dargestellt, das Rahmenbedingungen des Engagements begünstigend beeinflusst und somit zum Gelingens- und Ermöglichungsfaktor wird: „Je mehr man diesen Reichtum genossen hat, den man mit jeder neuen Kooperation, vielleicht nicht mit allen, aber mit vielen Kooperationen genießt, umso reicher fühlt man sich eigentlich auch, weil man denkt, man kann mehr machen, man kann neue Projekte anstoßen und kriegt Ideen dadurch, die man ja sonst nie gekriegt hätte.“ (Büro für nachhaltige Entwicklung, Berlin).

Diese übergeordnete Ebene der Zusammenarbeit und seine Kraft wurden auch mit Beispielen für die Motive im Engagement ergänzt. So wurden Aussagen wie „bestimmte Projekte können wir nur gemeinsam durchführen“, „wir können Räumlichkeiten nutzen“, „wir können neue Mitstreiter:innen gewinnen“ und „wir kooperieren aus finanziellen Gründen“ in allen Gruppengesprächen gemacht. Die Mehrheit der Teilnehmenden setzt Kooperationen mit Arbeiten in Netzwerken gleich. Das zeigt bereits ein hohes Maß an Verinnerlichung von Zusammenarbeit als genuine Engagementstrategie: „Ich finde Netzwerkarbeit insofern wichtig, dass man nur dadurch stärker wird. Als einzelner Träger hat man auch irgendwo seine Kapazitäten erreicht und die Grenze, [so] kann man da noch viel mehr anbieten, viel mehr helfen für die Nachbarschaft.“ (Sozialdiakon, Bremen).

Das Engagement vor Ort arbeitet auf verschiedenen Ebenen dezidiert kooperativ: Zum einen mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, so arbeiten Organisationen mit freiwillig Engagierten zusammen, Initiativen mit Vereinen und Stiftungen. Zum anderen kooperieren sie aber auch mit Verwaltung, Politik und Wirtschaft. Dabei wird eine Fülle an Partnerschaften sichtbar, die zielgerichtet und inhaltlich begründet sind. Besonders im Bereich der Antidiskriminierungsarbeit und in der politischen Bildung setzt das Engagement auf Verbünde, auch um Fortbildungs- und Beratungsangebote umzusetzen. In der Umweltbildung wird hingegen enger und direkt mit Schulen, Kindertagesstätten und Grundschulen zusammengearbeitet. Um Angebote der Umweltbildung auch nachhaltig zu gestalten, werden Kooperationen mit Heimatvereinen und Wohlfahrtsverbänden umgesetzt. In der Arbeit mit und für Kinder und Jugendliche geht es bei Kooperationen vor Ort darum, möglichst einen Rahmen zu bieten, um selbstwirksame Räume zu ermöglichen, in denen Kinder und Jugendliche sich und eigene Projekte erproben können: „Das geht, das könnt ihr machen und das, was ihr noch nicht wisst, das könnt ihr uns fragen“ (Stiftungsverein, Sachsen-Anhalt). Dabei wird der Teilhabegedanke auch im Engagement deutlich: „Wie möchten junge Menschen ihre Stadt gestalten, sie lebenswert machen?“ (Verein für partizipative Stadtgestaltung, Sachsen-Anhalt). Aspekte der Bildungskette, Berufswahl und Persönlichkeitsentwicklung werden dabei immer gemeinsam bedacht. Diese bedarfsorientierte und zielgruppenentsprechende Denkweise ist in allen unterschiedlichen Handlungsfeldern des Bildungsengagements zu erkennen: „Zusammenarbeit hat immer […] konkreten Inhalt.“ (Sportakademie, Bremen).

Die Ausrichtung des Engagements wird wesentlich durch den persönlichen Austausch im Sozialraum vor Ort geformt. In einigen Konstellationen dienen die Kooperationen dazu, den gemeinsamen Lebensmittelpunkt auch gemeinschaftlich zu gestalten, um ein Miteinander zu pflegen und den Stadtteil für junge Menschen als Ausbildungsraum und Lebensort attraktiv zu machen. Das kooperative Handeln stärkt zum einen ein Gemeinschaftsgefühl in einer sonst großen und anonymen Stadt, zum anderen geht es darum, den eigenen Stadtteil für sich und zukünftige Bewohnerinnen ansprechend zu gestalten. So sollen soziale wie berufliche Perspektiven und Räume für Heranwachsende entstehen. Die Gemeinschaft wolle Anlässe geben, damit junge Menschen sich in Kunst, Kultur, Umwelt und Natur erfahren und entwickeln können: „Wir kooperieren mit allen im Stadtteil, wollen alle erreichen, der Stadtteil ist unser Lebensmittelpunkt.“ (Vereinsring, Hessen). Besonders in diesen Sozialräumen ist eine selbstwirksame Grundhaltung zu erkennen, die proaktiv nach Lösungen und Gestaltungsmöglichkeiten und Angebote für die Belange vor Ort suchen, damit es ein vielfältiges Angebot für die Nachbarschaft gibt, das vor allem aus sozialer Perspektive barrierefrei zugänglich und attraktiv ist: „[Es geht darum], die Gemeinschaft vor Ort in seiner Diversität zu erreichen und einzubinden.“ (Kulturträgerverein, Berlin). Das zeugt davon, dass die in den Fokusgruppen befragten Bildungsengagierten und vertretenen Bildungsorganisationen erkannt haben, dass Flexibilität und bedarfsbewusstes Handeln wesentliche Handlungsweisen in einem durch Vielfalt geprägten Sozialraum sind. Zudem zeugt es von einer transkulturellen und weltoffenen Haltung, die den Beteiligten nicht einmal in jedem Fall bewusst ist.

Dort, wo durch Bildungsorganisationen außerschulische Lernorte gestaltet und betrieben werden, gibt es zwar eine Anerkennung von Seiten der Verwaltung und Schulen. Der Gesellschaftswandel macht es solchen Trägervereinen aber immer schwerer, Nachwuchs an sich zu binden, an den die Expertise weitergegeben werden könnte. Hier wird die Hoffnung in Verbünde und Netzwerke gesetzt, die möglichst in einer Selbstvertretungsstruktur gegenüber der Stadt auftreten sollen. Kooperationen bei großen Veranstaltungen oder Aktionen bieten vielen Bildungsorganisationen für ihre „Jugendlichen und Auszubildenden eine Gelegenheit praktischer Ausbildungsübungen“ (DRK, Sachsen-Anhalt), so auch im Katastrophenschutz und der freiwilligen Feuerwehr und Jugendfeuerwehr. Die Kooperationen ermöglichen jungen Menschen vor Ort auch darüber hinaus einen Zugang zu Berufsfeldern, in dem sie die Arbeit der Bildungsorganisationen vor Ort kennenlernen und Partizipationsangebote niedrigschwellig wahrnehmen können.

3.2 Gelingensbedingungen für Kooperationen

Als Gelingensbedingungen von Kooperationen in Netzwerken geben alle Engagierten vor Ort an, dass es ein gewisses Maß an gemeinsamen Werten und Zielen erfordert. Konkrete Beispiele werden mit einem Bewusstsein für und einem innerem Bedürfnis nach einer selbstwirksamen Teilhabe an der Gestaltung von (Bildungs-)angeboten für die Gemeinschaft genannt. In dem Zusammenhang wird auch von einer Kultur des Miteinander in den engagierten Gruppen gesprochen. Dazu gehört eine hohe Identifikation vor Ort mit der Gemeinschaft und danach auch eine Identifikation mit dem Ort.

Für einzelne Kooperationen führen die Befragten an, dass Kooperation im Bildungsbereich oft langjährige (Zusammen)Arbeit erfordert, um eine stabile Vertrauensbasis für eine Erweiterung der Kooperationen zu ermöglichen, besonders dann, wenn weitere Akteur:innen einbezogen und die Kooperation weiterentwickelt werden soll. Erfolgreiche Kooperationen müssten für die Beteiligten bürokratiearm gestaltet werden, insbesondere dürften Kommunikationswege und Entscheidungsprozesse keinen erheblichen zusätzlichen zeitlichen und fachlichen Aufwand erfordern. Gleichzeitig würden auf Dauer angelegte Kooperationen über Jahre hinweg neue Kooperationen begünstigen, wenn der Kreis der Kooperierenden erweitert wird.

Im Verhältnis zu Kommune und Verwaltung wird wiederholt angeführt, dass es dort zu gelingenden Kooperationen komme, wenn Zivilgesellschaft sich „auf den Weg mache“, so etwa Einwohnerfragestunden und Bürgerforen nutzt, um Kommunalpolitik und -verwaltung auf die Belange vor Ort aufmerksam zu machen. „Es hängt immer von Strukturen ab, aber auch von Personen.“ (Elternspielplatzinitiative, Bremen). Die Kommunikation spielt dabei eine zentrale Rolle. Der Austausch auf persönlicher Ebene erfordere einen Vertrauensvorschuss, der mit der Zeit verstetigt wird, dann aber auch stark von der persönlichen Beziehung und dem persönlichen Einsatz lebt. Weitere wichtige Gelingensfaktoren seien eine Wertschätzung von Engagement und Zeit, besonders wenn es um Netzwerkarbeit gehe: „Netzwerkarbeit kostet Zeit, das sollte honoriert werden.“ (freiwilliges Bildungsengagement, Berlin) sowie eine einstimmig von allen gewünschte Koordination. Gleichzeitig wird die Koordination von unterschiedlichen Netzwerken als Gelingensbedingung für zielgerichtete Kooperation genannt, hier exemplarisch: „Das Problem bei den ganzen Vernetzungen ist auch, dass es […] eine Vielzahl an möglichen Netzwerken gibt […] Es müsste koordinierter [sein], es müsste eine Stelle geben, die vielleicht die Netzwerke miteinander bündelt. Gerade was die Stadt angeht.“ (Ausbilder beim Jugendrotkreuz und Katastrophenschutz, Sachsen-Anhalt). Damit greifen die Engagierten vor Ort explizit eine zentrale Aufgabe in kommunalen Bildungslandschaften auf. Um kohärente Bildungsbiographien zu gewährleisten, sind nahtlos gestaltete Bildungsübergänge im Lebenslauf und entsprechend abgestimmte Bildungsangebote wesentlich. Kooperation benötige aus Sicht Engagierter auch ein der konkreten Kooperation vorausgehendes Stadium und Anlässe der Vernetzung vor Ort, des Kennenlernens und ein Wissen um die tatsächlichen (unterschiedlichen) Ressourcen der Beteiligten. Wenn mehrere Akteur:innen für eine Gemeinschaft vor Ort aktiv seien und unterschiedliche Ressourcen und Expertisen mitbringen, dann könne durch eine neutrale Koordinationsperson eine gute Plattform für persönliche Vorstellungen und Vernetzung eingeleitet werden – alles Aspekte, die bereits vor einem konkreten Prozess der Zusammenarbeit erfolgen müssen. Als Maßnahme einer solchen Koordination wurden zum Beispiel Treffen in unterschiedlichen Frequenzen genannt. Als wichtig erachtet wird dabei nicht die Höhe der Frequenz, aber eine Verbindlichkeit der Wiederholung: Stadtteilkonferenzen, einem Stadtteil- und Quartiersmanagement, Foren und konkrete Netzwerkplattformen (digital oder auch im regionalen Fernsehen) wurden dabei konkret genannt.

3.3 Ausbaufähige Kooperationskonstellationen und räumliche Besonderheiten

Die Akteur:innen beschreiben das Verhältnis zu Kommunalverwaltungen mit einer Hürde, einer unsichtbaren Mauer, die eine Zusammenarbeit trotz gleicher oder ähnlicher Zielsetzungen behindert. Fehlende Selbstvertretungsstrukturen werden spürbar: Oft fehlt es der Gruppe der Bildungsengagierten an einer Vernetzung und Anerkennung durch die Stadtverwaltung und politische Organe. Es fehle auch oft an Raum für ein gleichberechtigtes Miteinander, einem Ausloten von Möglichkeiten und einem Respekt für die Leistung zivilgesellschaftlicher Akteur:innen innerhalb der Kommune. Nur sehr selten gebe es Einzelpersonen in Politik und Verwaltung, die Akteur:innen als ebenbürtige Kooperationspartner:innen ohne hierarchische Zuschreibungen wahrnehmen würden.

Einen ähnlich wichtigen Stellenwert haben Kooperationen von Bildungsorganisationen zu Schulen im Fall von Sport- und Bewegungsorganisationen. Besonders Sportvereine betrifft eine Notwendigkeit der Kooperation mit Schulen in ihrer Nachbarschaft. Das ist allein schon infrastrukturbedingt: Die Knappheit von Sporthallen und -stätten wie auch die Nachwuchsgewinnung für den Kinder- und Jugendsport bringt viele Sportorganisationen in eine direkte Kooperation mit Schulen. Die Kooperationen, auch langjährige, würden aber nicht dazu führen, dass diese Vereine und Initiativen auch als Bildungspartner wahrgenommen würden, um auch in Planung und Gestaltung von Ganztagsschulentwicklung einbezogen zu sein. Hier fehlt es an einem Gespräch „auf Ballhöhe“ (Sportverein, Hessen).

Es gibt einige positive Berichte: Hier wurden die Kooperationen überwiegend durch Ansprache aus den Reihen des Bildungsengagements und persönlicher vorheriger (Arbeits-)Beziehungen dieser in die Schulen initiiert. Besonders dann, wenn es um mögliche Kooperationen für die Gestaltung von Ganztagsschulentwicklung geht, sind die Befragten pessimistisch: „Wir werden das Thema ansprechen bei den Schulen, aber von der anderen Seite kommt erstmal wenig.“ (Turnverein, Hessen). Als Grund hierfür wird angeführt, dass in der Ganztagsschulplanung wenig an Bildungsvereine als mögliche Partner gedacht werde. Dabei müssten Schulämter und Kommunen aus Sicht des Bildungsengagements bei der Planung und Gestaltung von Ganztagsschulentwicklung aufgrund ihrer rechtlichen Entscheidungskompetenzen auf die zivilgesellschaftliche Nachbarschaft zugehen.

Diese Aussagen werden durch Zahlen aus den quantitativen Erfassungen zu Bildungsorganisationen bestätigt. Sie zeigen, dass nur 5 % der Kooperationen zwischen Bildungsorganisationen und Schulen von Schulen initiiert worden sind, 45 % der Kooperationen gehen von beiden Seiten aus und 37 % nur von Seiten der Bildungsorganisationen. Zwischen Kommunen und Bildungsorganisationen sieht es ähnlich aus: Wenn die Initiative zur Kooperation nur von einer Seite ausgeht, dann handelt es sich in 33 % der Fälle um eine Annäherung durch die Bildungsorganisation. In nur 5 % der Fälle beruhen die Kooperationen allein auf Initiative der Kommune, in immerhin 58 % der Fälle sind sie auf beide beteiligten Seiten zurückzuführen.

In ländlichen Räumen wird zudem überproportional der Mangel an Mobilitätsinfrastruktur im Zusammenhang mit Kooperationen genannt, der zum einen das Bildungsengagement in diesen Räumen besonders stark bedingt und einschränkend wirkt, zum anderen die Nutzung der Bildungsangebote gerade für Kinder und Jugendliche begrenzt. Zudem wirkt sich dieser Faktor direkt negativ auf die Nachwuchsförderung und -gewinnung im Engagement aus, wenn der Zugang zur Zielgruppe nicht möglich ist, sobald diese mit der Sekundarstufe aus dem Ort pendeln und die späten Nachmittage keine Transportwege bieten. In ländlichen Räumen gibt es oft auch ein hohes Aufkommen arbeitspendelnder Eltern, so dass auch diese Ressource des Transportes entfällt. In solchen Situationen ermöglichen Ganztagsschulen und Betreuungsangebote in Schulen zwar die Aufrechterhaltung des Vereinsangebotes oder auch Handlungsmöglichkeiten für freiwillig Engagierte. Gleichzeitig lenkt es die Aktivitäten der Vereine um, da die Schulen zum Wirkungsraum werden. Ein Vereinsleben kommt so nicht zustande, Nachwuchsbindung an Vereine selbst ebenfalls nicht. Dies bringt eine Schwächung der klassischen Vereinslandschaft mit sich, die besonders in ländlichen Räumen ausgeprägter und bedeutungsvoller für die Gemeinschaft ist.

4 Eine Stellschraube für die Zukunft der Bildung

Durch die Aussagen in den Dialogrunden wird ersichtlich, dass Kooperationen und das Handeln in Netzwerken vor Ort einen elementaren Stellenwert haben. Dennoch liegt hier noch ein Graben, zwischen allgemeiner Erkenntnis und Umsetzung. Das Potential der durch zivilgesellschaftliches Engagement erbrachten Bildungsleistungen ist noch lange nicht ausgeschöpft und kann mit fördernden Rahmenbedingungen, wie der aktiven und gleichrangigen Mitgestaltung von kommunalen Bildungslandschaften, eine vielfach größere Wirkung entfalten. Die Dialogrunden als praxiserprobter Diskurs über Bildung in Deutschland mit Expert:innen aus der Zivilgesellschaft, die fachlich qualifiziert und in der Arbeit hochprofessionell vorgehen, zeigen auf, dass in der Zivilgesellschaft bereits jetzt alle Voraussetzungen für Kooperationen (strukturbezogene Erkenntnisse, Kooperationsbefähigung und innovative, lösungsorientierte Angebote im Bildungsengagement) vorzufinden sind.

Wenn die zivilgesellschaftlichen Bildungsakteur:innen in einen systematischen Prozess mit anderen Bildungsakteur:innen zusammengebracht werden, können sie erstens die oftmals auf Zufällen oder auf bestehenden guten Beziehungen beruhenden Kooperationen mit Schulen und anderen durch gezielte Zusammenarbeit systematisieren, zweitens mit einer größeren Genauigkeit ihre Maßnahmen entwickeln und damit drittens Zeit (die immer fehlt) und andere Ressourcen bewusst nutzen.

In den Dialogrunden werden Details der Gelingensbedingungen dazu beschrieben. Auch zeigt sich in ihnen, dass Erfahrungswerte, Kompetenzen und Wissen erst zusammen ein stimmiges Bild ergeben, das ergänzt um die quantitativen Informationen das volle Potential der Akteur:innen im Bildungsengagement sichtbar macht. Es fehlt hingegen eine Anerkennung der Expertisen vor Ort, wenn es um zivilgesellschaftliches Bildungsengagement geht. Optimale Rahmenbedingungen zur Erbringung von Bildungsbeiträgen erfordern erstens eine differenzierte, auf Bildungsakteure ausgerichtete Engagementpolitik; zweitens eine ganzheitliche kommunale Bildungsstrategie; und drittens eine ausgeprägtere Selbstvertretung der zivilgesellschaftlichen Akteure vor Ort. Aufbauend auf Vorhandenem wird so dezentral und regional verankert ein wesentlicher Beitrag zu neuen Strategien zur Verbesserung der Bildungssituation in Deutschland geleistet werden können. Alles ist da: Bedarf, Erkenntnisse, motivierte Engagierte und Ziele. Die Umsetzung kann und muss nun lokal, in kommunalen Bildungslandschaften erfolgen.

Über die Autoren

Sara Sohrabi

Sara Sohrabi ist Geisteswissenschaftlerin und wissenschaftliche Referentin beim Verein Stiftungen für Bildung e.V. Kontakt: sara.sohrabi@stiftungen-bildung.de

Sabine Süß

Sabine Süß ist Vorstand des Trägervereins Stiftungen für Bildung e.V. und Leiterin der Koordinierungsstelle des Netzwerkes Stiftungen und Bildung. Kontakt: sabine.suess@stiftungen-bildung.de;

Literatur

Bergmann, Matthias/Jahn, Thomas/Knobloch, Tobias/Krohn, Wolfgang/Pohl, Christian/Schramm, Engelbert 2010: Methoden transdisziplinärer Forschung. Ein Überblick mit Anwendungsbeispielen, Campus.Search in Google Scholar

Bons, Verena/Borchert, Johanna/Buchborn, Thade/Lessing, Wolfgang 2022: Wie verorten Mitglieder von Musikvereinen ihre Arbeit in Abgrenzung zur Praxis von Musikschulen? Eine dokumentarische Studie zu Musikvereinen im ländlichen Raum. In: Kolleck et al. (Hg.): Forschung zu kultureller Bildung in ländlichen Räumen. Methoden, Theorien und erste Befunde. Beltz, 349–368.Search in Google Scholar

Grande, Edgar 2023: Zivilgesellschaft im Wandel: Vor welchen Herausforderungen steht die Zivilgesellschaft? In: epd-Dokumentation (8–9/2023), 11–18.Search in Google Scholar

Föhl, Patrick 2011: Kooperationen und Fusionen von öffentlichen Theatern. Theoretische Grundlagen, empirische Untersuchungen und Gestaltungsempfehlungen. In: Klein, Armin (Hg.): Kulturmanagement und Kulturwissenschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften.10.1007/978-3-531-93048-0Search in Google Scholar

Brüschweiler, Bettina/Falkenreck, Mandy 2019: Bildungsorte und Bildungslandschaften. In: Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (Hg.): Handbuch Sozialraum. Grundlagen für den Bildungs- und Sozialbereich. Springer VS, 419–434.10.1007/978-3-531-19983-2_27Search in Google Scholar

Ostrom, Elinor 2022: Jenseits von Markt und Staat. Über das Potential gemeinsamen Handelns. Reclam.Search in Google Scholar

Röbke, Thomas 2024: Welten verbinden, Synergien erzeugen, Grenzen mitbedenken: Patenschaften und Mentoring aus der Perspektive Bürgerschaftlichen Engagements. In: Jakob, Gisela/Schüler, Bernd (Hg.): Patenschaften und Mentoring für Kinder und Jugendliche. Eine neue Kultur des Engagements zur Förderung von Bildung, Teilhabe und Integration. Belz, 49–73.Search in Google Scholar

Online erschienen: 2024-11-09
Erschienen im Druck: 2024-11-07

© 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 23.10.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/fjsb-2024-2005/html
Scroll to top button