Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft
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Herausgegeben von:
Wolfgang Braungart
und Helmuth Kiesel
Die Buchreihe Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft gibt Aufschluss über Prinzipien, Probleme und Verfahrensweisen philologischer Forschung im weitesten Sinne und dient einer Bestimmung des Standorts der Linguistik und Literaturwissenschaft. Die Reihe übergreift Einzelsprachen und Einzelliteraturen. Sie stellt sich in den Dienst der Reflexion und Grundlegung einer allgemeinen Sprach- und Literaturwissenschaft. Die Bände sind zum Teil informierende Einführungen, zum Teil wissenschaftliche Diskussionsbeiträge.
Angesichts der notorischen Zweifel der Literatur- und Kulturwissenschaften darüber, ob es gelingen kann, ihre Wissensansprüche und damit sich selbst als Wissenschaften hinreichend zu rechtfertigen, unternimmt diese Arbeit den Versuch einer Grundlegung der (texfokussierten) Literatur- und Kulturwissenschaften. In einem ersten Teil werden dazu die in den einschlägigen Literaturtheorien verhandelten Begründungsszenarien diskutiert. Dabei zeigt sich, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Theorien ihr Design unerwartet grosse Ähnlichkeiten aufweist. Das legt den Verdacht nahe, nicht die Gegenstände, sondern die argumenativen Formen der Theorien seien für die Widersprüche verantwortlich, die nicht nur diese Theorien selbst, sondern eben auch die Wissenschaften, deren Erkenntnisansprüche sie rechtfertigen sollen, umtreiben. Es wird daher sodann ein anderes und das heisst ein pragmatistisches Verständnis des Theoretischen vorgestellt. Um es jedoch für die ästhetische Dimension der Literatur- und Kulturwissenschaften fruchtbar zu machen, bedarf es sowohl einer Erweiterung als auch einer Spezifizerung des pragmatistischen Verständnisses von Kunst, Bedeuten und Verstehen. Und genau darum bemüht sich der zweite Teil dieser Studie.
Was tun Menschen, wenn sie Literatur interpretieren? Welche Textbestandteile wählen sie aus, welches Wissen schreiben sie Texten als Bedeutung zu, welche Art des Bedeutens (Wörtlichkeit, Symbolik, Allegorik usw.) unterstellen sie? Und was tun Menschen, indem sie Literatur interpretieren? Legen sie ihr Textverstehen dar? Erklären sie Textbedeutungen? Präsentieren sie eine zur Interpretation verwendete Theorie? Sprechen sie indirekte Wertungen oder Appelle aus? Stellen sie sich als Vertreter einer Interpretations-Schule dar? - Welche dieser Funktionen kann wissenschaftliches Interpretieren haben, welche darf es haben? Erhebt es den Anspruch, wahre Aussagen über seinen Gegenstand zu erzeugen? Lässt es sich an diesem Anspruch kritisch messen?
Solche Fragen werden im ersten, theoretischen Kapitel der Studie erörtert. Das dabei entwickelte begriffliche Instrumentarium ermöglicht es, Interpretationen unterschiedlicher Provenienz vorurteilsfrei, aber kritisch zu analysieren. Das zweite Kapitel ist die Probe aufs Exempel: Das Instrumentarium wird angewendet auf sechs Interpretationen von Goethes Roman »Die Wahlverwandtschaften« (1809). Die Reihe beginnt bei Walter Benjamins berühmtem Essay von 1922 und reicht bis zu neueren Arbeiten aus dem Umfeld der Dekonstruktion. Den Schluss der Untersuchung bildet ein Vademecum der Interpretationskritik: "Maximen für Reflexionen".
Eine auffällige Eigenschaft polemischer Auseinandersetzungen ist ihr hoher Grad an Metakommunikation, die von den Beteiligten vordringlich als Streit über das (negativ zu bewertende) gegnerische und das (positiv zu bewertende) eigene Streitverhalten inszeniert wird. Die Erscheinungsformen dieses "Streits auf zweiter Ebene", seine Funktionen im Rahmen der Ziele des Polemikers und besonders seine normativen Grundlagen werden in der Arbeit beschrieben bzw. aus den metakommunikativen Äußerungen der Streitgegner rekonstruiert. Diese Äußerungen stammen aus einem Korpus von ca. 250 polemischen Texten, die zwischen der Mitte des 18. und dem Ende des 20. Jahrhunderts in Deutschland erschienen sind. Die Analyse fördert einen im Zeitraum der Untersuchung relativ stabilen Kanon normativ gestützter Erwartungen zu Tage, an denen gemessen das kommunikative Verhalten des Polemikers einer negativen Bewertung verfällt. Zusammengenommen stellen sie auch eine Explikation der negativen Konnotation dar, die mit dem Begriff des Polemischen - zumindest in einer der heutigen Gebrauchsweisen des Wortes - konventionalisiert verbunden ist.
Cesare Segre gehört als Begründer der 'Schule von Pavia' seit den sechziger Jahren zu den international bedeutendsten italienischen Semiotikern. Der Band präsentiert eine Auswahl aus seinen Schriften der letzten zwanzig Jahre. Schwerpunkte bilden dabei der semiotische Zugriff auf Literatur und Kultur des europäischen Mittelalters, die Entwicklung einer Theatersemiotik von Shakespeare bis Pirandello sowie literaturtheoretische Überlegungen und Fallstudien zu den Bereichen der modernen Erzählforschung und der Literaturkritik von der Hermeneutik bis zum amerikanischen Dekonstruktivismus.
Dieses Buch ist der Versuch, die Beziehung von Literatur und Kultur auf der Grundlage eines ökologisch definierten Funktionsmodells literarischer Texte näher zu bestimmen und an Beispielen des amerikanischen Romans zu erläutern. In dem hier vorgeschlagenen Ansatz spielt die Dimension des Ästhetischen, die in neueren kulturwissenschaftlichen Textzugängen eher unterbelichtet blieb, eine konstitutive Rolle. Es geht nicht primär um eine inhaltliche Untersuchung der Literatur auf ökologische Themen. Es geht vielmehr um Analogien zwischen ökologischen Prozessen und den spezifischen Strukturen und kulturellen Wirkungsweisen der literarischen Imagination. These des Buchs ist es, daß Literatur sich in Analogie zu einem ökologischen Prinzip oder einer ökologischen Kraft innerhalb des größeren Systems ihrer Kultur verhält.
Dieser Ansatz wird im ersten Teil theoretisch entwickelt und zunächst im Rahmen gegenwärtiger, vor allem im angloamerikanischen Raum sich abzeichnender Tendenzen zu einer Literary Ecology situiert, danach in den Kontext anderer funktionsorientierter Literaturtheorien gestellt und schließlich in einem kulturökologischen Funktionsmodell imaginativer Texte zusammengefaßt. Im zweiten Teil wird die Reichweite und Tragfähigkeit dieses Modells an sechs repräsentativen amerikanischen Romanen aus verschiedenen Epochen demonstriert: Nathaniel Hawthorne, »The Scarlet Letter«; Herman Melville, »Moby-Dick«; Mark Twain, »The Adventures of Huckleberry Finn«; Kate Chopin, »The Awakening«; Toni Morrison, »Beloved«; Don DeLillo, »Underworld«.
Die Arbeit untersucht Prinzip und Geschichte des Phänomens literarischer Authentizität mit dem Ziel, ein literaturwissenschaftliches Propädeutikum zu liefern, das eine rasche Verständigung über dieses Phänomen ermöglicht.
In der Problematisierung des aktuellen philosophischen, medientheoretischen und literaturwissenschaftlichen Diskurses wird in Kapitel I ('Authentisches') der höchst diffuse Assoziationsradius von Authentizität im Sinne einer Stilqualität und einer anthropologischen Konstante operationalisiert. Die beobachtete Eigenschaft von Authentizät als 'Effekt der Darstellung' macht diese als primär rezeptionsästhetisch einzuholendes Phänomen sinnfällig. Der Ausgangspunkt rezeptionsästhetischer Gegenwärtigkeit kommt nicht nur in der Analyse historisch wirksamer Texte zur Geltung, sondern darüber hinaus in der archäologischen Methode diachroner Retrospektive beim Durchgang durch die topologische Ordnung der kulturkritischen Inanspruchnahme der Authentizitätsutopie.
Über 'Weibliches', i.e. die kritische Sichtung des Wolfschen Oeuvres und der im Konzept 'subjektiver Authentizität' favorisierten Romantikerinnen (v. Arnim, v. Günderrode, Mereau) in Kapitel II dringt die Arbeit zum 'Romantischen' vor (Kapitel III), das über einen erweiterten Epochenbegriff von ca. 1770 bis 1848 angesiedelt wird. Die weitläufige Genealogie des Authentizitätsbedürfnisses, das sich an der Schwelle zur Moderne vehement artikuliert, wird unter Einbezug des prä- und postromantischen Sentimentalismus ins Auge gefaßt und entsprechend der im Sinne ultimativer Individualität identifizierten Logik und Dynamik des Authentizitätseffekts analysiert: die frühaufklärerische Hof- und romantische Philisterkritik, das empfindsame Konzept der eloquentia cordis, Winckelmanns Glorifizierung des 'Edel-Einfältigen', Herders Philosophie des 'Haptischen', Mereaus, Grimms, Moritz' und Goethes Visionen von Kindlichkeit und Jugendlichkeit, Foucaults 'Parrhesia' und schließlich Sulzers und Schillers geschichtsphilosophische Temporalisierungen von Authentizität.
Die Untersuchung geht von der unstrittigen Beobachtung aus, daß Sprecherinnen und Sprecher z.T. hartnäckig und entgegen "besserer" Einsicht auf problematischen Annahmen über Sprache und Kommunikation bestehen. Für das besondere Profil sprachbezogener Common sense-Annahmen wird folgende Erklärung angeboten: Das reflektierte Wissen über Sprache (secondary reasonings, "falsches Sprachbewußtsein") resultiert nicht in erster Linie aus sprachmagischen Vorstellungen oder aus Bildungsdefiziten der Sprachteilhaber, sondern aus wiederkehrenden Reflexionsanforderungen, denen sie in ihrer Kommunikationspraxis ausgesetzt sind. In der Mikroanalyse von authentischen Gesprächen wird deutlich, daß das praktische Reflexionspotential bei der Überwindung typischer Differenzerfahrungen erworben wird. Die Common sense-Annahmen der Sprecher weichen also nicht zufällig oder chaotisch, sondern erwartbar und systematisch von linguistischen Erkenntnissen über die Sprache ab.
Schwerpunkte der Analyse liegen in drei Bereichen: 1. Standardsituationen der Alltagskommunikation (z.B. Grußsequenzen, Mutter-Kind-Interaktion), 2. Sprachunterricht (Grammatikunterricht, Rollenspiel), 3. Ost-Westkommunikation (Tagungsgespräche, Talkshows). Als Ansatz zu einer theoretischen und empirischen Erklärung einer kulturspezifischen "Reflexionsbiographie" dürfte die Arbeit vor allem für Studenten, Lehrer und Hochschullehrer interessant sein.
Dieses Buch gibt anhand von 22 Autoren und 22 ihnen zugeordneten Begriffen einen Überblick über das heute vorhandene Grundlagenwissen zur sprachlichen Interaktionsanalyse. Die Auswahl der Autoren umfaßt neben Linguisten (z.B. Bühler, Benveniste) auch Klassiker der Soziologie (z.B. Weber, Sacks), der Kulturtheorie (z.B. Volosinov) und der Sprachphilosophie (z.B. Wittgenstein, Austin); dazu kommen wichtige Autoren aus jüngerer Zeit (z.B. Bourdieu, Luckmann, Hymes, Geertz). Trotz dieser interdisziplinären Orientierung bleibt der Bezug auf sprachwissenschaftliche Fragestellungen erhalten. Das Spektrum der Grundbegriffe umfaßt Konzepte wie "Handeln", "Sprechakt", "Kultur", "Intertextualität", "Subjektivität", "Performanz" und "Gattung".
Es geht bei der Frage nach dem Rhythmus in der Sprache um die Beziehung zwischen Subjekt und Sprache und um die Möglichkeit, die Subjektivierung der Sprache, wie sie sich in jeder Sprachäußerung vollzieht, empirisch zu beschreiben. Das Subjekt droht dort aus dem Blick zu geraten, wo die Sprache nur als Struktur betrachtet und auf Strukturen reduziert wird, wie bei Umberto Eco, der den Sinn in den Code verlegt, und die Sinnproduktion des Subjekts aus der semiotischen Betrachtung ausschließt. Die Arbeiten des französischen Sprach- und Literaturtheoretikers Henri Meschonnic("Critique du rythme", 1982) haben gezeigt, daß dieses Subjekt sichtbar wird, wenn man beginnt, die Sprache vom Rhythmus her zu denken. Voraussetzung dafür ist eine Abkehr von der traditionellen Gleichsetzung des Rhythmus mit dem formalen Schema, dem Takt und dem Metrum. Deshalb greift Meschonnic auf Emile Benvenistes Wiederentdeckung der vorplatonischen Bedeutung des Begriffs 'Rhythmus' ("vorübergehende Anordnung, veränderliche Gestalt") zurück, wenn er den Rhythmus als die jedesmalige Gestaltung (Anordnung, Konfiguration) des Sinns in der Rede begreift. Diese Modifikation des Rhythmusbegriffs führt zu einer Kritik der metrischen Rhythmusauffassung, die im Mittelpunkt des theoretischen Teils der Arbeit steht. Untersucht werden einflußreiche Rhythmuskonzeptionen der Metrik (Heusler, Kayser, Küper u.a.) und der Linguistik (Sievers, Abercrombie u.a.). Im empirischen Teil wird die semantische Funktionsweise des Rhythmus in drei Texten analysiert. Es handelt sich um die Ballade "Der Erlkönig" von Johann Wolfgang von Goethe, das Märchen "Die Sterntaler" der Gebrüder Grimm und das Gedicht "Abschied" von Gottfried Benn.
Im Zuge der Postmoderne-Diskussion droht die Literaturwissenschaft in Orientierungslosigkeit zu verfallen. Nicht nur die traditionellen Methoden, sondern auch die alten Fragestellungen der philologischen Fächer scheinen sich überlebt zu haben. Gegen den Zug zur Postmodernisierung der Literaturwissenschaft oder gar ihre völlige Auflösung in eine 'Medienwissenschaft' stellt dieses Buch noch einmal die Frage nach den Grundlagen des wissenschaftlichen Umgangs mit Literatur. Es gibt keinen Methodenüberblick, sondern formuliert zusammenhängend die aktuellen Probleme der Literaturwissenschaft nach ihrer Herausforderung durch Derrida, de Man, Foucault und andere. In der gar nicht mehr so neuen 'Unübersichtlichkeit' wird ein Grundbestand an Problemstellungen, Voraussetzungen und Verfahren literaturwissenschaftlicher Arbeit herausgestellt. In der Darstellung spielen die kulturellen Traditionen, sozialen Bezüge, politischen Interessen und institutionellen Abhängigkeiten, ohne die viele Theoriekonzepte kaum verständlich sind, eine wichtige Rolle. Die Probleme der aktuellen Diskussion treten dabei oft in neuer Perspektive in den Blick: Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Autonomieästhetik, Rezeption und Leser, Autor und Werk, feministische Literaturwissenschaft, Empirische Literaturwissenschaft, schließlich die Literatur in ihren Beziehungen zu Gesellschaft, Mentalität und Kultur.
Diese Einführung in die begrifflichen, theoretischen und wissenschaftsgeschichtlichen Grundlagen der Soziolinguistik ist als Arbeitsbuch mit Aufgaben für Studenten konzipiert. Die aktuellen Methoden und Forschungsparadigmen der Soziolinguistik werden unter Rückgriff auf ihre wissenschaftsgeschichtlichen Wurzeln vorgestellt. In den zentralen Kapiteln 3 und 4 wird der Stand der Forschung zu den sprach-soziologischen Grundbegriffen (Sprachgemeinschaft, Diglossie, Status und Funktion von Sprachen u.a.) und den varietätenlinguistischen Grundlagen (Standard, Dialekt, Soziolekt, Register, Stil etc.) anhand von Beispielen erläutert. Dabei werden die Möglichkeiten von "Sprache und sozialer Ungleichheit" thematisiert. Das abschließende Kapitel widmet sich soziolinguistischen Regeln. Vor- und Nachteile regulativer, konstitutiver und interaktionsspezifischer Regeln werden diskutiert. Die Arbeitsaufgaben sollen die kontrollierte Erarbeitung soziolinguistischer Grundlagen im Selbststudium und in Seminaren erleichtern.
Das Buch führt in die beiden wichtigsten Versionen der Syntax-Theorie des letzten Jahrzehnts ein, in die Government and Binding Theory der generativen Grammatik Chromskyscher Prägung und in die moderne Phrasen-Struktur-Grammatik, namentlich in die Generalized Phrase Structure Grammar und die Head-driven Phrase Structure Grammar. Es ist so angelegt, daß nach einer Reihe von Kapiteln, die in syntaktische Grundprobleme einführen, über die in der Linguistik weitgehende Übereinstimmung herrscht, in den anschließenden Kapiteln verschiedene Phänomenbereiche vorgeführt werden, die in den beiden genannten Hauptrichtungen der Syntax-Theorie je unterscheidlich analysiert werden.
Im einzelnen werden folgende Komplexe behandelt: (1) Einleitung, (2) Konstituentenstrukturen, (3) syntaktische Regeln, (4) syntaktische Kategorien, (5) Köpfe und Komplemente, (6) Subjekte und Prädikate, (7) nichtkanonische Komplemente und Subjekte, (8) grammatische Funktionen, (9) Passivkonstruktionen, (10) Hebungskonstruktionen, (11) Kontrolle, (12) Wh-Abhängigkeiten, (13) Inselbeschränkungen und (14) ein abschließender Vergleich der beiden Syntax-Theorien. Das Buch umfaßt ferner ein Literaturverzeichnis, ein Glossar mit der Erklärung wichtiger Begriffe und ein Stichwortregister. Die deutsche Version des Buchs - die Originalausgabe erschien 1991 bei Edward Arnold unter dem Titel "Syntactic Theory. A unified approach" - ist wesentlich umfangreicher als die englische Version, da sie die verschiedenen syntax-theoretischen Probleme nicht nur anhand des Englischen, sondern auch anhand des Deutschen erörtert. Dadurch ergeben sich für die Leser interessante Möglichkeiten des Vergleichs zwischen den Struktureigenschaften beider Sprachen. Darüberhinaus wird deutlich, daß die unterschiedlichen Struktureigenschaften beider Sprachen partiell differenzierte theoretische Zugänge erfordern.
Sprachphilosophie, Logik, Linguistik, Semantik, Hermeneutik, Rhetorik, Ästhetik, Poetik - hinter all diesen Disziplinen verbirgt sich für Tzvetan Todorov eine einheitliche Tradition. Er lädt uns ein, den Spuren dieser Tradition zu folgen, von der Antike bis zur Aufklärung, von der Romantik bis zur Gegenwart. Wegweisend bei diesem Gang durch die Jahrhunderte ist der Begriff des Symbols. Todorov gibt uns einen Überblick über die Deutungen, die der Symbolbegriff bei so verschiedenen Autoren wie Aristoteles, Cicero, Quintilian, Augustin, Condillac, Lessing, Diderot, Goethe, Novalis, Moritz, den Gebrüdern Schlegel, Lévy-Bruhl, Freud, Saussure und Jacobson erfahren hat. Die Dichotomien von Zeichen und Symbol, Klassik und Romantik, Rhetorik und Ästhetik erscheinen aus dieser historischen Perspektive in einem neuen Licht.
So ist dieses Buch - in der französischen Originalfassung 1977 bei Edition du Seuil erschienen - nicht in erster Linie als Beitrag zur Symboltheorie zu verstehen, sondern als Dokument einer geistesgeschichtlichen Entwicklung, in der zugleich die Konturen einer Geschichte der Semiotik sichtbar werden. Todorov läßt die behandelten Autoren ausführlich zu Wort kommen. Der Leser erhält dadurch Zugang zu einer Fülle von Dokumenten, von denen einige hier zum erstenmal auf deutsch erscheinen.
Literatur ist nicht nur vieldeutig und rätselhaft, wie dies das bis heute leitende literaturtheoretische Paradigma behauptet. An Literatur, auch an der dunklen und schwierigen der Moderne, interessiert den Leser nicht primär, wie sich Sinn fortwährend entzieht und selbst destruiert. Noch immer wird Literatur, ungeachtet ihrer gar nicht zu bestreitenden Vieldeutigkeit und Rätselhaftigkeit, als sinnhaft und bedeutsam erfahren, weil sie bestimmt, ästhetisch herausgehoben und geregelt ist. In dieser Hinsicht läßt sie sich als eine dem Ritual analoge, ja als selbst rituelle Handlung beschreiben. Literatur weist in ihrer Produktion und Rezeption, ihrer ästhetischen Form, ihrer Struktur, ihrem Inhalt und ihren Themen, ihrer sozialen Inszenierung und ihrer sozialen Organisation vielfache Bezüge und Parallelen zum Ritual auf; und sie kann selbst als Ritual inszeniert und praktiziert werden. Wie Literatur ist auch das Ritual eine ästhetisch ausgezeichnete, symbolische Wiederholungshandlung, die immer noch eine elementare Bedeutung für unser Leben hat. Die vorliegende Arbeit entwickelt deshalb zunächst im Rückgriff auf sprachwissenschaftliche, kulturanthropologische und religionswissenschaftliche Forschungen den Begriff des Rituals und prüft dann seine Anwendbarkeit auf Literatur.
Das grundlegende Konzept des Buches ist auch 50 Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage immer noch gültig: Die Herausarbeitung der bestimmenden Konturen erzählerischer Grundformen, die vom Autor als morphologische "Urformen" - im goetheschen Sinn - verstanden werden. In ihrer meist anonymen Erscheinungsweise nehmen sie eine Zwischenstellung zwischen "volkstümlicher" und "literarischer" Dichtung ein, was sich auch in ihrer Erforschung durch die volkskundliche und die literaturwissenschaftliche Disziplin ausdrückt.