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Editorial

Veröffentlicht/Copyright: 30. August 2024
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Dieses Heft geht in seinem Thementeil auf einen Call for Papers zurück, den unser im März des Jahres leider so früh und überraschend verstorbener Kollege David Käbisch maßgeblich verfasst und auf den Weg gebracht hat. Auch er selbst wollte einen Beitrag beisteuern – an dieser Stelle klafft nun in diesem Heft eine schmerzliche Lücke. Dieses Heft ist damit zugleich in besonderer Weise dem Gedenken an David Käbisch gewidmet.

Der Call for Papers trägt die Überschrift „Religion in politischen Konflikten als pädagogische Herausforderung“. Der Text des Calls sei auch in dieser Stelle wiedergegeben:

„Seit dem brutalen, menschenverachtenden Überfall der Hamas auf israelische Bürger:innen am 7. Oktober 2023 hat der Kampf gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und andere religionsbezogene Stereotype, Vorurteile und Ressentiments an gesellschaftlicher und politischer Dringlichkeit gewonnen. In allen Bildungskontexten geht es dabei jenseits der brachialen Kampfmetaphorik u. a. um eine sachgemäße Darstellung der Beziehungen zwischen Judentum, Islam und Christentum in der Vielfalt ihrer Strömungen und Richtungen, nicht nur im schulischen Religionsunterricht. Auch der Ethik-, Geschichts-, Literatur-, Politik-, Kunst- und Musikunterricht müssen in ihrer spezifischen Fachperspektive einen substantiellen Beitrag dazu leisten. Gleiches gilt für außerschulische Lernkontexte, da auch Erzieher:innen in Kindertagesstätten, Pädagog:innen in der Jugendarbeit oder Verantwortliche in der Erwachsenenbildung im Sinne einer religionssensiblen Grundbildung für ihre Aufgaben in einer pluralistischen Gesellschaft qualifiziert werden müssen.“

Der Call wurde auch international verbreitet, insbesondere im Rahmen von ISREV (International Seminar on Religious Education and Values). Er fand insgesamt national wie international ein positives Echo, aber vereinzelt gab es auch Stimmen, die der Zeitschrift für Pädagogik und Theologie Einseitigkeit im Blick auf die Opfer nur auf jüdischer Seite und nicht auch auf palästinensischer Seite vorhielten. Umgekehrt wurde in der Gegenkritik darauf hingewiesen, dass sich Opferzahlen nie verrechnen lassen. Auf jeden Fall hat der Call auch jenseits dieser Zeitschrift einen deutlichen Widerhall gefunden.

An solchen Reaktionen ist abzulesen, wie kontrovers und eben auch tragisch die Situation in Israel und Gaza sich darstellt. Wie im Call herausgestellt wird, können sich weder die Religionspädagogik noch die Schule oder andere pädagogische Einrichtungen den damit verbundenen Herausforderungen entziehen, auch wenn Lösungen, die den Kindern und Jugendlichen oder auch Erwachsenen angeboten werden könnten, nicht in Sicht sind.

Besonders glücklich schätzt sich die Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, dass in diesem Heft gleich zwei Beiträge aus Israel abgedruckt werden können. Vor allem der erste Beitrag aus der Feder eines international hochangesehenen jüdischen Erziehungsphilosophen von der Universität Haifa, Hanan Alexander, über die „Suche nach dem Gott Abrahams nach dem 7. Oktober“ macht deutlich, wie sich die Situation aus jüdischer bzw. israelischer Sicht darstellt. Er schreibt ausdrücklich und bewusst aus dieser Perspektive und macht damit sichtbar, dass derzeit aus Israel wohl kaum so etwas wie eine unparteiische Stellungnahme erwartet werden kann, weder aus israelischer noch aus palästinensischer Sicht. Zu tief sind die Verletzungen und zu wenig verheilt die tiefen Wunden. Was gleichwohl Hoffnung schenkt, sind die pädagogischen Konsequenzen, die Alexander am Ende zieht: Die entscheidende Aufgabe sieht er darin, dass die wohl unvermeidlich und dauerhaft konträren israelischen und palästinensischen Narrative auch im Bildungshorizont wechselseitig zur Kenntnis genommen werden müssen und damit zugleich einer wechselseitigen Kritik ausgesetzt sind.

Wie Lernprozesse angesichts politischer Konflikte konkret ausgestaltet werden können, zeigen auf unterschiedliche Weise die Beiträge von Stefan Scholz/Kathrin Winkler, die sich von der Perspektive postkolonialer Bewusstseinsbildung leiten lassen, und von Sharon Hollombe/Yaacov B. Yablon/Shira Iluz, in deren Beitrag Möglichkeiten des Einsatzes von simulationsbasiertem Lernen beschrieben und erörtert werden. Diese Autor:innen stellen sich damit der Frage, wie pädagogische Arbeit im Horizont von politischen Konflikten heute aussehen kann und welche Methoden sich dafür besonders eignen, sowohl im Religionsunterricht als auch darüber hinaus. Diese beiden Beiträge weisen trotz ihrer unterschiedlichen Entstehungskontexte in Deutschland und in Israel durchaus Parallelen auf und können von daher auch gut vergleichend gelesen werden.

Eine ganz andere Herangehensweise bieten Christiane Caspary/Judith Neff mit ihrem Beitrag zur Montessori-Pädagogik. Ihnen geht es darum, die friedenspädagogische Dimension dieser Pädagogik neu zu würdigen – auch vor dem Hintergrund der aktuellen kritischen Anfragen an die politische Position Maria Montessoris und deren Nähe zu problematischen politischen Entwicklungen in den 1930er Jahren.

Gewiss bietet das Heft damit kein erschöpfendes Bild zu dem großen Thema von „Religion in politischen Konflikten als pädagogische Herausforderung“, aber in Zeiten der Krisen und des Krieges wäre auch jede Erwartung dieser Art unrealistisch. Vielmehr kommt es zunächst darauf an, sich nicht passiv als Zuschauer auf diese Situation zu beziehen, sondern auch im Bereich der Pädagogik und Religionspädagogik entschiedene Schritte hin zum Frieden zu tun, wo immer dies in einer so unübersichtlich gewordenen Welt möglich erscheint.

In der Rubrik Aus der Forschung bieten zwei Beiträge neue und anregende Erkenntnisse. Benjamin Ahme bezieht sich dabei auf Internationalisierungsprozesse in der Religionspädagogik. Aus der Analyse von Editorials der beiden Zeitschriften British Journal of Religious Education und Zeitschrift für Pädagogik und Theologie arbeitet er überraschende und interessante Parallelen, aber auch Unterschiede in den Internationalisierungsprozessen dieser Zeitschriften sowie entsprechend der Religionspädagogik in Deutschland und im United Kingdom heraus.

Annette Scheunpflug/Manfred L. Pirner/Stephan Kröner/Marcus Penthin/Alexander Christ berichten zusammenfassend über die Ergebnisse des von ihnen durchgeführten Forschungsprojekts zum (möglichen) Zusammenhang religiöser und berufsbezogener Überzeugungen von Lehrkräften. Dieser Beitrag ist nicht nur inhaltlich interessant, sondern auch deshalb bemerkenswert, weil hier ausführlich über das Ausbleiben erwarteter Effekte berichtet wird. Damit machen die Autor:innen deutlich, dass die empirische Forschung eben nicht immer die erwarteten Ergebnisse erbringt und dass ein Erkenntnisfortschritt auch darin bestehen kann, dass bestimmte Effekte sich als nicht nachweisbar erweisen.

Als besonderes Buch bespricht Matthias Stracke-Bartholmai das 2023 erschienene Themenheft der Berliner Theologischen Zeitschrift „Theologie und Kinder“, das durch seine exegetischen, historischen, pädagogischen und religionspädagogischen Zugänge unterschiedlicher konfessioneller Traditionen wichtige Beiträge zur Thematik versammelt und die aktuellen Debatten zu Fragen der religiösen Bildung im Kindesalter wesentlich bereichert.

Es versteht sich von selbst, dass am Ende dieses Editorials ursprünglich der Name David Käbisch stehen sollte. Unsere Trauer darüber, dass dem nun nicht mehr so ist, hat Henrik Simojoki bereits in Heft 3/2024 dieser Zeitschrift stellvertretend für das Herausgeber:innenkollegium zum Ausdruck gebracht.

Friedrich Schweitzer

Online erschienen: 2024-08-30
Erschienen im Druck: 2024-08-28

© 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Heruntergeladen am 31.12.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zpt-2024-2030/html
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