Startseite Laudatio anlässlich der Verleihung der Würde eines Doktors der Theologie honoris causa durch die Evangelisch-Theologische Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn an The Revd Canon Professor Mark D. Chapman am Freitag, den 5. November 2021, in der Aula der Universität
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Laudatio anlässlich der Verleihung der Würde eines Doktors der Theologie honoris causa durch die Evangelisch-Theologische Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn an The Revd Canon Professor Mark D. Chapman am Freitag, den 5. November 2021, in der Aula der Universität

  • Wolfram Kinzig
Veröffentlicht/Copyright: 22. März 2023

Dear Mark and Linda,

Ladies and Gentlemen,

It gives me immense pleasure to introduce you to the scholarly merits and academic and ecclesial achievements of our guest of honour which formed the basis for our decision to award Professor Mark Chapman the degree of Doctor theologiae honoris causa. To this end, I will first give a very brief summary in English for the benefit of our British guests and will then switch to German to explain our decision in further detail.

Mark Chapman is being awarded this honorary degree chiefly for three reasons:

  1. First and foremost, we wish to honour Mark’s most impressive and admirable scholarship: Mark Chapman has published fundamental studies which have, to a considerable degree, furthered our understanding of the history of Anglicanism and of Anglo-German relations between the churches and in theology in the nineteenth and twentieth centuries. In addition, he has presented us with a fresh interpretation of the present state of the Church of England and of the Anglican Communion which advances far beyond previous scholarship.

  2. The second reason for this award relates to Mark Chapman’s impressive ecumenical service. In particular, as British chairman of the Meissen Commission Mark has, for some time, been a central figure in ecumenical relations between the Church of England and the Evangelische Kirche in Deutschland and beyond.

  3. Finally, over the course of many years Mark Chapman has been the British motor and guarantor of fruitful and enduring relations between the Faculty of Theology and Religion at the University of Oxford and our faculty. Above all, he has organized the biennial Bonn-Oxford Seminar in which doctoral students of both our faculties meet and discuss the results of their respective research projects.

Mark’s outstanding contributions in all these fields have made our decision very easy and discussion about the candidate at the meeting of our Faculty Board very brief indeed.

Dear Mark and Linda, dear British guests, please allow me now to switch to German to explain these reasons in more detail.

Spektabilitäten, liebe Kolleginnen und Kollegen, Kommilitoninnen und Kommilitonen, hochgeschätzte Gäste aus nah und fern, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Es ist an dieser Stelle nicht möglich, die akademischen und kirchlichen Verdienste unseres Ehrendoktors in ihrer ganzen Vielfalt zu würdigen. Darum gehe ich etwas ausführlicher auf die bereits genannten drei Gründe ein, die uns im Fakultätsrat bei unserer Entscheidung geleitet haben.

1

In einer Universität bilden den ersten und wichtigsten Grund für die Verleihung der Ehrendoktorwürde die Verdienste des Geehrten um die Wissenschaft. Um sie zu erläutern, bedarf es eines kurzen Blicks auf seinen akademischen Werdegang: Mark Chapman ist von Hause aus eigentlich Theologiehistoriker. Er wurde 1989 mit einer Arbeit über „Ernst Troeltsch als philosophischer Theologe“ (so der Untertitel) in Oxford promoviert. Sein Doktorvater war interessanterweise ein Neutestamentler: Robert Morgan, ein großer Deutschlandfreund, den viele von uns aus seiner langjährigen Teilnahme an den Forschungsgruppen unser beider Fakultäten noch sehr gut in Erinnerung haben. Mark wurde also die Verbindung zu Deutschland gewissermaßen in die akademische Wiege gelegt. Er hat sie als DAAD-Stipendiat dann im Jahr 1986/87 in einem Aufenthalt in München weiterausgebaut, wo er bei Trutz Rendtorff und Friedrich Wilhelm Graf studiert hat. Nach Abschluss der Promotion ging er im Jahr 1989 mit einem Forschungsstipendium an die Universität Sheffield. Seit 1992 war er dann am Ripon College Cuddesdon nahe Oxford als Dozent für Kirchen- und Theologiegeschichte tätig und ist dort bis heute geblieben. 2015 wurde er schließlich zum Professor für Theologiegeschichte der Moderne an der Universität Oxford ernannt, wo er bereits seit geraumer Zeit zusätzlich zur Dozentur in Cuddesdon unterrichtet hatte.

Die Zeit in Sheffield führte am Ende zur Publikation einer Art Habilitationsschrift (die es in England natürlich nicht gibt). Sie erschien 2001 unter dem Titel The Coming Crisis. The Impact of Eschatology on Theology in Edwardian England. Hierin richtete Mark ein besonderes Augenmerk auf die theologischen Wechselwirkungen zwischen England und Deutschland: Er wies nämlich nach, dass das eschatologisch grundierte Krisenbewusstsein in der englischen Theologie nach dem 1. Weltkrieg nicht allein durch den Krieg selbst hervorgerufen wurde, sondern bereits vor 1914 vor allem durch die Neuerforschung des Lebens Jesu in Deutschland und deren Rezeption auf der anderen Seite des Kanals vorbereitet war. Ein Rezensent war von dem Buch so entzückt, dass er es mit dem Prädikat „fresh and durable“ auszeichnete (James A. De Jong, Church History 72 [2003]: 416). Noch weiter zurück ging Mark in einer 2014 veröffentlichten Monographie, in der er in hochorigineller Weise den Zusammenhang zwischen Urbanisierung und Universitätstheologie im 19. Jahrhundert am Beispiel von Berlin, Oxford und Chicago vergleichend untersuchte.

Marks Interesse nicht nur für theologiegeschichtliche, sondern auch für religionssoziologische und politische Fragen, das hier zum Vorschein kommt, ist gar nicht so überraschend, wenn man weiß, dass er seine akademischen Studien am Trinity College Oxford mit dem sehr Oxford-typischen Studiengang Philosophie, Politik und Ökonomie (PPE) begonnen hat und erst später zur Theologie gewechselt ist. Sein Faible für die Erforschung der Verquickung von Theologie-, Sozial- und Politikgeschichte an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wird an vielen Stellen in seinem Werk deutlich, am prägnantesten vielleicht in dem Buch Theology at War and Peace. English Theology and Germany in the First World War von 2016: Hier werden durch Auswertung von Korrespondenzen die Beziehungen zwischen englischen und deutschen Theologen in den Kriegsjahren in den Blick genommen, Beziehungen, die durch die politischen Ereignisse aufs äußerste beansprucht wurden und allzu oft zu Bruch gingen.

Marks Forschungsthemen wurden dann freilich auch durch seine Tätigkeit am Ripon College in Cuddesdon bestimmt, wo er mit seiner Frau Linda lebt. In Cuddesdon hat Mark Chapman selbst die Pfarramtsausbildung absolviert, und hier hat er dann seinerseits ganze Generationen von Pfarramtskandidaten und -kandidatinnen ausgebildet und geprägt, seit 2002 in der Funktion eines Vice-Principal und Academic Dean.

Freilich hat sich Marks kirchliche Tätigkeit hierauf nicht beschränkt. Lassen Sie mich wenigstens kursorisch einige weitere Ämter erwähnen, um Ihnen deutlich zu machen, welchen Einfluss Mark in seiner Kirche besitzt: Er ist Canon Theologian der Kathedrale zu Truro in Cornwall. Er ist von der Diözese Oxford entsandter Synodaler der Generalsynode der Kirche von England. Er ist in seiner Kirche Mitglied des ökumenischen „Rates für die Einheit des Christentums“ (Council for Christian Unity) und der Kommission „Living in Love and Faith“, die sich mit sexualethischen Fragen beschäftigt, und – nicht zuletzt – ist er Priester im Ehrenamt der Kirchengemeinde von Garsington, Cuddesdon und Horspath und predigt regelmäßig in drei wunderschönen mittelalterlichen Dorfkirchen.

Die Herausforderungen der Priesterausbildung in Cuddesdon und seine sonstigen kirchlichen Aktivitäten führten nun dazu, dass sich Marks wissenschaftliche Interessen allmählich erweiterten: Schon seit Mitte der 1990er Jahre ist bei ihm eine gestiegene Beschäftigung mit ekklesiologischen Fragen und ihren historischen Hintergründen zu beobachten: Wie ist die anglikanische Kirche entstanden? Welches ist die gegenwärtige Rolle der englischen Staatskirche? Was ist ihr Amtsverständnis? Gibt es eine anglikanische Theologie? Worin bestehen die Aufgaben und Herausforderungen des Anglikanismus in der Welt von heute? Wie könnte er sich in Zukunft weiterentwickeln? – all dies sind Themen, denen sich Mark in seinen zahlreichen Monographien, in von ihm herausgegebenen Sammelbänden und in ungezählten Aufsätzen gewidmet hat. Wer seine diesbezüglichen Überlegungen in besonders knapper Form und in untechnischer Sprache nachlesen will, dem empfehle ich nachdrücklich sein Büchlein Anglicanism. A Very Short Introduction, das 2006 herauskam, oder den etwas umfangreicheren Band Anglican Theology von 2012.

Dieses historisch vertiefte Verständnis der Gegenwartssituation in seinem Land hat Mark auch wiederholt dazu geführt, zu aktuellen politischen und ethischen Fragen Position zu beziehen. 2008 ist zum Beispiel ein Essay erschienen, der das Verhältnis zwischen Religion und Politik in Großbritannien zum Thema hatte und in dem er die Labour-Regierung unter dem damaligen Premierminister Gordon Brown für ihre unzureichende Sozialpolitik kritisierte. In einem 2018 von ihm mitherausgegebenen Sammelband ist er außerdem für die vollständige Legalisierung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in der Church of England eingetreten.

Zusammengenommen betreibt Mark Chapman somit eine Kirchengeschichte, die sich in ihrer methodologischen Durchführung nicht modisch anbiedert, sondern in einer sympathisch konservativen Art quellengesättigt ist, aber in ihrer Themenwahl und in der Ausarbeitung dieser Sujets hochinnovative Zügeträgt und – ganz in der Tradition angelsächsischer Historiographie stehend – auch sehr gut lesbar ist. Es ist sodann eine Kirchengeschichte, die ihre theologischen Voraussetzungen und Bezüge reflektiert: Mark hat immer wieder deutlich gemacht, dass Kirchengeschichte „Historische Theologie“ und als solche eben auch Theologie ist und dass Kirchengeschichte somit – wie jede Form von Geschichtsschreibung – gar nicht voraussetzungslos betrieben werden kann. Im Gegenteil: Kirchengeschichte ist immer auch auf die Situation der Kirche in der Gegenwart bezogen. Diese Gegenwartsbezogenheit des historisch arbeitenden Theologen und theologisch denkenden Historikers Chapman bringt mich auch zu meinem zweiten Punkt.

2

Unser Ehrendoktor ist ein ausgewiesener Fachmann für die ökumenischen Beziehungen seiner Kirche. Seine Mitgliedschaft im Rat für die Einheit des Christentums hatte ich bereits erwähnt. Außerdem ist er Stellvertretender Vorsitzender des internationalen ökumenischen Forschungsnetzwerkes „Ecclesiological Investigations“. Auch hier verschränken sich bei ihm also kirchliche und akademische Interessen. Die Bemühungen um Annäherung zwischen Anglikanern und Katholiken im 19. Jahrhundert hat er in einer 2014 erschienenen Monographie untersucht und damit einen wichtigen Beitrag zur Vorgeschichte der Ökumenischen Bewegung geleistet. In von ihm herausgegebenen Bänden geht es ferner um strittige Fragen in der weltweiten und reichlich zerklüfteten anglikanischen Kirchengemeinschaft und um die gegenwärtige Praxis und die Zukunft der Ökumenischen Bewegung insgesamt. An diesen Aktivitäten lässt sich übrigens auch Marks unerschütterlicher Optimismus im Hinblick auf die Zukunft der Kirche Jesu Christi ablesen. So hat er gelegentlich sehr eindrücklich formuliert: „Indeed, theology’s main role might be to keep alive a vision of hope in a world that seems to have given up dreaming“ (Theology and Society in Three Cities, 106).

In unserem Zusammenhang ist freilich am wichtigsten, dass Mark auch als der britische Ko-Vorsitzende der sogenannten Meißen-Kommission fungiert, deren Aufgabe die ökumenische Verständigung zwischen der Church of England und der EKD ist. Auf ihrer Tagung im September 2019 hat die Kommission angesichts des Brexit die Verpflichtung beider Kirchen festgestellt, „ihre Partnerschaft zu verstärken und zur sichtbaren Einheit zwischen der Church of England und der Evangelischen Kirche weiter voranzutreiben“, und sie hat die Freundschaft zwischen beiden Kirchen nach dem 2. Weltkrieg als Zeichen der „Kraft der Versöhnung“ gesehen, „die Christus unserer Welt schenkt“. Unsere feierliche Zusammenkunft heute darf auch als ein Hinweis darauf verstanden werden, dass der Brexit und andere politische Verwerfungen in der Welt der Freundschaft zwischen unseren beiden Fakultäten, Universitäten und Ländern keinen Abbruch tun kann, weil sie auf Einsichten und Werten aufbaut, die nicht kurzsichtigen nationalistischen Alleingängen entspringen und sich auch nicht in zwei Twitter-Zeilen mitteilen lassen.

3

In diesem Zusammenhang steht nun auch das letzte Verdienst, welches wir mit unserer Verleihung der Ehrendoktorwürde besonders auszeichnen möchten. Mark ist unser Oxforder Ansprechpartner bei der Organisation unserer Doktorandenseminare. Diese Seminare, die in den Jahrzehnten seit Etablierung der Partnerschaft im Jahr 1977 den unerschütterlichen Kern unserer Beziehungen ausgemacht haben, tragen ein ganz besonderes Format: Jeweils zwölf Doktorandinnen und Doktoranden samt einigen Postdocs und Lehrenden beider Seiten treffen sich alle zwei Jahre abwechselnd in Bonn und Oxford im September für vier Tage. Drei Tage sind angefüllt mit Vorträgen der jungen Forscherinnen und Forscher, auf die jeweils ein Partner oder eine Partnerin der Gegenseite respondiert. Finden die Treffen in Oxford statt, so fährt Mark am vierten Tag mit einem Kleinbus vor, packt alle deutschen Gäste ein und verfrachtet sie an einen spektakulären Ort in der Umgebung von Oxford: zur Kathedrale nach Coventry, zu Shakespeare nach Stratford oder in die mittelalterliche Bibliothek der Kathedrale von Worcester – Erlebnisse, von denen die Bonner hinterher noch lange erzählen. Diese Partnerschaft hat Mark schon vor geraumer Zeit von unserem anderen Oxforder Ehrendoktor John Barton übernommen und betreut sie seither von englischer Seite in der für ihn typischen Zuverlässigkeit und Freundlichkeit. Universitätspartnerschaften funktionieren nicht durch Verträge, sondern sie werden getragen durch akademische und private Freundschaften. Mark Chapman ist ganz ohne Zweifel ein enger Freund der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Bonn und hat ihr über viele Jahre unerschütterlich die Treue gehalten.

Ich komme zum Schluss:

Mark Chapman ist, um es noch einmal kurz zu sagen, einer der bedeutendsten lebenden Gelehrten, die sich mit der Kirchen- und Theologiegeschichte der Moderne befassen. Er ist außerdem ein führender Ökumeniker, dem das Verbindende und Versöhnende zwischen den christlichen Konfessionen wichtiger ist als Trennung und Spaltung. Mark ist schließlich ein hochgeschätzter Freund unserer Fakultät und Universität und der Stadt Bonn. Er ist zu ungezählten Besuchen hier gewesen, allein und mit Studierenden; er hat hier geforscht und Vorträge gehalten; und er hat mit uns Bonnern gelacht und gefeiert.

Mark Chapman schließt sein Büchlein über Anglikanismus mit den folgenden Sätzen, die ich sehr bezeichnend für ihn finde: „Diversity and comprehensiveness might be at the heart of an Anglicanism that understands itself more as a way of muddling through to the truth than a set of definitive judgments. The desire to listen and to enter into conversation requires voluntary restraint and self-denial among the different factions. The problem is that in a world which seeks clear decisions and absolute certainties such Christian humility might not any longer be considered a virtue“ (143 f.).

Mark Chapman hat durch seine präzise und innovative akademische Arbeit und sein gut begründetes und niemals „absolutes“ historisches und theologisches Urteil erheblich dazu beigetragen, dass das „muddling through“, das „Durchwursteln“ in universitärer Theologie und Kirche (das kein Merkmal allein des Anglikanismus ist) bisher nicht in völliger Kakophonie geendet, sondern uns der Wahrheit vielleicht doch ein kleines Stückchen nähergebracht hat. Und wer ihn ein bisschen besser kennt, weiß, dass er dies mit eben jener Zurückhaltung, Selbstzucht und christlichen Demut tut, die nicht nur Anglikanerinnen und Anglikanern, sondern allen Christen gut anstehen.

All dies ist für unsere Fakultät der Grund, Mark Chapman heute die Würde eines Doctor theologiae honoris causa zu verleihen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Wolfram Kinzig

Published Online: 2023-03-22
Published in Print: 2022-10-26

© 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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