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(Fehlende) Anwesenheit bei Begutachtungsprozessen: Zum Wandel der sozialen Interaktionen im virtuellen Format

  • Laura Paruschke

    Laura Paruschke, geb. 1994 in Gehrden. Studium der Soziologie in Göttingen und Hannover. Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover. Forschungsschwerpunkte: Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Digitalisierung und Mediatisierung. Wichtigste Publikationen: Hidden in the light: Scientists’ online presence on institutional websites and professional networking sites. In: Journal of Information Science (2022, mit Axel Philipps). Inside regular lab meetings: The social construction of a research team and ideas in optical physics. In: Social Studies of Science (2023, mit Axel Philipps).

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    , Eva Barlösius

    Eva Barlösius, geb. 1959 in Hannover. Professorin für Makrosoziologie und Sozialstrukturanalyse der Leibniz Universität Hannover, Gründerin des Leibniz Center for Science and Society, Sprecherin des Forums Wissenschaftsreflexion ebendort. Forschungsschwerpunkte: Ungleichheitssoziologie, Wissenschaftsforschung. Wichtigste Publikationen: Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung. 3. Auflage. Weinheim 2016. Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste. Ein Beitrag zur Gesellschaftsdiagnose. Frankfurt am Main 2019.

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    and Axel Philipps

    Axel Philipps (PD Dr.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie und Fellow am LCSS der Leibniz Universität Hannover. Sein Forschungsinteresse gilt schwerpunktmäßig der Wissenschaftssoziologie, der Bildwissenschaft und den Methoden der empirischen Sozialforschung. Jüngst veröffentlichte er zusammen mit Laura Paruschke: Inside regular lab meetings. The social construction of a research team and ideas in optical physics. In: Social Studies of Science (doi: 10.1177/03063127231188132).

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Published/Copyright: October 31, 2023
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Zusammenfassung

Sozial ausgehandelte Interaktionsordnungen bestimmen wesentlich den Ablauf sozialer Situationen. Bei Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen existieren unterschiedliche soziale Situationen, welche in ihrer Gesamtheit dazu beitragen, formal korrekte und vertretbare Entscheidungen zu produzieren. Doch wie gestalten sich die Interaktionen, wenn Begutachtungsverfahren in die Virtualität überführt werden? Welche Folgen ergeben sich für den Begutachtungsprozess? Anhand von qualitativen Leitfadeninterviews wird die Bedeutung der sozialen Situationen und der ihnen inhärenten Interaktionsordnungen für die Beteiligten von Begutachtungen im präsenten sowie im virtuellen Format anhand zweier Förderprogramme der Deutschen Forschungsgemeinschaft untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass virtuelle Sitzungen die Interaktionsmöglichkeiten unter allen Beteiligten einschränken. Problematisch ist im Besonderen, dass Situationen mit einer situativ geregelten Interaktionsordnung fehlen, denn laut der Beteiligten sind sie essentiell dafür, dass Begutachtungsprozesse reibungslos und so ablaufen, dass alle relevanten Aspekte einbezogen werden können.

Abstract

Socially negotiated orders of interaction essentially determine the flow of social situations. In reviews with on-site audits, different social situations exist, which in sum contribute to the production of formally correct and justifiable decisions. But how are the interactions shaped when review procedures are transferred to virtuality? What are the consequences for the review process? Using qualitative interviews, the significance of social situations and their inherent orders of interaction for those involved in peer review in both the present and virtual formats is investigated based on two funding programs of the German Research Foundation (DFG). The results show that virtual meetings limit the possibilities for interaction among all participants. In particular, it is problematic that situations with a situationally regulated interaction order are missing, because according to the participants, they are essential for review processes to run smoothly and in such a way that all relevant aspects can be included.

1 Einleitung

Die Corona-Pandemie ab dem Jahr 2020 machte durch weitreichende Hygiene- und Abstandsmaßnahmen ein Zusammenkommen in Präsenz vielfach unmöglich. Dies führte insbesondere bei Begutachtungen mit ursprünglich vorgesehenen Vor-Ort-Begehungen zu deutlichen Veränderungen, zum Beispiel bei Einrichtungs- und Fortsetzungsbegutachtungen von Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Während bei vielen Begutachtungsverfahren ausschließlich schriftliche Stellungnahmen eingeholt werden oder nur die Gutachtenden zusammenkommen, findet bei diesen beiden Förderprogrammen eine Begehung am Standort der antragstellenden Universität statt. Ihre Besonderheit besteht darin, dass Gutachtende und Antragstellende in einen persönlichen, wissenschaftlichen Austausch miteinander treten und dieser wesentlich in die Begutachtung einfließt.

Die Umstellung der Begutachtungsverfahren auf ein virtuelles Format hatte Vorteile. So fielen beispielsweise Reisewege und -kosten weg und die ökologischen, zeitlichen und finanziellen Belastungen sanken (Gallo et al. 2013; Vo & Trocki 2015; Pier et al. 2017b; Derrick & Bayley 2022). Die Veränderung erhöhte ebenfalls die zeitliche Flexibilität sowohl für die Gutachtenden als auch für die Forschungsförderungsorganisationen und die Antragstellenden. Allerdings beziehen sich diese Änderungen nicht direkt darauf, worum es in den Begutachtungen geht: eine dem Forschungsantrag angemessene wissenschaftliche Bewertung durchzuführen. Es handelt sich ausschließlich um außerwissenschaftliche Aspekte, die nicht unmittelbar etwas mit dem Begutachtungsprozess zu tun haben. Dies wirft die Frage auf: Wie verändern sich Begutachtungsprozesse, wenn Vor-Ort-Begehungen wegfallen, weil sie in ein virtuelles Format überführt werden? Frühere Untersuchungen (Gläser & Laudel 2005; Derrick & Bayley 2022; Peterson & Husu 2023) legen nahe, dass diese Veränderung sich nicht nur auf die erlebte räumliche Distanz zwischen den Gutachtenden und Antragstellenden auswirkt. Sie wird vor allem Folgen für die sozialen Situationen und Interaktionen während des gesamten Begutachtungsprozesses haben, insbesondere für situative Interaktionen, die für eine konsensuale Gesamtbewertung wichtig sind. Bisher wissen wir nur wenig über die Virtualisierung von Begutachtungsverfahren mit Vor-Ort-Begehungen. Die bisherigen Forschungen konzentrierten sich in erster Linie auf Bewertungsergebnisse oder die Analyse einzelner Sitzungen. Wir betrachten dagegen den Begutachtungsprozess über den gesamten Verfahrensablauf. Zu diesem Zweck fragen wir: Wie verändern sich die sozialen Situationen und Interaktionen a) zwischen den Gutachtenden und Antragstellenden und b) zwischen den Gutachtenden untereinander?

Dazu haben wir mit Hilfe von qualitativen Interviews Gutachtende sowie Referent:innen befragt, die Begutachtungsprozesse planen, begleiten, durchführen und Erfahrungen mit der Umstellung von Präsenz auf Online haben. Das Hauptaugenmerk unserer Analyse gilt den Fragen: Wie haben diese beiden Gruppen die Umstellung erfahren? Was stellen sie heraus? Was zeichnet die sozialen Situationen und sozialen Interaktionen im Begutachtungsprozess aus, und was ändert sich im virtuellen Format?

Der Beitrag gibt zunächst einen Überblick über die Forschung zu (virtuellen) Begutachtungsverfahren und zu der Umstellung von Präsenz auf Virtualität. Für die Analyse greifen wir auf Erving Goffmans (1964, 1983) Vorarbeiten über die soziale Situation sowie Karin Knorr Cetinas (2009) Untersuchungen über die synthetische Situation innerhalb der Virtualität zurück. Anhand von Interviewaussagen von Referent:innen der DFG sowie Gutachtenden legen wir die thematisierten Veränderungen bei der Umstellung von Präsenz auf virtuelle Begutachtungen allgemein und speziell zu den veränderten sozialen Situationen im Begutachtungsprozess in den unterschiedlichen Formaten dar. Die Ergebnisse werden schließlich diskutiert und im Fazit weisen wir Anknüpfungspunkte für die weitere Forschung aus.

2 Forschung zu Begutachtungsprozessen in unterschiedlichen Formaten

Mit Blick auf die bisherige Forschung zu virtuell geprägter Zusammenarbeit in Arbeitsgruppen (vor allem in Unternehmen) zeigt sich, dass die Nutzung von Technologien nachhaltig verändert, wie Menschen interagieren, wie sie Probleme lösen und zu Entscheidungen kommen (Kiesler & Cummings 2002; Driskell et al. 2003; Hinds & Mortensen 2005; Wilson et al. 2013). Generell wird die Verwendung technologischer Kommunikationsformen mit negativen Auswirkungen auf den Zusammenhalt in Teams, die Ausbildung zwischenmenschlicher Sympathie und das Aufgabenmanagement in Verbindung gebracht. Zudem führe die Arbeit in virtuellen Teams dazu, dass einzelne Teilnehmer:innen weniger motiviert seien, mit vollem Einsatz mitzuarbeiten. Dies gelte insbesondere für Teams, deren Mitglieder sich persönlich nicht oder nur flüchtig kennen (Driskell et al. 2003). Die Studie von Kiesler und Cummings (2002) weist zudem darauf hin, dass virtuelle Teams kategorisch anders funktionieren als Teams in körperlicher Präsenz, weil räumliche Nähe vorteilhaft für die Gruppeninteraktionen und die sozialen Beziehungen zwischen den Mitgliedern sei. Diese empirischen Ergebnisse haben Roth und Laut (2023) zusammengeführt und leiten daraus ab, dass sich durch die Virtualisierung von Kommunikationsprozessen in Organisationen die unterschiedlichen Formen der Kommunikation unter den Mitarbeitenden verändern. Insbesondere würde die notwendige Koordination von Gesprächsabläufen in Videokonferenzen dazu führen, dass formelle und sachliche Kommunikationsformen legitimiert, während informelle und persönliche Gespräche hingegen marginalisiert würden. Zudem würden virtuelle Formate emotional-gruppendynamische Prozesse und Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Mitarbeitenden einschränken, wie das gegenseitige Wahrnehmen durch Blickkontakte.

Der obige Forschungsstrang bezieht sich vornehmlich auf die Teamarbeit in Unternehmen. Ob ähnliche Folgen auch für wissenschaftliche Begutachtungsprozesse zu beobachten sind, ist dagegen eine offene Frage. Einiges spricht jedoch dafür, dass sich für Gutachtende vergleichbare Veränderungen ergeben, weil sie ebenfalls gemeinsam zu agieren haben, um Forschungsanträge zu bewerten und um zu Entscheidungen zu gelangen. Über diese Veränderungen liegen bislang nur wenige Studien vor. Insgesamt sind Begutachtungen in der Wissenschaft breit beforscht, wobei eine große Zahl an Studien die mangelnde Effizienz und Zuverlässigkeit (u. a. Cole et al. 1981; Wessely 1998; Langfeldt 2001; Pier et al. 2015) der Bewertungen durch Begutachtungsgremien in unterschiedlichen Formaten analysiert oder Verzerrungen bei den Begutachtungsergebnissen offenlegt (u. a. Langfeldt 2001; Olbrecht & Klein 2011; Klein et al. 2012; Pier et al. 2015; Pier et al. 2017a). In einer Reihe dieser Untersuchungen wird bemängelt, dass viele Begutachtungsverfahren nur eine geringe Zuverlässigkeit aufweisen würden, da die Gutachtenden in der Regel unterschiedliche Auffassungen über die Qualität eines jeweiligen Förderantrags hätten und die institutionellen Richtlinien und vorgegebenen Prüf- und Bewertungskriterien häufig von den Gutachtenden unterschiedlich ausgelegt werden (Langfeldt 2001; Pier et al. 2015). Mit Fokus auf den Prozess der Begutachtung zeigen bereits frühe Studien wie in Cole et al. (1981), dass die Aushandlung von sowohl Konsens als auch Dissens innerhalb der Gruppe der Gutachtenden ausschlaggebend dafür ist, wie Forschungsanträge bewertet werden.

Die Bewertung eines Forschungsantrags hängt somit davon ab, wie der Diskussionsprozess unter den Gutachtenden verläuft und welche sozialen Situationen und Interaktionsmöglichkeiten dafür überhaupt zur Verfügung stehen. Jüngste Untersuchungen von Pier et al. (2015, 2017a) belegen, dass eine gemeinsame Diskussion innerhalb des Kreises der Gutachtenden dazu führt, dass die Urteile der einzelnen Gutachtenden am Ende der Sitzung häufiger miteinander übereinstimmen. Als Erklärung beziehen sich die Autor:innen dabei auf bekannte Gruppenphänomene, beispielsweise das Streben nach einem Gruppenkonsens, die begünstigen, dass Gutachtende ihre Bewertungen einander angleichen. Auch andere Studien belegen, dass Gutachtende kontroverse und widersprüchliche Meinungen diskutieren und verhandeln, bis sie zu einer gemeinsam getragenen Entscheidung gelangen (Lamont 2009; Derrick 2018; Roumbanis 2021) – das gilt auch für Begutachtungen von DFG-Sonderforschungsbereichen (Olbrecht & Klein 2011; Klein et al. 2012).

Für Begutachtungen in Präsenz wurden bereits vor Corona alternative Formen der Zusammenkunft untersucht (u. a. Gläser & Laudel 2005; Carpenter et al. 2015; Pier et al. 2017b; Gallo et al. 2019; Pina et al. 2021). Beispielsweise haben Gallo et al. (2013) gefragt, zu welchen Ergebnissen Gutachtende bei Zusammenkünften mit physischer Anwesenheit im Vergleich zu telefonbasierten oder virtuellen Beratungen gelangen. Sie fanden Unterschiede hinsichtlich der Dauer von Diskussionen innerhalb des Kreises der Gutachtenden (Gallo et al. 2013; Carpenter et al. 2015; Gallo et al. 2019). Offenbar sind telefonisch bzw. virtuell durchgeführte Sitzungen kürzer, auf die Begutachtungsergebnisse scheint sich das verwendete Begutachtungsformat jedoch nicht auszuwirken (Gallo et al. 2019; Pier et al. 2017b; Pina et al. 2021). Andere Studien legen dagegen andere Differenzen nahe. Pier et al. (2015: 16) nennen beispielsweise als Vorzüge von Präsenzsitzungen, dass sich ein Gefühl der Gemeinschaft einstelle und sich Gelegenheiten bieten würden, neue Kontakte zu knüpfen. Auch während der Begutachtung selbst hätten die Gutachtenden den Eindruck, dass sie leichter das Wort ergreifen und sich Gehör verschaffen könnten, zudem sei die Mimik der anderen Teilnehmer:innen erkennbar, wodurch die Diskussionen untereinander erleichtert würden. Dies spricht dafür, dass es für den Austausch wichtig ist, dass dieser auf verschiedenste Weise stattfinden kann.

Studien über virtuelle Begutachtungssitzungen verweisen darauf, dass diese Formate effizient seien und geringere Kosten verursachten, zugleich wären Gutachtende jedoch weniger aufmerksam. Die Anträge würden weniger gründlich geprüft, und es stelle sich eine allgemeine Müdigkeit bei der Teilnahme an Videokonferenzen ein („Zoom-fatigue“) (Vo & Trocki 2015; Burow 2022: 56; Derrick & Bayley 2022: 95). Darüber hinaus würden virtuelle Formate dazu führen, dass zum einen Diskurse nur oberflächlich geführt und Meinungsverschiedenheiten nicht vollständig ausdiskutiert würden, zum anderen tendierten die teilnehmenden Gutachtenden dazu, abwechselnd Monologe zu halten, statt sich miteinander auszutauschen (Gläser & Laudel 2005: 196; Derrick & Bayley 2022: 95 f.; Peterson & Husu 2023: 377). Zusätzlich fielen nonverbale Zeichen weg, was es den Gruppenmitgliedern erschweren würde, einzuschätzen, wie ihre Handlungen und Meinungsäußerungen von anderen aufgenommen werden. Weiterhin beeinträchtige der fehlende direkte Blickkontakt Sprecherwechsel, sodass Pausen und Verzögerungen im Gesprächsfluss entstehen oder Teilnehmende nicht zu Wort kommen (Burow 2022: 67; Derrick & Bayley 2022: 95 f.). Offenbar werden die Interaktionsmöglichkeiten bei virtuellen Formaten stark eingeschränkt.

Für Gruppen, die schon über einen längeren Zeitraum in derselben Konstellation zusammenarbeiten, wurde beobachtet, dass diese Schwierigkeiten nicht in gleichem Ausmaß auftraten, insbesondere wenn die Zusammenarbeit zuvor in Präsenz stattfand. Erklärt wird dies damit, dass diese Gruppen bereits miteinander vertraut wären und gemeinsame Regeln entwickelt hätten, weshalb es ihnen leichter falle, miteinander zu diskutieren und die Äußerungen der anderen intuitiv zu verstehen (Burow 2022: 73; Derrick & Bayley 2022: 96). Weitere Studien bemängeln ebenfalls die in virtuellen Begutachtungsformaten verminderten Interaktionen zwischen den Gutachtenden (Carpenter et al. 2015; Vo & Trocki 2015). Insbesondere falle für die Teilnehmer:innen die Möglichkeit weg, sich während der Pausen oder der Mahlzeiten mit anderen Gutachtenden informell auszutauschen, sich persönlich kennenzulernen und Vertrauen zueinander aufzubauen (Carpenter et al. 2015; Burow 2022: 69; Peterson & Husu 2023: 377 f.).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die bisherige Forschung zu Begutachtungsverfahren auf die Bewertungsergebnisse bei unterschiedlichen Formaten konzentriert (Cole et al. 1981; Wessely 1998; Langfeldt 2001; Gallo et al. 2013; Pier et al. 2015; Vo & Trocki 2015; Pier et al. 2017a; Pier et al. 2017b; Pina et al. 2021). Nur wenige Studien untersuchen die sozialen Interaktionen zwischen den Gutachtenden während der Zusammentreffen, wobei sie sich im Allgemeinen nur auf die Analyse einzelner Sitzungen beschränken (Lamont 2009; Olbrecht & Klein 2011; Klein et al. 2012; Derrick 2018; Roumbanis 2021). Kaum betrachtet wird in der Forschung der Begutachtungsprozess über den gesamten Ablauf hinweg. Gar nicht untersucht wurde bislang, welche Auswirkungen die Umstellung von Präsenz in ein virtuelles Format auf soziale Situationen während der Begutachtung hat, bei denen ein intensiver Austausch mit den Antragstellenden stattfindet. Unser Beitrag zielt deshalb darauf, den gesamten Begutachtungsprozess bei physischer Anwesenheit und bei virtuellen Zusammenkünften genauer in den Blick zu nehmen: Wie interagieren Gutachtende miteinander, wie stimmen sie sich untereinander ab, und wie tauschen sie sich mit den Antragstellenden aus?

3 Transformation von sozialen in synthetische Situationen

Begutachtungsverfahren, wie sie in diesem Beitrag untersucht werden, stellen soziale Situationen dar, in denen Referent:innen, Gutachtende sowie Antragstellende zusammenkommen, sich austauschen und miteinander interagieren. Schon früh hat Goffman (1964, 1983) soziale Situation als Grundbegriff für mikrosoziologische Analysen von Interaktionen und Kommunikation etabliert. Er beschreibt die soziale Situation als „an environment of mutual monitoring possibilities, anywhere within which an individual will find himself accessible to the naked senses of all others who are ,presentʻ, and similarly find them accessible to him“ (Goffman 1964: 135). Die soziale Situation konstituiert sich nach Goffman folglich aus der physischen Gegenwart von mindestens zwei handelnden Individuen an einem Ort. Räumliche Anwesenheit stellt damit eine Grundvoraussetzung für soziale Situationen dar, die Goffman als „body-to-body-starting-point“ bezeichnet (1983: 2). Die Interaktionen in sozialen Situationen sind begleitet von Gestik und Mimik, von der gesprochenen Lautstärke und bestimmt durch die räumliche Entfernung der Teilnehmenden voneinander. In sozialen Situationen bilden sich sozial ausgehandelte Interaktionsordnungen heraus, die zu einem großen Teil deren weiteren Ablauf regeln (Goffman 1964: 133).

Mit Goffman kann man Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen von DFG-Sonderforschungsbereichen und DFG-Graduiertenkollegs als soziale Situationen mit physischer Anwesenheit begreifen, die durch den formalen Programmablauf in unterschiedlich sozial geprägte Situationen untergliedert sind. Der Großteil dieser sozialen Situationen ist wesentlich durch die formale Interaktionsordnung der DFG bestimmt, dazu gehören beispielsweise die Vorabbesprechung zu Beginn der Begutachtung unter den Referent:innen der DFG und den Gutachtenden. Die internen Bewertungssitzungen sind ein weiterer Teil dieser sozialen Situationen, in denen die Gutachtenden in einen durch die Referent:innen moderierten Diskurs treten, der durch das Ziel strukturiert ist, die Entscheidungsvorlage für die endgültige Bewertung vorzubereiten. Weniger durch eine formale Interaktionsordnung vorbestimmte soziale Situationen finden statt, wenn die Gruppe der Antragstellenden das Forschungsvorhaben des Sonderforschungsbereichs oder Graduiertenkollegs der Gruppe der Gutachtenden und Referent:innen präsentiert und diese anschließend gemeinsam diskutiert werden. Zu den weniger formalisierten Situationen gehört auch die Vorstellung der Teilprojekte. Bei dieser interagieren einzelne Antragsteller:innen direkt mit einzelnen Gutachtenden. Schließlich gibt es soziale Situationen, die kaum durch eine formale Interaktionsordnung geprägt sind (außer etwa durch zeitliche Begrenzungen); sie ergeben sich weitgehend rein situativ aus freien und unmittelbaren Interaktionen und Kommunikationen der Gutachtenden miteinander, wie Pausen oder gemeinsame Mahlzeiten.

Das von Goffman erarbeitete Konzept ist auf zahlreiche Situationen unter physisch Anwesenden anwendbar, jedoch blind für den Umstand, dass durch die Ausweitung der technischen Medien Interaktionen zwischen Individuen ohne physische Anwesenheit möglich geworden sind. Virtuelle Formate, wie beispielsweise Videokonferenzen, schaffen eigene, neue und komplexe soziale Situationen, die spezieller Konzepte zu ihrer Analyse bedürfen. Mit ihren Konzepten der „skopischen Medien“ und der „synthetischen Situation“ bietet Karin Knorr Cetina einen geeigneten Analyserahmen und ergänzt Goffmans Konzeption der sozialen Situation kongenial (Knorr Cetina 2009, 2012; Knorr Cetina et al. 2017). Knorr Cetina wendet sich der Tatsache zu, dass ein großer Teil des alltäglichen Lebens mittlerweile virtuell bzw. elektronisch gehandhabt werden kann und damit die Notwendigkeit physischer Anwesenheit geringer wird.

Am Beispiel des Finanzmarktes bzw. Devisenhandels, der vollständig elektronisch abläuft, erläutert Knorr Cetina den Begriff der „skopischen Medien“. Kennzeichnend für skopische Medien ist, dass es sich um „Beobachtungs- und Bildschirmtechnologien [handelt], die distante bzw. unsichtbare Phänomene situational präsent machen und [auf diese Weise] neue Beobachtungsräume sowie Informationswelten erschließen“ (Knorr Cetina 2012: 168). Mit den skopischen Medien entsteht folglich ein neuartiger Situationstyp, der sich deutlich von der zuvor von Goffman beschriebenen sozialen Situation unterscheidet. Während Goffman die physische Ko-Präsenz und die Face-to-Face-Interaktion als Bedingung für eine soziale Situation betrachtet, löst Knorr Cetina diese Annahmen zugunsten einer „synthetischen Situation“ auf. Eine synthetische Situation definiert sie als „an environment augmented (and temporalized) by fully or partially scoped components – in which we find ourselves in one another’s and the scopic components’ response presence, without needing to be in one another’s physical presence“ (Knorr Cetina 2009: 69). Es braucht mithin nicht mehr essentiell einen „body-to-body-starting-point“ (Goffman 1983: 2) zur Herstellung sozialer Situationen, denn durch skopische Medien werden Face-to-Face-Interaktionen in Face-to-Screen-Interaktionen transformiert, die synthetisierte soziale Situationen entstehen lassen (Knorr Cetina 2009: 69, Knorr Cetina 2012: 168; Knorr Cetina et al. 2017: 39 f.). Die synthetischen Situationen lassen sich unterschiedlichen Typen zuordnen, je nachdem, inwieweit die skopischen Medien die Situation bestimmen. Sie reichen von vollständig elektronisch durchgeführten Situationen, wie dem Finanzmarkt bzw. Devisenhandel, der auf sogenannten vollständigen „Face-to-Screen“-Anordnungen beruht und in denen die Aufmerksamkeit durchgängig den Bildschirmen gewidmet ist, bis hin zu Videokonferenzen, die eine künstliche Face-to-Face-Situation nachstellen (Knorr Cetina 2009: 66 ff.). Bei Letzteren, die für uns von besonderem Interesse sind, betont Knorr Cetina bereits die Problematik der fehlenden Synchronität, was Sprecherwechsel erschwert, Verständnisprobleme begünstigt und mehr Überwachung erfordert (Knorr Cetina 2009: 69; Knorr Cetina et al. 2017: 52 f.).

Die Begutachtungen von Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs wurden aufgrund der Corona-Pandemie in die Virtualität von Videokonferenzen übergeleitet. Damit wurden die sozialen Situationen der Begutachtung mit physischer Anwesenheit in synthetische Situationen ohne physische Präsenz überführt. Gegenüber der gesamten Interaktionsbandbreite, die in Face-to-Face-Situationen zur Verfügung steht, schrumpften die Teilnehmenden häufig auf Passbildgröße zusammen, Gestik und Mimik waren kaum zu erkennen, und der Ablauf des Austausches musste neu geregelt werden, was oftmals in einer stärker normierten Interaktionsordnung resultierte. Dies hatte insbesondere Folgen für die weniger durch eine formale Interaktionsordnung bestimmten sozialen Situationen, wie die Gespräche mit den Vertreter:innen der Teilprojekte und gemeinsam verbrachte Pausen oder Mahlzeiten. Es gilt daher zu untersuchen, wie sich die Umstellung der unterschiedlichen sozialen in synthetische Situationen gestaltet.

4 Daten und Methoden

Die vorliegende Untersuchung erfolgte im Rahmen des BMBF-finanzierten Forschungsprojekts „Virtuelle Meetings in Begutachtungsprozessen (VIRTUAL PANELS)“.[1] Das Projekt hatte zum Ziel, die Auswirkungen der Umstellung von Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen auf virtuelle Formate während der Corona-Pandemie zu analysieren. Eine Autorin hat dazu im Zeitraum von April bis Dezember 2021 leitfadengestützte Interviews (Helfferich 2014) mit verschiedenen Beteiligten an solchen Begutachtungen zu ihren Erfahrungen und Sichtweisen geführt. Für diesen Beitrag beschränken wir uns auf die Interviews mit denjenigen Personen, die an Gruppenbegutachtungen von Sonderforschungsbereichen oder Graduiertenkollegs der DFG mitgewirkt und dabei Erfahrungen im Präsenz- wie auch im virtuellen Format gesammelt haben. Dazu gehören fünf Referent:innen ebendieser Forschungsförderungsorganisation sowie zehn Gutachtende aus unterschiedlichen Fachdisziplinen der Natur- und Technikwissenschaften, Medizin und Sozialwissenschaften. Dabei lag der Fokus auf den übergreifenden Erfahrungen mit der Umstellung von Präsenz in virtuelle Begutachtung.

Bei den untersuchten Förderprogrammen handelt es sich um mehrjährige Verbundprojekte, die nach einem festgelegten Intervall neu begutachtet werden. Das Besondere an diesen Programmen ist, dass nach einer schriftlichen Antragsphase eine ein- bis zweitägige Begehung in Präsenz am Standort der antragstellenden Universität stattfindet. Dazu werden wissenschaftliche Peers als Gutachtende eingeladen, die einerseits mit den Antragstellenden und deren Arbeitsgruppen, andererseits im kleineren Kreis der Gutachtenden in den direkten wissenschaftlichen Austausch treten und eine Begutachtung der Forschungsanträge vornehmen. Durch den Wechsel in die Virtualität wurde die Begutachtung in zeitlich gekürzte Videokonferenzen überführt, die an einem ganzen oder an zwei halben Tagen durchgeführt wurden.

Die Interviewleitfäden für beide Interviewgruppen beinhalteten Fragen sowohl zu Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen als auch zu virtuellen Begutachtungssitzungen. Die Befragten wurden zunächst gebeten, möglichst anschaulich die letzte Zusammenkunft in Präsenz zu schildern, an der sie teilgenommen hatten. Anschließend wurden sie aufgefordert, eine virtuelle Sitzung, der sie beigewohnt hatten, ausführlich wiederzugeben. Sie wurden ebenfalls gefragt, wie sich jeweils die Gutachtenden als Gruppe zusammenfanden, sie zu ihren Entscheidungen gelangten und welche Schwierigkeiten dabei auftraten. Darüber hinaus wurden die Veränderungen bei virtuellen Sitzungen seit Pandemiebeginn sowie die mögliche zukünftige Gestaltung von Begutachtungssitzungen thematisiert. Die Interviews mit den Referent:innen fokussierten die Organisation der Begutachtung, wie die Sitzungen in Präsenz und virtuell geplant wurden und wie sie selbst als Referent:innen zu der Entscheidungsfindung der Gutachtenden beitrugen. Der Fokus der Befragung der Gutachtenden lag insbesondere auf der individuellen Vorbereitung, ihrer Mitwirkung und den Möglichkeiten zum Austausch mit den Beteiligten der Begutachtungssitzungen.

Zur Analyse der Interviews beziehen wir uns auf das Konzept der sozialen Situationen im Sinne Goffmans (1964, 1983), die durch sozial ausgehandelte Interaktionsordnungen geregelt werden. Dazu nehmen wir folgende Unterscheidung im Begutachtungsprozess vor: Zum einem gibt es soziale Situationen, die durch eine formale Interaktionsordnung geregelt werden und durch vorgegebene inhaltlich abzuarbeitende Punkte sowie eine moderierte Redeabfolge gekennzeichnet sind. Zum anderen kommen bei Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen soziale Situationen vor, die durch eine weniger formale Interaktionsordnung bestimmt sind, bei denen es zwar Vorgaben zum Ablauf gibt, die aber auch vermehrte Gelegenheiten für ungeplante Interaktionen bieten. Zuletzt existieren soziale Situationen im Begutachtungsprozess, die durch situativ geregelte Interaktionsordnungen geprägt und davon gekennzeichnet sind, dass Interaktionspartner:innen und Gesprächsthemen frei gewählt werden können. Mithilfe von Knorr Cetinas (2009, 2012; Knorr Cetina et al. 2017) Konzept der synthetischen Situation betrachten wir schließlich die Veränderungen im Begutachtungsprozess, die sich durch den Wechsel von sozialen Situationen mit physischer Anwesenheit in synthetische Situationen ohne physische Anwesenheit vollzogen haben.

Die Interviews wurden hierfür vollständig transkribiert und gemeinsam in mehreren Interpretationssitzungen ausgewertet. Dazu wurde jeweils die thematische Struktur der Interviews identifiziert und für jedes Interview eine Einzelfallbeschreibung angefertigt (Gläser & Laudel 2010). Diese fasste die inhaltlichen Aussagen zu den angesprochenen Themen zusammen und hielt Besonderheiten fest. Über minimale und maximale Fallvergleiche wurde schließlich systematisch herausgearbeitet, wie sich die Begutachtungsprozesse aus der Sicht der Befragten gestalteten und welche Erfahrungen sie mit der Umstellung auf das virtuelle Format gemacht hatten.

5 Wandel der sozialen Situationen – Wandel der Interaktionen

Die Ergebnisse werden systematisch entlang der geschilderten sozialen Situationen in einem Begutachtungsprozess eingeordnet und beschrieben. Die Darstellung schließt den Vergleich von Begutachtungen in Präsenz und im virtuellen Format für jede der untersuchten sozialen Situationen mit ein. Die Kennzeichnung der Unterschiedlichkeit der verschiedenen sozialen Situationen wird vorwiegend mittels Aussagen der Referent:innen rekonstruiert, während die Erfahrungen mit der Umstellung des Formats aus der Sicht der Gutachtenden sowie der Referent:innen wiedergegeben werden. Unser Interesse bei der Auswertung gilt primär den Schilderungen des Austausches und der Interaktionen zwischen den Beteiligten während der Begutachtung und über die damit verbundenen Ziele.

5.1 Soziale Situationen mit formaler Interaktionsordnung

Aus den Interviews kann als typisch für eine formale Interaktionsordnung herausgelesen werden, dass sich die Gutachtenden in einem engen zeitlichen und inhaltlich strukturierten Rahmen untereinander austauschen, ihre Eindrücke miteinander teilen und gemeinsam zu einer Einschätzung und Bewertung über den Förderantrag kommen. Dazu gehören die internen Vorabbesprechungen, in denen die Referent:innen den Gutachtenden die formalen Programmpunkte der Begutachtung vorstellen und erste Eindrücke auf Basis der schriftlichen Unterlagen zum Gesamtvorhaben des Förderantrags sammeln. Die Gutachtenden referieren kurz ihre Einschätzungen zum Antrag und zu den Teilprojekten, um anschließend gemeinsam Punkte zu identifizieren, die im Antrag „einfach schlecht geschrieben oder nebulös“ (08 R[2], 46) sind und in der nachfolgenden Begutachtung weiterer Klärung bedürfen. Die Gutachtenden schildern, dass auch die internen Bewertungssitzungen zu späteren Zeitpunkten formal stark strukturiert sind. Dort werden die Eindrücke der Gutachtenden zusammengetragen, die sie im Laufe der Begutachtung gesammelt haben, und anhand von Bewertungskriterien und Begrifflichkeiten (als Noten) diskutiert. Die Referent:innen berichten, dass die Zielsetzung dieser Sitzungen darin besteht, aus den Beurteilungen der Gutachtenden „das Protokoll zu verfassen“ (08 R, 26), welches als formale Entscheidungsgrundlage in die Ausschusssitzung der DFG zum finalen Beschluss über das Förderprogramm einfließt.

Aus der Sicht der Gutachtenden wird der Austausch von Einschätzungen und Beurteilungen untereinander in solchen Situationen dahingehend beschrieben, dass „intensive Gespräche“ (13 G[3], 26; und 15 G, 40) stattfinden und es einen „direkten Austausch von (kritischen) Argumenten“ (13 G, 26) gibt. Es entstehe eine offene Diskussion, die durch kurze Reaktionen und Halbsätze einzelner Gutachtender eine besondere Dynamik entwickele und einen „Prozess der Einigung“ darstelle (13 G, 26). Für die Sitzungen bei Vor-Ort-Begutachtungen berichten die Gutachtenden mehrheitlich, dass in diesen vertiefte Diskussionen geführt werden. Teilweise sind diese Diskussionen ausschweifend, was allerdings helfe, die Sichtweisen der anderen Gutachtenden, insbesondere bei interdisziplinären Begutachtungen, besser zu verstehen, sein eigenes Urteil möglicherweise zu revidieren und sich schließlich untereinander „abzustimmen“ (17 G, 12). Eine Referentin beschreibt diese vertiefenden Diskussionen pointiert als etwas, was für die formale Entscheidungsgrundlage nicht relevant, jedoch durchaus wichtig für den Prozess der Urteilsbildung selbst ist:

„Also vor Ort ist es schon öfter so, dass auch in den internen Sitzungen die Gutachtenden sich irgendwie in wissenschaftliche Diskussionen verstricken, die schon mit dem Teilprojekt zusammenhängen, aber jetzt noch nicht so direkt bewertungsrelevant sind. Und dann sagen wir eigentlich vor Ort, naja, die sind ja auch extra gekommen und weil denen das Spaß macht und wichtig ist, da lassen wir sie jetzt einfach mal ein bisschen diskutieren.“ (11 R, 44)

Im Vergleich zu Besprechungen unter physisch Anwesenden ist der formale Ablauf virtueller Vorabbesprechungen aus Sicht der Referent:innen „mehr oder weniger das Gleiche, ein bisschen kondensierter, weil wir die technischen Rahmenbedingungen haben“ (09 R, 50). Hinzu käme, dass im Vorfeld von den Gutachtenden schriftliche Vorabstellungnahmen eingefordert werden, „sodass wir schon mehr inhaltliche Aspekte haben, die wir dann nicht mehr besprechen müssen, sondern das liegt schon auf dem Tisch“ (09 R, 50). Die Referent:innen weisen darauf hin, dass die Diskussionen unter den Gutachtenden im virtuellen Format „mehr von uns strukturiert und fokussierter auf die Fragestellung“ (11 R, 40) hin geleitet werden, weshalb sie „weniger lebendig, disziplinierter und ein bisschen eindimensionaler“ seien (10 R, 56). Ebenso könne nicht jeder „Randaspekt“ (11 R, 40) in eine vertiefende Diskussion münden. Zusammenfassend beschreibt ein Referent solche Gespräche folgendermaßen:

„Natürlich haben wir schriftliche Gutachten, die referiere ich dann ganz kurz und dann frage ich noch, ob es zusätzlich Aspekte zu den Dingen gibt, die in dem schriftlichen Gutachten sind. Die gibt es meistens, aber das führt dazu, dass die Projekte höchstens halb so lange diskutiert werden wie bei einer Vor-Ort-Begutachtung.“ (09 R, 52)

Trotz der zeitlichen Verkürzung sind die Referent:innen mehrheitlich davon überzeugt, dass die virtuellen Diskussionen das primäre Ziel dieser Sitzungen gut erreichen: eine formal korrekte Entscheidungsgrundlage zu erarbeiten. Oder in den Worten eines Referenten:

„Es muss halt sehr viel schneller und sehr viel knackiger gehen. Das funktioniert erstaunlich gut und führt zu brauchbaren Ergebnissen […], aber in der Tiefe und in der Ausdiskutiertheit erreicht es nicht das Niveau, das wir durch die Vor-Ort-Begutachtungen haben.“ (09 R, 52)

Auch die Gutachtenden führen in den Interviews an, dass bei den Sitzungen im virtuellen Format etwas verloren ginge. Oftmals würden nur „isolierte Statements“ vorgetragen, „die nicht so verzahnt sind“ (13 G, 112), die stärkere Strukturierung der Diskussion durch die Referent:innen bedinge eine „sequentielle Abfolge“ der Argumente (14 G, 50). Weiterhin bemängeln sie, dass das „Zwischenmenschliche fehlt“ (16 G, 80), es keine Scherze nebenbei gäbe oder höfliche Gesten, wie etwa das gegenseitige Nachschenken von Getränken wegfallen würden. Die Einschätzung eines Gutachters lautet dazu wie folgt:

„weil die Atmosphäre ist natürlich auch ganz anders. Ich habe auch festgestellt, dass teilweise auch schon in diesen Vorbesprechungen auch bei den Kollegen die Zurückhaltung größer ist. […] bei diesem Online-Modus, da geht das ein bisschen verloren, da ist man nicht mehr so direkt. Da ist man sehr vorsichtig, was man sagt.“ (13 G, 18)

Jedoch kommen die Gutachtenden wiederholt zu dem Schluss, dass man „ähnlich einen Konsens“ fände (17 G, 36).

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass sich die Interaktionen der Gutachtenden in Präsenzsitzungen durch Aussprachen und gemeinsame Diskussionen auszeichnen, während sich im virtuellen Format die Interaktionen häufig auf ein Abfragen und Vortragen von Meinungen beschränken würden. Dagegen äußert die Mehrzahl der Referent:innen, dass der wesentliche Unterschied darin bestehe, dass die Sitzungen fokussierter abliefen. Laut Aussagen der Befragten wird der Wandel der Interaktionen durch die Umstellung auf Virtualität in anderen Abschnitten des Begutachtungsprozesses wesentlich deutlicher. Ein befragter Gutachter bringt es wie folgt auf den Punkt:

„DFG-Begutachtungen sind relativ stark formalisiert. Also schon die Präsenzbegutachtungen haben einen relativ formalen Charakter […] und insofern sind da die Unterschiede vom Aufbau her nicht so dramatisch. Wo die Unterschiede dramatischer sind, also grob gesprochen: Je informeller der Begutachtungsteil, um den es sich dreht, desto größer sind die Unterschiede.“ (20 G, 66)

In den weiteren Abschnitten gehen wir daher genauer auf solche sozialen Situationen ein, die in Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen mehr Gelegenheiten für freier gestaltete Interaktionen aller Beteiligten bieten.

5.2 Soziale Situationen mit einer weniger formalen Interaktionsordnung

Neben den internen Begutachtungssitzungen gibt es bei Vor-Ort-Begehungen Situationen, in denen die Antragstellenden und Gutachtenden gemeinsam miteinander ins Gespräch kommen und interagieren. Diese Situationen dienen dazu, dass sich die Gutachtenden und die Antragstellenden wissenschaftlich austauschen, teilweise im Plenum, teilweise im Zwiegespräch. Zu diesen sozialen Situationen gehört die Präsentation der Antragstellenden, in der die Ziele und Vorhaben des Sonderforschungsbereichs oder Graduiertenkollegs vorgestellt werden. Daran schließt eine Diskussionsrunde im Plenum an, in der die Gutachtenden die Fragen aufwerfen, über die sie sich zuvor in der Vorabbesprechung verständigt haben, so dass ein „Frage-Antwort-Spiel“ (08 R, 26) entsteht. Die Poster-Sessions zählen ebenfalls zu sozialen Situationen mit einer weniger formalen Interaktionsordnung, während der die Projektleitenden und Nachwuchswissenschaftler:innen die Möglichkeit haben, mit den Gutachtenden in den direkten Austausch zu treten und ihre Teilprojekte vorzustellen. Von den Gutachtenden wird diese soziale Situation zum Anlass genommen, Fragen zu stellen, die während der Präsentation offengeblieben sind, ohne dabei gleichzeitig eine öffentliche Kritik zu formulieren. Eine Referentin beschreibt die Interaktion zwischen den Gutachtenden und Antragstellenden während der Poster-Session folgendermaßen:

„Das darf man nicht unterschätzen, das ist auf jeden Fall auch Teil der Begutachtung, wo dann noch in Vieraugengesprächen oft Informationen eingeholt werden, die man in der großen Runde nicht bekommen hat, oder wo man noch mal Fragen stellt, von denen man denkt, für die große Runde sind die nicht so geeignet, dafür gehen sie zu sehr ins Detail oder dafür sind sie zu pikant [...] und die stellt man dann über das Häppchen sozusagen.“ (05 R, 26)

Daran anschließend charakterisieren die Referent:innen den Austausch zwischen den Beteiligten bei der Poster-Session vor Ort als „sehr intensiv“ (09 R, 50) und als „Eins-zu-Eins-Gespräche, beim Häppchen, beim Poster“ (08 R, 26). Diese Gespräche, die gleichzeitig mit einer Mahlzeit verbunden werden, sollen eine ungezwungene Situation in einer vertrauten Atmosphäre darstellen, die auch zum „Small-Talk“ (05 R, 40) nebenbei unter den Antragstellenden und Gutachtenden einlädt. Die Gutachtenden können in solchen Sessions von Poster zu Poster schlendern und sich „einfach so mal da dazustellen und zuhören und dann ganz harmonisch in die Diskussion hineingleiten“ (09 R, 50), sodass sie während dieser Phase zahlreiche Eindrücke sammeln können, um ihre bestehenden Vermutungen zu überprüfen. Auch aus der Sicht der Gutachtenden werden in dieser Phase der Begutachtung „persönliche Gespräche“ (12 G, 20) mit den Antragstellenden geführt, die von ihnen als wichtig erachtet werden, um sich ein vollständiges Urteil bilden zu können. Ein Gutachter berichtet, warum diese Gespräche für ihn wichtig sind:

„Und dann aber auch diese Arbeitsgruppe kennenzulernen und naja, so ein bisschen nicht nur die schriftlich verkündeten Vorgaben oder Vorstellungen zu sehen, sondern vielleicht auch die Einstellung der Leute und wie sie mit diesen Vorgaben umgehen und sie erfahren. Also diese Gespräche halte ich für essentiell.“ (18 G, 24)

Für soziale Situationen, die durch eine weniger formale Interaktionsordnung gekennzeichnet sind, ist für die Gutachtenden nicht nur die sprachliche Interaktion zwischen den Beteiligten von Bedeutung, sondern ebenfalls die Gewinnung von Eindrücken und die Wahrnehmung der vorherrschenden Atmosphäre. Für Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen wird in den Interviews geschildert, dass die Gutachtenden die Möglichkeit schätzen, während der Präsentationen das „Zusammenspiel der Gruppe“ (5 R, 46) und die Interaktionen der Antragstellenden untereinander beobachten zu können. Der Umgang miteinander äußere sich in der Körpersprache, Mimik und Gestik, aber auch in den „Blicken, die hin und her gehen“ (12 G, 82). Sie würden sich auch ein Bild darüber machen, ob die Antragstellenden „es gewohnt sind, miteinander zu kommunizieren, sie sich gegenseitig mit Leichtigkeit das Wort geben oder eine Diskussion dominiert [wird] von einer Person“ (5 R, 46). Aus der Sicht der Gutachtenden trügen diese Eindrücke dazu bei, zu „spüren“ (15 G, 30), ob das Projekt in die Universität und die Mitarbeitenden wiederum in das Projekt eingebettet seien, und „man kann einschätzen“ (17 G, 24), ob die Antragstellenden miteinander vertraut seien. Dies zeigt, dass nicht alle in die Begutachtung einfließenden Eindrücke sprachlich expliziert werden können, sie aber für die Urteilsbildung der Gutachtenden wichtig sind.

Hinsichtlich des Austausches bei Zusammenkünften mit den Antragstellenden im virtuellen Format kommen die Gutachtenden zu der Einschätzung, dass sie nur ein „unzureichendes Bild dessen, was tatsächlich vor Ort die Qualität des Projekts ausmacht“, erhielten (14 G, 74). Während der Poster-Session, die virtuell in einzelnen Breakout-Rooms nachgestellt wird, wäre der Austausch untereinander „sehr reduziert“ (14 G, 74), „viel weniger dynamisch“ (12 G, 42) und „weniger eng und weniger verzahnt“ (12 G, 42) als in Präsenz. Ähnlich wie bei den internen Sitzungen wird die Interaktion unter den Beteiligten als „sehr beschränkt“ bewertet (05 R, 40), weil sie eher einer Befragung denn einem Austausch gleiche. Insgesamt könnten so weniger Eindrücke für die Urteilsbildung gesammelt werden. Ein Referent beschreibt und charakterisiert die Situation so:

„In dieser virtuellen Situation, wo man eben in einer Videokonferenz ist, da kann aber immer nur einer reden. Es ist immer meist nur ein Gutachter da. Und der Doktorand kann natürlich in dieser Videokonferenz auch etwas sagen, aber es ist sehr viel reservierter, sehr viel weniger menschlich, sehr viel weniger intuitiv das Ganze, sodass zwar der Austausch sehr intim ist vielleicht, aber der Spirit, so das Gefühl, das Setting, das Gesamte, nicht so klar ist. Und auch die Flexibilität ist nicht so gut da. Man springt sozusagen in diese Videokonferenz hinein, zu einem Poster, man weiß aber nicht, ob schon ein anderer Gutachter da ist. Möglicherweise ist er schon da, dann geht man wieder.“ (09 R, 50)

Weiterhin bestehen Vorbehalte gegenüber dem virtuellen Format hinsichtlich der nichtsprachlichen Interaktion. Die Gutachtenden erzählen, dass sie virtuell keinen „besonders intensiven Eindruck“ gewinnen, da sie in der „Kacheloptik“ nur die „individuellen Akteure“ (12 G, 82) sehen, aber nicht die ganze Gruppe der Antragstellenden. Die Interaktion unter den Antragstellenden und die Gruppendynamik könnten deshalb nicht beobachtet werden, schon allein weil während der Präsentation hauptsächlich der oder die Sprecher:in mit den Gutachtenden kommuniziert. Nur bei Bedarf werden Fragen an einzelne Gruppenmitglieder weitergegeben. Ein Gutachter bezeichnet die verminderte Beteiligung von Gruppenmitgliedern – sowohl der Antragsstellenden wie auch der Gutachtenden – als „den größten Informationsverlust, den man in Kauf nehmen muss, wenn man online begutachtet“ (17 G, 24). Entsprechend würde nur mit wenigen Personen gesprochen werden, insbesondere die Nachwuchswissenschaftler:innen würden sich kaum beteiligen. Dies führe dazu, dass bei virtuellen Formaten weniger Informationen und Eindrücke aus dieser Phase der Begutachtung gezogen werden könnten. Ein Gefühl für die Atmosphäre vor Ort stelle sich so kaum ein, manche Frage bliebe offen, und es sei schwieriger, sich als Gutachtender zu versichern, dass das Förderungsvorhaben auch adäquat umsetzbar ist.

5.3 Soziale Situationen mit einer situativen Interaktionsordnung

Schließlich gibt es bei Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen Situationen, in denen die Gutachtenden ungezwungen untereinander in den Austausch treten können. Dazu gehören soziale Situationen außerhalb des Begutachtungsgeschehens wie das gemeinsame Abendessen im Kreis der Gutachtenden, aber auch das gemeinsame Frühstück im Hotel oder die Taxifahrt zum Standort der Begutachtung. In diesen Situationen lernten sich die Gutachtenden kennen, „man plaudert, tauscht sich privat aus“ (08 R, 30) und könnte untereinander „Vertrauen aufbauen“ (20 G, 48), so die Befragten. Aus der Sicht der Gutachtenden ist dieser Austausch untereinander förderlich, um einschätzen zu können, wie die Anderen „im Kern ticken“ (12 G, 22), sodass in den späteren Diskussionsrunden abgeschätzt werden könne, „wie der oder die Andere auf bestimmte Dinge reagiert“ (20 G, 48). Weiterhin gehörten die Kaffee- und Mittagspausen während der Begutachtung zu den Situationen mit einer situativen Interaktionsordnung, in denen „Seitengespräche“ (12 G, 30) und „informelle Vieraugengespräche“ (20 G, 48) der Gutachtenden untereinander geführt würden, sodass die eigenen „Einschätzungen wachsen“ und „Einwände geglättet oder aus dem Weg geräumt“ (12 G, 30) würden. So ließen sich beispielsweise Unklarheiten untereinander ansprechen, die es im weiteren Verlauf der Begutachtungen auszuräumen gelte. Zwei Gutachter beschreiben die Situation (beim Mittagessen) folgendermaßen:

„[Der] persönliche Austausch zwischen den Gutachtern beim Mittagessen, wo man sagt: ,Was hast Du denn damit gemeint? Wie siehst Du das? Ist das jetzt wirklich kritisch? Wir sollten vielleicht da noch ein bisschen nachbohren!‘“ (16 G, 50)

„Und man kann sich auch so ein bisschen rückversichern mit den anderen Gutachtern. Ich glaube, dieses einfach mal so nebenbei ein kurzes Wort wechseln: ‚Hast Du das auch so gesehen?‘ Das hilft schon.“ (14 G, 26)

Aus der Sicht der Gutachtenden würden diese situativ geregelten Gespräche untereinander helfen, „eine Art von informeller Abstimmung“ (19 G, 90) zu erreichen, um in den Bewertungssitzungen die Diskussionen zu erleichtern und zu einer gemeinsam getragenen Bewertung und Entscheidung zu gelangen.

Im Vergleich dazu gäbe es bei virtuellen Begutachtungen kaum Situationen mit einer situativen Interaktionsordnung. Ein Referent beschreibt dies folgendermaßen:

„Bei der Vor-Ort-Begutachtung gibt es ein Element, da kriegen wir nicht mit, wodurch das Urteil sich bildet. Es gibt Phasen der Begutachtung, da findet Urteilsbildung statt, ohne dass wir es steuern können, ohne dass wir es auch vergleichbar machen können. Da muss man sagen ist natürlich so eine Videokonferenzbegutachtung, wo diese Zwischenelemente wegfallen, natürlich ganz viel transparenter.“ (08 R, 46)

Die Gutachtenden wie die Referent:innen würden häufiger „ganz bewusst Pause“ machen und die „Kamera ausschalten“ (08 R, 54), um ihrer sinkenden Konzentration entgegenzuwirken. Auf diese Weise fielen auch informelle Gespräche unter den Gutachtenden weg, die aus seiner Sicht das Problem mit sich bringen, dass sie von Referent:innen nicht moderiert werden könnten und deshalb letztlich im Protokoll nicht begründbar seien. Insofern schätzt er den virtuellen Begutachtungsprozess als transparenter ein.

Andererseits begreifen die Referent:innen die informellen Gespräche zwischen den Gutachtenden auch als etwas, „was wichtig ist für den Ablauf der Begutachtung, für die Entscheidungsfindung und worauf wir im Moment verzichten müssen“ (05 R, 58). Bis dato sehen die Befragten keine Möglichkeit, diese Art von Gesprächen virtuell so zu reproduzieren, dass die Ansprüche der Forschungsförderungsorganisation eingehalten würden und die Gutachtenden gleichzeitig das Gefühl hätten, sie könnten unbeobachtet und privat miteinander kommunizieren. Der Wunsch danach besteht, wie das folgende Zitat zeigt:

„Also wenn es da wirklich tragfähige Ideen gäbe und Ansätze, die Vertrauen schaffen würden, dann fände ich es wirklich wichtig und gut, wenn man diesen informellen Teil in die Begutachtung einfließen lassen könnte.“ (05 R, 58)

Die Gutachtenden weisen darauf hin, dass wegen der fehlenden Möglichkeit für informelle Gespräche sie sich „distanzierter“ zueinander und „vorsichtiger“ äußern würden, weil „man eben die Reaktionen von den Anderen schlechter abschätzen kann“ (20 G, 48). Ohne die informellen, vielleicht auch privaten Gespräche, die nebenbei stattfinden, sei es schwieriger, die Eindrücke untereinander abzustimmen, was bei interdisziplinären Begutachtungen durchaus problematisch werden könne, da Vertreter:innen unterschiedlicher Fachkulturen miteinander diskutierten (Lamont 2009). Ferner sei es nicht möglich, sich hinsichtlich der eigenen Ansichten abzusichern, wodurch letztendlich die gemeinsame Urteilsbildung wie das Zustandekommen der Bewertungen beeinflusst würden. Ein Gutachter beschreibt die Folgen des Wegfalls dieser situativ geregelten Situationen wie folgt:

„Also, diese Dinge, dass die Begutachtungsgruppe zusammensitzt und dann gibt’s Seitengespräche oder mal ein Pausengespräch und ja, so wachsen ja auch Einschätzungen und werden vielleicht Einwände, sagen wir mal, geglättet oder aus dem Weg geräumt und so weiter. Das findet nicht statt, sondern dieses ‚jetzt reden wir doch mal ein bisschen informeller darüber, wie das so ist‘. Das fällt deutlich weg und das merkt man auch. Es gibt Formate, in denen es halt darum geht, noch mal einfach so Einschätzungen auszutauschen und das geht dann nicht in der gleichen Weise. In der Pause sonst würde man sich jemanden schnappen, dann machen die Leute eher die Bildschirme schwarz und gehen mal einen Kaffee trinken.“ (12 G, 74)

Insbesondere die Gutachtenden, in gewisser Weise aber auch die Referent:innen, betrachten den Austausch untereinander in Situationen mit einer situativen Interaktionsordnung für essentiell, um die Beurteilungen und Eindrücke der Anderen nachzuvollziehen und das eigene Urteil daran abstimmen zu können. Insgesamt bleibt der Eindruck, dass durch das Fehlen von Situationen, die einen Austausch untereinander und das aneinander Abstimmen ermöglichen, zwar die Bewertungssitzungen letztendlich trotzdem zu vertretbaren Entscheidungen gelangen – aber „alles ein wenig holpriger“ (17 G, 36).

6 Soziale Situationen in virtuellen Begutachtungsprozessen

Wir haben die Umstellung von Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen in Präsenz auf ein virtuelles Format und die damit verbundenen Folgen für den Begutachtungsprozess untersucht. Dazu wurden Referent:innen und Gutachtende mit Hilfe leitfadengestützter Interviews zu ihren Erfahrungen befragt, die sie bei Begutachtungen von DFG-Sonderforschungsbereichen und DFG-Graduiertenkollegs in unterschiedlichen Formaten gemacht haben. Auf der Grundlage von Goffmans (1964, 1983) und Knorr Cetinas (2009, 2012; Knorr Cetina et al. 2017) Arbeiten hatten wir gefragt, welche Veränderungen durch die Transformation sozialer Situationen mit physischer Anwesenheit in synthetische Situationen ohne physische Anwesenheit auftraten und wie sich aufgrund dessen die Interaktionen zwischen den an der Begutachtung Beteiligten wandelten. Dazu hatten wir die Äußerungen der Befragten hinsichtlich der geschilderten sozialen Situationen im Begutachtungsprozess systematisiert und die Aussagen zu dem Austausch und den Interaktionen unter den Beteiligten analysiert.

Laut Knorr Cetina kennzeichnet eine synthetische Situation, dass die Beteiligten physisch abwesend sind und via skopischer Medien miteinander interagieren. Unsere Ergebnisse über virtuelle Begutachtungsprozesse stützen die Annahme, dass auch Videokonferenzen als künstliche Face-to-Face-Situationen (Knorr Cetina 2009: 66 ff.; Knorr Cetina et al, 2017: 52 f.) zu betrachten sind. Computer und Webcams fordern aufgrund der fehlenden Synchronität die gewohnten Interaktionen und sozialen Situationen heraus. Insbesondere ist der Sprecherwechsel zwischen den Teilnehmenden erschwert, was Verständigungsprobleme begünstigt. Ebenso wird eine verstärkte Überwachung (Knorr Cetina) bzw. Moderation seitens der DFG-Referent:innen als erforderlich angesehen. Die Ausführungen der Referent:innen und Gutachtenden stimmen mit früheren Untersuchungen überein, wonach durch die Umstellung auf virtuelle Zusammenkünfte die Diskussionen weniger lebendig sind, stattdessen stärker strukturiert und kürzer werden (Gallo et al. 2013; Carpenter et al. 2015; Gallo et al. 2019; Pier et al. 2017b; Pina et al. 2021; Peterson & Husu 2023). Zudem problematisieren die Befragten, dass sie den Gedankenaustausch als oberflächlicher erlebten, da die einzelnen Gutachtenden ihre Einschätzungen nacheinander in Form von Statements vortrugen und nur wenig Zeit zur Verfügung stand, um in den direkten Diskurs miteinander zu treten, weshalb Meinungsverschiedenheiten teilweise unkommentiert bestehen bleiben (Gläser & Laudel 2005; Derrick & Bayley 2022). Wie schon frühere Studien zeigt auch unsere Analyse, dass bei virtuellen Zusammenkünften die Möglichkeiten zum informellen Austausch nebenbei unter den Gutachtenden fehlen (Carpenter et al. 2015; Burow 2022; Peterson & Husu 2023). Gerade diese situativ geregelten Situationen sind wichtig, um Vertrauen zwischen den Gutachtenden aufzubauen. Trotz dieser Einschränkungen betonen alle Interviewten unserer Untersuchung, dass sie auch im virtuellen Format zu vertretbaren Begutachtungsergebnissen gelangen.

Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass virtuelle Sitzungen, verglichen mit Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen, die Interaktionen während des Begutachtungsprozesses einschränken und damit Verständigungsmöglichkeiten reduzieren. So fehlen Gelegenheiten, Eindrücke darüber zu gewinnen, wie die Antragstellenden als Forschungsgruppe untereinander interagieren und wie sie in ihrer Forschungseinrichtung integriert sind. Damit wird es schwieriger, einen Gesamteindruck zu erhalten, Mutmaßungen zu überprüfen und Einschätzungen zu revidieren. Dies ist aber wichtig, weil die Gutachtenden ihre Bewertungen aufeinander abzustimmen haben, um zu einem konsensualen Gesamturteil zu gelangen. Im Gegenzug erhalten die schriftlichen Antragsunterlagen notwendigerweise mehr Gewicht bei der Beurteilung. Durch den Wegfall der sozialen Situationen mit situativer Interaktionsordnung fehlen Gelegenheiten, die anderen Gutachtenden persönlich kennenzulernen, sich über die Forschungsinteressen auszutauschen und mögliche zukünftige Kooperationen anzuvisieren. Ebenso fehlen durch den Wegfall dieser Situationen, beispielsweise informelle Vieraugengespräche, Möglichkeiten, Konflikte und Meinungsverschiedenheiten konstruktiv zu bewältigen. Solche Unklarheiten oder divergierenden Einschätzungen werden üblicherweise mittels situativer Interaktionen aufgelöst.

Unsere Ergebnisse machen zudem deutlich, dass die zukünftige Forschung nicht nur einzelne Begutachtungssitzungen oder Begutachtungsergebnisse untersuchen sollte. Vielmehr ist es wichtig, die sozialen Situationen des gesamten Begutachtungsprozesses mit den für sie typischen Interaktionen und Interaktionsordnungen differenziert zu betrachten. Sie allesamt sind, wie unsere Untersuchung darlegt, wesentlich dafür, dass die Gutachtenden zu formal korrekten und vertretbaren Begutachtungsergebnissen gelangen können.

Das Design unserer Studie erlaubt allerdings nur Aussagen über Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen. Zudem haben wir uns auf zwei Förderprogramme der DFG beschränkt. Es ist dennoch von einer relativen Robustheit unserer Ergebnisse auszugehen, da diese einerseits weitgehend Resultaten früherer Untersuchungen entsprechen und sich andererseits mit den Erfahrungen decken, von denen uns Vertreter:innen anderer Förderorganisationen in Interviews berichtet haben. Zu prüfen ist dagegen, wie sich die Umstellung anderer Begutachtungsverfahren von Präsenz auf virtuelle Treffen ausgewirkt hat, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede sich zeigen. Weitgehend unerforscht ist, ob sich beispielsweise spezifische Interaktionen und Interaktionsordnungen für virtuelle Begutachtungen herausbilden, ob die in Präsenz etablierten sich zunehmend auf virtuelle Formate übertragen lassen und welche Rückwirkungen gegebenenfalls neu entstandene virtuelle Interaktionsmuster auf die Interaktionsordnung in Präsenzbegutachtungen haben.

7 Fazit

Mit Goffmans Konzept der sozialen Situation haben wir die Interaktionen und die Interaktionsordnungen bei Begutachtungen mit Vor-Ort-Begehungen differenziert betrachtet. Unsere Analysen ergaben, dass Begutachtungsprozesse durch die verschiedenen sozialen Situationen je spezifisch bestimmt sind und ihr Zusammenspiel dafür entscheidend ist, dass die Gutachtenden einen umfassenden Gesamteindruck erhalten und sich über ihre Beurteilungen mit anderen angemessen austauschen konnten. So sind der Austausch und die Interaktionen in Situationen mit einer weniger formalen sowie einer situativen Interaktionsordnung ausschlaggebend dafür, dass die sozialen Situationen mit formaler Interaktionsordnung wie obligatorisch vorgegeben ablaufen können. Obwohl die situativ geregelten Situationen, etwa Pausen oder gemeinsame Mahlzeiten, offiziell nicht als Teil des Begutachtungsprozesses angesehen werden, sind sie dennoch wesentlich dafür, dass die Aufgaben und Ziele der Begutachtung erreicht werden (Barlösius 2014).

Der Rückgriff auf Knorr Cetinas Arbeiten war bei unserer Analyse hilfreich, die Transformation von sozialen Situationen in synthetische Situationen nachzuvollziehen. Allerdings haben wir untersucht, wie in Präsenz etablierte soziale Interaktionsordnungen in virtuelle Formate überführt wurden, während Knorr Cetina vorwiegend vollständig synthetisierte Situationen analysiert hat. Dies könnte erklären, weshalb sich bei ihrem Konzept der skopischen Medien die Nutzung technischer Komponenten in den Vordergrund schiebt und diese die synthetische als soziale Situation mitgestalten. So weist Reichmann in seiner Darstellung der skopischen Medien darauf hin, dass „sie nicht passiv“ „Interaktionen (vermitteln)“, sondern „sie (mit) gestalten“ (2018: 94). Wichtiger als die technische Seite scheint uns zu sein, wie der Wandel der Interaktionsordnungen im Virtuellen wahrgenommen wird, nämlich im Vergleich zu den in Präsenz etablierten und anerkannten Interaktionsordnungen. Das heißt: Die sozialen Situationen in Präsenz bilden den Referenzpunkt dafür, wie die Situationen in Virtualität erlebt und erfahren werden. Für die Zukunft wird sich zeigen, ob der ursprüngliche Referenzpunkt – in Präsenz – bestehen bleibt, ob Virtualität einen zusätzlichen Referenzpunkt schafft oder ob er sich sogar gänzlich dorthin verschiebt.

About the authors

Laura Paruschke

Laura Paruschke, geb. 1994 in Gehrden. Studium der Soziologie in Göttingen und Hannover. Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover. Forschungsschwerpunkte: Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Digitalisierung und Mediatisierung. Wichtigste Publikationen: Hidden in the light: Scientists’ online presence on institutional websites and professional networking sites. In: Journal of Information Science (2022, mit Axel Philipps). Inside regular lab meetings: The social construction of a research team and ideas in optical physics. In: Social Studies of Science (2023, mit Axel Philipps).

Eva Barlösius

Eva Barlösius, geb. 1959 in Hannover. Professorin für Makrosoziologie und Sozialstrukturanalyse der Leibniz Universität Hannover, Gründerin des Leibniz Center for Science and Society, Sprecherin des Forums Wissenschaftsreflexion ebendort. Forschungsschwerpunkte: Ungleichheitssoziologie, Wissenschaftsforschung. Wichtigste Publikationen: Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung. 3. Auflage. Weinheim 2016. Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste. Ein Beitrag zur Gesellschaftsdiagnose. Frankfurt am Main 2019.

Axel Philipps

Axel Philipps (PD Dr.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie und Fellow am LCSS der Leibniz Universität Hannover. Sein Forschungsinteresse gilt schwerpunktmäßig der Wissenschaftssoziologie, der Bildwissenschaft und den Methoden der empirischen Sozialforschung. Jüngst veröffentlichte er zusammen mit Laura Paruschke: Inside regular lab meetings. The social construction of a research team and ideas in optical physics. In: Social Studies of Science (doi: 10.1177/03063127231188132).

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Published Online: 2023-10-31
Published in Print: 2023-11-21

© 2023 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 3.12.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zfsoz-2023-2027/html
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