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Nationalsozialistische Schreibtischtäter in Würdigungen zu Rechtslehrern

Die Kongruenz von Beobachtungsschemata in Recht und Soziologie
  • Klaus Dammann EMAIL logo
Veröffentlicht/Copyright: 22. November 2023
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Zusammenfassung

In diesem Beitrag werden Diskussionen untersucht, die sich mit Rechtslehrer-Würdigungstexten befassen. Es geht um die, welche die „Zeit der Verstrickung“ und damit ‚Schreibtischtaten‘ (Bluttaten inklusive) im Deutschfaschismus bis 1945 in besonderer Weise behandeln. Zu der Diskussion um den einschlägigen Abschnitt in Treibers „Juristische Lebensläufe“ (1979) sind vier andere mit gleichem Thema hinzugefügt. Eine dreht sich um Luhmanns Fallrahmen für NS-Lebensläufe (1965), kritisiert von Reemtsma und Kühl. Insgesamt fünf Kommunikationszusammenhänge, auch mit nichtsoziologischen Autoren im Fokus, werden daraufhin verglichen, welches Beobachtungsinstrumentarium zu sozialen Erwartungen (speziell Norm-, Motivations-, Moral-, Person- sowie Zeittheorie) zur Kennzeichnung der Würdigungen verwendet wird. Ergebnis: Sie unterscheiden sich weniger als szientistisch (speziell: soziologistisch) zu erwarten wäre. Es wird untersucht, wie man das erklären kann. Die Hypothese wird bestätigt, dass der ‚Realitätskontakt‘ einer soziologischen Theorie es schafft, in Abstraktionen Kongruenzen von soziologischen und anderen Beobachtungsformen zu finden. Dieser Kontakt findet nicht nur mit Realitätstests (Verwendung empirischer Methodik) sondern auch mit Realitätsbezug (einer Theoriemethodik) statt, d. h. dadurch, dass man soziologische Begriffe auf Selbstabstraktionen des außersoziologischen Gegenstandsbereichs ‚aufruhen‘ lässt. Heißt das, dass Begriffe (z. B. auch solche des Rechts) in die Soziologie diffundieren? In der „Anwendungsforschung“ hat man gegenteilig die Diffusion soziologischer Erkenntnis in außersoziologische Bereiche (auch ins Recht) untersucht.

Abstract

Obituaries and other appraisal are available for some legal scholars who were, in law or morals, accused of Nazi perpetration or collaboration in 1933–1945. Already since 1965 some discussion around metastudies (by Niklas Luhmann, Hubert Treiber, one journalist and some lawyers) had a look at those publications and its selectivity. The texts of Luhmann and Treiber have been translated. Sociology is able to compare metanalytic work of this kind. This essay is observing these observers by looking at their instruments of observation and by emphasizing expectations, especially in theory of normativity, motives, morals, people (person/role) and time (breaks). It appears that not only the discussion around the two sociological studies are using sociological abstractions but the three others as well do it. In discussing this outcome of study the essay draws upon a principle of congruence between conceptual abstractions in sociology and self-abstractions in other fields of society: sociological abstractions rest on non-sociological ones. This principle is directed against methods of theory building in the work of Parsons, Weber and Rational Choice. Sociology may by this device learn from law whereas law and society studies generally focus on the relevance of social science for the law.

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Published Online: 2023-11-22
Published in Print: 2023-12-15

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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