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Zur Notwendigkeit einer besonderen staatlichen Förderung des Sports in Zeiten von COVID-19

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Veröffentlicht/Copyright: 14. August 2020
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Die Maßnahmen der Bundesregierung, der Landesregierungen und der Kommunen zur Eindämmung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) hatten gravierende Auswirkungen auf die sportliche Betätigung und engten diese erheblich ein. Davon war die gesamte Bandbreite der Sportorganisationen betroffen – sowohl der in Vereinen und Verbänden organisierte Sport als auch der ungebundene Sport, wie er etwa in Fitnessstudios ausgeübt wird. Durch die Lockerungen ist in allen Bundesländern das Sporttreiben wieder möglich, wenn auch insbesondere bei Teamsportarten entsprechende Hygieneregeln einzuhalten sind. Darüber hinaus restringierten die staatlichen Pandemie-Maßnahmen den Zuschauersport, wodurch für die professionellen Ligen eine wichtige Einnahmequelle versiegte. Jedoch ist bislang (Juli 2020) ungewiss, ob beispielsweise beim Start der Bundesliga am 18. September diesen Jahres den Zuschauern wieder ungehindert Eintritt in die Stadien gewährt werden kann.

Der Gesetzgeber hat mit verschiedenen Maßnahmen reagiert, um die negativen ökonomischen Auswirkungen der Pandemie zu mildern (Bundesministerium der Finanzen 2020a; 2020b): So können Zuschüsse für Kleinbetriebe bei Liquiditätsengpässen beantragt werden, die Kreditaufnahme wurde erleichtert, bei Dauerschuldverhältnissen wurden Stundungsmöglichkeiten geschaffen, die Beantragung von Kurzarbeit wurde massiv erleichtert und das Kurzarbeitsgeld erheblich aufgestockt. Zudem wurde ein umfangreiches Konjunkturpaket auf den Weg gebracht. Ungeachtet der Tatsache, dass diese Maßnahmen massive Mitnahmeeffekte und Missbrauch geradezu provozieren und dass wenig tragfähigen Geschäftsmodellen ein aus ökonomischer Sicht äußert problematisches Überleben ermöglicht wird, hat der Gesetzgeber diesen umfangreichen Rettungsschirm aufgespannt.

Auch aus dem Sport kamen und kommen vermehrt Forderungen nach einer zusätzlichen Unterstützung, die auch schon teilweise erfüllt werden (z. B. Bundesministerium der Finanzen 2020b; Hessisches Ministerium des Innern und für Sport 2020; Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen 2020). Wie sind diese aus ökonomischer Sicht zu beurteilen?

Dies führt zunächst zur Frage, ob der Sport aus ökonomischer Sicht einen Ausnahmebereich darstellt, der einer besonderen Förderung bedarf. Die Antwort auf eine derartige Frage ist notgedrungen eine wirtschaftssystemspezifische: Sie wird in einer Staatswirtschaft anders zu beantworten sein als in einer Marktwirtschaft oder auch in einer sozialen Marktwirtschaft (Gutmann 1986). So zeichnet sich eine Marktwirtschaft – vereinfacht gesprochen – durch die Dominanz von Privateigentum und Vertragsfreiheit und damit durch eine prioritäre Steuerung über den Markt aus. Eine Berücksichtigung des „sozialen Elements“ erfolgt dahingehend, dass die marktlichen Verteilungsergebnisse, sofern sie als unerwünscht betrachtet werden, entsprechend korrigiert werden. Darüber hinaus bedarf eine staatliche Intervention einer stichhaltigen Rechtfertigung (Tuchtfeldt 1982). Bei einer Dominanz des Marktprinzips wäre eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung dafür das Vorliegen von Marktversagenstatbeständen (Grossekettler 1987). Im Sport kommen hierbei externe Effekte oder Kollektivgüter in Frage. Während es sich bei externen Effekten um nicht über den Preismechanismus abgebildete Auswirkungen auf Dritte handelt (Marshall 1890), zeichnen sich Kollektivgüter durch Nicht-Ausschließbarkeit von der Nutzung und durch fehlende Rivalität bei der Nutzung aus (Samuelson 1954).

Externe Effekte können dabei in positiver Form (der Dritte hat einen Vorteil) oder aber in negativer Form (der Dritte hat einen Nachteil) auftreten. Ein Beispiel für einen positiven externen Effekt wäre eine Impfung: Lassen sich verschiedene Personen gegen Masern impfen, so erkranken diese mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht – das wäre der individuelle Vorteil – und stecken auch keine anderen Personen an (das wäre der Vorteil für Dritte, die selbst für diesen Vorteil nicht bezahlt haben). Der negative externe Effekt besteht in einer Beeinträchtigung Dritter: So haben Anwohner eines Fußballstadions mit erheblichen Geräuschemissionen zu kämpfen, ohne dass sie dafür entsprechend finanziell kompensiert werden.

Von der Nutzung von Kollektivgütern kann niemand – entweder aus technischen oder aus wirtschaftlichen Gründen – ausgeschlossen werden (Nicht-Ausschließbarkeit). Und die Nutzung durch einen Konsumenten beeinträchtigt nicht die Nutzung der anderen Konsumenten (Nicht-Rivalität). Das Lehrbuchbeispiel für ein Kollektivgut ist der Leuchtturm: Jedes Schiff kann ihn sehen, und das Sehen durch ein Schiff behindert nicht ein anderes Schiff darin, den Leuchtturm ebenfalls zu sehen. Während nun bei externen Effekten der Konsum entweder zu hoch ist, weil die Kosten der Dritten nicht berücksichtigt werden, oder eben zu niedrig ist, weil der Nutzen Dritter unberücksichtigt bleibt, kommt die Produktion des Kollektivgutes nicht zustande, da der Produzent die Nutzer nicht erfolgreich zur Kasse bitten kann, zumal ja niemand von der Nutzung ausgeschlossen werden kann.

Es wäre demzufolge zunächst zu prüfen, ob derartige Charakteristika beim Sport gegeben sind. Im Wesentlichen werden mit dem Sport Gesundheits-, sozioedukatorische und ökonomische Effekte assoziiert (Bundesregierung 2019: 15), die als Begründung für eben diesen Ausnahmebereich und damit für eine staatliche Förderung herangezogen werden: Der Sport verbessere die Gesundheit, er vermittle die Werte eines freiheitlichen Gemeinwesens, stifte Identifikation und schaffe ein Zugehörigkeitsgefühl. Zudem gehe von sportlichen Erfolgen bei internationalen Sportgroßveranstaltungen eine Verbesserung der nationalen Reputation aus. Schließlich stelle der Sport einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar.

Diese Argumente sollen im Folgenden kurz beleuchtet und im Hinblick auf ihre konstitutive Eigenschaft zur Rechtfertigung eines Ausnahmebereichs analysiert werden.

Die Auswirkungen des Sports auf die Gesundheit der Sportreibenden kann vielfältig sein: Unbenommen ist, dass von bestimmten Formen sportlicher Betätigung (insbesondere dem Gesundheitssport) erhebliche positive Auswirkungen auf die Gesundheit ausgehen. Tatsache ist jedoch auch, dass im Breitensport und vielmehr noch im Leistungssport durch Sportverletzungen bis hin zur Invalidität erhebliche Beeinträchtigungen der Gesundheit entstehen können (Hockenjos 1995: 116). Unabhängig davon, ob nun eher der der Gesundheit zuträgliche oder aber der der Gesundheit abträgliche Effekt des Sports überwiegt, ist der Betroffene davon in erster Linie der ausübende Sportler selbst. Es liegt also kein originär externer Effekt beim Sportreiben vor: Der Sportler verbessert, wenn keine Sportverletzungen auftreten, seine eigene Gesundheit und nicht die Dritter (Gratton und Taylor 2001: 104 ff.; Langer 2006: 162 ff.). Das Hilfsargument, durch das Sporttreiben werde die gesetzliche Krankenkasse entlastet, wodurch ein positiver externer Effekt für die anderen Versicherten auftrete, ist nicht nur wegen der zu beobachtenden Sportverletzungen zurückzuweisen. Vielmehr ist es so, dass Prävention (hier durch Sport) erhebliche positive Wirkungen auf die Gesundheit haben kann, aber wohl eher die Kosten der Krankenkassen erhöht, zumal sie nicht verhindern kann, dass der betreffende schließlich an einer anderen, mitunter für die Krankenkasse kostspieligeren Erkrankung verstirbt. Vor diesem Hintergrund ist die von manchem Sporttreiben ausgehende Verbesserung der individuellen Gesundheit als Argument deswegen nicht geeignet, weil ihr der Charakter als positiver externer Effekt fehlt.

Sozio-edukatorische Effekte des Sports werden im Wesentlichen in den folgenden Bereichen identifiziert: So wird vermutet, Sport

  1. vermittle gesellschaftlich bedeutsame Normen (z. B. Unterordnung unter demokratische Entscheidungsstrukturen, Akzeptanz bestehender Regelwerke, Akzeptanz des Leistungsprinzips),

  2. trage zur Integration unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen und

  3. zur Gewaltprävention bei.

Tatsächlich gibt es für diese sozio-edukatorischen Effekte kaum empirische Nachweise (Pawlowski und Breuer 2012: 164 ff.): So scheint die Einübung gesellschaftlich bedeutsamer Normen empirisch unerheblich zu sein; vielmehr lässt sich hier eine Vielzahl von Regelübertretungen etwa in Form des Dopings und des Game Fixings feststellen. Zudem ist die Bilanz des Sports bei der Gewaltprävention durchwachsen; so führt Sport in manchen Fällen gar erst zu Gewalt, oder zumindest ermöglicht er diese (Gratton und Taylor 2001: 109 ff.; Langer 2006; Ohlert et al. 2018). Im Zusammenhang mit der Integration unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen durch den Sport zeigt sich ebenfalls keine eindeutige Wirkungsrichtung: Sport integriert, aber er exkludiert auch (Smith et al. 2019). Insofern müssen offenbar die sozio-edukatorischen Effekte des Sports in ihrer Gesamtheit wohl eher als unbedeutend angesehen werden. Einen Ausnahmebereich damit zu rechtfertigen, gelingt somit nicht.

Freilich gehen vom Sport auch ökonomische Effekte aus: Manche Facetten des Sports haben eine größere ökonomische Bedeutung wie etwa der Profi-Fußball oder internationale Sportgroßveranstaltungen. Nun reicht aber die ökonomische Bedeutung für sich allein nicht aus, um hier einen Ausnahmebereich zu rechtfertigen. Würde man diesen Gedanken nämlich weiterentwickeln, so wäre jeder Wirtschaftsbereich ab einer bestimmten Größe zu fördern.

Als weiteres Argument wird der vermeintliche Prestigewert des Sports und dabei insbesondere die Identitätsstiftung und die Repräsentationswirkung auf internationaler Ebene angeführt (Langer 2006). So wird vermutet, dass Bürger eines Landes Stolz entwickeln und Freude empfinden würden, wenn die Athleten eben dieses Landes erfolgreich bei internationalen Wettkämpfen seien. Auf diese Weise werde die Identifikation mit dem Land gestärkt. Internationale Erfolge würden zudem eine positive Außenwirkung bewirken (Repräsentation). Diese Effekte sind jedoch sehr stark umstritten: So zeigen z. B. Hallmann et al. (2013) und Halldorsson (2020), dass internationale sportliche Erfolge bspw. der Nationalmannschaft Stolz bei Teilen der Bevölkerung erzeugen. Hingegen stellen Storm und Rasmussen (2020) fest, „that international sporting success is not a significant driver of national pride“. Pawlowski et al. (2014) bezweifeln zudem, ob sich dieses Gefühl des Stolzes überhaupt in einer Verbesserung des individuellen Wohlbefindens (subjective well-being) niederschlägt. Insofern eignet sich der Prestigewert des Sports ebenfalls nicht zwingend als Argument, um einen Ausnahmebereich und damit eine besondere staatliche Behandlung zu rechtfertigen. Fasst man die Ergebnisse zusammen, so zeigt sich, dass der Sport keinen Ausnahmebereich darstellt und sich damit eine besondere staatliche Unterstützung – auch in Zeiten von COVID-19 – nicht begründen lässt. Freilich erzeugt der Sport einen sehr hohen individuellen Nutzen, sonst würden nicht so viele Menschen Sport treiben oder Sport in den Medien oder vor Ort verfolgen. Die Effekte des Sports kommen aber in erster Linie und offensichtlich ausschließlich denjenigen zugute, die ihn auch selbst ausüben oder sportliche Wettkämpfe als Unterhaltungsdienstleistung konsumieren. Und in einer Marktwirtschaft sollten diese Personen für ihren Nutzen selbst bezahlen – und nicht fremde Dritte.

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Online erschienen: 2020-08-14
Erschienen im Druck: 2020-08-26

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